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Fata Morgana

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Der Wind riß unruhig an der wild flatternden Fahne, die an einer hohen Stange im Garten das Haus des Lootsenkommandeurs anzeigte, – ein stoßweiser Wind der unter einem wolkenfreien Sonnenhimmel scharf über die See brauste.

Das Haus lag eingebettet hinter der Düne; dicht neben dem Leuchtturm, der mit seinem roten Blinkfeuer auch des Nachts anzeigte, wo das Lootsenhaus auf der kleinen Insel lag. Am Tage ragte nur das moosbewachsene Dach mit den beiden Seitenfenstern, wo sie damals gewohnt hatte, über die Düne hinaus, daß man weit auf das Meer sehen konnte; die anderen Häuser der Fischer und die Hotels lagen am offenen Strande, wo es um die Mittagszeit jetzt still war und leer. –

Vom Festlande drüben war Henning bei dem günstigen Winde mit dem alten Pattersen herübergekommen. Seit vierzehn Tagen schon war er an der See und hatte sich nicht getraut, die kurze, zweistündige Fahrt zu unternehmen, obgleich er das ihm einst so wohlbekannte Inseldorf und selbst das Lootsenhaus mit dem Fernrohre bei klarem Wetter ganz deutlich liegen sah.

Er wußte, daß sie in diesem Jahre im Gebirge war; und dann war ja auch alles zwischen ihnen aus, seit Jahren langsam eingeschlafen, durch äußere Umstände, die sie beide nicht die Kraft oder den Mut hatten, zu ändern; – wie eben alle Dinge, die man anfangs für ewig hält, allmählich einzuschlafen pflegen. Aber die Erinnerung trug er mit sich herum; und der Fleck Erde, wo er einst glücklich gewesen war, das einzige Mal daß er sich einredete, ganz glücklich gewesen zu sein, war ihm ein Stück Paradies, aus dem er sich verbannt hatte, – vielleicht aus zu großer Liebe zu ihr, vielleicht weil er zu anständig und ehrlich dachte und empfand.

Diese kurze Spanne seines Lebens hatte er sich rein erhalten.

Wie an einen berückenden Traum, der seine Sinne lind umschmeichelte, dachte er an die Zeit zurück; dann hatte er sich von ihr ferngehalten, weil er glaubte, daß er ihr doch nur Unglück bringen konnte, weil er sie in ihrem Behagen nicht stören mochte und ihren Worten nicht traute: daß sie bereit sei, alles von sich zu werfen und ihm zu folgen, wohin er sie führte, in die Einsamkeit, die Armut, was er wollte. – Er glaubte, daß sie das zwar aus ihrem guten, liebenden Herzen sprach und vielleicht auch aus Unkenntnis zur Ausführung gebracht hätte, – aber er wagte es nicht, eine so schwere Verantwortung auf sich zu nehmen. Deshalb hatte er sich langsam zurückgezogen, bis sie sich fremd geworden waren; und wenn sie im gesellschaftlichen Leben, in dem sie sich alle Jahr ein paarmal trafen, eine Andeutung früherer Zeiten machte, war er verstummt und hatte gethan, als verstehe er sie garnicht. – Aber in ihm brannte die Sehnsucht nach jener kurzen, flüchtigen Zeit; und immer hatte er sich mit dem Gedanken getragen, einmal zurückzukehren, – ein einziges Mal den Ort wieder zu betreten, wo er so glücklich und so namenlos unglücklich gewesen war. –

Pattersen hatte das Segel gerefft, und das Boot kam ziemlich nah an den Landungssteg, nur ein paar Bretter an leichten Pfählen angenagelt, über die die Wellen ihren Gischt spritzten. Henning sprang auf den Steg, während der Fischer das Boot mit Hilfe eines Jungens, der Netze breitete, höher auf den Sand hinaufzog.

Am Strande buddelten ein paar Kinder im Sande, eifrig lautlos, und ein Herr lag schlafend unter einem grauen Sonnenschirme, die Füße in großen gelben Schuhen weit von sich gestreckt, daß seine heruntergerutschten weißen Strümpfe sichtbar wurden.

