Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Sechstes Kapitel

Franz fand den bisherigen Leichtsinn seiner Lebensweise nüchtern und ungenügend, er bereute manche Stunde, er nahm sich vor, sich inniger der Kunst zu widmen. Er brach den Umgang mit der schönen Lenore ab, er fühlte es innig, daß er sie nicht liebe. Sein Freund Castellani verspottete ihn, und bedauerte seine Anlagen, die nun notwendig verderben müßten, aber Franz empfand die Leerheit dieses Menschen, und achtete jetzt nicht darauf.

Eine neue Liebe zur Kunst erwachte in ihm, sein Jugendleben in Nürnberg, sein Freund Sebastian traten mit frischer Lieblichkeit vor seine Seele. Er machte sich Vorwürfe, daß er bisher so oft Dürer und Sebastian aus seinem Gedächtnisse verloren. Er nahm seine geliebte Schreibtafel hervor, und küßte sie, die verwelkten Blumen rührten ihn zu Tränen: »Ach, du bist nun auch verwelkt und dahin!« seufzte er. Auch das Bildnis, das er vom Berge mitgenommen hatte, stellte er vor sich. – Ihm fiel der Brief der Gräfin in die Hände, den er bis dahin ganz vergessen hatte.

Er beschloß, die Familie noch an diesem Tage aufzusuchen, er fühlte ein Bedürfnis nach neuen Freunden. Franz nahm den Brief und erkundigte sich nach der Wohnung, sie ward ihm bezeichnet. Die Leute, die er suchte, lebten vor der Stadt in einem Garten. Ein Diener empfing ihn, und leitete ihn durch angenehme Baumgänge, der Garten war nicht groß, aber voller Obst und Gemüse. In einem kleinen niedlichen Gartenhause, sagte der Diener, würde er die Tochter finden, die Mutter sei ausgegangen, der Vater schon seit sechszehn Jahren tot. Franz bemerkte durch das Fenster einen weißen runden Arm, eine schöne Hand, die auf einer Zither spielte. Indem begegnete ihm ein alter Mann, der fast achtzig Jahre alt zu sein schien, er verließ das Gartenhaus, und ging durch den Garten nach dem Wohnhause zurück. Franz trat in das Zimmer. Das Mädchen legte die Zither weg, als sie ihn bemerkte, sie ging ihm entgegen.

Beide standen sich gegenüber und erstaunten, beide erkannten sich im Augenblicke. Franz zitterte, er konnte die Sprache nicht wiederfinden, die Stunde, die er so oft als die seligste seines Lebens herbeigewünscht hatte, überraschte ihn zu unerwartet. Es war das Wesen, dem er nachgeeilt war, die er in seinem Geburtsdorfe gesprochen, die er mit aller Seele liebte, die er verloren glaubte. Sie schien fast ebenso bewegt, er gab ihr den Brief der Gräfin, sie durchflog ihn schnell, sie sprach nur von dem Orte, wo sie ihn vor anderthalb Jahren gesehn und gesprochen. Er nahm die teure Brieftasche, er reichte sie ihr hin, und indem hörte man durch den Garten ein Waldhorn spielen. Nun konnte sich Franz nicht länger aufrecht halten, er sank vor der schönen bewegten Gestalt in die Knie, weinend küßte er ihre Hände. Die wunderbare Stimmung hatte auch sie ergriffen, sie hielt die vertrockneten Blumen schweigend und staunend in Händen, sie beugte sich zu ihm hinab. – »Oh, daß ich Euch wiedersehe!« sagte sie stammelnd; »allenthalben ist mir Euer Bild gefolgt.« – »Und diese Blumen«, rief Sternbald aus, »erinnert Ihr Euch des Knaben, der sie Euch gab? Ich war es; ich weiß mich nicht zu fassen.« – Er sank mit dem Kopfe in ihren Schoß, ihr holdes Gesicht war auf ihn herabgebeugt, das Waldhorn phantasierte mit herzdurchdringenden Tönen, er drückte sie an sich und küßte sie, sie schloß sich fester an ihn, beide verloren sich im staunenden Entzücken.

