Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Franz war von der wundervollen Versammlung, von den Blumen, den schönen Mädchen, Musik und Wein begeistert, er stand auf und sang:

    »Warum Klagen, daß die Blume sinkt
Und in Asche bald zerfällt:
Daß mir heut ein lüstern Auge winkt
Und das Alter diesen Glanz entstellt.

    Ihm mit allen Kräften nachzuringen,
Fest zu halten unsrer Schönen Hand –
Ja, die Liebe leiht die mächtgen Schwingen
Von Vergänglichkeit, sie knüpft das Band.

    Sagt, was wäre Glück, was Liebe?
Keiner betete zu ihr
Wenn sie ewig bei uns bliebe,
Schönheit angefesselt hier.

    Aber wenn auch keine Trennung droht,
Eifersucht und Ungetreue schweigen,
Alle sich der Liebe neigen,
Fürchten gleich Geliebte keinen Tod –

    Ach! Vergänglichkeit knüpft schon die Ketten,
Denen kein Entrinnen möglich bleibt,
Lieb und Treue können hier nicht retten,
Wenn die harte Zeit Gesetze schreibt.

    Darum geizen wir nach Küssen,
Beugen Schönen unser Knie,
Winke, Lippen, Lächeln grüßen
Allzuoft zur Freude nie.«

Als er geendigt hatte, schämte er sich seines Rausches, und Rustici rief aus: »Seht, meine Landsleute, da einen Deutschen, der uns Italiener beschämt! Er wird uns alle unsre Schönen abtrünnig machen.«

Andrea sagte: »Ein Glück, daß ich noch Bräutigam bin, für meine Frau würd ich sehr besorgt sein. Aber seht ihn nur an, jetzt sitzt er so ernsthaft da, als wenn er auf eine Leichenrede dächte. Mir fällt dabei mein Lehrer Piero di Cosimo ein, der immer von so vielen recht trübseligen Gedanken beunruhigt wurde, der sich vor dem Tode über alle Maßen fürchtete, der sich unter sonderbaren Phantomen abängstigte, und sich doch wieder an recht reizenden, ja ich möchte beinahe sagen, leichtfertigen Phantasieen ergötzte.«

Rustici sagte: »Er war gewiß eins der seltsamsten Gemüter, die noch auf Erden gelebt haben, seine Bilder sind zart und vom Geiste der Wollust und Lieblichkeit beseelt, und er saß, gleich einem Gefangenen, in sich selber eingeschlossen, seine Hand nur ragte aus dem Kerker hervor, und hatte keinen Teil an seinem übrigen Menschen. Seine Kunst lustwandelte auf grüner Wiese, indem seine Phantasie den Tod herbeirief, und tolle, schwermütige Maskeraden erfand.«

Das Gespräch der Maler ward hier unterbrochen, denn die Mädchen und jungen Leute sprachen von allerhand lustigen Neuigkeiten aus der Stadt, wodurch die Sprechenden überstimmt wurden. Das lebhafte Mädchen, das Laura hieß, erzählte von einigen Nachbarinnen aus der Stadt überaus fröhliche Geschichten, die keiner als Franz anstößig fand. Er saß ihren schwarzen Augen gegenüber, die ihn unablässig verfolgten, bei jeder lebhaften Bewegung, wenn sie sich vorüberbog, machte sie den schönsten Busen sichtbarer, ihre Arme wurden ganz frei, und zeigten die weißeste Rundung. – Lenore ward etwas eifersüchtig, und entblößte ihre Arme, um sie mit denen ihrer Gegnerin zu vergleichen, die übrigen Mädchen lachten.

Andrea und Francesco hatten sich abseits unter einen Baum gesetzt, und führten ein ernsthaftes Gespräch; beide waren von Wein begeistert. »Du verstehst mich nicht«, sagte Rustici mit vielem Eifer, »der Sinn dafür ist dir verschlossen, ich gebe aber darum doch meine Bemühungen nicht auf. Glaube nur, mein Bester, daß zu allen großen Dingen eine Offenbarung gehört, wenn sie sich unsern Sinnen mitteilen sollen, ein Gast muß plötzlich herabsteigen, der unsern Geist mit seinem fremden Einfluß durchdringt. So ist es auch mit der erhabenen Kunst der Alchimie beschaffen.«

»Es ist und bleibt immer unbegreiflich«, sagte der langsamere Andrea, »daß du durch Zeichen und wunderbare, unverständliche Verbindungen so viel ausrichten willst.«

