Ludwig Tieck
Franz Sternbalds Wanderungen
Ludwig Tieck

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Achtes Kapitel

Das Bildnis der Gräfin und des fremden Ritters war beendigt, sie war sehr zufrieden, und belohnte den Maler reichlicher, als es beide Freunde erwartet hatten.

Franz erstaunte oft in einsamen Stunden über sich selber, über die Ungenügsamkeit, die ihn peinigte. Er betrachtete dann mit wehmütiger Ungeduld das Bild seiner ehemaligen Geliebten, er wollte sie seiner Phantasie in aller vorigen Klarheit zurückzaubern, aber sein Geist und seine Sinne waren wie mit ehernen Banden in der Gegenwart festgehalten.

»Bravo!« sagte an einem Morgen Rudolph zu seinem Freunde, »du gefällst mir, denn ich sehe, du lernst von mir. Du ahmst mir nach, daß du auch eine Liebschaft hast, die deine Lebensgeister in Tätigkeit erhält, glaube mir, man kann im Leben durchaus nicht anders zurechtkommen. So aber verschönert sich uns jede Gegend, der Name der Dörfer und Städte wird uns teuer und bedeutend, unsre Einbildung wird mit lieblichen Bildern angefüllt, so daß wir uns allenthalben wie in einer ersehnten Heimat fühlen.«

»Aber wohin führt uns dieser Leichtsinn?« fragte Franz.

»Wohin?« rief Rudolph aus, »o mein Freund, verbittere dir nicht mit dergleichen Fragen deinen schönsten Lebensgenuß, denn wohin führt dich das Leben endlich?«

»Aber die Sinnlichkeit«, sagte Franz, »hörst du nicht jeden rechtlichen Menschen schlecht davon sprechen?«

»Oh, über die rechtlichen Menschen!« sagte Florestan lachend, »sie wissen selbst nicht, was sie wollen. Der Himmel gibt sich die Mühe, uns die Sinnen anzuschaffen, nun, so wollen wir uns deren auch nicht schämen, nach unserm löblichen Tode wollen wir uns dann mit des Himmels Beistand zur Freude besser gebärden.«

»Was war das für ein Mädchen«, fragte Franz, »das du in der Gegend von Antwerpen besuchtest?«

»Oh, das ist eine Geschichte«, antwortete jener, »die ich dir schon lange einmal habe erzählen wollen. Ich war vor einem Jahre auf der Reise, und ritt übers Feld, um schneller fortzukommen. Ich war müde, mein Pferd fing an zu hinken, die Meile kam uns unendlich lang vor. Ich sang ein Liedchen, ich besann mich auf hundert Schwänke, die mich in vielen andern Stunden erquickt hätten, aber alles war vergebens. Indem ich mich noch abquäle, sehe ich eine hübsche niederländische Bäuerin am Wege sitzen, die sich die Augen abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und sie erzählt mir mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit, daß sie schon so weit gegangen sei, sich nun zu müde fühle, noch zu ihren Eltern nach Hause zu kommen, und darum weine sie, wie billig. Die Dämmerung war indes schon eingebrochen, mein Entschluß war bald gefaßt: ohne weiter um Rat zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ sich eine Weile zureden, dann stieg sie hinauf, und setzte sich vor mich: ich hielt sie mit den Armen fest. Nun fing ich an, die Meile noch länger zu wünschen, der niedlichste Fuß schwebte vor mir, von der Bewegung entblößt, die frische rote Wange dicht an der meinigen, die freundlichen Augen mir nahe gegenüber. So zogen wir über das Feld, indem sie mir ihre Herkunft und Erziehung erzählte: wir wurden bald vertrauter, und sie sträubte sich gegen meine Küsse nicht mehr.

