Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Viertes Kapitel

Ich trete als Hofmeister auf

Ich zog mein bestes Kleid an, überlegte meine Komplimente und ließ mich beim Präsidenten melden. Ich hatte nicht sehr lange im Vorzimmer gewartet, als ein ziemlich großer und ziemlich starker Mann mit einer trocken freundlichen Miene hereintrat und sich nach den ersten Verbeugungen freute mich kennenzulernen und daß ich angekommen sei. Ich erwiderte, beides sei meine Schuldigkeit, und auf seinen Befehl geschehen, wobei ich die Verbeugungen nicht sparte, und in einer unaufhörlichen Verlegenheit war.

»Der Professor X...«, sagte der Präsident sehr verbindlich, »hat mir viel von Ihren Talenten und Kenntnissen gesagt und auf seine Empfehlung –«

Ich ward rot, verbeugte mich und hustete.

»Und ich hoffe, daß Sie meine Erwartungen nicht –«

Ich hustete stärker, ward noch roter und verbeugte mich noch tiefer.

»Ich schätze mich also glücklich, daß ein junger Mann –«

Ich brachte in meinem Husten so viele Variationen an, als nur irgend möglich war.

Es wird selten der Fall sein, daß, wenn jemand recht sehr verlegen ist, es nicht auch der andre werden sollte, der mit ihm spricht. Die Verlegenheit ist ebenso ansteckend, wie Lachen, Melancholie, Gähnen und der Schnupfen. Der Präsident erwartete eine große Menge von Gegenkomplimenten, und da diese ausblieben, mein Katarrh und die Röte in meinem Gesicht aber mit jeder Sekunde zunahmen, ich mich auch einigemal beim Ausscharren in die Fußdecke verwickelte, und er wahrscheinlich fürchtete, ich würde mich aus lauter Bescheidenheit noch zuletzt in den Wandspiegel retirieren: so wußte er am Ende selber nicht recht, was er sprechen sollte; er sahe sich genötigt, von meinen Lobeserhebungen abzubrechen und das Gespräch auf meine Reise zu lenken.

Nun hatte ich mir freilich wohl eine ganze Stunde vorher den Kopf zerbrochen, was ich dem Präsidenten sagen wollte, und es fehlte mir wahrlich nicht an Schmeicheleien und Komplimenten; aber mit einem Komplimente gut umzugehn, ist ebenso schwer, wie mit einem Waldhorn. Wer es nicht zu blasen versteht, mag es zehnmal an den Mund setzen, es bleibt stumm; oder bringt man ja einen Ton heraus, so erscheint, statt der süßen Akzente ein so rauher, unfreundlicher Schall, daß man sich die Ohren zuhält. – Ich habe oft Leute, die Sottisen sehr kaltblütig und witzig beantworten konnten, bei einem ungeschickt angebrachten Komplimente so rot werden sehn, daß ich mich in ihre Seele schämte; wie viele Feindschaften sind nicht schon entstanden, weil jemand dem andern eine Süßigkeit von der verkehrten Seite präsentiert hat!

So tat mir nun wahrlich von allen den schönen Sachen, die ich sagen wollte, die Zungenspitze weh. Ich hoffte immer noch einen Nebenweg zu finden, wo ich einlenken könnte; aber vergebens, das Gespräch ging stets geradeaus. – Die Sache war, daß ich mir den Präsidenten ganz anders vorgestellt hatte, als ich ihn fand. Ich hatte mir ihn als einen steifen, trocknen, stolzen alten Mann gedacht; ich hatte mir daher eine Menge captationes benevolentiae gedrechselt, um ihn mir geneigt zu machen, ich hatte Umwege zu seinem Herzen gesucht, so richtig auf Menschenkenntnis und die gewöhnlichen Vorurteile des Adels kalkuliert, so fein und neu, daß es mir eine herzliche Freude gemacht hatte. Dabei war ich mir so groß und hoch über ihm erhaben vorgekommen, daß ich seine Schwächen zu meinem Vorteil zu nutzen verstehe und ihn dennoch glauben mache, wie sehr ich ihn verehre. Und nun alles gerade umgekehrt! – Er tritt mir zuvorkommend entgegen, er ist freundlich und sagt mir eine Höflichkeit über die andre, er scheint zu glauben, daß ich ihm mit meiner Reise den größten Gefallen von der Welt getan habe: dadurch, daß ich auf diese Art erhoben ward, sank ich in mir selbst ganz unbeschreiblich. Ich wußte meine Rolle vortrefflich auswendig, aber als ich auf das Theater trat, ward ein andres Stück gegeben, und ich war nicht Schauspieler genug, um aus dem Stegreife gut zu spielen.