»Laß mich nur erst zum Ende kommen«, eiferte Francesco, »so sind diese Verbindungen nicht mehr wunderbar, so erscheint alles einfach und klar vor unsern Augen. Die anscheinende Verwirrung muß uns nur nicht abschrecken, es ist die Ordnung selbst, die in diesen Buchstaben, in diesen unverständlichen Hieroglyphen uns gleichsam stammelnd oder wie aus der Ferne anredet. Treten wir nur dreist näher hinzu, so wird jede Silbe deutlicher, und wir verwundern uns denn nur darüber, daß wir uns vorher verwundern konnten. Ein guter Geist hat dem Sternbald eingegeben, zu sagen, daß sich alles unter der Hand des Künstlers in Gold verwandle. Wie schwierig ist der Anfang zu jeglicher Kunst! Und wird nicht alles in dieser Welt verwandelt und aus unkenntlichen Massen zu fremdartigen Massen erzogen? Warum soll es mit den Metallen anders sein? Schweben nicht über die ganze Natur wohltätige Geister, die nur Seltsamkeiten aushauchen, nur in einer Atmosphäre von Unbegreiflichkeiten leben, und so wie der Mensch alles sich gleich oder ähnlich macht, sie ebenso alle Elemente umher, wenn sie noch so feindselig sind, noch so träge in der Alltäglichkeit sich herumbewegen, anrühren und in Wunder umschaffen. An diese Geister müssen wir glauben, um auf sie zu wirken; du mußt der Begeisterung beim Malen vertrauen, und du weißt nicht, was sie ist, woher sie kömmt, die Geisteratmosphäre umweht dich und es geschieht: – mit unserm innerlichen Seelenothem müssen wir jene Geisterwelt herbeisaugen, unser Herz muß sie magnetisch an sich reißen, und siehe, sie muß ihrer Natur nach, durch ihre bloße Gegenwart das unbegreifliche Wunder wirken.«

Andrea wollte etwas antworten, als die Trompeten laut ertönten, und ihr sonderbares Gespräch unterbrachen. »Ihr seid«, sagte die schalkhafte Laura, »sehr ernsthaft geworden.«

»Verzeiht«, antwortete der freundliche Rustici, »ich kann meine Natur nicht immer ganz beherrschen, und alle süßen Töne der Instrumente und der Sängerin ziehen sie zur Melancholie. Ich habe mich oft gefragt: woher? warum? aber ich kann mir selber keine Rechenschaft geben.«

»Ihr werdet vielleicht dadurch an trübselige Gegenstände erinnert«, sagte Laura.

»Nein, das ist es nicht«, fuhr der Maler fort, »sondern mir ist im Gegenteil innerlich dann sehr wohl, meine Freude, die wie ein gefangener Adler in Ketten gesessen hat, schlägt nun mit einem Male die muntern, tapfern Schwingen auseinander. Ich fühle, wie die Kette zerreißt, die mich noch an der Erde hielt, über die Wolken hinaus, über die Bergspitzen hinüber, der Sonne entgegen mein Flug gewendet. Aber nun verlieren sich unter mir die Farben, und die Abwechselungen und Absonderungen der bunten Welt. Ich bin frei, aber die Freiheit genügt mir nicht, ich kehre zurück und reiße mich von neuem empor. Es ist, als wenn Stimmen mich erinnerten, daß ich schon einst viel glücklicher gewesen sei, und daß ich auf dieses Glück von neuem hoffen müsse. Die Musik ist es nicht selbst, die so zu mir spricht, aber ich höre sie wie abgebrochene Laute aus einer ehemaligen verlornen Welt, die ganz und durchaus nur Musik war, die nicht Teile, Abgesonderheit hatte, sondern wie ein einziger Wohllaut, lauter Biegsamkeit und Glück dahinschwebte, und meinen Geist auf ihren weichen Schwanenfedern trug, statt daß er auch jetzt noch auf den süßesten Tönen wie auf Steinen liegt, und sein Unglück fühlt und beklagt.«

»So ist Euch nicht zu helfen, phantastischer lieber Maler und Freund«, sagte Laura lachend, indem sie ihm die weiße Hand reichte, die er ehrerbietig küßte. Dann drehte sie sich von ihm, und sprach im Getümmel der übrigen Mädchen umher, sie hatten beschlossen, daß sie nun, da es kühl geworden war, einen muntern Tanz aufführen wollten, wie ihn die fröhlichen Landleute in Italien zu tanzen pflegen.

Der Tanz ging vor sich, aber Sternbald und Lenore blieben zurück, weil er es nicht wagen mochte, diese leichten, schnellen und ihm ungewöhnlichen Bewegungen mitzumachen, um die übrigen nicht durch seine Ungeschicklichkeit zu verwirren. Laura tanzte von allen am zierlichsten, ohne alle Bemühung gelangen ihr die schwierigsten Stellungen und die schnellsten Veränderungen. Franz ergötzte sich an den leichten, flatternden Gewändern, an den schön verschlungenen Figuren. Die zierlichsten Füße schwebten, trippelten und sprangen auf und ab, im Schwunge des Rocks ward das leichte, wohlgeformte Bein sichtbar, weiße Arme und Busen, üppige Hüften, die das Gewand deckte und verriet, zogen das Auge nach sich, und verwirrten es in dem fröhlichen Tumult. Laura und einige andre junge Mädchen waren ausgelassen, wenn sie im Sprunge in den Arm ihres Tänzers flogen, hob dieser sie im Schwunge hoch, und in der Luft schwebend sangen sie Stellen aus Liebesliedern in die Musik hinein.

