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Der Buckelige

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Es war windstill. Mit ihren gelben Blattfingern breiteten sich die weit ausladenden Aeste der Kastanien über das rasch dahinfließende Wasser des engen Kanalgrabens.

Ein feiner Regennebel sickerte sprühend vom graubezogenen Himmel, und von den zusammenlaufenden und sich sammelnden Regentropfen beschwert, klatschten die grünen Stachelfrüchte der Kastanien in das dunkele Wasser, in dessen schwarzer Fläche sie ein paar rasch sich verlaufende Ringe bildend untergingen; oder sie fielen mit einem schweren dumpfen Laute auf den feuchten Boden, und die glänzend polierten braunen Früchte sprangen aus den grünen Schalen, die nun ihre weiche weiße Innenseite in drei oder vier Stücken im Grase verstreuten.

Am Ufer des schmalen Spreefließes reihten sich die niederen strohbedachten, schwerbalkigen Blockhäuser, von grünem Weinlaub umrankt; an den Fenstern rote Geranientöpfe und in den Gemüsegärten, neben buntfarbigen Asternbeeten, leuchteten die dunkelen Blätter der letzten Herbstblumen unter dem fahlwerdenden Laube der Erlen und Kastanien. Ueber den Thüren hingen Reihen von Zwiebeln, hoch aufgehäuft lagen grüne und gelbe Gurken neben Reihen riesiger gelber und weißlicher Kürbisse. Frauen mit schwarzen Kopftüchern waren eifrig beschäftigt, von den roten Mohrrüben das grüne feinfaserige Kraut abzuschneiden und die gelben und blutroten Zuckerrüben in viereckige Weidenkörbe zu sortieren.

Schwarze flache Kähne, wie umgestülpte Sargdeckel, glitten lautlos auf dem Kanale rasch aneinander vorbei. Kaum daß man das rieselnde Wasser plätschern hörte, wenn der Mann oder eine der Spreewälderinnen in ihrer dunklen Heimatstracht die lange Ruderstange nachzog.

Fast bei jedem Hause suchte eine Schar schnatternder, tauchender Enten im Wasser nach Futter; mühsam ruderten sie gegen die starke Strömung an und glitten geschickt den Kähnen aus dem Wege, die bald mit Schilf und duftendem Heu oder hochgetürmt mit Kürbissen und Körben voll frischer Gurken belastet waren.

Eintönig durch die Stille klang das Geklopfe einer Frau, die vor ihrer Küchenthür mit dem Holzschlägel Flachs brach.

Manchmal aus der grauen Nebelluft der kurze häßliche Schrei einer Saatkrähe.

Ein brauner Jagdhund irrte lautlos suchend mit eingezogenem Schwanze durch den verödeten Garten der Spreewaldschenke. Tische und Stühle waren schon für den Winter unter einem halb verfallenen Holzschuppen untergebracht, und nur an dem feinen quirlenden Rauche, der aus dem Schornstein des ganz mit Weinlaub bedeckten roten Ziegelhauses, des einzigen massiven im Dorfe, kerzengerade aufstieg, sah man, daß Leben im Hause war.

Aus dem Blumengarten, wo der Weg hinter den Häusern aufs offene Feld führte, kam jetzt eine kleine Gesellschaft, deren Boot kurz zuvor in den kleinen Hafen des Gasthauses eingelaufen war.

Ein alter Herr, mit großem weißen Barte, der eine etwas zaghafte Frau am Arme führte, hinter ihnen ein schlankes blasses Mädchen mit einem jungen Manne, dessen zerhauenes Gesicht den Studenten verriet.

Ein Mädchen in Spreewäldertracht, mit gelbem Kopftuche rief ihnen vom Fenster aus zu: das Essen sei erst in einer Viertelstunde fertig, und so setzte sich das alte Paar müde in die Weinlaube, die voll reifer gelber Trauben hing. Sie nahmen ihre Zeitungen vor und fingen an zu lesen.

Die beiden anderen schlenderten indeß plaudernd durch den verödeten Garten, sahen in die offenen Viehställe hinein, wo zwei beim ausmisten beschäftigte Mädchen kichernd sich versteckten, – dann gingen sie hinunter an das Fließ, wo auf dem schwarzen Wasser allerhand Kraut, Schilf, Zweige und hie und da ein fortgeworfener Apfel rasch dahintrieben. Aus den vorbeigleitenden Kähnen wurde ihnen ein freundliches: Guten Tag! zugerufen, das sie nickend erwiderten.

