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Der Mittler

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– Nee, mein Junge, ich werde mich schwer hüten; ich lasse die Hand von derartigen Angelegenheiten.

– Ich bitte dich, als meinen besten Freund darum. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte; du kennst die ganze Geschichte, du kennst auch die Magda von früher her, – geh du zu ihr hin und rede mit ihr. Thu mir doch den Gefallen, bitte!

– Das ist alles ganz schön und gut, und du weißt, daß ich dir ohne zaudern jeden Freundschaftsdienst erweisen würde, aber ich habe mir fest vorgenommen, nie wieder den ehrlichen Mittler zu spielen. Sieh dir mal meine linke Hand an, es ist noch glimpflich abgegangen, blos ein bischen krummer Finger, aber ebenso gut konnte bei der dummen Schießerei die ganze Hand drauf gehen. Nee, jetzt laß ich die gesunde Hand davon; sieh selber zu, wie du mit deiner Magda auseinander kommst. Ich traue den guten Freunden in solchen Sachen nicht mehr. Und mit dem hab ich sogar viel intimer gestanden, als wie mit dir.

Es war vor einer Reihe von Jahren in München, wenn du es wissen willst, als ich diese Lehre zog: nie wieder für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, und sei es für meinen besten Freund, und das war Franz zu jener Zeit ohne Frage.

Seit Monaten ging er mit dem Plane um, sich von seinem Verhältnisse loszumachen. Den lieben langen Tag bis in die Nacht hinein krakehlten sie und warfen sich die sinnlosesten Schmeicheleien an den Kopf. Zehnmal lief er weg, und schwor sich und ihr, daß er die Schwelle ihres Hauses nie wieder betreten würde; er war fest entschlossen, mit ihr zu brechen, – und am anderen Tage kam er wieder zu ihr, oder abwechselnd auch mal sie zu ihm, je nachdem; und dann nach einer kurzen Aussprache, wo jeder dem anderen mit ruhigen Vernunftgründen kam, waren sie wieder ein Herz und eine Seele und lebten einträchtiglich wie die Turteltauben – bis zum nächsten Zank.

Er war des Lebens in unklaren Verhältnissen satt und wollte gut bürgerliche Ordnung in sein im übrigen ziemlich philisterhaftes Dasein bringen, natürlich mit Hilfe, eines wohlerzogenen jungen Fräuleins aus ehrbarer Familie, wie wir das ja alle, der eine früher, der andere später, einmal thun.

Aber wie sollte er von seiner Loni frei kommen? …

Sie ließ ihn nicht; und wenn sie auch zuweilen schon ganz entfremdet waren, immer wieder that es ihm leid weil die Beziehungen zu dem hübschen Mädchen gar mancherlei Annehmlichkeiten boten, die nicht zu verachten waren; und so versöhnte er sich stets wieder mit ihren Launen und schob den definitiven Bruch immer noch hinaus, bis zu einem Zeitpunkte, wo es zwingend notwendig sein würde.

Eines Tages aber fand er ein Fräulein, das er sich wohl als seine Hausfrau denken konnte, und da wollte er denn, ehe er ernst machte, reinen Tisch haben und seine Vergangenheit ordnen.

Ich aber erhielt den ehrenvollen Auftrag, die delikate Angelegenheit in die Hand zu nehmen. Als zukünftiger Jurist, meinte er, sei ich für die Rolle des Anwalts wie geschaffen.

Das kleine Fräulein, das so meine erste Klientin werden sollte, war in einer Kunsthandlung der Theatinerstraße thätig. Draußen, in Großhessellohe, hatten wir sie eines Sonntags vor bald zwei Jahren kennen gelernt. Die Freundin, mit der sie zusammen war, und die ich auf mich hatte nehmen müssen, war gräßlich, ich ließ sie am nächsten Sonntag schleunigst wieder schießen. Der gute Franz aber war an der Loni kleben geblieben.

