Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Brief des wackern Albert Dürer lautete also:

 

Mein lieber Schüler und Freund!

Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr nebeneinander leben sollen, ob mich gleich kein Zwischenraum gänzlich von Dir wird trennen können. So wie die Abwechselungen des Lebens gehen, so ist es nun unter uns dahin gekommen, daß wir nur aneinander denken, aneinander schreiben können. Ich habe Dir alle meine Liebe, alle meine herzlichsten Wünsche mit auf den Weg gegeben, und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und der Redlichkeit treu, und Du wirst mit Freuden dieses Leben überstehn können, in welchem uns mancherlei Leiden suchen irrezumachen. Es freut mich, daß Du der Kunst so fleißig gedenkst, und zwar Vertrauen, aber kein übermütiges zu Dir selber hast. Das Zagen, das Dich oft überfällt, kömmt einem in der Jugend wohl, und ist viel eher ein gutes als ein schlimmes Zeichen. Es ist immer etwas Wunderbares darinnen, daß wir Maler nicht so recht unter die übrigen Menschen hineingehören, daß unser Treiben und unsre Geschäftigkeit die Welthändel und ihre Ereignisse so um gar nichts aus der Stelle rückt, wie es doch bei den übrigen Handwerken der Fall ist; das befällt uns sehr oft in der Einsamkeit oder unter kunstlosen Menschen, und dann möchte uns schier aller Mut verlassen. Ein einziges gutes Wort, das wir plötzlich hören, ist aber auch wieder imstande, alle schaffende und wirkende Kraft in uns zurückzuliefern, und Gottes Segen obendrein, so daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unsere Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die ganze menschliche Geschäftigkeit läuft im Grunde so auf gar nichts hinaus, daß wir nicht einmal sagen können: dieser Mensch ist unnütz, jener aber nützlich. Es ist die Erde zum Glück so eingerichtet, daß wir alle darauf Platz finden mögen, groß und klein, Vornehme und Geringe. Mir ist es in meinen jüngeren Jahren oft ebenso wie Dir ergangen, aber die guten Stunden kommen doch immer wieder. Wärst Du ohne Anlage und Talent, so würdest Du diese Leere in Deinem Herzen niemals empfinden.

Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur immer der Wahrheit treu, das ist die Hauptsache. Deine fromme Empfindung, so schön sie ist, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren lässest. Nicht eigentlich zu weit; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig sein, sondern ich meine nur, Du dürftest endlich etwas Falsches in Dein Herz aufnehmen, das Dich selber hinterginge, und so unvermerkt ein Mangel an wahrer Frömmigkeit entstehn. Doch sage ich dieses gar nicht, um Dich zu tadeln, sondern es geschieht nur, weil ich an manchen sonst guten Menschen dergleichen bemerkt habe, wenn sie an Gott und die Unsterblichkeit mit zu großer Rührung, und nicht mit froher Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirschung und nicht mit erhabner Mutigkeit, so sind sie am Ende in einen Zustand von Weichlichkeit verfallen, in welchem sie die tröstende wahre Andacht verlassen hat, und sie sich und ihrem Kleinsinn überlassen blieben. Doch wie ich sage, es gilt nicht Dir, denn Du bist zu gut, zu herzlich, als daß Du je darin verfallen könntest, und weil Du große Gedanken hegst, und mit warmer brünstiger Seele die Bibel liesest und die heiligen Geschichten, so wirst Du auch gewißlich ein guter Maler werden, und ich werde noch einst stolz auf Dich sein.

