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Die rote Laterne

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– Beim Kapitän Jessen wohnen Sie? Na, das Haus ist leicht zu finden, da brennt doch abends immer eine rote Laterne. Muß wohl eine Liebhaberei von dem alten Seebären sein. Jedenfalls für Sie ganz praktisch, denn der Teufel soll in der Dunkelheit diese Häuser auseinanderhalten, die eines akkurat wie das andere aussehen. Pfui Teufel, der Sturm, das kann ja eine nette Nacht werden.

Der Sturm raste mit wuchtigen Stößen vom Meere her, daß man nur mit äußerster Anstrengung vorwärts kommen konnte. Der Weg zog sich an den Dünen hin, und manchmal schlugen uns die vom Wind aufgewirbelten Sandkörner wie Hagel ins Gesicht und rieselten höchst unangenehm in den Nacken.

Vom Wirtshause mußten wir an der langen Reihe der ganz gleich gebauten kleinen Häuschen vorbei, die im Schutze der Dünenkette lagen. Die Fenster der Glasveranden klirrten und klapperten im Winde, die neuangepflanzten Bäumchen, die einmal eine Allee bilden sollten, wurden wie toll hin und her geschüttelt, daß die spärlichen Blätter in die Lust wirbelten; dazu brandete es vom Meere her, und der Sturm heulte um die Häuser und pfiff durch die Lattenzäune.

Da tauchte die große rote Laterne vor uns auf.

– Sehen Sie, da haben Sie Ihr Licht. Nun muß ich noch bis elf zählen, dann bin ich auch zu Haus. Baden werden wir morgen wohl kaum können; ich bin trotzdem um zehn da. Man sieht Sie doch morgen jedenfalls unten. Das ist ja ein doller Wind! – Schlafen Sie gut, wenn Sie bei dem verfluchten Sturm überhaupt Schlaf finden! –

Damit verschwand er in der Dunkelheit, und ich ging auf mein rotes Licht zu. Ein Windstoß riß mir die Thür aus der Hand. Der Flur war dunkel, aber schon ging die Thür zur Wohnstube auf, helles Licht fiel heraus und Kapitän Jessen stand da, mit seiner langen Pfeife im Munde.

– Na, sagte er, sich den Bart krauend, hat der Wind Sie nicht umgeschmissen? Der ist heut munter, was? Das ist so das rechte Wetter zu einem guten steifen Grog vorm Schlafengehen. Wollen Sie schon ins Bett, oder soll uns die Frau noch ein paar Glas bringen? Denn kommen Sie man mal ein bischen zu mir 'rein, durchfroren werden Sie wohl sein, da thut was warmes gut. So, da setzen Sie sich man erst mal in den schönen Lederstuhl, denn will ich uns mal was bestellen.

Damit verschwand er, und ich sah mich näher in der Stube um. Alles blitzsauber; der blanke Fußboden weiß gescheuert, mitten, wo man ging, ein Flickenläufer, an den Wänden große Schiffskarten und ein paar Seebilder, darunter das Bild eines stattlichen Dreimasters in voller Fahrt. Und über einem Schranke an der Decke hing das kunstvoll geschnitzte Modell eines Segelschiffes, offenbar des gleichen Dreimasters. Vor den Fenstern, neben dem Bauer eines schlafenden Kanarienvogels blühende Blumen, und in ein paar Ampeln in Kupferkesselform wild wuchernde Schlingpflanzen. In der Mitte des Zimmers in ihren Schweberingen eine Schiffslampe, die das saubere Stübchen, das wie eine geräumige Schiffskabine aussah, taghell erleuchtete. Ein paar schwere Ledersessel luden zum ausruhen und schlafen ein, und zwei Glasschränke waren vollgepfropft mit Büchern und Papieren.

Der Kapitän kam zurück, eine verstaubte Flasche Arrak und ein Bund Schlüssel in der Hand. Hinter ihm seine Frau, diese freundliche Alte, die mir gleich beim ersten Sehen mit ihrer zierlichen Feinheit so gut gefallen hatte, daß ich, koste es was es wolle, entschlossen war, nur in diesem einladenden Häuschen zu mieten.

Sie brachte auf einem Tablett zwei Gläser, Zucker in dicken Stücken und eine Kanne heiß dampfenden Wassers. Unterm Arm hielt sie einen gestrickten Kaffeewärmer, oben mit einem Puppenkopfe aus Porzellan, damit unser Wasser nicht gleich kalt wurde. Draußen in der Küche würden wir später mehr finden.

– So, sagte Jessen, da hätten wir die Ingredienzen.

