Ludwig Tieck
Waldeinsamkeit
Ludwig Tieck

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Es war der Geburtstag des schon ältlichen Barons von Wangen. Einige seiner Freunde hatten ihm Glück gewünscht und waren mit ihm beim Frühstück versammelt. Die älteren erinnerten sich der früheren Zeiten und die jungen sprachen und stritten lebhaft über Vorfälle des Tages. Da man nicht einig werden konnte, hörte man endlich nothgedrungen auf die Reden der bejahrten Männer.

Wangen, der älteste von ihnen, erzählte eben einige Begebenheiten, die er in der Jugend erfahren hatte, er schilderte Bekannte, die großentheils nicht mehr lebten, und erging sich so mit Freude und Lust in diesen Erinnerungen, daß ihm endlich auch die Jünglinge mit Vergnügen zuhörten. Da sein gutes Gedächtniß ihm auch die kleinsten Verhältnisse zuführte, so erhielten seine Schilderungen gerade durch das Geringfügige Leben und Frische. Wenn die Jugend oft voreilig diese Darstellungen ehemaliger Zeit und ihrer Verhältnisse verwirft, so vergißt sie, daß sie sich dadurch das Verständniß der Gegenwart erschwert und den Blick in die Zukunft verdunkelt.

Da Wangen auch viele Autoren des vorigen Jahrhunderts gekannt hatte, so wendete sich die Erzählung ebenfalls auf diese, und Lob und Tadel mancher poetischen Produktionen jener Zeiten ward ausgesprochen. Der Bediente störte, welcher dem alten Baron das neueste Zeitungsblatt übergab.

476 So wie Wangen nur hineinsah, lachte er überlaut. – Was giebt es? fragte der junge Helmfried mit entgegenkommendem Lächeln.

O Ihr, sagte Wangen, junger Mensch, erwartet irgend etwas Boshaftes, um Euch Eurer Art nach daran zu ergötzen: dergleichen hat mich aber gar nicht spaßhaft aufgeregt, sondern eine ganz unschuldige Anzeige hier, wo ein Gut ausgeboten wird, nicht von großem Umfange, und indem der Verkäufer das Haus, den Garten und die Aecker beschreibt, fügt er hinzu, es finde der Liebhaber zugleich hinter dem Gemüsegarten eine sehr vortreffliche Waldeinsamkeit.

Er lachte von Neuem und Helmfried sagte: Aber worüber spaßt und ergötzt Ihr Euch denn so sehr, alter Herr? Der Ausdruck ist ja ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher, man hört, man lieset ihn in allen Blättern und an allen Orten.

Nun ja, sagte der Alte, jetzt; doch fällt es mir immer wieder als komisch auf, wenn dies kühne Wort, diese gewagte Zusammensetzung so in Zeitungen und Ankündigungen gebraucht wird. Es werden jetzt ungefähr zehn oder acht Jahre vorüber seyn, als ich zuerst im Hamburger Korrespondenten auch ein Gut mit einer Waldeinsamkeit ausbieten sah. Seitdem, wie oft!

Nun also! sagte Helmfried mit seinem etwas hämischen Lächeln, das fast immer sich wider seinen Willen auf seinen Lippen zeigte. Und kühn gewagt nennt Ihr dies Substantiv? Wenn es in die Anschlagzettel und Auktionsanzeigen übergegangen ist?

Sonderbar genug, antwortete der Baron, daß ein vor Jahren unerhörter Ausdruck, der sein poetisches Gewand nicht ablegen kann, ebenso in das alltägliche Geschäftswesen übergegangen ist, wie die Ausdrücke »ins Leben treten – 477 Leistungen – sich herausstellen – Begebnisse – etwas beleben, statt erleben« – und dergleichen mehr, oder wie »Zunftzwang, Fabrikanstalt, Besserungshaus« – die mehr oder minder nothwendig, oder uns für das Alltägliche aufgedrungen sind. – Wir kennen doch Alle jenes jugendliche Mährchen unsers Freundes »Der blonde Eckbert«. –

Ja wohl, riefen die Versammelten, es ist eins der frühesten oder wohl das älteste jenes Autors.

Abseits hatte sich ein junger schwermüthiger Mann gesetzt, der bisher an Allem, was gesprochen wurde, keinen Theil genommen hatte. Jetzt stand er auf und sagte mit lauter, aber wehmüthiger Stimme die Verse her:

Waldeinsamkeit,
Die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ewiger Zeit:
O wie mich erfreut
Waldeinsamkeit!