Ein Postbote stakte eilends in seinem Boote vorüber. Uebermütig rief ihn das junge Mädchen an:

– Haben Sie keinen Brief für mich?

– Nein, rief er, heut leider nicht, Fräulein, – aber vielleicht morgen!

Dann verschwand er um ein Haus in einem Seitenfließe.

Der junge Mann stand, die Hände in seinen Jacketttaschen neben dem schlanken Mädchen, das ein leichtes graues Cape nachlässig um die Schultern trug.

Sie sahen sich um. Vom Hause her, wo die Eltern saßen, konnte man sie nicht sehen. Er blickte den Wasserlauf hinab, es war alles leer. Nach der anderen Seite deckte sie die Scheune.

Ganz langsam, mit geschlossenen Augen, schmiegte sie sich an ihn, und während sie mit der einen Hand sich an seinen Arm krampfte, legte sie den Kopf schmeichlerisch an seine Schulter, daß seine Lippen ihre Stirn berührten.

Obwohl sie mit einander versprochen waren, ließen die Eltern sie nicht aus den Augen, sodaß sie kaum ein Wort allein hatten sprechen können, und die verhaltene Sehnsucht der letzten drei Tage mit ihrem steten Beisammensein brach in diesem kurzen Augenblicke gebieterisch durch, und eng und enger schmiegten sie sich aneinander.

In der lautlosen Stille hörten sie nur ihr hastiges Atmen, mit geschlossenen Augen standen sie da, zitternd, aber ohne daß einer es wagte die Hand zu rühren. –

Eine fallende Kastanienfrucht schlug raschelnd durch die Blätter und klaschte laut in das Wasser. Sie fuhren erschreckt auseinander, faßten sich bei der Hand und sahen sich an.

Sie lächelte zu ihm auf, ihre Augen glitten unsicher werdend an ihm ab – und da sah sie bei dem kleinen Hafen, wo ihr Boot neben ein paar anderen halb aufs Land gezogenen Kähnen lag, einen Jungen sitzen, zusammengekauert auf einem Steintische, um den als Bänke ein paar rohbehauene Granitklötze lagen.

Ein etwa zwölfjähriger Junge, mit seltsam übergroßen, lauernden Augen in dem scharfgeschnittenen Gesichte, dem harten, altklugen Gesichte eines Buckeligen.

Wie sie beide, verlegen werdend, jetzt nach ihm hin sahen, erhob er sich linkisch und den einen Fuß zog er hinkend nach, während er sich an den Steinen vorbei drücken wollte, voller Scheu, daß er sie eben beobachtet hatte.

Sie gingen zu dem Hafen hinunter, von wo sie in der Laube die Eltern ruhig in ihre Zeitungen vertieft sahen. Der Junge kletterte jetzt an der Wasserseite an einem halb zerfallenen Holzzaune hin, an dem er sich festhielt.

Der junge Mann ging gerade auf ihn zu, gewissermaßen um ihn harmlos zu machen, weil er sie so scharf beobachtet hatte. Er redete den Jungen an und fragte, woher wohl der Steintisch und die Bänke stammten; aber er bekam nur ein verlegenes Lächeln zur Antwort.

Den breiten Mund zog er etwas schief, sonst blieb er stumm; den Kopf verlegen zu Boden gesenkt, kletterte er an dem Zaune hin, neugierig nach der jungen, schlanken Dame schielend.

Er hatte am Ufer gehockt und einer Bachstelze zugesehen, die drüben wo der gelbe Sand aus dem Wasser hervorkam, mit dem Schwanze wippend, nach Futter suchte und munter hin und her flog – als das Laub raschelte und er das junge Liebespaar hinter den Stallgebäuden stehen sah.

Er hatte sich auf seinem Steine ganz zusammengeduckt und gesehen, wie das junge Mädchen, das eben noch scheinbar gleichgiltig neben dem Herrn herging, sich ihm in die Arme gab, und sich voll mädchenhafter Hingebung glückselig an ihn schmiegte.

Er saß da, in einem seltsamen Banne, daß er sich wie verzaubert nicht regen konnte, mit wildklopfendem Herzen, als geschehe etwas übernatürliches, ein ungeahntes neues. –

Er hatte wohl gesehen, wie ein Knecht mit einem rohen Scherze nach einem Mädchen griff; in den Büschen oder auf dem Futterboden hatte er die Paare überrascht, aber das hatte ihn nicht berührt. Achtlos oder mit einer unangenehmen Empfindung hatte er darüber weggesehen.

