Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Verschlafen

.

Sie schreckte aus einem beängstigenden Traume auf, und lag einen Augenblick ganz starr, ohne zu wissen, wo sie sich befand. Nur das dunkle Gefühl, daß sie nicht zu Haus in ihrem Zimmer war, – irgend wo in einem Hôtel, auf Reisen; aber plötzlich zuckte ein eisiger Schreck durch ihr Herz! … sie tastete mit der Hand in dem nachtdunkelen Zimmer, stieß an einen Arm – da wußte sie; und mit beiden Füßen zugleich war sie auf dem Erdboden. Ein Stuhl rückte.

– Was ist denn? was ist …

Er richtete sich auf.

– Paul! …

– Ja! Was ist? …

Ein Streichholz flammte auf, und zwei entsetzte Augenpaare starrten sich an.

Das Licht erlosch, – und in dem Dunkel, das auch lähmend in ihr Hirn kroch, blieben sie eine ganze Weile bewegungslos.

Dann machte er Licht und sah nach der Uhr.

Ihre brennenden Augen fragten voll Angst.

– Halb zwei! … Wir haben verschlafen!! …

Sie sank gebrochen auf den Stuhl und stierte vor sich hin. Dann stöhnte sie wild auf, und in unruhiger Hast griff sie nach den Kleidern, aber er hielt sie zurück:

Nur sich jetzt nicht überstürzen; nachdenken, was geschehen sollte. Auf eine Viertelstunde mehr kam es nicht an. Nur jetzt die volle Ruhe behalten, damit man ihr äußerlich nichts anmerken konnte.

Aber in Eile waren sie beide in den Kleidern; sie stand vor dem Spiegel und riß mit dem Kamme an ihren Haaren.

– Langsam, Betty, langsam! man sieht sonst auf den ersten Blick, woher du kommst. –

Er ging im Zimmer auf und ab; eine Cigarette hatte er halb aufgeraucht fortgeworfen, und zerkaute die zweite

– Aber so rate doch, hilf doch! schrie sie jammernd auf, und ließ die Hände sinken.

Ihre Finger zitterten, daß sie ihre Frisur nur noch mehr in Unordnung gebracht hatte, und ganz vernichtet saß sie da und fand keinen Ausweg.

– Bleib bei mir bis morgen, dann werden wir schon eine Ausrede finden.

Aber sie schüttelte den Kopf; es war auch Unsinn; und er fühlte, daß wenn ihm nicht jetzt ein Rettungsgedanke kam, er auch morgen nichts finden würde.

Zu sich selbst, ganz tonlos, sagte sie:

– Mein Mann hat längst zu Reinstedts hingeschickt; was soll blos werden? – Spätestens um halb ein Uhr ist er nach Haus gekommen. – Aber so hilf mir doch! steh doch nicht da wie ein Stock; so sag doch wenigstens etwas! –

Mit dem Hut im Schoße saß sie auf dem Lutherstuhl; er ging im Zimmer auf und ab und zermarterte sich das Gehirn.

Da saßen sie ja nett drin! Nun behielt er sie wahrscheinlich für alle Zeiten auf dem Halse. Schließlich war es nicht das Schlimmste. Früher hatte er es sogar für ein Ziel, aufs innigste zu wünschen gehalten, als er noch nicht so weit mit ihr war; und oft hatte er sie damals gequält, daß sie sich scheiden lassen solle. Aber nach und nach hatte er die Absicht aufgegeben, und so mußte er sich erst wieder damit vertraut machen.

Es paßte ihm schlecht in seine augenblickliche Lage, vor allem, weil es wegen einer so dummen Sache und der Skandal unausbleiblich war. Und dabei kannte er ihren Mann nicht, blos vom sehen, da er sie immer nur auf einem five o'clock tea bei einer gemeinsamen Bekannten getroffen hatte. Dort hatten sie sich kennen gelernt und sich getroffen, bis sie in Beziehungen traten, die es ihm seiner Empfindung nach nicht mehr gestatteten, jetzt in ihr Haus zu kommen; trotzdem sie ihn immer wieder aufgefordert hatte. Dabei hatte sie, wie sie eingestand, selbst zu Hause instinktiv nie von ihm gesprochen.