Eine ganze Reihe von Strandkörben lagen im Sande, achtlos umgeworfen vom Winde, das Rohr braun und schmutzig; und während er hindurchschritt, entdeckte er plötzlich eine Nummer, eine ganz verwaschene 23.

Aber wie sah der Korb aus! – das Sitzbrett halb zerbrochen, das Geflecht zerrissen, und die ehemalig rotweißgestreifte Leinendecke ganz schwarz und völlig zerfetzt. Eine jammervolle Ruine lag er da, der allgemeinen Benutzung preisgegeben.

Das war der Korb gewesen, in dem sie beide damals so oft gesessen hatten; ganz dicht ans Meer hatten sie ihn gerückt, daß sie manchmal die Füße hoch nehmen mußten, wenn eine übermütige Welle gar zu weit über den weißen Sand heraufspülte. Aber die Leute mußten alle hinten vorbei gehen, so daß sie von dem Strandtrubel nicht viel merkten, und nur das weite Meer vor sich hatten. –

Er stieß mit dem Stocke an den Korb, daß das Rohr in seiner Morschheit brach; und wie er nun die verfallenen Schilfhütten am Fuße der Dünen sah und die Badehäuschen, die seit Jahren nicht mehr gestrichen waren, und diesen ganzen öden Strand, wo ehemals lustiges Leben geherrscht hatte, befiel ihn eine wehmütige Stimmung des Verlassenseins.

Langsam durch den rieselnden Dünensand quälte er sich den Hügel hinauf, und das Strandhotel lag vor ihm, einsam oben auf der Düne im kahlen Sande. Aus einem Schornsteine stieg ein dünner Rauchfaden, die Fenster waren fast alle geschlossen, die breiten Veranden leer, und die Tische vor dem Hause ohne Decken, ohne Farbe, Opfer des Wetters.

Ein paar Bäume mit ihren jungen Kronen, die der Wind längst zerzaust, streckten ihre armseligen Blätter in die Luft; und von den Blumenbeeten und dem frischen Rasen, wo sie Tennis gespielt, war nichts mehr geblieben. Mühselig, war das Grün damals der Düne abgerungen, Wind und Wetter hatten den Sand längst wieder blosgelegt; und nur ein paar Eisenstakette standen noch.

Ein schmutziger Kellner schlief auf einem Stuhle am Fuße der Treppe; und als Henning ihn wach gerüttelt und endlich den Kaffee vor sich stehen hatte, war der Trank nicht zu genießen, sodaß er angeekelt aufstand und ging. Es war alles im Verfall.

Er schlug den Weg nach dem Dörfchen ein; früher eine glatte, festgewalzte Promenade, – jetzt mußte man sich seinen Weg selbst suchen und beständig den Löchern ausweichen, die der Regen gerissen.

Die angepflöckten Schafe rissen voller Angst an ihren Stricken und jagten bei seiner Annäherung im Kreise herum; dann blieben sie mit gesenktem Kopfe und den so böse scheinenden gelben Augen stehen, als wollten sie tückisch auf ihn los.

Der Weg führte hinter der großen Düne die zugleich Signalstation war herum, dann lag das Dorf vor ihm, lang gestreckt an dem Fahrwege, dahinter weites grünes Marschenland, das mit seiner frischen Farbe dem Auge wohlthat.

Es war still in den Häusern, die Wärme drückte; einmal knurrte ihn ein Hund an, aber er blieb schläfrig liegen und bellte ihm nur verschlafen nach.

Dann stieg er den Hügel wieder hinauf, und an der Fahnenstange ersah er schon von weitem das Lootsenhaus, von außen sah es ganz aus wie früher; nur der kleine Blumengarten, der früher ein Schmuckplätzchen gewesen, war nun zu einem großen Gemüsebeete geworden; aber das war nicht häßlich.