Er wußte, daß das etwas häßliches war, von dem man nicht reden durfte, – daß das Mädchen später ein Kind kriegte, und voller Stolz und Freude fort in die große Stadt ging, wo sie dann immer im feinsten Sonntagsstaate, den ihr fremde Leute schenkten, ohne daß sie sonst zu arbeiten brauchte, einherging.

Das waren weiter keine Geheimnisse für ihn.

Aber wie diese beiden Menschen unter den gelbblättrigen Kastanienbäumen sich umfaßt hielten und sich ansahen, darin lag ein geheimnisvoller, unerklärlicher Reiz, daß ein beängstigendes und doch wohlthuendes Gefühl ihn beschlich, und ein rieselnder Schauer ihn faßte und schüttelte.

Er hatte dagesessen und die beiden immerfort anstarren müssen. –

Den Kopf noch tiefer zwischen die hohen Schultern gezogen, stand er zaghaft vor ihnen, die auf ihn zugekommen waren; aber ehe sie ein Wort an ihn richten konnten, galoppierte er plötzlich, den lahmen Fuß hastig nachziehend, zwischen den Wirtschaftsgebäuden durch, querfeldein, über die Kartoffeläcker, ohne sich umzusehen, atemlos als ob der böse Feind ihn verfolge.

Erst als er hinter einem dichten Erlengebüsche nichts mehr von dem Hofe sah, hielt er im laufen inne und duckte sich in einen wasserleeren, mit hohen Schilfstauden bewachsenen Graben.

Dort blieb er hocken, bis nach einer Stunde das Boot mit den Fremden wieder weiterfuhr. Nur der Fährmann ragte über den Uferrand hervor, wie er die lange Ruderstange ins Wasser stieß und den Kahn gegen den Strom stakte; von den anderen sah man zwischen den Bäumen nur manchmal den Kopf, bis sie ganz hinter den verkrüppelten Weidenbüschen verschwanden.

Da erst traute er sich zurück nach dem Wirtshause und hockte sich nieder auf die Steine, seinem Lieblingsplätzchen am Wasser zum träumen.

Er achtete nicht auf die Vögel, die jetzt wo der Regen nachgelassen, wieder munter hin- und herflogen, achtete nicht länger auf die kreiselnd herabfallenden Blätter, – er sah nur immer das schlanke blonde Mädchen, wie es lächelnd zu dem Manne aufgeblickt hatte, wie es sich schmeichelnd an ihn geschmiegt und mit den schmalen Lippen ihn so zaghaft scheu geküßt hatte. –

In der Nacht träumte er unruhig, immer dasselbe; und in der Schule schrak er bei jeder Frage auf, denn er mußte immer an diese flüchtige Szene denken, die dem armen Buckeligen eine ganz neue Welt erschlossen hatte, eine Welt, die bethörend lockend vor ihm lag, aber die nicht für ihn geschaffen war, – und ein dunkles Angstgefühl quälte und schreckte ihn, unklar und um so drohender: als werde er sein Leben lang immer nur der arme Zuschauer bei dem Glück der anderen sein, der davonschleichen mußte, um sich hinter dunklen Büschen in unverstandener Einsamkeit elend vor der Welt zu verkriechen, wenn die Glücklichen sich in die Augen sahen …

Pflicht! – Den Herrn Doktor finden Sie hinten im Garten, er wird wohl auf der Louisenhöhe sein; soll ich Sie hinführen?

– Danke, ist nicht nötig; es geht wohl da den Weg hinauf? Ich werde schon finden.

– Ach, Sie kennen den Herrn Doktor, na denn ist es ja gut.

Der alte Pförtner faßte grüßend an die Mütze und nahm seine Arbeit wieder auf, Unkraut aus den Wegen des Vorgartens zu jäten.

Ich ging um das lange rote Gebäude des Sanatoriums, mit seinen offenen Hallen und den gedeckten, durch Segeltuch geschützten Terrassen, kam an Sonnenzelten und Korbsesseln vorbei, wo Genesende sich ruhten, – eine Schwester, die mit einem Glase aus dem Hause kam, nickte mir freundlich gemessen zu, und so fand ich die Anhöhe, wo durch hohe, stark duftende Edeltannen, die hier ihren warmen Schatten warfen, sich ein weiter Blick in das stille Waldthal öffnete: auf das vieltürmige Schloß drüben am Hange, darunter, mit seinen schindelgedeckten Häusern das saubere kleine Dorf, von dessen Station ich heraufgeklettert war, als ich von dem Kellner des Bahnhofes hörte, daß Doktor Dambach hier sein Sanatorium habe.