Ich war noch sehr jung, begann Wangen wieder, so jung, daß ich nicht den Muth hatte, mitzusprechen oder eine Meinung abzugeben, wenn ich unter verständigen Männern mich befand: ein Beweis, daß ich vom vorigen Jahrhundert spreche. So war ich denn im Hause jenes Autors oft ein stummer Zuhörer, der lieber lernte als lehrte. Der Dichter jenes Mährchens erhielt den Korrekturbogen desselben und theilte auf Verlangen die kleine Erzählung seinen Zuhörern mit. Die Gesellschaft bestand aus der Schwester des Dichters, die sich auch als Schriftstellerin bekannt gemacht hat, dem liebenswürdigen Wackenroder, dem jungen Hausarzt, Byng, ein ächter Mensch, wie es nur Wenige giebt, dem Musikdirektor des Berliner Theaters, Wessely, und dem bekannten Musikus Zelter. Es war im Sommer 1796, als 478 sich diese Gesellschaft zusammengefunden hatte. Man billigte, man lobte das Mährchen, aber Alle vereinigten sich mit Wackenroder, als dieser laut und bestimmt erklärte, das Wort »Waldeinsamkeit« sei undeutsch, unerhört und durchaus nicht zu gebrauchen. Der Autor, der das Wort, ohne darüber zu denken oder zu zweifeln, viel weniger, um einen Anstoß zu erregen, geschrieben, war nicht wenig über den Chor seiner Freunde erstaunt, der einstimmig das Wort verdammte und verlangte, daß er wenigstens, der Natur der Sprache zu gefallen, Waldeseinsamkeit schreiben sollte. Vergebens, daß der Autor »Frühlingsglanz«, und selbst »Herbstmanoeuvre« für sich anführte, jeder der Gegenwärtigen, die alle Deutsch zu verstehen glaubten, hatte wichtige Gründe, den ketzerischen Ausdruck zu verwerfen. Der überstrittene, aber nicht überzeugte Autor schwieg endlich, korrigirte aber nicht. Und, wie der Erfolg gezeigt, er war so sehr im Recht, daß Zeitungsnachrichten jetzt den damals angefochtenen Ausdruck nicht vermeiden.

Es ist mir ganz neu, sagte Helmfried, daß das Wort jemals nur auffallen konnte. Solche Umgestaltungen, Gewöhnungen sind aber überhaupt nicht selten; geht es doch mit manchen Tugenden und Lastern ebenso, die nach zwanzig Jahren die Namen tauschen und Hochverrath zu Patriotismus, Lüge und Betrug in Klugheit umstempeln, wenn Beharrlichkeit, Aufopferung, Selbständigkeit und Tiefsinn zu Philisterei umgeschmolzen werden.

Er lachte wieder auf jene unangenehme Art, von welcher der alte Wangen sich immer verletzt fühlte. Die Freunde verließen bald darauf den Baron, und nur jener schweigsame, trübsinnige Jüngling blieb allein bei ihm zurück.

Was ist Dir nur, Ferdinand, begann der Alte: Du sprichst nicht, an nichts nimmst Du Antheil, ich fürchte, 479 Dein Leben wird sich ganz und gar in Träumerei verlieren.

Ach! antwortete Ferdinand von Linden mit dem Ausdruck schwärmender Trauer, tadeln Sie mich, lieber Oheim, schelten Sie, nur glauben Sie mir auch, ich kann nicht anders seyn. Der Ausdruck der Franzosen, »das ist stärker als ich« ist ein sehr richtiger.

Ist ein Unsinn, lieber Sohn, rief der Oheim aus: der Blitz, der mich erschlägt, das Erdbeben, welches mir mein Haus über den Kopf einstürzt, diese Begebenheiten sind stärker als ich; nichts aber, wo mein freier Wille, mein kräftiger Entschluß hineinwirken kann. Rüttle Dich auf aus dieser Gefühllosigkeit und denke an Dein bevorstehendes Examen, damit Du als Rath künftig einrücken kannst, und übe Dich vorher noch ein, damit nicht etwa das Examen stärker seyn mag, als Du es bist.