Aber ihm hatte sie viel von ihrem Manne erzählt, nicht gerade sehr schmeichelhaft, wie eine junge lebenslustige Frau eben von einem älteren Herrn, der der Legationsrat doch war, sprechen konnte; so daß er sich kein sonderlich verlockendes Bild von ihm machte und sie bedauerte. Allein sie verstand sich zu trösten: kleidete sich fesch und ließ sich gern den Hof machen. Dabei behauptete sie: Paul sei ihre erste Liebe, und Paul Hilmer glaubte ihr, ohne daß er sich je einen anderen Gedanken darüber gemacht hatte aufs Wort. – –

– Leg deinen Hut weg und bleib hier. Heute können wir doch nichts mehr thun.

– Das geht nicht, ich muß fort, ich muß aus diesem Zimmer heraus. Ich halte es hier nicht aus, ich kriege keine Luft mehr, komm fort von hier.

– Schön, gehen wir ein halbes Stündchen an die frische Luft, vielleicht fällt uns dabei was ein.

Er nahm seinen Mantel, sah nach dem Himmel, es war sternenklar und die Straßen trocken vor Frost, und mit einem Wachskerzchen leuchtete er die Treppe hinunter.

Vor der Thür stand ein Schutzmann, der weiterging, als er aufschloß. Sie hatte sich furchtbar erschrocken, da sie glaubte, daß der Polizist ihr auflauere.

Sie nahm seinen Arm, und stillschweigend, während ihre Schritte auf den harten Steinen laut durch die tiefe Stille klangen, gingen sie in die Nacht hinein.

In den Gärten auf den Rasenflächen lag ein feiner weißer Reif, die Zweige der Bäume sahen mit den schimmernden Schneekristallen wie verzuckert aus, und die Wege hoben sich wie breite schwarze Bänder von den weißen Grasflächen ab.

Hie und da begegneten ihnen in elegante Wintermäntel gehüllte Damen, mit Herren in Pelz und Cylinder.

Sie hatte sich fest eingewickelt, damit man nichts von ihrem Gesichte erkennen konnte, aber jedesmal zog er den Hut tiefer in die Augen, und meist gingen sie noch auf die andere Seite des Weges.

– Wir wollen nach Haus, sagte er endlich.

– Wohin, nach Haus? – es ist zum verrückt werden.

– So komm doch zurück zu mir!

– Was soll ich da? –

Nach einer langen Pause sagte sie wieder:

– Bring mich in ein Hôtel. Wir können nicht die ganze Nacht auf der Straße zubringen – nach Hause kann ich unmöglich. – Was kann man denn blos als Ausrede sagen …

– Ohne Gepäck kannst du jetzt nicht ins Hôtel, du würdest kaum irgendwo aufgenommen werden. Und dann sollte ich dich die ganze Nacht da allein lassen! das würdest du selbst nicht thun, und ich nie zugeben.

Sie fing an, leise vor sich hin zu weinen, ein ratloses Schluchzen, das ihn zur Verzweiflung brachte. –

Da sah er vor sich das rote Kreuzlicht in der großen weißen Laterne einer Unfallstation aufleuchten. Und plötzlich glaubte er, etwas wie einen Ausweg vor sich zu sehen.

– Wirst du auch auf alles, aber auf alles eingehen, was ich dir jetzt rate?

– Erst sag, was ich thun soll.

– Wir gehen zu der Unfallstation, aufgeregt und blaß genug bist du, und ich lasse dir irgend was geben, da dir auf der Straße schlecht geworden ist. Sei still und laß mich machen, und so finden wir vielleicht einen Vorwand, wo du gewesen sein könntest. Nötigenfalls verständige ich mich einfach mit dem jourhabenden Kollegen, möglich gar, daß es ein Bekannter ist.

– Aber wie sollen wir denn … mein Mann wird doch kommen oder nachfragen.

– Laß das meine Sorge sein. Willst du darauf eingehen? … mit Hilfe des Nachttelephons läßt sich die Geschichte vielleicht ganz gut machen. Also markiere so etwas wie einen Ohnmachtsanfall, ich glaube, du wirst wirklich ohnmächtig. Dein Puls geht unruhig, und Fieber hast du von all der Aufregung schon. Also nach der Richtung hin wäre alles gut.

Die Sorge, ob der Plan auch zum Ziele führen würde, verursachte ihr wirklich Unwohlsein, und in ganz aufgeregtem Zustande brachte er sie auf die Sanitätswache.