Suche recht viel zu sehen, und betrachte alle Kunstsachen genau und wohl, dadurch wirst Du Dich endlich gewöhnen mit Sicherheit selbst zu arbeiten und zu erfinden, wenn Du an allen das Vortreffliche erkennst, und auch dasjenige, was einen Tadel zulassen dürfte. Dein Freund Sebastian ist ein ganz melancholischer Mensch geworden, seit Du von uns gereiset bist; ich denke, es soll sich wohl wieder geben, wenn erst einige Wochen verstrichen sind. Gehab Dich wohl, und denke unsrer fleißig. – –

 

Durch Franzens Geist ergoß sich Heiterkeit und Stärke, er fühlte wieder seinen Mut und seine Kraft. Albrechts Stimme berührte ihn wie die Hand einer stärkenden Gottheit, und er spürte in allen Adern seinen Gehalt und sein künftiges arbeitreiches Leben. Wie wenn man oft alte längst vergessene Bücher wieder aufschlägt, und in ihnen Belehrungen oder unerwarteten Trost im Leiden antrifft, so kamen vergangene Zeiten mit ihren Gedanken in seine Seele zurück, alte Entwürfe, die ihm von neuem gefielen. »Ja«, sagte er, indem er die Briefe zusammenfaltete, und sorgfältig in seine Schreibtafel legte, »es soll schon mit mir werden, weiß ich doch, daß mein Meister was von mir hält; warum will ich denn verzagen?«

Es war am folgenden Tage, an welchem das Erntefest gefeiert werden sollte. Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr gegen das frohe aufgeregte Menschengetümmel, er suchte die Freude auf, und war darum auch bei dem Feste zugegen. Er erinnerte sich einiger guten Kupferstiche von Albrecht Dürer, auf denen tanzende Bauern dargestellt waren, und die ihm sonst überaus gefallen hatten; er suchte nun beim Klange der Flöten diese possierlichen Gestalten wieder, und fand sie auch wirklich; er hatte hier Gelegenheit, zu bemerken, welche Natur Albrecht auch in diese Zeichnungen zu legen gewußt hatte.

Der Tag des Festes war ein schöner warmer Tag, an dem alle Stürme und rauhen Winde von freundlichen Engeln zurückgehalten wurden. Die Töne der Flöten und Hörner gingen wie eine liebliche Schar ruhig und ungestört durch die sanfte Luft hin. Die Freude auf der Wiese war allgemein, hier sah man tanzende Paare, dort scherzte und neckte sich ein junger Bauer mit seiner Liebsten, dort schwatzten die Alten und erinnerten sich ihrer Jugend. Die Gebüsche standen still und waren frisch grün und überaus anmutig, in der Ferne lagen krause Hügel mit Obstbäumen bekränzt. »Wie«, sagte Franz zu sich, »sucht ihr Schüler und Meister immer nach Gemälden, und wißt niemals recht, wo ihr sie suchen müßt? Warum fällt es keinem ein, sich mit seiner Staffelei unter einen solchen unbefangenen Haufen niederzusetzen, und uns auch einmal diese Natur ganz wie sie ist darzustellen? Keine abgerissene Fragmente aus der alten Historie und Göttergeschichte, die so oft weder Schmerz noch Freude in uns erregen, keine kalte Figuren aus der Legende, die uns oft gar nicht ansprechen, weil der Maler die heiligen Männer nicht selber vor sich sah, und er ohne Begeisterung arbeitete. Diese Gestalten, wörtlich so und ohne Abänderung niedergeschrieben, damit wir lernen, welche Schöne, welche Erquickung in der einfachen Natürlichkeit verborgen liegt. Warum schweift ihr immer in der weiten Ferne, und in einer staubbedeckten unkenntlichen Vorzeit herum, uns zu ergötzen? Ist die Erde, wie sie jetzt ist, keiner Darstellung mehr wert, und könnt ihr die Vorwelt malen, wenn ihr gleich noch so sehr wollt? Und wenn ihr größere Geister nun auch hohe Ehrfurcht in unser Herz hineinbannt, wenn eure Werke uns mit ernster feierlicher Stimme anreden: warum sollen nicht auch einmal die Strahlen einer weltlichen Freude aus einem Gemälde herausbrechen? Warum soll ich in einer freien herzlichen Stunde nicht auch einmal Bäuerlein, und ihre Spiele und Ergötzungen lieben? Dort werden wir beim Anblick der Bilder älter und klüger, hier kindischer und fröhlicher.«