Hinter dem Hause an einer Rotdornhecke, unter den beiden Fenstern, die er vom Meere aus immer gesehen hatte, stand eine Bank. Dorthin setzte er sich und sah hinunter auf die See, die mit weißschäumenden Katzenpfoten unruhig sich kräuselte.

Weit in der Ferne drüben sah er das Festland in heller Sonne liegen.

Lange saß er so, dann hörte er eine Thür schlagen und leise Schritte hinter sich. Durch die Hecke sah er eine junge Frau.

Er erhob sich, und als sie aufblickte, grüßten sie sich, aber er erschrak, denn durch das blasse, junge Gesicht, das einmal sehr hübsch gewesen sein mußte, zog sich eine große, rote, zerrissene Narbe, die das Auge und die ganze linke Wange schrecklich entstellte. Ein müder Glanz in den Augen, eine stumme und doch beredte Resignation milderte den anfänglichen Eindruck.

Er erkundigte sich. Ja, sie wohnten seit drei Jahren hier. Ihr Mann war Lootse, heute hatte er Dienst und war auf dem Meere.

Er sagte ihr, daß früher einmal ein Freund von ihm hier im Hause gewohnt habe, mit dem er viel zusammen gewesen war. Dort oben, wo die beiden Fenster waren, hatte er gewohnt.

Ob das Zimmer vermietet sei?

Nein, sie vermieteten nicht.

Sie wurde etwas verlegen, und die Narbe bildete jetzt eine dunkelrote Furche.

Sie hatten es wohl nicht nötig?

Das auch nicht, – ihr Mann gab es nicht zu.

Dann fragte er, ob sie ihm nicht erlauben wolle, das Zimmerchen einmal anzusehen. Er brachte die Bitte nur verlegen heraus.

Sie wollte nicht recht darauf eingehen: es sehe zu wüst dort aus; denn jetzt schlafe ihr Mädchen dort; und sie selbst war seit Wochen nicht hinaufgekommen.

Aber er bat inständig; und da sie merkte, daß ihm viel daran lag, gab sie, immer zögernd und hinhaltend, endlich nach.

Durch die schmale Hinterpforte trat er ein; und über die fliesenbelegte helle Diele stieg er hinter ihr her, die knarrende Treppe hinauf.

Dann schloß sie die Thür auf, und nun trat er in das Zimmer. –

*

Zuerst sah er nur das Meer, in heller Sonne, denn an den kahlen Fenstern waren keine Gardinen; von den Wänden blätterte der Kalk, und eine alte gebrechliche Holzbettstelle stand da, mit ganz verlumpten Betten, – und auf einer umgestülpten Kiste eine rohe irdene Schüssel, noch voll schwarzen Seifenwassers, daneben ein Stück Seife und ein ausgebrochener Kamm mit einem Gewirr strohiger Haarsträhnen, ganz verfilzt; und auf einem schmutzigen Stuhle ein zerrissener rotwollener Unterrock. An der Wand die kolorierte aber abgegriffene Photographie eines Soldaten und eine zerbrochene Scherbe als Spiegel.

Und dabei roch es nach Bett und stickigem Schlafdunst, daß ihm übel ward.

Ganz erschreckt stand er da, als er das alles mit einem Blicke jammervoller Enttäuschung umfaßte. – Da hörte er ein unterdrücktes Aufschluchzen neben sich, und als er sich umwandte, sah er, wie die junge Frau lautlos eilfertig die Treppe hinunterhuschte. –

Er warf noch einen letzten Blick in die kleine Stube, dann ging er ganz ernüchtert hinunter.

Er blieb auf der Diele stehn, aber die Frau war nicht zu finden; in zwei Stuben sah er hinein, er klopfte und rief, sah im Garten nach, in dem Stalle, wo eine trächtige Kuh sich schwerbrüllend nach ihm umwandte; sie war verschwunden, – nur eine kleine graue Katze maute im Flur und rieb sich schnurrend schmeichlerisch an seinen Beinkleidern. Er sah sich noch mehrmals um, aber es kam niemand zum Vorschein. –

Pattersen saß schon im Boote und wies nach dem Horizonte, wo es graugelb, gefahrdrohend heraufquoll.