Er kannte den jourhabenden Kollegen nicht. Aber dieser hatte von Paul Hilmer gehört, sie entdeckten gleich einen gemeinsamen Freund, und mit größter Liebenswürdigkeit stellte er ihm und der plötzlich auf der Straße erkrankten Dame alles, was er wünschte, zur Verfügung und bot ihm jegliche Hilfe an.

Nur ein wenig Ruhe that not. Sie waren, so erzählte er, aus einer Gesellschaft gekommen und hatten ein Stück Weges gehen wollen, als der gnädigen Frau schlecht geworden war; weit und breit war keine Droschke aufzufinden gewesen.

Er wollte nach kurzer Ruhe ihrem Gatten telephonisch Mitteilung machen und sie dann nach Haus fahren. Der Kollege stellte ihm auch den Krankenwagen zur eventuellen Verfügung, was er freudig annahm.

Dagegen nun sträubte sie sich ganz energisch. Nein, das brachte sie nicht fertig; aber er redete solange in sie ein, bis sie endlich einwilligte.

Dann erst klingelte er bei ihr zu Hause an. Ihr Mann war schon eine ganze Zeit daheim, hatte sich die größten Sorgen gemacht und war gerade im Begriff, zu Reinstedts zu gehen. Er wollte nun sofort kommen; aber Paul bat ihn, zu Hause zu bleiben und alles in Ordnung zu bringen. Seine Frau sei krank geworden, sie befinde sich augenblicklich auf der Unfallstation und jetzt, wo sie zum Bewußtsein gekommen sei und Namen und Adresse angegeben habe, bringe man sie nach Haus. Er möge das Schlafzimmer tüchtig heizen lassen, in spätestens einer halben Stunde werde der Wagen da sein.

Es kostete sie die größte Ueberwindung, in den Krankenwagen zu steigen. Sie zitterte vor Angst und Grauen; aber er nahm sie fest unter die Arme, hob sie hinein, und der Wagen mit den grauen Glasscheiben und dem großen roten Kreuze fuhr in die Nacht.

Sie krampfte sich an seine Schulter, und totenblaß und sinnlos aufgeregt war sie, als sie endlich anlangten. Ihr Mann stand voller Sorge auf der Straße mit dem Mädchen, das im ganzen Treppenhause Lampen aufgestellt hatte.

Die Füße versagten ihr den Dienst, sie konnte wirklich keinen Schritt gehen, so daß man sie hinauftragen mußte. Dann schickte er den angstvoll fragenden Mann ins Nebenzimmer, während er sie mit Hilfe des Mädchens zu Bett brachte.

Dann erst gab er ihrem Gatten Auskunft: Seine Frau sei am Abend in der Nähe eines Droschkenhalteplatzes ohnmächtig geworden; offenbar habe sie sich unwohl gefühlt und einen Wagen nehmen wollen, und der Kutscher hatte sie einfach, in richtiger Erkenntnis, zu ihm auf die Unfallstation gebracht. Er sei soeben abgelöst und habe es sich nicht nehmen lassen, selbst die Dame nach Haus zu bringen. Sie habe ein paar Stunden leichtes Fieber gehabt, aber jetzt gehe es besser, nur sei absolute Ruhe notwendig, man solle sie vor allem nicht mit Fragen belästigen, damit sie sich erst einmal erhole.

Sie lag mit geschlossenen Augen in den Kissen; nur als ihr Mann das Zimmer verließ, schlug sie die Augen auf und sah ihn mit einem Blicke inniger Dankbarkeit an, daß er so für sie gelogen hatte.

Paul trat näher an das Bett, da ergriff sie seine Hand und küßte sie leidenschaftlich.

– Siehst du, sagte er, nun wird alles gut werden. Ich gebe dir Morphium, und morgen wirst du noch schön liegen bleiben, denn du bist wirklich ganz krank geworden von all der Aufregung. Vor allen Dingen mußt du Ruhe haben, und wenn man dich fragen sollte, so weißt du eben von nichts.

– Kommst du auch morgen wieder? bat sie.

– Ich muß ja, denn sonst forscht er womöglich nach, und das darf entschieden nicht sein.

– Du bist ja so gut! …

Ihr Mann kam herein, er war ganz aufgeregt, als ob sie jeden Augenblick sterben könne; und Paul Hilmer hatte alle Mühe, ihm seine Sorgen auszureden.

Dann bekam sie ihren Schlaftrunk; die Aufregung legte sich, und sie verfiel bald in einen etwas unruhigen, aber tiefen Schlummer.