Nun wurde es Nacht, und die Bangigkeit, die sie erfüllte, erlaubte mir, dreister zu sein. Endlich kamen wir in der Nähe ihrer Behausung, sie stieg behende herunter, wir hatten schon unsre Abrede genommen. Sie eilte voraus, ich blieb eine Weile zurück, dann zwang ich mein Pferd, in einer Art von Galopp mit mir vor das Haus zu sprengen. Es war ein altes weitläuftiges Gebäude, das abseits vom übrigen Dorfe lag; das Mädchen kam mir entgegen, ich trat als ein verirrter Fremdling ein, und bat demütig um ein Nachtlager. Die Eltern bewilligten es mir gern, die Kleine spielte ihre Aufgabe gut durch, sie zeigte mir verstohlen, daß sie neben der Kammer schlafen würde, die man mir einräumte; sie wollte die Tür offen lassen. Das Abendessen, die umständlichen Gespräche wurden mir sehr lang, endlich ging alles schlafen, meine Freundin aber hatte in der Wirtschaft noch allerhand zu besorgen. Ich betrachtete indessen meine Kammer, sie führte auf der einen Seite nach dem Schlafzimmer des Mädchens, auf der andern in einen langen Gang, dessen äußerste Tür geöffnet war. Freundlich schien durch diese die runde Scheibe des Mondes, das schöne Licht lockt mich hinaus, ein Garten empfängt mich. Ich durchwandere auch diesen, gehe durch ein Gattertor, und verliere mich voller Erwartungen im Felde.

Man ist indessen sorgsam gewesen, alle Türen zu verschließen, es war das letzte Geschäft des Vaters, nach allen Riegeln im Hause zu sehn. Bestürzt komme ich zurück, die Gartentür ist verschlossen; ich rufe, ich klopfe, niemand hört mich, ich versuche überzusteigen, aber meine Mühe war vergebens. Ich verwünsche den Mond und die Schönheiten der Natur, ich sehe die Freundliche vor mir, die mich erwartet und mein Zögern nicht begreifen kann.

Unter Verwünschungen und unnützen Bemühungen sah ich mich genötigt, den Morgen auf dem freien Felde abzuwarten: alle Hunde wurden wach, aber kein Mensch hörte mich, der mich eingelassen hätte. Oh, wie segnete ich die ersten Strahlen des Frührots! Die Alten bedauerten mein Unglück, das Mädchen war so verdrüßlich, daß sie anfangs nicht mit mir sprechen wollte, ich versöhnte sie aber endlich, ich mußte fort, und versprach ihr, auf meiner Rückreise von England sie gewiß wieder zu besuchen. Und du sahst damals, daß ich ihr auch Wort hielt.

Ich kam an: schon sah ich mit Verdruß und klopfendem Herzen den Garten mit der mir so wohlbekannten Mauer, schon suchte mein Auge das Mädchen, aber die Sachen hatten sich indessen sehr verändert. Sie war verheiratet, sie wohnte in einem andern Hause, und was das Schlimmste war, sie liebte sogar ihren Mann; als ich sie besuchte, bat sie mich mit der höchsten Angst, doch ja je eher je lieber wieder fortzugehn. Ich gehorchte ihr, um ihr Glück nicht zu stören. – Siehst du, mein Freund, das ist die unbedeutende Geschichte einer Bekanntschaft, die sich ganz anders endigte, als ich erwartet hatte.«

»Dir geschieht schon recht«, sagte Franz, »wenn du manchmal für deinen übertriebenen Mutwillen bestraft wirst.«

»Oh, daß ihr allenthalben Übertreibungen findet!« rief Florestan aus, »ihr seid immer besorgt, euch in allen Gedanken und Gefühlen zu mäßigen. Aber es gelingt niemals und ist unmöglich, in einem Gebiete zu messen und zu wägen, wo kein Maß und Gewicht anerkannt wird. Es freut mich, dich auch einmal verliebt zu sehn.«

Franz sagte: »Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin, aber du ängstigest mich mit deinen Reden; wozu wäre es auch, da wir so bald abreisen müssen?«

Florestan lachte, und gab ihm gar keine Antwort. – »Nun, wie haben dir die neulichen Lieder gefallen?« sagte er, »und die Lichter, der Wald? Nicht wahr, es war der Mühe wert, fröhlich zu sein?«

»Du marterst mich nur«, sagte Sternbald, als Rudolph geendigt hatte, »sprich wie du willst, ich werde niemals deiner Meinung sein. Man kann sich in einem leichtsinnigen Augenblicke vergessen, aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über sich selbst einräumt, so erniedrigt man sich dadurch unter sich selbst.«