Ich hatte nichts davon gewußt, aber jetzt wollte ich die anderthalb Stunden Aufenthalt benutzen, um mich nach ihm zu erkundigen. –

Als ich durch den schmalen Tannenweg die Aussicht erreichte, sah ich ihn vor mir; und trotzdem er erschreckend gealtert war, erkannte ich ihn, ohne sein Gesicht zu sehen, gleich an der Bewegung seiner Schultern, wie er einer Patientin, die in einem Triumphstuhle lag, sorglich die Decken breitete.

Er that es vorsichtig wie eine Frau. Wir hatten ihm bald den Beinamen gegeben: Die barmherzige Schwester! und riefen ihn auf der Kneipe: Schwester Ludwig! … Mächtig alt war er geworden, und der volle, graue Bart und die Brille gaben ihm ein würdiges Aussehen.

Er blickte sich um, und ich grüßte bescheiden den Besitzer des Sanatoriums, indem ich ein wenig beiseite trat, um zu warten; aber er wandte sich mir zu, gleich auf den ersten Blick erkannte er mich, und ganz jugendlich lebhaft trat er rasch auf mich zu.

An den Augen, an dem herzhaften Lachen, diesem frohen, jugendlichen Lachen, das ihn schon in seiner Studentenzeit uns so sympathisch gemacht hatte, erkannte ich den guten alten Kerl wieder.

Er wandte sich halb zur Seite und sagte:

– Du findest, glaube ich, hier eine alte Bekannte wieder.

Die Kranke in dem Triumphstuhle richtete sich ein wenig auf, das schmale, eingefallene Gesicht mit dem fahlen Teint verzog sich zu einem krampfhaften Lächeln. Es war nur eine Verzerrung des Gesichtes. Ich aber starrte, Erinnerung suchend in diese harten Züge, auf die bis hinauf an die spärlichen Haare von roten Flecken entstellte Stirn; und ich wußte nicht, wer das sein konnte.

Du kennst doch Frau von Wieda aus ihrer Mädchenzeit her, nicht wahr? Um die Mundwinkel der Kranken zuckte es herbe. Aber dann neigte sie den Kopf, und mit leiser, rauh klingender Stimme sagte sie:

– O gewiß, wir kennen uns; ich habe Sie gleich auf den ersten Blick erkannt. Sie haben sich so gar nicht verändert. Von mir kann man das nicht sagen. – Nicht wahr? Frauen altern immer viel rascher. Und dann eine arme Kranke, da werden Sie schon ein wenig Nachsicht üben müssen.

Ihre heisere Stimme that dem Ohre weh, das entstellte Gesicht verschärfte noch den peinlichen Eindruck. Aber der Doktor ließ sie mit zärtlicher Sorgfalt nicht aus den Augen. Er verfolgte ihre Bewegungen, als wolle er jeden Augenblick helfend eingreifen.

Frau von Wieda, fragte ich mich: Frau von Wieda! – da fand ich endlich ihren Mädchennamen; das war ja Helene Leeds, die der Doktor geliebt hatte, bis Herr von Wieda kam und mit keckem Wagemute das schöne Mädchen dem andern vor der Nase weg heimführte.

Dambach hatte sich ihr nur in Freundschaft zu nahen gewagt, als junger Arzt mit einer kleinen Praxis, die ihn selbst kaum annähernd ernährte, sodaß er sich nicht an das reiche Fräulein herantraute. Nur wir, seine Freunde, die täglich mit ihm umgingen, merkten mit was für Hoffnungen er sich im geheimen trug.

Da kam eines Tages der Assessor Wieda in das Städtchen; er war an das Landgericht versetzt, und mit seinen Lebemannsgewohnheiten brachte er alles in Aufruhr. In allen Fragen gesellschaftlicher Art, in all den kleinen Streitigkeiten des Kasinos war er bald die ausschlaggebende Persönlichkeit.

Allen Frauen und Mädchen machte er in seiner, ein wenig aufdringlichen, aber stets liebenswürdigen Art den Hof, so daß die Männer nur unter sich am Biertische den Mut fanden, was gegen ihn einzuwenden.

Dann hatte er mit einem male nur noch Interesse für Helene Leeds; und wenige Wochen später trat das bereits vielbesprochene und erwartete Ereignis ein: daß er sich mit dem reichsten Mädchen der Stadt verlobte.