Der Legationsrat flehte den Doktor an, doch nicht fortzugehen. Er sollte durchaus dort bleiben und schlafen, aber Paul lehnte es ab; er mußte nach Hause. Er verstand sich jedoch dazu, noch eine Stunde zu bleiben, denn wenn sie bis dahin aus ihrem Schlafe nicht erwachte, war jede Gefahr ausgeschlossen. Morgen in aller Frühe versprach er wieder vorzukommen. –

So saßen sie sich noch eine Stunde lang gegenüber. Der Doktor hatte eine Cigarre nehmen müssen; das Kraut war vorzüglich, der Benediktiner gleichfalls tadellos, – und der Legationsrat erzählte von seiner Frau und seiner Ehe. Sie hatte ja solch eine schwache Gesundheit, nichts konnte sie vertragen; so zart war sie, daß man sie sorgfältig schonen mußte; und das that er denn auch. In der letzten Zeit war sehr schwer mit ihr auszukommen gewesen; sie war so reizbar und konnte einen Widerspruch gegen das, was sie sagte, gar nicht vertragen. Ganz nervös und erregt war sie, so daß man ihr nichts recht machen konnte. Da hatte gewiß schon die Krankheit in ihr gesteckt und war nun zum Ausbruch gekommen. Er war ihm ja so unendlich dankbar, daß er sich seiner Frau in so aufopfernder Weise angenommen hatte, weit mehr als er als Arzt nötig hatte. Es war wirklich zu liebenswürdig von ihm, und Betty würde es ihm gewiß morgen von Herzen danken.

Sie hatte ein so zartes und weiches Gemüt, recht wie ein Kind, das sie ja auch war; kannte kaum etwas von der Welt und ging ganz im Verkehr mit ihren Freundinnen und in der Pflege edler Wohlthätigkeit auf. Sie konnte kein Wesen leiden sehen und mußte nun selbst so leiden. War es aber auch wirklich nichts gefährliches? Konnte er ihm versprechen, daß nicht irgend eine todbringende Krankheit sich daraus entwickelte?

Darüber beruhigte er ihn. Man mußte zwar die Nacht erst abwarten, aber außer ein bischen Fieber und daß sie noch ein oder zwei Tage im Bett bleiben mußte, war nichts zu besorgen.

Ein paarmal gingen sie leise auf den Zehen zur Schlafzimmerthür.

Das matte Lämpchen erfüllte den Raum mit schwachem Dämmerlichte; sie lag und schlief ganz ruhig, daß man ihre regelmäßigen Atemzüge deutlich hören konnte. –

Endlich konnte Paul gehen, nach dem wiederholt gegebenen feierlichen Versprechen, sich morgen in aller Frühe wieder einzufinden. Wenn irgend eine Aenderung in ihrem Zustande oder die Gefahr einer Verschlimmerung vorlag, brauchte man ihn nur anzutelephonieren; er werde sofort kommen. –

Auf der Straße atmete er auf; die Situation, auf die er denn doch nicht vorbereitet gewesen, war ihm unsagbar peinlich, und doch mußte er sie auskosten, da half eben nichts.

Die frische Nachtluft that ihm gut, aber daheim wurde ihm ganz ungemütlich. Alles lag und stand herum, wie sie es in der Eile verlassen hatten. Eine stickige schwüle Luft, so daß er gleich alle Fenster aufriß und dann selbst ein wenig Ordnung machte.

Zum ersten Male in seinem Leben griff er zu einem Schlafmittel, nachdem er eine Stunde lang sich mit dem Gedanken gequält hatte, daß er diesen anständigen Menschen, von dem sie ihm immer ein ganz falsches Bild entworfen, so belügen und betrügen mußte.

*

In aller Frühe schon wurde bei ihm vom Legationsrat angeklingelt. '

Es gehe seiner Frau viel besser; sie sei aufgewacht und bei Besinnung, aber offenbar ohne Erinnerung, was gestern mit ihr vorgegangen sei. Mit keinem Sterbensworte habe er darauf hingewiesen oder sie gefragt. Dann sei sie gleich wieder eingeschlafen. Ob das nicht Anlaß zur Besorgnis gebe, daß sie so rasch wieder eingeschlafen sei? Im Laufe des Vormittags komme er doch gleich erst zu ihnen? –

Als Paul kam, drückte ihm der Legationsrat wie einem alten Freunde herzlich die Hand. Dann ließ er ihn mit der Kranken allein.

