Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Zehntes Kapitel

Eine Vorlesung

Der Amtmann Sintmal hatte jetzt gerade Zeit, und er blieb daher einige Tage bei mir. – Der Unbekannte war bei unserm Frühstücke gegenwärtig, wir hatten ihn vorher im Garten schreiben sehn, und er bat jetzt um die Erlaubnis, uns das Geschriebene vorlesen zu dürfen. Er las hierauf folgendes Gedicht:

Wo seid ihr hin, ihr schönen Ideale,
Ihr goldnen Spiele meiner Jugend Lust?
Sie ist geleert, die süße Nektarschale
Der Phantasie! und kalt ist meine Brust!

Ich tapp umher, und kann es nicht erlangen,
Was ich besaß – es schwebt mir wie im Traum: –
Ich irre, dumpf – von öder Nacht umfangen –
Und meine Freunde kennen mich noch kaum. –

Wer war ich einst? Wer bin ich jetzt? O Schande!
War ich's, der mein Gefühl im Dichter las?
Er spricht mir jetzt von einem fremden Lande –
O wehe, daß ich Mensch zu sein, vergaß! –

Ach! führe mich zu deiner Himmelsquelle,
Du, vormals meine Göttin, Phantasie,
Zu jener heitern, schönen Ruhestelle,
Die meine frohe Jugend mir verlieh.

Und mächtig greif in die verstummten Saiten,
Die einst Natur in meinen Busen zog –
Und schließe wieder auf die Göttlichkeiten
In meiner Brust, um die ich mich betrog. –

Vergebens! ach! sie höret nicht den Armen,
Der einmal nur ihr Feenreich verließ:
Nie wieder wird an ihrer Sonn erwarmen,
Wer sich von ihr in kalte Nacht verstieß. –

Es ist dahin! – Nun, Himmel! nun so türme
Mir Leid und Trübsal auf, die Herzen regt,
Und jage mich durch Ungewitterstürme,
Daß mein Gemüt nur endlich Wellen schlägt!

Ich fand die Arbeit sehr gut, und weil mir das gestrige Gespräch über den Fremden noch im Kopfe lag, übertrieb ich manches.

Sintmal stimmte mir im ganzen bei, nur mag er gern die Sachen so lange beschneiden und beschränken, aus Furcht zu viel zu sagen, daß er manchmal am Ende gar nichts sagt. – Mein Schwiegervater hatte gegen das Gedicht vieles einzuwenden.

»Es ist alles recht hübsch gesagt«, fing er an, »aber es sind am Ende doch mehr gereimte Worte, als ein eigentliches Gedicht.«

Ich: Aber warum wollen Sie es kein Gedicht nennen?

Martin: Ich kann es selbst nicht so eigentlich sagen, allein es ist mir ein gewisses gesuchtes Wesen, eine erzwungene Pracht darin. Die Empfindung ist vielleicht natürlich und ungesucht, allein die Ausdrücke sind so weit hergeholt. Ich kann es überhaupt gar nicht leiden, wenn man die Poesie immer nur für eine übersetzte, affektierte Prosa hält, sie müßte so natürlich sein, daß man meinte, es könnte und müßte gar nicht anders geschrieben werden. Aber da sitzt mein Sohn und zerbeißt sich oft die Finger, und statt lieber nicht zu schreiben, quält er sich so lange, bis er endlich ein Gedicht hervorgebracht hat, das denn doch wirklich in Versen abgesetzt ist.

Sintmal: Aber die Natur macht es doch nicht allein aus, es muß denn doch auch Kunst darin stecken.

Martin: Die Kunst kömmt mir immer gerade so vor, wie die Gedichte, die ich in einem ganz alten Buche in der Form von Weingläsern oder Holzäxten gesehn habe; es reimte sich alles auf eine wunderbare Weise, und die Worte brachten ordentlich die Figur heraus, aber es kam mir doch mehr albern, als kunstmäßig vor.

Sintmal: Man kann auch vielleicht die Natürlichkeit zu sehr lieben.

Martin: Das kann ich unmöglich glauben.

Sintmal: Und die Kunst muß am Ende von der Natur abweichen, um Kunst zu sein.

Martin: Es ist möglich, und dann bin ich kein Kunstfreund.

Ich: Ebensowenig ein Kritiker.

Martin: Ei bewahre, nur ein simpler Mensch, der gern etwas Gutes lieset.

Ich: Aber eben den Begriff des Guten – wir drehen uns da in einem Zirkel.

Martin: Wir wollen lieber spazierengehn.

Wir durchstrichen hierauf den Garten und die schönen benachbarten Wiesen.


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