Ludwig Tieck
Waldeinsamkeit
Ludwig Tieck

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Es vergingen zwei Tage, in welchen der verstimmte Linden sich auf sein Zimmer zurückzog und Niemand sehen wollte, auch seinen ältern Freund Wangen nicht. Am dritten trat Helmfried in das verfinsterte Gemach des jungen Mannes, weil er besorgte, dieser möchte krank geworden seyn, und wunderte sich nicht wenig, als er ihn angekleidet fand und im Begriff auszugehen. Wohin? rief Helmfried.

O, antwortete Linden, ich bin so durch und durch verstimmt, daß ich die Einladung des Menschen in meiner Bosheit angenommen habe, der mir geradezu der allerfatalste auf der ganzen Erde ist. Ich laufe nehmlich zu dem widerwärtigen Baron Anders hin, dessen Freude darin besteht, seine Gäste betrunken zu machen. Da treffe ich denn am heutigen Abend eine ganze Schaar von unangenehmen Personagen, und so stürze ich mich denn wie ein Verzweifelter in diesen Wasserfall von schlechtem Witz, Klätscherei, Lüge, Geschwätz und Unsinn, um meiner selbst nur auf einige Stunden los zu werden.

Ich kenne Dich bescheidenen, sanften, fast furchtsamen Menschen nicht wieder, antwortete Helmfried, indem er ihn mit Verwunderung betrachtete. Der Unkluge hat mich auch 493 eingeladen, aber er weiß es schon, daß ich an seinen Gelagen niemals Antheil nehme. Es giebt nichts so Tödtendes als schlechte Gesellschaft. Und was wird Sidonie von Dir denken, wenn sie erfährt, daß Du Dich so hast wegwerfen können?

Weil ich immer an sie denke, rief Linden aus, weil ich in den tiefsten Gram versenkt, weil ich mit mir und allen Menschen unzufrieden bin, eben darum ekelt mich alles Edle, Verständige an, darum will ich mich einmal in die Gemeinheit untertauchen, in die Wüstheit eines Gelags, vor der ich sonst immer einen bestimmten Abscheu habe, denn, mein Freund, ich habe jetzt Stunden, in welchen ich mich geradezu dem Teufel selber ergeben möchte, wenn er mich seiner Gnade würdigte.

Ich würde lachen, antwortete Helmfried, wenn ich Dich nicht für krank halten müßte. Drum wäre es doch vernünftiger, wenn Du Deine längst beschlossene Reise anträtest und auf diese Weise Deinen Körper und Deine Seele ausheiltest.

Also, rief Linden unwillig aus, Du glaubst auch an dieses Mährchen von meiner Reise. Diese Reise, die man mir in jeder Gesellschaft entgegenschreit und von der ich selber gar nichts weiß?

Ist es möglich? erwiederte Helmfried. Ich habe die Sache von Sidonien selbst. Mich dünkt, Du hast es ihr selber mitgetheilt, wie sie mir erzählte.

Also, rief Linden im heftigsten Zorne, ist dieses Mährchen so allgemein verbreitet, von Allen geglaubt, und mein Widersprechen ist durchaus ohne Erfolg? Wer hat es nur ersonnen? Wer verbreitet? In welcher Absicht? Ich werde den Widerruf in allen Zeitungen müssen abdrucken lassen, um nur vor diesen ewigen Fragen Ruhe zu haben. – Er 494 war aufgestanden und öffnete die Thür. Komm mit mir, Helmfried, rief er: sei auch heut einmal ungezogen und nichtsnützig. Ich bin aller feinen Lebensart und der zarten Empfindungen so überdrüssig, daß mir die Plattheit des Lebens heut Abend eine wohlthätige Arznei seyn wird.

Vielleicht komme ich, antwortete der Freund, Dir zu Gefallen etwas später. – So trennten sie sich.

Beim Baron Anders traf Linden schon Alles im lautesten Jubel. Man schalt den Eintretenden, daß er so spät erscheine und darüber schon so manchen wackern Spaß verloren und eingebüßt habe. Er nahm seinen Platz neben einem Kandidaten der Theologie, der wegen seines Gesanges und seiner tiefen Baßstimme oft eingeladen wurde, und sagte zu diesem: Schreit aber nicht gar zu fürchterlich, verehrter Gottesgelehrter, damit ich durch Eure Freundschaft und Liebe nicht mein Gehör einbüße.