Es war ein frisches, munteres Mädel, das sich in unserer Gesellschaft riesig wohl fühlte, für die es kein größeres Vergnügen gab, als am Abend mit uns auf einen Keller zu ziehen, wo wir bei selbst mitgebrachtem Aufschnitt und etzlichen Maß Bier mit allerhand Bekannten vergnügt zusammen saßen.

Schon nach acht Tagen, als sie mir wie dem Franz ein selbstgesticktes Biermärkel schenkte, tranken wir Brüderschaft, aber damit kam es nicht weit, denn den Franz plagte gar bald eine dumme Eifersucht, und er zog sich mehr und mehr aus unserem Kreise zurück.

Nur ganz gelegentlich sahen wir ihn noch mit der Loni bei uns; unser Freundschaftsverkehr beschränkte sich sonst nur auf den Besuch unserer Verbindungskneipe, die wir als alte Herren regelmäßig besuchten. –

Nun, nach Monaten ward mir mit einemmale der Auftrag, ihn von der Loni loszueisen.

Besonders angenehm war mir die Geschichte nicht, aber ich mußte wohl oder übel dran glauben.

Zweimal paßte ich der Loni auf, als sie aus ihrem Geschäft kam. Ich ging hinter ihr her, bis fast nach Schwabing, wo sie wohnte. Aber ich traute mich nicht, sie anzureden. Es war ja auch keine Sache, die sich auf der Straße abwickeln ließ.

Endlich schrieb ich ihr ein paar Zeilen, nachdem der Franz, der sie die ganze Zeit schon schlecht behandelt hatte, sich voller Absicht gründlich mit ihr verzankt hatte und unter Hinterlassung eines Schreibens einfach ins Gebirge ausgerückt war.

Auf meinen Brief hin bestellte sie mich zu sich, und am nächsten Sonntag morgen machte ich mich auf den Weg nach Schwabing.

Sie war zu Tode betrübt, wirklich unglücklich, schluchzte wie ein Kind und jammerte zum Steinerbarmen, so daß mir ganz wehleidig wurde. Ich versuchte sie zu trösten, schimpfte ein bischen auf den Franz, wie er eigentlich gar nicht wert sei, daß ein so nettes Mädchen sich um ihn gräme, und stellte ihr dann vor: wie sie doch sicher nie damit gerechnet hatte, daß Franz sie je heiraten könne, oder ewig bei ihr bleiben würde; daran hatte gewiß keiner von ihnen gedacht.

Sie trocknete denn auch langsam ihre Thränen, fing an vernünftig und im Zusammenhange mit mir zu reden und sah mich dabei mit ihren großen, braunen Augen an, diesen Augen, die mir immer am meisten an ihr gefallen hatten.

Sie sah trotz ihres von Thränen überströmten Gesichtes und dem nervös zuckenden Munde ganz nett aus, so daß mir schwül wurde, zumal die Loni in ziemlich leichter Haustoilette vor mir saß und sich nicht sonderlich genierte; aber ich hatte einen ernsten Freundschaftsdienst zu leisten und bemühte mich daher, ganz Freund und Berater zu bleiben.

Franz hatte gar schreckliche Angst, daß sie sich, wenn er von ihr ging, was anthun würde; von derartigen Gedanken sollte ich sie in erster Linie abbringen. Sie hatte offenbar keinen Augenblick an sowas gedacht, dazu war sie ein viel zu lebensfreudiges Geschöpf.

Grenzenlos vereinsamt nur kam sie sich vor, und sie bat mich sehr: ich möchte mich ihrer doch ein wenig annehmen und ihr vor allem gleich mitteilen, sobald ich von Franz etwas hörte.

Obgleich der sich in tiefstes Stillschweigen hüllte und ich ihr nichts neues zu vermelden hatte, schrieb ich ihr ein paarmal; wir trafen uns auch, und als die Rede darauf kam, was sie am nächsten Sonntage beginnen sollte, lud ich sie ein, mit ein paar Bekannten einen Ausflug nach Starnberg mitzumachen. Franz hatte mir die ausdrückliche Erlaubnis gegeben, ja mich gebeten, sie über die erste Zeit ihrer Vereinsamung hinweg zu trösten.