Aus seinen Träumereien heraus antwortete Linden: Dies Examen kümmert mich nicht sonderlich, denn ich denke meiner Sache gewiß zu seyn, – aber es giebt Tage, in welchen ich gleichsam aus meinem poetischen Schlummer gar nicht zur Wirklichkeit erwachen kann. Gestehe ich es nur, jenes kleine Gedicht, diese Waldeinsamkeit, hat mich erst recht tief wieder eingewiegt. Das Grün des Waldes, die lichte Dämmerung, das heilige Rauschen der mannichfaltigen Wipfel, alles dies zog mich von frühester Jugend wie mit Zauber in diese Einsamkeit. Wie gern verirrte ich, verlor ich mich schon als Knabe in jenem Walde meiner Heimat. In den innersten, fast unzugänglichen Theilen fühlte ich mich, von der Welt ganz abgesondert, unbeschreiblich glücklich, und vergaß gern Schule, das elterliche Haus und die Mittagsmahlzeit. Auf meinen Fußreisen nachher habe ich, die Straße vorsätzlich verlassend, so manche schöne Nacht in Wäldern zugebracht: 480 und wenn ich dann am Morgen, weiter wandernd, den erfrischenden Gesang der Vögel vernahm, das Krähen der Hähne, die mir endlich ein nahes Dorf und Wohnungen der Menschen verkündigten, so strömte in meiner Wildniß ein Schauer von Entzücken durch mein ganzes Wesen. Und alles dies und was ich jemals von Sehnsucht nach Natur empfunden habe, wachte vorhin in meinem Busen wieder ganz lebendig auf, als das Wort Waldeinsamkeit nur genannt wurde.

Soll man dergleichen nun poetische Stimmung oder gar schon Poesie nennen? warf der Oheim ein. Vielleicht am ersten Krankheit.

Oder auch Gesundheit! rief der Neffe, nur in einer andern Gestaltung, wie bei so vielen gesunden Menschen.

Und wie steht es mit Deiner Liebe? fragte Wangen: bist Du hier nicht auch von der Landstraße weit ab in einen unwirthbaren Wald verirrt, in welchem Du in Gefahr zu verschmachten bist?

Ferdinand seufzte. O lieber Onkel, sagte er dann, ich kann dieser Leidenschaft, wie Sie mir so oft riethen, unmöglich entsagen. Ich muß den mißfälligen Ausdruck doch wiederum gebrauchen: dies Gefühl ist unendlich stärker als ich. Ich weiß es ja, daß Sidonie einen Hang zur Coquetterie hat, daß sie manchmal nicht ganz ehrlich mit mir umgeht, daß sie die Schmeicheleien so mancher Liebhaber gerne annimmt, und es vielleicht gegen keinen einzigen treu meint, daß der eitle Vater, der sie verzogen hat, sie in allen diesen Unarten bestärkt –

Und Dein Freund? Helmfried? fragte der Oheim: bist Du denn gewiß, daß er nicht ebenfalls nach ihrem Besitze strebt? daß dieser sogenannte Freund ehrlich mit Dir umgeht?

481 Da verletzen, da verwunden Sie mich! rief der junge Mann mit einigem Unwillen: diesen treuesten aller Menschen wollen Sie mir verdächtigen? Nein, Freund, seit Jahren bin ich dieses Herzens gewiß; er würde eher sein Leben für mich lassen, als mich mit einer Unwahrheit hintergehn. Und wie oft hat er mich in den herzlichsten Stunden versichert, daß ihm diese schöne, reizende Sidonie unerträglich sei, daß er jedes andere Weib eher als diese lieben könne.

Du weißt es, sagte der Baron, daß mir Dein Umgang mit diesem Menschen und noch mehr Deine Freundschaft für ihn von je ein Aergerniß war. Ich habe aus seinem Munde noch nie ein gutes, herzliches Wort gehört. Ich kenne es wohl an ihm, daß er sich zuweilen in den Ton der Empfindsamkeit und rührenden Schwermuth wirft: aber dann ist er mir am meisten unausstehlich. Sollte denn diese meine Antipathie, da ich die Menschen seit so vielen Jahren beobachtet habe, ganz ohne Grund seyn? Du kennst ihn seit lange, Du hast Dich an ihn gewöhnt und so hast Du kein freies Urtheil über ihn, und im steten Umgang die Fähigkeit zu beobachten verloren.

Nein! nein! rief der junge Mann, ich müßte die Menschheit und mich aufgeben, wenn ich den langbewährten Freund für schlecht halten oder nur ein Mißtrauen gegen ihn nähren könnte.

Der Baron ward jetzt auch eifrig und sagte mit einiger Empfindlichkeit: Ich habe es von guter, ja von bester Hand, daß er zu manchen Menschen von Dir in zweideutigem Tone spricht, daß er Dich verdächtig zu machen sucht.

Onkel! sagte Ferdinand mit lallender Stimme, suchen Sie nicht meine Liebe, meine Verehrung für Sie durch solche Insinuationen wankend zu machen. Wer Ihnen dergleichen 482 von meinem Freunde vorgesprochen hat, war ein Verleumder und Lügner!

So trennten sie sich.



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