Sie mußten sich eilen, wenn sie trocken vor dem Wetter heimkommen wollten.

Das Boot stieß vom Landungssteg ab, der Wind legte sich voll in die Segel, nun kreuzten sie, und bald kamen sie wieder in die Höhe des Lootsenhauses.

– Sagen Sie mal, Pattersen, was hat denn die Lootsenfrau für 'ne furchtbare Narbe?

– Ja, Herr, das is denn woll so. Die soll sie ja woll von ihrem Mann haben.

– Von ihrem Manne?

– Ja, das soll woll so sein.

– Aber wieso? ist denn das ein …

– Nee das nich, sanft is der wie ein Lamm, aber da hat mal vor zwei Jahren, da oben wo die beiden Fenster sind, einer gewohnt, ein feiner Herr aus Berlin soll es ja woll gewesen sein, und da is der Lootse mal am Abend früher nach Hause gekommen, und nachher is der Herr ganz wild ins Dorf gelaufen, und denn hat er wegen seiner Sachen den Kellner vom Strandhotel geschickt, und der Gensdarm war auch mit da, und die haben die Sachen geholt, und am andern Tage schon ganz früh war er weg, – und als denn die Frau nach ein paar Tagen wieder rausgekommen is unter Menschen, da hat sie eben die Narbe gehabt. Das soll ja woll so sein. –

– Aber hat denn kein Mensch …

– Nee, Herr, – das geht ja woll keinen andern was an, – und die beiden sind sich ja auch wieder gut geworden, – nur daß sie immer so still is und eben nich viel redet, – und vermietet haben sie seit der Zeit auch nich mehr. –

Sie mußten beim umlegen der Segel die Plätze wechseln; über der Düne, weit hinten, ragte noch das Dach mit den beiden Fenstern, in denen sich die Sonne, die gleich hinter der Wetterwolke verschwinden mußte, spiegelte, zwei große glänzende Augen.

Und wie er in die Sonne sah, stand plötzlich ihr schmales Gesicht vor ihm mit den großen, hellen Kinderaugen, und über dieses blasse Gesicht lief eine rote glühende Schlange, – und dann war es ganz verschwunden, und er konnte es sich gar nicht mehr vorstellen, so sehr er sich mühte; immer war es .das andere Gesicht, das er heute gesehen hatte. –

Und wie die Küste mehr und mehr schwand, suchte er nach den alten Bildern, seinen Träumen, nach der brennenden Sehnsuchtsstimmung, die ihn jahrelang beherrscht hatte; er wollte die Dinge der Vergangenheit sehen, wie in den alten, träumerischen Stunden seines Nachsinnens; aber es war alles ausgelöscht. Er sah immer nur den öden, vereinsamten Strand, das verlassene Hotel und diese schreckliche Kammer voller Schlafdunst und Seifengeruch, dieses muffige aufgedeckte Bett und den schmutzigen Kamm mit den verfilzten, ausgerissenen Haarbüscheln. –

Und er fühlte voller Grauen, wie dieses Wirklichkeitsbild ihm jede Erinnerung an die traumhaft schönsten Stunden seines Lebens für immer verwischt hatte; und daß er nie mehr im stande sein würde, die alten Empfindungen jener einst so sonnenfrohen Tagen heraufzubeschwören.

Da zuckte es in der Wetterwolke auf. – Der erste Blitz! ein gelbes blendendes Licht, und die Sonne verkroch sich.

Es wurde Nacht. Der Sturm kam. Die Wellen gingen höher; – und jedesmal wenn es grell aufblitzte, stieg vor seinen Augen die blutrote Narbe, in dem blassen Gesichte der stillen jungen Frau auf, deren qualvolles Aufschluchzen er nicht aus der Erinnerung verlor. –

Linden-Druckerei und Verlags-Ges. m. b. H.,
Berlin NW 6.

 


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