Wird sich Alles finden, antwortete jener mit seinem rauhen Ton: wenn es in unsrer Gesellschaft darauf abgesehen ist, sich den Verstand völlig wegzusaufen, so gehen die Ohren, lange oder kurze, mit in den Kauf.

Ein allgemeines, lautschallendes Gelächter erschütterte den Saal und der Baron Anders schrie: So ist es recht! der Hochmüthige ist gleich beim Eintritt scharmant abgeführt! Lange oder kurze Ohren! der Kandidat hat doch immer die allerbesten Einfälle. Nun stimmt einen Gesang an.

Recht so! brüllte der Kandidat, und Chorus dann mit Gewalt und Ausdruck mit den Füßen getrommelt und den Beinen gestampft.

Nein! nein! rief ein alter, schon trunkener Offizier dazwischen, das nicht! sonst kommt wieder, wie neulich, die Polizei und stört uns in unserer Freude!

Was Polizei! schrie der Baron, so lange wir das 495 Haus nicht einreißen, hat uns die Polizei nichts zu befehlen.

So wurde denn geschrien, gesungen und mit den Beinen gestampft, daß Dielen und Wände zitterten. Wie bin ich denn hieher gerathen? sagte Linden zu sich selbst, indem er eilig mehrere Gläser des starken Weines trank, die ihm der Baron selber stotternd und lachend einschenkte. Diese hohe Schule der Ungezogenheit, dachte er weiter, zerstört alle Fähigkeiten. Nur Menschen, nur Gebildete, können auf diese Weise unsinnig seyn und sich mit Bewußtsein erniedrigen, denn Bauerknechte und Tagelöhner, so wie das liebe Vieh bleiben immerdar viel besonnener.

Als der Gesang geendigt war, trug der Offizier einige anstößige Geschichten vor. Ein brüllendes Lachen belohnte und accentuirte jede schmutzige Anspielung und jeden obscönen Ausdruck. Das, rief Anders aus, heißt doch, sich einmal wie ächte Männer ergötzen. Hol' der Teufel den weibischen Ton und die Verweichlichung unserer Tage! Nirgend hört man mehr ein kräftiges Wort oder einen tüchtigen Spaß. Ja, meine Freunde, diese unsere hochmenschlichen Vereine, dieser unser Wohlfahrtsausschuß oder ächte Nationalkonvent erinnert mich an die Tage meiner Jugend und mein Studentenleben! Ist es nicht wahr, Linden, hier sind wir einmal wie ächte Bursche beisammen?

Ich bin solchen Gelagen, antwortete Linden, als ich studirte, immerdar aus dem Wege gegangen.

O Philister, Erzphilister, donnerte ihm der Kandidat in die Ohren: so habt Ihr Euch zwar spät, aber doch löblich, zum Menschen bekehrt.

Daß jedes Wort, das sich für einen witzigen Einfall ausgab, in dieser Gesellschaft laut und allgemein belacht wurde, war das Wenigste, denn der reichlich genossene starke 496 Wein hatte das Gehirn Aller schon so umnebelt, daß ihr Bewußtsein völlig verdunkelt war. Sie lachten, ohne zu wissen weshalb, sie schrieen und zankten, ohne sich sagen zu können, worüber. Da Linden immer noch etwas nüchtern erschien, so war die Aufmerksamkeit des Wirthes, so viel dieser es noch vermochte, hauptsächlich auf Ferdinand gerichtet, und Anders nöthigte, schenkte ein, stieß mit seinem Glase an, daß Linden lallend, stotternd und lachend nach einiger Zeit in denselben Zustand gerieth, den er an seinen Gefährten dort so eben noch tief verachtet hatte. Es schwamm ihm vor den Augen, die Flammen der Lichter verwandelten sich in glänzende Kreise, er war geblendet und sah doch nicht mehr, das Geräusch der Gesellschaft war wie ein fernes, brausendes Meer, und die tollsten Bilder tanzten und wankten vor seiner Einbildung und reichten wahnwitzigen Gedanken, die sich verkörperten, die Hand. So gaukelte Alles um ihn und in ihm, daß er sich selber nicht mehr von den äußern Gegenständen unterscheiden konnte.