Im Laufe der Woche gingen wir dann zusammen mal ins Theater, mal in ein Konzert; und wie wir so über Franz redeten, wurden wir einig, daß er nicht nur ein schlechter, sondern vor allem ein dummer Kerl sei, ein so nettes Mädel wie die Loni aufzugeben. –

Als Franz von seiner Gebirgstour zurückkam, konnte ich mich nicht enthalten, ihm das zu sagen. Er war ein wenig verblüfft, aber dann pries er sich glücklich, einen Freund wie mich zu haben, und war froh, daß ich der Loni über die erste gefährliche Zeit ihres Alleinseins so geschickt hinweggeholfen hatte. Ganz frei und ohne Gewissensskrupel konnte er sich nun dem neuen Abschnitte seines Lebens widmen. – –

Ein paar Tage später ging ich mit der Loni, die ich vom Geschäft abgeholt hatte, über den Marienplatz, als ich drüben meinen Franz unter den Lauben stehen sah.

Loni sah ihn nicht, denn sie hatte mir eine lustige Geschichte zu erzählen, die nachmittags im Geschäft passiert war. Sie lachte übermütig und trippelte vergnügter als je neben mir her.

Franz stand da, mit einem ganz verdutzten Gesichte. Es schien mir, als wolle er uns nachgehen, aber schon unterm alten Rathause, als wir ins Thal kamen, verlor ich ihn im Gewühl aus den Augen, zumal wir auf eine grade daherkommende Trambahn stiegen. –

Als ich ihn am anderen Tage auf der Kneipe traf, that er höchst zugeknöpft und merklich kühl. Da ich sein komisches Benehmen gar nicht beachtete, sagte er mit spitzem Tone:

– Du scheinst dich ja vorzüglich zu amüsieren.

– Wieso? fragte ich ganz dumm.

– Na, es schien mir so.

– Sooo? – Ich weiß nicht, was du meinst.

– Das ist ja auch wurscht. Adje.

– Adje, Franz! …

Nanu, dachte ich, was hat denn der? Er kann doch nicht verlangen, daß sie in Sack und Asche um ihn trauern soll. Es mußte ihm wohl nicht passen, daß sie noch lachen konnte. Das verletzte offenbar seine Eigenliebe, als er gesehen, wie sie auch ohne ihn ganz gut lebte.

Acht Tage lang hörte ich nichts von ihm.

Ich hatte, der Loni wegen, einer eifersüchtigen Kleinen mit der ich vor kaum vier Wochen angebändelt hatte, den Laufpaß geben müssen.

Das Oktoberfest war gekommen, und draußen auf der Theresienwiese lärmte es in der lustigen Budenstadt; Musik und Geschrei und übermütige Jodler. Die Bratfische sandten ihren pestilenzartigen Gestank gen Himmel, und der beißende Rauch der prutzelnden Würste trocknete die Kehlen und trieb einen zum Bier.

All nachmittäglich herrschte hier das lustigste Leben, und so zog ich denn ein paarmal mit der Loni und einer vergnügten kleinen Gesellschaft hinaus nach der Bavaria; wir strolchten durch die Zaubertheater und Menagerieen, sahen uns die Fischweiber und Riesendamen an, kauften uns am Glückshafen Hände voll der kleinen Papierrollen, die nie eine Nummer, immer nur den Nietenkasper zeigten; und fast jede Bude, aber auch fast jedes Bräu beehrten wir mit unserem Besuche.

Zwei mal sah uns der Franz. Ein mal bemerkte ihn auch die Loni. Sie sagte nichts, nur auf dem Nachhausewege gestand sie, daß es ihr einen Stich gegeben, aber dann hatte sie einfach nicht mehr daran gedacht. –

Als ich den Franz wiedertraf, gab er mir kaum die Hand, aber da es in Gesellschaft war, ließ ich ihn, und wir sprachen den ganzen Abend kein Wort mit einander. –

Erst eines Abends auf der Kneipe kam seine verhaltene Wut zum Ausbruch.