Doktor Dambach folgte fast zu gleicher Zeit einem ehrenvollen Rufe nach außerhalb, nachdem er inzwischen schon von der Bildfläche verschwunden war, mit der Begründung, daß er eine große wissenschaftliche Arbeit vollenden müsse. Die Eingeweihten wußten, daß diese Verlobung all seine Pläne zunichte gemacht hatte, und daß er sich deshalb so versteckt hielt. –

Nun mußten sie sich also auf dieser engen Erde wiedergefunden haben: die arme hilflose Kranke und der Doktor, der es inzwischen zu grauen Haaren und hohen Ehren in seinem Berufe gebracht hatte. –

Ich ließ mich bestimmen, bis zum nächsten Tage zu bleiben. Mich hinderte nichts, und ich nahm die Einladung ohne zieren und zaudern an.

*

Am Abend gingen wir hinunter ins Dörfchen und machten im Wirtshause einen kurzen Dämmerschoppen.

Die Nacht war hell, und langsam stiegen wir auf bequemen Waldwegen die Höhe hinauf.

– Sag mal, hast du nie daran gedacht, zu heiraten? fragte ich ihn.

– Nein, sagte er, seit dem einen Male nie wieder! –

Wir stiegen weiter den Berg hinauf. An einer Biegung des Weges nahm er den Hut ab, kehrte sich um und blieb stehen. Drunten fuhr grade ein Zug in die Station ein, und deutlich sah man die Reihe von Lichtpunkten, die Waggonfenster; der Pfiff der Lokomotive drang bis zu uns herauf, sonst war es lautlos still in der warmen Sommernacht.

Wir gingen weiter und nun sagte er:

– Und es hat damals alles in meiner Hand gelegen, ich habe nur nicht gewagt, einzugreifen; kleinliche Rücksichten auf die etwaige Meinung meiner lieben Mitmenschen haben mich dummerweise zurückgehalten. Dabei wußte ich genau, was für Folgen es einmal haben würde. Wahrscheinlich hätte man mir nicht geglaubt; sicher hätte man mich ausgelacht und alles meiner vermeintlichen Eifersucht in die Schuhe geschoben. Ich habe ja selbst manchmal nicht recht daran geglaubt; wir Aerzte können ja so leicht irren, – aber diesmal ist alles seinen vorgezeichneten Weg gegangen, und es wird nicht mehr lange dauern und auch mit Helene ist es zu Ende. Hilfe giebt es da nicht mehr. Da versagt unsere Kunst.

In den Tannen raschelte es, – wohl ein Reh, das wir aufgescheucht hatten, und das nun angstvoll in die Nacht hineinstürmte.

– Daß ich Helene geliebt habe, wißt ihr wohl alle; nur sie selbst meinte neulich: sie habe nie geglaubt, daß ich je aus meiner kühlen Freundschaft heraustreten würde. Ich hatte auch nicht den Mut dazu; – da kam Wieda in unsern Kreis. Er hatte sich auf seinen Wunsch in unser Städtchen versetzen lassen, und sein erster Gang führte ihn zu mir, in die Sprechstunde. Von seinem wilden Leben hatte er ein Andenken zurückbehalten, von dem er sich in der Stille auskurieren wollte. Die Sache war keineswegs so harmlos, wie er sichs einredete; und meine Warnungen, nicht so in dem gesellschaftlichen Leben herumzutoben, nahm er nur allzuleicht. – Eines Tages erkannte ich voller Schrecken, wie ernsthaft er sich für Helene Leeds interessierte, und wie auch sie voller Wohlgefallen seine kecke Huldigung aufnahm. Dann, eines Morgens, kam er in meine Sprechstunde, beglich in ausgezeichneter Laune seine Schuld bei mir, beinah ostentativ, und teilte mir, wie nebensächlich mit: daß er sich am Abend zuvor mit Helene Leeds verlobt habe.

So sehr mich die Mitteilung auch erschreckte, und so voll verhaltener Schadenfreude er mich ansah, ich beherrschte mich; nur bedeutete ich ihm, indem ich ihm kühl meinen Glückwunsch aussprach, daß er vor Ablauf von ein bis zwei Jahren kaum daran denken könne, zu heiraten.

Er lachte mich einfach aus: Was ich denn wolle? Er fühle sich gesund, und damit gut. In einem Vierteljahre werde Hochzeit gehalten.