Dann klappte er an seinem Taschenmesser den Pfropfenzieher auf, zog die Flasche auf und führte sie erst prüfend an die Nase, indem er voller Behagen den Arrakduft einschnupperte.

– Nun mischen Sie sich mal, wie Sie es gern mögen, viel Arrak und wenig Wasser; man blos nich zu viel Wasser, eben daß die Geschichte warm wird; denn sonst bekommt es einem armen Menschen schlecht. So! – Und nu noch was zu rauchen. Wollen Sie mal eine Piepe versuchen? Ich habe da noch so'n Posten ganz alten Holländer Knaster, den sollten Sie mal proben.

Das nahm ich mit Vergnügen an, denn es rief in mir Erinnerungen wach an meine Kindheit, als wir aus den weißen Thonpfeifen, die .wir uns zum Seifenblasenmachen kauften, die ersten Rauchversuche anstellten. –

Da saßen wir nun, tranken den guten Grog, pafften um die Wette, und der alte Seebär war aufgeräumt, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte, schwatzte vergnügt und erzählte das blaue vom Himmel runter; während er sonst zwar auf alles freundliche Antwort gab, aber aus sich selbst nur schwer herausging. –

– An Licht sparen Sie aber nicht! sagte ich im Laufe des Abends, indem ich mich in der Stube umsah, wo die große Lampe ungewöhnlich hell leuchtete.

– Nee, sagte er, da sparen wir freilich nich!

Er sah nach der Uhr, nickte und sagte:

– Die soll man ruhig weiter brennen.

– Draußen haben Sie doch noch eine Laterne am Hause, die hat doch sonst keiner.

– Nee, die soll auch sonst wohl keiner haben.

Er schmunzelte so vergnügt, daß ich ihn fragte, was denn das mit der roten Laterne für eine besondere Bewandtnis habe.

– Ja ja, das hat freilich seine absonderliche Bewandtnis. Das is eine Laterne, die ihren Wert in sich hat. Die is ihre zwei mal hunderttausend Mark wert, aber gut.

– Nanu, wieso denn? …

– Wenn Sie es denn noch nicht wissen, Herr, denn will ichs Ihnen man selber erzählen. Sehen Sie sich mal das Bild von dem Dreimaster da an. Stolz, was? Und ein feines Schiff war die Brunsbüttel, da hängt sie noch mal, das hat mein Junge geschnitzt, das heißt: ich habe das meiste dran gethan, denn allein wäre er nie damit fertig geworden. Mit dem Schiffe bin ich zehn Jahre lang auf hoher See gewesen, immer nach Argentinien, wo wir Salpeter hergeholt haben. Unserer vier, lauter alte Kerle, die sich zur Ruhe gesetzt hatten, sind wir eines Tages zu dem Entschluß gekommen, uns ein Schiff nach unserm Geschmack zu bauen. Geld war da, und es sollte mal eine gute Anlage für unsere Jungens sein; der meine hat's nicht nötig gehabt, der hat zu seinem Glück für sich selbst gesorgt. –

So war denn zuletzt dem alten Rinnebeck sein Jobst damit gefahren, und der hat dran glauben müssen. Das war kein grüner Junge mehr, und wir haben es nie begreifen können, wie dem was passieren sollte; denn seetüchtig war die Brunsbüttel wie nur ein Schiff; das können Sie den vier alten Seebären glauben. Einer von uns war immer mit auf der Werft beim Bau, und da is keine Bohle gelegt und keine Schraube gezogen, die sich nicht einer von uns erst vorher von allen Seiten genau angesehen hat.

Ich hatte endlich meine Ruh haben wollen; immer blos nach Argentinien und immer blos Kohle und Salpeter, das war doch langweilig. Da ließ ich denn lieber den Jobst fahren.

Zwei Jahre machte der schon die Fahrt, da kam das Schiff nicht wieder. –

Bei ruhiger See war es von Bremen ausgelaufen, und hatte in Cardiff seine Kohlen genommen, die wir als Last mit hinüber nahmen; von der Küste war die Brunsbüttel gut abgekommen, dann sollten starke Nebel gewesen sein eine Nacht lang, aber aufgelaufen war sie nicht, und so glaubten wir alle, das Schiff sei vielleicht in Brand geraten; schließlich wurde es für verschollen erklärt und die Gesellschaft zahlte uns die Versicherung aus, aber die war nicht hoch, denn daran hatte keiner von uns gedacht, daß der Brunsbüttel je was passieren könne.