Das habe er nicht im Sinne gehabt, daß ich jetzt immer mit Loni bummelte; er habe blos einen Freundschaftsdienst von mir erbeten und nicht geglaubt, daß ich im stande sei, die Loni schlecht zu machen.

Was that ich? fragte ich ihn. Ich machte die Loni schlecht? …

Ich könne doch nicht leugnen, daß ich alle Tage, die Gott werden ließ, mit ihr zusammen sei.

Das konnte ich freilich nicht leugnen. Es hatte sich eben noch kein seiner würdiger Nachfolger gefunden.

Da wurde er wild. Dazu hätte er mich nicht zu ihr hingeschickt; das sei einfach eine Gemeinheit von mir.

Was? Daß ich sie beruhigt hatte? Daß ich sie dahin gebracht, daß sie sich mit seinem schmählichen Verhalten abgefunden hatte? …

Abgefunden! schrie er, ich hätte einfach ein Verhältnis mit ihr.

Was hatte ich?

Ein Verhältnis! Ich hätte sie verführt!

Da mußte ich denn doch hell auflachen.

– Nein, mein Junge, du irrst. Aber leid thut mirs, daß es nicht der Fall ist.

– Das lügst du!

– Nein, mein Sohn, aber verlaß dich darauf, es wird schon werden! Du sollst deinen Willen haben.

– Du hast überhaupt schon immer mit ihr zusammen gesteckt. Lach nicht so frech! Du hast schon früher was mit ihr gehabt. Ich weiß ganz genau, daß ihr beide mich schon vor Wochen betrogen habt.

– Du bist wohl verrückt geworden?

– Aber ich lasse mir solche Gemeinheit nicht gefallen, denn das ist eine Gemeinheit. –

Nun verlor ich denn doch die Geduld. Ein paar liebenswürdige Worte fielen noch, gleich darauf die üblichen ernsten Redensarten, und sechsunddreißig Stunden später knallte es ein paarmal im Englischen Garten, daß die armen Eichhörnchen erschreckt sich in ihre Nester verkrochen.

Und dann wurde ich mit verbundener linker Hand durch den schönen Herbstmorgen nach Haus gefahren. –

Am Abend kam die Loni, der irgend jemand die Mär erzählt haben mußte.

Ich dachte nur immer das Eine:

Na, warte, mein Junge, wenn blos der verbundene Arm nicht mehr ist, oder wenn die Schwester, die mir der Doktor aufgehalst, nicht gewesen wäre!

Am nächsten Tage kam von der Loni ein Brief: Es thue ihr schrecklich leid, daß sie sich heute nicht nach mir erkundigen konnte, aber sie hatten so furchtbar viel im Geschäft zu thun, daß sie nicht abkommen konnte.

Am andern Tage wieder eine Karte, sie konnte nicht kommen: Franz habe es ihr verboten! ..

Und zehn Tage später ein großes Couvert mit Lonis Handschrift, darinnen eine schöne lithographierte Karte, worauf Herr Franz Stenger sich beehrte, seine Verlobung mit Fräulein Loni Schüßler ganz ergebenst anzuzeigen.

Die Karte warf ich in die Ecke, und grinste dabei voller Schadenfreude, denn ganz sicher wußte mein Franz nun nicht: ob er mit seinen Schimpfereien nicht vielleicht doch recht gehabt! – Dies Gefühl der Ungewißheit gönnte ich ihm von ganzem Herzen.

Da hatten sich die schönen Seelen also endgiltig gefunden; aber das hätten sie einfacher haben können, als daß ich mich erst der unsinnigen Gefahr aussetzen mußte, an einem schönen Herbstmorgen mir nichts dir nichts totgeschossen zu werden.

Nee, mein Junge, da kannst du es mir nicht übel nehmen, wenn ich meine Hand nie wieder in anderer Leute thörichte Liebesangelegenheiten stecken mag.


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