»Du willst ein Maler sein, und sprichst so?« rief Rudolph aus, »oh, laß ja die Kunst fahren, wenn dir deine Sinnen nicht lieber sind, denn durch diese allein vermagst du die Rührungen hervorzubringen. Was wollt ihr mit allen euren Farben darstellen und ausrichten, als die Sinnen auf die schönste Weise ergötzen? Durch nichts kann der Künstler unsre Phantasie so gefangennehmen, als durch den Reiz der vollendeten Schönheit, das ist es, was wir in allen Formen entdecken wollen, wonach unser gieriges Auge allenthalben sucht. Wenn wir sie finden, so sind es auch nicht die Sinne allein, die in Bewegung sind, sondern alle unsre Entzückungen erschüttern uns auf einmal auf die lieblichste Weise. Der freie unverhüllte Körper ist der höchste Triumph der Kunst, denn was sollen mir jene beschleierten Gestalten? Warum treten sie nicht aus ihren Gewändern heraus, die sie ängstigen und sind sie selbst? Gewand ist höchstens nur Zugabe, Nebenschönheit. Das griechische Altertum verkündigt sich in seinen nackten Figuren am göttlichsten und menschlichsten. Die Dezenz unsers gemeinen prosaischen Lebens ist in der Kunst unerlaubt, dort in den heitern, reinen Regionen ist sie ungeziemlich, sie ist unter uns selbst das Dokument unsrer Gemeinheit und Unsittlichkeit. Der Künstler darf seine Bekanntschaft mit ihr nicht verraten, oder er gibt zu erkennen, daß ihm die Kunst nicht das Liebste und Beste ist, er gesteht, daß er sich nicht ganz aussprechen darf, und doch ist sein verschlossenes Innerstes gerade das, was wir von ihm begehren.«

In einigen Tagen war ihre Abreise beschlossen; die Gräfin hatte den versprochenen Brief an die italienische Familie geschrieben, den Sternbald mit großer Gleichgültigkeit in seine Brieftasche legte; er zeigte ihn auch seinem Freunde nicht, sondern war sogar ungewiß, ob er ihn abgeben solle.

Als sie das Schloß verlassen hatten, als beide Freunde sich auf der weiten Heerstraße befanden, war Rudolph nachdenklich, weniger fröhlich und leichtsinnig, als man ihn sonst sah, er schien Erinnerungen zu bekämpfen, die ihn beinahe schwermütig machten.

»Kein Mensch«, rief er endlich aus, »kann seine frohe Laune verbürgen, es kommen Augenblicke und Empfindungen, die ihn wie in einem Kerker verschließen, und ihn nicht wieder freigeben wollen. Ich denke eben daran, wie ohne Not und ohne Zweck ich mich hier herumtreibe, und indessen das vernachlässige, was doch das einzige Glück in der Welt ist. Wahrlich, ich könnte in manchen Augenblicken so schwermütig sein, daß ich weinte, oder tiefsinnige Elegien niederschriebe, daß ich auf meinen Instrumenten Töne hervorsuchte, die in Steine und Felsen Mitleiden hineinzwängen. Oh, mein Freund, wir wollen uns nicht mit unnützem Gram den gegenwärtigen Augenblick verkümmern, diese Gegenwart, in der wir jetzt sind, kömmt nicht zum zweiten Male wieder, mag doch ein jeder Tag für das Seine sorgen.«

Es wurde Abend, ein schöner Himmel erglänzte mit seinen wunderbaren, buntgefärbten Wolkenbildern über ihnen. »Sieh«, fuhr Rudolph fort, »wenn ihr Maler mir dergleichen darstellen könntet, so wollte ich euch oft eure beweglichen Historien, eure leidenschaftlichen und verwirrten Darstellungen mit allen unzähligen Figuren erlassen. Meine Seele sollte sich an diesen grellen Farben ohne Zusammenhang, an diesen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und genügen, ich würde da Handlung, Leidenschaft, Komposition und alles gern vermissen, wenn ihr mir, wie die gütige Natur heute tut, so mit rosenrotem Schlüssel die Heimat aufschließen könntet, wo die Ahndungen der Kindheit wohnen, das glänzende Land, wo in dem grünen, azurnen Meere die goldensten Träume schwimmen, wo Lichtgestalten zwischen feurigen Blumen gehn und uns die Hände reichen, die wir an unser Herz drücken möchten. Oh, mein Freund, wenn ihr doch diese wunderliche Musik, die der Himmel heute dichtet, in eure Malerei hineinlocken könntet! Aber euch fehlen Farben, und Bedeutung im gewöhnlichen Sinne ist leider eine Bedingung eurer Kunst.«