Ich erzählte nun meine Reise so interessant, als es mir nur immer möglich war, der Präsident schien auch Vergnügen daran zu finden, endlich kam er wieder auf die Ursache meiner Reise zurück.

»Ich glaube«, sagte er, »daß man einem Manne von Talenten, der die Erziehung der Kinder übernimmt, nie genug danken könne. Ich finde es also billig, daß man ihm seine Lage, die sehr viele Unannehmlichkeiten hat, so angenehm als möglich mache; Sie wohnen natürlicherweise in meinem Hause und essen an meinem Tische. Die übrigen Bedürfnisse erhalten Sie ebenfalls und außerdem jährlich zweihundert Taler. – Sind Sie damit zufrieden?«

Wer war zufriedener, als ich, und ich glaube, daß mich viele Hofmeister beneiden werden.

»Ich habe zwei Söhne«, fuhr der Präsident fort, »die beide sehr gut geartet sind, und deren Liebe und Zuneigung Sie sich also sehr bald erwerben werden. Sie werden die Neigungen und den Charakter eines jeden kennenlernen und ihn darnach behandeln; ich traue Ihnen Menschenkenntnis genug zu –«

Ich war unschlüssig, ob ich rot werden sollte. –

»Um mit Kindern richtig zu verfahren, die es noch nicht gelernt haben sich zu maskieren.«

Ich ward bis über die Ohren rot.

»Den Jüngsten werden Sie etwas wild und ausgelassen finden, aber er ist nichts weniger als boshaft, und der Älteste, darf ich ungescheut behaupten, ist ein ganz vorzüglicher Kopf, ein wahres Genie; Sie werden selbst über den Knaben erstaunen, er hat für seine Jahre schon außerordentlich viel geleistet. – Ich habe außerdem noch eine Tochter, für die ich aber eine besondere Erzieherin habe. – Ich hoffe, meine Söhne sollen unter Ihrer Leitung bald sehr weit kommen.«

Ich verbeugte mich wieder: der Präsident ging in sein Zimmer und ich in meinen Gasthof zurück. Ich zog noch an demselben Tage in das Haus des Präsidenten und machte meine Einrichtungen: am folgenden Morgen sollte ich den Kindern und der Frau Gemahlin vorgestellt werden.

Ich setzte mich in einen Sessel und betrachtete die eleganten Möbeln meines Zimmers, dann überlegte ich meine Lage und zukünftigen Pflichten. – Der Präsident war ein gütiger Mann, er hatte mir auch eine Stelle versprochen, wenn ich mehrere Jahre das Amt eines Pädagogen verwaltet hatte, von seiner Großmut konnte ich eine etwas mehr als mittelmäßige Versorgung erwarten. Die Perspektive meines Lebens war in der Tat die heiterste.

Meine Bestimmung kam mir groß und ehrenvoll vor. Ich ließ durch meinen Kopf noch einmal die pädagogischen Bemerkungen gehn, die ich entweder gelesen, oder selbst gemacht hatte, um sie in meiner jetzigen Lage anzuwenden. Ich nahm mir vor, ein völliges System zu erbauen, nach welchem ich meine Zöglinge zu edlen, großen und verständigen Menschen bildete, und ich fiel gar nicht auf die Frage: ob ich die rechte Bedeutung dieser drei Worte auch wohl verstehe? – Der älteste Sohn war ein Genie – was ließ sich von diesem nicht alles erwarten? Ich konnte wohl gar so glücklich sein, der Hofmeister eines Menschen zu werden, der eine Epoche in der Weltgeschichte machte. – Ich legte mich erst spät mit den angenehmsten Vorstellungen schlafen und erwartete sehnlichst den andern Morgen.

Hätte ich freilich damals schon gewußt, daß es in jeder Familie wenigstens ein Genie gibt, so wäre vielleicht vieles Große von meinen stolzen Träumen zusammengesunken.


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