Er hatte sich zum epischen Offizier gesetzt und sagte zu diesem: O mein grandioser Feldmarschall! ist dies nun nicht ganz, oder doch ungefähr, oder, um mich bestimmter auszudrücken, gleichsam, ähnlich wenigstens, wie bei jenen Opiumsfressern des Orients, die doch auch durch diese Pflanze so oft zur Seligkeit gelangen? Denn nur die Dialektik, Logik, das Essen dieser Essener oder Essäer ist doch die Hauptsache!

Gewiß, sagte der Militär, und der Durst nach dem Wissen ist in unserer geläuterten Natur ein unendlicher, ewiger. Saufaus! heißt die Losung. An dieser erkennen sich die verwandten Seelen. Wir schwimmen auf dem Lethe, um uns selbst als kapernde Schiffsleute wieder zu erobern. Denn das Bewußtsein ist der Erb- und Erzfeind unserer 497 menschlichen höhern Intuition. Nicht wahr, liebster Kandidat der Theologie?

Ich bin nicht der Kandidat, antwortete Linden, sondern Euer Wirth, der Baron, Ihr selber seid ja der Kandidat, und würdet das auch wissen, wenn Ihr nicht schon längst besoffen wäret; denn das Individuum kann doch bei alle dem nicht untergehen. Oder seid Ihr vielleicht kein Individuum? Nur ein Abstraktum? Eine Negation, wie sich denn jetzt viele dieser Kreaturen unter uns herumtreiben sollen, nach den neuesten Nachrichten aus der allerneuesten kritischen Welt.

Ihr, mein Schatz, mein Liebchen, stammelte der Offizier, wärt nicht der abergläubische Kandidat? O, Kathrinchen, liebes Kind, besinnt Euch doch: ich kann ja schwerlich Theologie studirt haben, denn ich sehe ja meine militärischen Aufschläge mit meinen deutlichen Augen. Wenn ich Euch einmal die Ehe versprochen habe, so war das in Abwesenheit aller meiner Fähigkeiten. Nein, Engelsbild, ich glaube bei alledem, ich bin der Baron Anders, und derselbe herzt sich mit dem Einfaltspinsel, dem Gimpel, dem Linden, und eine Andre verlobt sich mit dem Kerl, der verwaist und in alle Welt gegangen ist.

Auch Du, Brutus! schrie Linden, auch Du leidest an dieser Einbildung? Reisen? Wohin sollte er reisen? Es giebt ja gar kein Reisen mehr in der Welt, seitdem die Dampfschiffe aufgekommen sind. Versteh mich, Freund, wir sitzen ganz stille, und die Erde wird durch die neuere Chemie, ohne daß wir es merken, unter uns weggezogen, und wir sind nach etlichen Minuten in Rußland, das sich immerfort vergrößert, ohne daß die Andern es merken, und so kommen wir in die Kategorie der exotischen Länder und Pflanzen, denn Nord- und Südpol sind abgeschafft, ja alle Polen sind 498 durchaus verboten, seit diese galvanische Batterie in die Mode gekommen ist.

Nur keine politische Politik, schrie der Wirth vom Ende des Tisches herüber: angestoßen! die Empfindsamkeit, die unbewußte, soll leben! Wer Weltansichten haben will, der soll zur Welt hinausgeprügelt werden, so kann er sie in der Ferne noch höher fassen! Hier gilt kein Laufen, sondern ein Saufen! kein Fühlen, sondern Wühlen! keine Walzer, sondern Wälzer! – Der Helmfried, der Stümper, ist auch nicht gekommen! die ächte Bildung geht unter, wir stürzen, wie ehemals das Mittelalter, in eine säuische, aber unsäufische Barbarei!

Der Kandidat intonirte wieder einen Gesang, Alle brüllten Chorus dazu; die Gläser erklangen, manche zerbrachen, wieder wurde mit den Beinen gestampft, gejubelt, Unsinn gesprochen und geschrieen, und so kam die Stunde der Mitternacht heran, als keiner der schlimmen Gäste mehr von sich wußte, oder seinen Nachbar erkannte.



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