Ganz sachlich als Arzt machte ich ihn auf die verhängnisvollen Folgen aufmerksam. Ich erfüllte nur eine Pflicht, indem ich ihn auf das Gewissenlose einer solchen Handlungsweise aufmerksam machte. Er würde seine Familie vergiften, und seine Kinder, wenn er zu seinem Unglück welche bekam, hatten dereinst schwer für seine Sünden zu büßen.

Er sah mich triumphierend an. Auf solche dunklen Prophezeihungen gebe er nichts. Das sei Schwarzseherei; und außerdem habe er einen Studienfreund, der zum Besuch gekommen war, als Sachverständigen gefragt, und der stehe ganz auf seiner Seite und habe alle derartigen Bedenken für Thorheiten erklärt.

Ich wurde immer erregter, und schließlich sagte ich ihm, daß ich einfach eine dermaßen überstürzte Heirat nicht zulassen dürfe; ich würde schon Mittel und Wege finden, um das zu verhindern. Da lachte er mir direkt ins Gesicht: Ich solle mich doch mit meiner Eifersucht nicht lächerlich machen.

Der Hieb saß. Und wie zum Hohn setzte er mir auseinander, wie ich verpflichtet sei, zu schweigen, und mein Berufsgeheimnis nicht verletzen könne, falls ich etwa daran gedacht hätte.

Ich war kaum mehr Herr meiner selbst, aber er stand völlig über der Situation und ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen.

Er sei nicht so thöricht, wegen der Schimpfereien eines in dieser Sache nicht Unparteiischen diesen zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn ich durchaus Händel mit ihm anfangen wolle, möge ich die Sache zuvor einem Ehrengerichte unterbreiten, das sich die Motive erst etwas näher ansehen mochte.

Damit ließ er mich in ohnmächtiger Wut stehen. –

Wie oft bin ich nicht bis vor dem Hause Helenens gewesen, um mir ihre Mutter zur Bundesgenossin zu machen; aber immer wieder bin ich an der Schwelle umgekehrt. Er hatte nur zu recht: sinnloseste Eifersucht verzehrte mich.

Wie aber konnte, wie nur sollte ich der alten Frau oder Helenen die Sache klar machen. Nicht einmal andeuten konnte ich die Gefahr, in die sie sich ahnungslos begeben wollte.

Meine Beleidigungen ließen ihn einfach kalt. Er nahm sie nicht als solche hin. Und so waren mir die Hände gebunden.

Die Pflicht des Arztes, zu schweigen, verschloß mir den Mund. –

Vielleicht auch, sagte ich mir, sah ich wirklich zu schwarz. Aber der Gedanke, ein Wesen, mir das Liebste auf der Welt, in einer so gräßlichen, so abscheulichen Gefahr zu sehen, brachte mich zum Wahnsinn; jedoch was halfs, ich konnte nichts dagegen thun.

Ich hätte ihn erschlagen mögen wie einen tollen Hund, der Unheil zu verbreiten droht. Solch ein Tier schlägt man einfach nieder; dieser Mensch aber lief frei herum und durfte sich ein unschuldiges reines Mädchen nehmen, um es für das ganze Leben vielleicht zu verderben. –

So beschloß ich fortzugehen, weil ich machtlos war, nur um das nicht mit ansehen zu müssen.

Aber ich erfuhr doch davon; denn schon das erste Kind brachte den Beweis, wie recht ich hatte. Ein jammervolles Geschöpf, das im dritten Monat elend zu grunde ging, das beste, was solch einem armen Wesen geschehen konnte.

Zwei Jahre später mußte er dann selbst dran glauben, da er sich in der sträflichsten Weise vernachlässigt hatte. –

Und mir ist nichts geblieben, als die letzten Tage einer Verlorenen zu bewachen; jeder Tag kann das Ende bringen.

Wie das alles genauer zusammenhängt, davon weiß, sie nichts. Nur das Eine habe ich ihr nicht verschweigen können: Wie all mein Lebensglück mir damals zu nichte gemacht worden ist.

Still und sanft lächelnd hat sie mir geantwortet:

– Weshalb haben Sie den Mut nicht gehabt, mir das damals zu sagen. Wer weiß, wie alles gekommen wäre.

Ja, weshalb habe ich nicht den Mut gefunden: Berufsehre und Pflicht mit Füßen zu treten. Hätte ich gesprochen und alles gesagt, – die Welt hätte mich schonungslos verdammt. Aber es wäre besser gewesen, als daß ich so das Unglück sehenden Auges habe geschehen lassen.


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