Franz wußte immer noch nicht, ob er träume, ob alles nicht Einbildung sei. Das Waldhorn verstummte, er sammelte sich wieder. Ohne daß sie es gewollt hatten, fast ohne daß sie es wußten, hatten beide sich ihre Liebe gestanden. – »Was denkt Ihr von mir?« sagte Marie mit einem holdseligen Erröten. »Ich begreife es ewig nicht, aber Ihr seid mir wie ein längstgekannter Freund, Ihr seid mir nicht fremde.«

»Ist unsre eigne Seele, ist unser Herz uns fremd?« rief Sternbald aus. »Nein, von diesem Augenblicke an erst beginnt mein Leben, oh, es ist so wunderbar und doch so wahr. Warum wollen wir's begreifen? – Seid Ihr glücklich? – Bist du meine süße Geliebte? Bin ich der, den du suchtest? Findest du mich gern wieder?«

Sie gab ihm beschämt die Hand und drückte sie. Der alte Mann kam zurück, und meldete, daß er ausgehn müsse, Franz betrachtete ihn mit Erstaunen, er erriet, daß es derselbe sein müsse, der musiziert habe, den er schon in der Kindheit auf dem grünen Rasenplatze gesehn. Die Bäume rauschten draußen so wunderbar, er hörte aus der Ferne das Geräusch auf der Landstraße, jedes andre Leben erschien ihm traurig, nur sein Dasein war das freudigste und glorreichste.

Er ging, weil er die Rückkehr der Mutter nicht erwarten wollte, er versprach, seine Geliebte am folgenden Tage zu besuchen.

Durchs Feld schweifte er umher, er sah noch immer sie, den Garten, ihr Zimmer vor sich. Er war in der Stadt, und konnte sich nicht besinnen, welchen Weg er gekommen war. In seiner Stube nahm er seine Zither und küßte sie, er griff in die Töne hinein, und Liebe und Entzücken antwortete ihm in der Sprache der Musik. In der ganzen Natur vernahm er Gruß und Glückwunsch. Er wollte seinem Sebastian schreiben, aber er konnte nicht zur Ruhe kommen. Er fing an, aber seine Gedanken verließen ihn, er schrieb folgendes nieder:

    Sanft umfangen
Vom Verlangen,
Abendwolken ziehn,
Oh, gegrüßt sei holdes Glücke,
Endlich, endlich meinem Blicke,
Längst gepflanzte Blumen blühn.

    Abendröte winkt herunter:
Hoffe auf den Morgen munter;
Winde eilen, verkünden's der Ferne,
Blicken auf mich nieder die freundlichen Sterne.

    Keiner, der nicht grüßend niederschaute:
Ist es, singen sie, dir gelungen?
Welche Töne rühren sich in der Laute,
Von unsichtbarer Geisterhand durchklungen?

    Von selbst erregt sie sich zum Spiele,
Will ihre Worte gern verkünden,
Kennst du, Vertraute, die Gefühle,
Die quälend, beglückend mein Herz entzünden?
O töne, ich kann das Lied nicht finden,
Das Leid, das Glück, das mich bewegt,
Und Klang und Lust in mir erregt.

    Will ich von Glück, von Freude singen,
Von alten, wonnevollen Stunden?
Es ist nicht da und fern verschwunden,
Mein Geist von Entzücken festgebunden,
Beengt, beschränkt die goldnen Schwingen.

    Geht die Liebe wohl auf deinem Klange
Ist sie's, die deine Töne rührt?
Und dieses Herz mit strebendem Drange
Auf deinen Melodien entführt?

    Mit Zitherklang kam sie mir entgegen,
Mein Geist in Netzen von Tönen gefangen,
Ich fühlte schon dies Beben, dies Bangen,
Entzücken überströmte, ein goldner Regen.

    Sie saß im Zimmer, wartete mein,
Die Liebe führte mich hinein,
Erklang das alte Waldhorn drein.
    Dein voller Klang Mein Herz schon oft durchdrang,
    Meiner Liebe vertraut,
    Von deinem Ton mein Herz durchschaut.
Nun verstummen nie die Töne,
Lautenklang mein ganzes Leben,
Herz verklärt in schönster Schöne,
Wundervollem Glanz und Weben
                            Hingegeben.


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