Das war ein schwerer Verlust, und der alte Rinnebeck war ganz untröstlich, auch über seinen Jungen. –

Da kriege ich eines Tages aus London einen Brief.

Der Brief war von Hans Kroghman, der vor vielen Jahren auf der Brunsbüttel Schiffsjunge gewesen und dann zu den verflixten Engländern übergegangen war, ein tüchtiger kleiner Kerl, den alle Welt gern hatte.

Der schrieb nun, wie er in London sei, und eines Tages bei einem Althändler zwischen altem Messing und Eisen eine Laterne gefunden hatte, deren Form ihm so bekannt vorkam.

Als Junge hatte er die Lichter zu besorgen gehabt und da kannte er seine Laterne; und in den Messingboden der roten Laterne hatte er seinen Namen und den Tag seiner Heuer eingekratzt. Na, das hätte damals wer entdecken sollen, die Keile, die der Jung gekriegt hätte.

Er hatte sich das Ding in der Nähe besehen, und richtig: es war das Backbordfeuer der Brunsbüttel.

Mit dem Manne wurde er bald handelsein, und erzählte ihm, wie er das Licht früher geputzt hatte, deshalb habe er sich das alte Ding auch gekauft. Ob er vielleicht wisse, wie er zu der Lampe gekommen war? Das wußte er zufällig noch: ein früherer Matrose von der »Essex« hatte sie gebracht.

Den hatte er aufgestöbert, und der hatte wieder die verbeulte alte Laterne mit anderem alten Zeug auf der Essex gefunden und mit Zustimmung des Steuermanns verkauft.

Wie die Laterne auf die Essex gekommen sein mochte, das ging entschieden nicht mit rechten Dingen zu.

Ohne weitere Umstände hatte er die Geschichte unsrem Konsul mitgeteilt, und die Sache ging schon ihren Weg; in acht Tagen mußte die Essex zurückkommen.

Wir beratschlagten auf den Brief hin nicht lange; ich fuhr gleich hinüber, um zu sehen, was los war.

Die Versicherungsgesellschaft schickte auch ihren Agenten, und so kam es denn gar bald heraus, wie die Essex im Nebel auf hoher See unsere Brunsbüttel überrannt hatte. Der schwere Dampfer hatte sich wieder losgemacht, sein Schaden war nicht groß.

Ohne sich um die sinkende Brunsbüttel zu kümmern, oder auf die Notsignale zu achten, hatte sich der Dampfer davon gemacht, ohne zu wissen, mit was für einem Schiffe sie zusammengerannt waren. Das Holz, das beim Zusammenstoß auf Deck der Essex gefallen war, hatten sie verbrannt, neben dem zerschellten Kasten für die Feuer hatte auch das rote Licht gelegen. Das war in die Lampenkammer gestellt, wo es vergessen wurde.

Einfach davon gefahren, ohne sich um das sinkende Schiff zu kümmern. Die Essex wurde gleich mit Beschlag belegt, Kapitän und Steuermann kamen vor's Seegericht, und wir wurden endlich voll entschädigt. Unsere Versicherungsgesellschaft kam auch wieder zu ihrem Gelde, und die haben gleich uns dem Kroghman 'ne ganz nette Summe zukommen lassen. Blos die Laterne, die er behalten wollte, hat er mir herausrücken müssen; und sehen Sie Herr, da haben wir denn beschlossen, das rote Licht soll alle Abend brennen, bis wir schlafen gehen; und da wollen wir sie denn man mal rein holen, denn spät genug ist's für Sie und für mich geworden. –

*

Der Wind tobte draußen wilder als zuvor; der Sand fegte durch die Luft, nur mit Mühe konnten wir die Thür halten.

Im Flur löschte Kapitän Jessen vorsichtig die Flamme, und zeigt mir die blitzblanke große Messinglaterne.

Unterm Boden war es ganz sauber eingekritzt:

Hans Kroghman 25. 8. 77.

– Na, in Ehren wird sie gehalten. – Das haben Sie wohl nicht gedacht, Herr, daß so'ne alte Laterne ihre zweihunderttausend Mark wert sein kann? …

Und die warme Laterne streichelnd, sagte er schmunzelnd:

– Der verdammte Jung! – aber da haben Narrenhände mal was gescheites gekritzelt. Sehn Sie, Herr, das und der alte Jessen, das sind nu die letzten Reste von der Brunsbüttel. – Gott hab die Armen, die durch die Schuld des verdammten Engländers unten bei den Fischen liegen, selig! … – Gute Nacht, Herr, und schlafen Sie gut bei dem Sturme. –


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