»Ich verstehe, wie du es meinst«, sagte Sternbald, »und die freundlichen Himmelslichter entwanken und entfliehen, indem wir sprechen. Wenn du auf der Harfe musizierst, und mit den Fingern die Töne suchst, die mit deinen Phantasien verbrüdert sind, so daß beide sich gegenseitig erkennen, und nun Töne und Phantasie in der Umarmung gleichsam entzückt immer höher, immer mehr himmelwärts jauchzen, so hast du mir schon oft gesagt, daß die Musik die erste, die unmittelbarste, die kühnste von allen Künsten sei, daß sie einzig das Herz habe, das auszusprechen, was man ihr anvertraut, da die übrigen ihren Auftrag immer nur halb ausrichten, und das Beste verschweigen: ich habe dir so oft recht geben müssen, aber, mein Freund, ich glaube darum doch, daß sich Musik, Poesie und Malerei oft die Hand bieten, ja daß sie oft ein und dasselbe auf ihren Wegen ausrichten können. Freilich ist es nicht nötig, daß immer nur Handlung, Begebenheit mein Gemüt entzücke, ja es scheint mir sogar schwer zu bestimmen, ob in diesem Gebiete unsre Kunst ihre schönsten Lorbeern antreffe: allein erinnere dich nur selbst der schönen, stillen, heiligen Familien, die wir angetroffen haben; liegt nicht in einigen unendlich viele Musik, wie du es nennen willst. Ist in ihnen die Religion, das Heil der Welt, die Anbetung des Höchsten nicht wie in einem Kindergespräche offenbart und ausgedrückt? Ich habe bei den Figuren nicht bloß an die Figuren gedacht, die Gruppierung war mir nur Nebensache, ja auch der Ausdruck der Mienen, insofern ich ihn auf die gegenwärtige Geschichte, auf den wirklichen Zusammenhang bezog. Der Maler hat hier Gelegenheit, die Einbildung in sich selbst zu erregen, ohne sie durch Geschichte, durch Beziehung vorzubereiten.«

»Am meisten ist mir das, was ich so oft von der Malerei wünsche, bei allegorischen Gemälden einleuchtend«, sagte Rudolph.

»Gut, daß du mich daran erinnerst!« rief Franz aus, »hier ist recht der Ort, wo der Maler seine große Imagination, seinen Sinn für die Magie der Kunst offenbaren kann: hier kann er gleichsam über die Grenzen seiner Kunst hinausschreiten, und mit dem Dichter wetteifern. Die Begebenheit, die Figuren sind ihm nur Nebensache, und doch machen sie das Bild, es ist Ruhe und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die Kühnheit der Gedanken, der Zusammensetzung findet erst hier ihren rechten Platz. Ich habe es ungern gehört, daß man diesen Gedichten so oft den Mangel an Zierlichkeit vorrückt, daß man hier tätige Bewegung und schnellen Reiz einer Handlung fordert, wenn sie statt eines einzelnen Menschen die Menschheit ausdrücken, statt eines Vorfalls eine erhabene Ruhe. Gerade diese anscheinende Kälte, die Unbiegsamkeit im Stoffe ist das, was mir so oft einen wehmütigen Schauder bei der Betrachtung erregte: daß hier allgemeine Begriffe in sinnlichen Gestalten mit so ernster Bedeutung aufgestellt sind, Kind und Greis in ihren Empfindungen vereinigt, daß das Ganze unzusammenhängend erscheint, wie das menschliche Leben, und doch eins um des andern notwendig ist, wie man auch im Leben nichts aus seiner Verkettung reißen darf, alles dies ist mir immer ungemein erhaben erschienen.«


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