So stritt Franz mit sich selber, und unterhielt seinen Geist mit seiner Kunst, wenn er gleich nicht arbeitete. Es konnte ihm überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wobei er nicht an Malereien gedacht hätte, denn es war schon frühe Gewohnheit, seine Beschäftigung in allem was er in der Natur oder unter Menschen sah und hörte, wiederzufinden. Alles gab ihm Antworten zurück, nirgend traf er eine Lücke, in der Einsamkeit sah ihm die Kunst zu, und in der Gesellschaft saß sie neben ihm, und er führte mit ihr stille Gespräche; darüber kam es aber auch, daß er so manches in der Welt gar nicht bemerkte, was weit einfältigern Gemütern ganz geläufig war, weshalb es auch geschah, daß ihn die beschränkten Leute leicht für unverständig oder albern hielten. Dafür bemerkte er aber manches, das jedem andern entging, und die Wahrheit und Feinheit seines Witzes setzte dann die Menschen oft in Erstaunen. So war Franz Sternbald um diese Zeit, ich weiß nicht ob ich sagen soll ein erwachsenes Kind, oder ein kindischer Erwachsener. O wohl dir, daß dir das Auge noch verhüllt ist über die Torheit und Armseligkeit der Menschen, daß du dir und deiner Liebe dich mit aller Unbefangenheit ergeben kannst! Seliges Leben, wenn der Mensch nur noch in sich lebt, und die übrigen umher nicht in sein Inneres einzudringen vermögen und ihn dadurch beherrschen. Es kommt bei den meisten eine Zeit, wo der Winter beständig in ihren Sommer hineinscheint, wo sie sich selbst vergessen, um es nur den andern Menschen recht zu machen, wo sie ihrem Geiste keine Opfer mehr bringen, sondern ihr eigenes Herz als Opfer auf den Altar der weltlichen Eitelkeiten niederlegen.

Als es Abend geworden war und der rote Schimmer bebend an den Gebüschen hing, war seine Empfindung sanfter und schöner geworden. Er wiederholte den Brief Dürers in seinen Gedanken, und zeichnete sich dabei die schönen Abendwolken in seinem Gedächtnisse ab. Er hatte sich im Garten in eine Laube zu einem frischen Bauermädchen gesetzt, das schon seit lange viel und lebhaft mit ihm gesprochen hatte. Jetzt lag das Abendrot auf ihren Wangen, er sah sie an, sie ihn, und er hätte sie gern geküßt, so schön kam sie ihm vor. Sie fragte ihn, wann er zu reisen gedächte, und es war das erstemal, daß er ungern von seiner Reise sprach. »Ist Italien weit von hier?« fragte die unwissende Gertrud.

»O ja«, sagte Franz, »manche Stadt, manches Dorf, mancher Berg liegt zwischen uns und Italien. Es wird noch lange währen, bis ich dort bin.«

»Und Ihr müßt dahin?« fragte Gertrud.

»Ich will und muß«, antwortete er; »ich denke dort viel zu lernen für meine Malerkunst. Manches alte Gebäude, manchen vortrefflichen Mann habe ich zu besuchen, manches zu tun und zu erfahren, ehe ich mich für einen Meister halten darf.«

»Aber Ihr kommt doch wieder?«

»Ich denke«, sagte Franz, »aber es kann lange währen, und dann ist hier vielleicht alles anders, dann bin ich hier längst vergessen, meine Freunde und Verwandten sind vielleicht gestorben, die Burschen und Mädchen, die eben so fröhlich singen, sind dann wohl alt und haben Kinder. Daß das Menschenleben so kurz ist, und daß in der Kürze dieses Lebens so viele und betrübte Verwandlungen mit uns vorgehn!«

Gertrud ward von ihren Eltern abgerufen und sie ging nach Hause, Franz blieb allein in der Laube. »Freilich«, sagte er zu sich, »ist es etwas Schönes, ruhig nur sich zu leben, und recht früh das stille Land aufzusuchen, wo wir einheimisch sein wollen. Wem die Ruhe gegönnt ist, der tut wohl daran; mir ist es nicht so. Ich muß erst älter werden, denn jetzt weiß ich selber noch nicht was ich will.«


 << zurück weiter >>