Sie war erwacht und hatte ein wenig Fieber. Ihr Hausarzt, der alte Geheimrat Möbius, war zufällig in der Frühe vorbei gekommen, hatte gar bedenklich den Kopf gewiegt und die goldene Brille wohl zehnmal auf die Stirn hinaufgeschoben, indem er von der Notwendigkeit sprach, einen Spezialarzt zu Rate zu ziehen; aber als er hörte, daß Doktor Paul Hilmer jede Gefahr für ausgeschlossen halte, lenkte er ein und meinte: wenn man auch bestimmtes noch nicht sagen könne, so scheine es doch nur ein leichter, hoffentlich bald vorübergehender Fieberanfall zu sein.

Als Paul Hilmer in das Krankenzimmer trat, hatte sie sich lebhaft aufgerichtet, streckte ihm beide Hände entgegen und wollte ihn schmeichelnd an sich ziehen. Aber er wehrte ihr. Wie konnte sie nur so unvorsichtig sein? sie wollte wohl noch im letzten Moment alles verderben?

Aber sie behielt seine Hand, und er nahm eine Stellung ein, als fühle er ihr den Puls – und so plauderten sie leise mit einander.

Wirklich, das hatte er sehr gut und fein ausgedacht: es war alles gut gegangen, und dabei hatte sie anfangs von dem Plane nicht viel wissen wollen, weil sie sich wenig davon versprach. Hauptsächlich freute sie sich, daß er dabei endlich ihren Mann kennen gelernt, der offenbar die größten Sympathieen für ihn gefaßt hatte.

Es war gut, daß er sich früher immer gesträubt und nicht ins Haus hatte kommen wollen und auch, daß sie selbst nie etwas von ihm erzählt hatte; denn sonst hätten sie richtig in der Falle gesessen, und die ganze Sache wäre viel schwieriger, vielleicht ganz rettungslos gewesen.

Sie fühlte sich ernstlich abgespannt, und ganz lieb war ihr, daß sie ein paar Tage liegen bleiben konnte. Dafür mußte er aber alle Tage zu ihr kommen, jeden Vormittag und gegen Abend, sonst hielt sie es nicht aus, sonst wurde sie nicht ruhig.

Wohl oder übel mußte er darauf eingehen; – und der Legationsrat hatte eine Liebe mit ihm, daß er garnicht wußte, was er dagegen thun sollte. –

Nach zwei Tagen stand Betty wieder auf, aber dann lag sie noch eine ganze Zeit auf der Chaiselongue. Das Kranksein gefiel ihr gut, und dann glaubte sie auch, Paul würde sonst nicht mehr kommen. Ihr Gatte sang des Doktors Lob in allen Tonarten; und als keinerlei Gefahr mehr bestand, da äußerte der Legationsrat einmal schmunzelnd:

– Ich bedauere beinah nicht mehr, daß meine Frau krank geworden ist. Alles Unglück hat doch auch sein gutes. Wir wenigstens haben dadurch einen lieben und netten Menschen, ich darf wohl sagen, einen Freund kennen gelernt, den wir nun nicht gutwillig mehr von uns fortlassen werden.

Er wurde wirklich nicht losgelassen; beide wetteiferten, ihn an ihr Haus zu fesseln. –

Am ersten Januar kam der Legationsrat selbst zu ihm, wünschte ihm alles Glück und legt ihm dabei ein Couvert auf den Schreibtisch, indem er ihm vergnügt lächelnd mitteilte, daß sie ihren alten Geheimrat abgeschafft hatten, und er mit der Bitte zu ihm kam, die Stelle als Hausarzt bei ihnen anzunehmen.

Für die Behandlung der fingierten Krankheit der gnädigen Frau lagen nachher in dem Couvert drei blaue Schein, die er voller Ironie in den Fingern hielt; ihm kam die alte Frau in dem Sinn, die er gestern halb verhungert und erstarrt vor Kälte aufgefunden hatte, – dazu das junge kranke Ding in der Manteuffelstraße, und eine Reihe armer Patienten, denen nun zur Jahreswende ein bischen geholfen werden konnte.

So hatte das Abenteuer neben den mannigfachen unangenehmen Seiten, die es für ihr ihn gehabt, auch sein gutes.

Na, und wenn es der gute Legationsrat nicht anders wollte, – er konnte ihm schließlich auch nicht helfen.


 << zurück weiter >>