Der wilde, bacchantische Taumel war beschlossen, ein andrer Tanz, der Zärtlichkeit ausdrückte, wurde angeordnet, auch Lenore und Sternbald schlossen sich dem Reihen an. – Eine sanfte Musik erklang, die Paare umschlangen sich und schwebten hinauf und hinab, die Hände und Arme begegneten sich wieder, und Busen an Busen geschmiegt, begann eine neue Wendung. Da sah man die verführerischsten Stellungen knüpfen, alle Gelenke wurden biegsamer, Franz war wie in Trunkenheit verloren. Die Luft duftete ihnen Wonne und Freude entgegen, wie auf den Wellen der Musik schwebte er an Lauras oder Lenorens Arm einher, in jedem tanzenden Gesicht kam ihm ein schalkhafter Engel entgegen, der ihm Entzücken predigte. Er drückte Lauras Hand, die seine Zärtlichkeit erwiderte.

Man ruhte im Schatten der Bäume aus. Knaben gaben kühlende, wohlschmeckende Früchte herum, die Schönen lagerten sich im Grase. Andrea war vom Tanz erhitzt und sagte: »Seht, mein Freund Sternbald, so müßt ihr Deutsche erst nach Italien kommen, um zu lernen, was schön sei, hier erst offenbart sich euch Natur und Kunst. In eurem trüben Norden ist es der Imagination unmöglich, ihre Flügel auszudehnen und das Edle zu empfinden.«

»Mein Lehrmeister, Albrecht Dürer«, sagte Franz, »den Ihr doch für einen großen Mann erkennen müßt, ist nicht hier gewesen.«

Andrea sagte: »Wie sehr wünschen aber auch alle Kunstfreunde, daß er sich möchte hierherbemüht haben, um erst einzusehn, wie viel er ist, und dann zu lernen, was er mit seinem großen Talente ausrichten könne. So aber, wie er ist, ist er merkwürdig genug, doch ohne Bedeutung für die Kunst, der Italiener mit weit geringerem Talente wird doch immer den Sieg über ihn davontragen.«

»Ihr seid unbillig«, fuhr Sternbald auf, »ja undankbar, denn ohne ihn, ohne seine Erfindungen würden sich manche Eurer Gemälde ohne Figuren behelfen müssen.«

»Ihr müßt nicht heftig werden«, sagte der lindernde Francesco, »wahr ist es, Dürer ist Andreas hülfreicher Freund, und vielleicht verlästert er ihn eben darum, weil er sich der Dienste zu gut bewußt ist, die jener ihm geleistet hat. Aber wir wollen lieber ein Gespräch abbrechen, das Euch nur erhitzt.«

Die Musik lärmte dazwischen, Andrea, der wenig streitsüchtig war, gab seine Meinung auf, die Tänze fingen von neuem an. Es wurde Abend: manche von der Gesellschaft gingen nach Hause, einigen wurden von ihren Dienern Pferde gebracht. Rustici ließ eins der schönsten Pferde in den Garten kommen, und setzte sich hinauf, indem er durch die Baumgänge ritt, die mutwillige Laura ließ sich zu ihm hinaufheben, und in einem leichten Galopp ritt sie hin und her, indem sie vor dem Maler saß, der sie mit seinen Armen festhielt. Franz bewunderte das schöne Gemälde, er glaubte den Raub der Dejanire vor sich zu sehn, der Kranz in ihren Haaren schwankte und drohte herabzufallen, leicht saß sie oben, und doch von einer kleinen Ängstlichkeit beunruhigt, die sie noch schöner machte: das Pferd hob sich majestätisch, auf seine Beute stolz. Zwei Trompeten bliesen einen mutigen Marsch, die prächtigen Töne begleiteten die Bewegungen des Rosses und der gewandte und starke Rustici saß wie ein Gott oben.

Die zurückgebliebenen Freunde führte Francesco nun nach einem andern Teile seines Gartens. Hier war ein runder Zirkel von Bäumen, und Festons und Girlanden von allerhand Blumen hingen in den Zweigen und schaukelten im Abendwinde, farbige Lampen brannten dazwischen, dämmernde Lauben waren in den Baumnischen angelegt. Wein und Früchte wurden genossen: die zärtlichen Paare saßen nebeneinander, Musik ermunterte sie, ihr Liebesgespräch zu führen.


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