Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Siebentes Kapitel

Liebesgeständnisse

Es fing jetzt eine Periode meines Lebens an, in welcher ich einen Tag nach dem andern verträumte, ohne die große Summe zusammenzuzählen, die aus diesen einzelnen Tagen endlich entstand. Das Geschäft meines Lebens schien mir nur darin zu bestehen, die schöne Louise Wertheim zu lieben: müßig kam ich mir nur dann vor, wenn ich sie nicht sahe. Man mochte mir ein Geschäft auftragen, welches man wollte, man mochte mit mir sprechen, was man wollte, es mochte vorfallen, was da wollte, so waren meine Gedanken doch stets und unaufhörlich nach ihr hin gerichtet; so wie die Nadel des Kompasses stets nach Norden zeigt, man mag ihn auch drehen und wenden, wie man will.

Ich war itzt schon seit einem Jahre im Hause des Präsidenten. Ich hielt täglich Lehrstunden mit meinen Zöglingen, die freilich mit jedem Tage etwas mehr lernten, aber nichts weniger als außerordentliche Talente zeigten; ich sah täglich den Präsidenten und seine Gemahlin und was mir vorzüglich wichtig war, täglich Louisen. Ich fing jetzt an zu bemerken, daß sie mich allen ihren übrigen Bekanntschaften vorzog, daß sich ihr Gesicht jedesmal erheiterte, wenn ich im Garten oder im Zimmer zu ihr trat. Ich überlegte, um welche Zeit ich wohl imstande sein würde, ihr, als der Gebieterin meines Herzens, ein Glück anzubieten, das nicht ganz unter dem Mittelmäßigen sei: es war das erstemal in meinem Leben, daß ich Plane machte und an die Zukunft dachte; aber die Liebe, die so oft blind ist, öffnet uns auch sehr oft die Augen über manche Gegenstände, bei denen wir sonst immer vorbeigegangen sein würden, ohne sie zu bemerken.

Zuweilen kam sie mir so liebenswürdig vor, daß ich ihr in der größten Gesellschaft hätte um den Hals fallen mögen, mit ihr vor den Altar treten, und meine Hand in die ihrige legen lassen. Aber mir fiel noch glücklicherweise in meinem Enthusiasmus jedesmal ein, daß man mich für einen ausgemachten Narren halten würde. Fremde Augen sehn immer in unsre Liebe durch ein schlecht geschliffenes Glas hinein, alle Gegenstände erscheinen ihnen dunkel, verkehrt und zerrissen.

Ich hatte seit einem Jahre Louisen geliebt, und schmeichelte mir schon seit lange mit ihrer Gegenliebe. Aber unerachtet unsrer täglichen Zusammenkünfte waren wir noch gar nicht darauf gefallen, uns gegeneinander zu erklären; ich nahm mir an einem schönen Tage recht fest vor, ganz gründlich von meiner Geliebten selbst zu erfahren, wie ich mit ihr stehe. Der Präsident war mit seiner Frau gerade ausgefahren, der Herr von Bärenklau war auf einige Tage verreist, um einen kranken Onkel zu besuchen, ich war mit Louisen im Hause allein und hatte so die beste Gelegenheit, mich ungestört mit ihr über einen Punkt zu erklären, der mir so außerordentlich wichtig war.

Ich las ihr oft vor und wir hatten auch den heutigen Nachmittag zu einer poetischen Geistesergötzung bestimmt. Ich war in einem ungewöhnlichen Feuer und meine Art zu deklamieren brachte es bald dahin, daß sich die schönen Augen Louisens mit Tränen füllten, sie beweinte den unglücklichen erdichteten Helden der Geschichte so aufrichtig, wie nur selten ein wirklich Elender beweint wird. Ich ward durch ihre Rührung gerührt, unsre tränennassen Blicke begegneten sich, weit weg ward plötzlich das Buch mit allen seinen Unglücksfällen und Liebesseufzern geworfen, ich lag an ihrem Halse und gestand ihr meine Liebe, die Versicherung ihrer Gegenliebe zitterte auf ihren schönen Lippen. Die Poesie war nur ein Prolog unsrer Empfindungen gewesen, ein aufgegebenes Thema, das wir jetzt schöner und geistreicher aus dem Stegereife durchführten.

Was sagten und erzählten wir uns nicht einander! Keine Ausrufungen der Freude, keine Seufzer und zärtlichen Händedrücke wurden gespart, manche Sachen, die sich von selbst verstanden, sagten wir uns tausendmal und wiederholten sie immer von neuem, ohne im Gegenteil nach der Erklärung einiger poetischen Phrasen zu fragen, die der offenbarste Unsinn waren. Das Gespräch zweier Liebenden ist wie die Melodie der Äolusharfe, stets dieselben Töne ohne Rhythmus und Anordnung, die aber trotz ihrer Einförmigkeit dem Ohre in einer schönen Gegend wohltun.

Den Beschluß unsrer Erklärungen machten zärtliche und wechselseitige Küsse. Der Kuß ist von jeher das Siegel aller verliebten Versprechungen gewesen, das sicherste Unterpfand der Zärtlichkeit. Der Kuß ist das, wonach der Liebhaber Jahre hindurch schmachtet, und während sich die Lippen noch berühren, schon nach einem neuen Kusse dürstet. Wenn man die Liebe mit einer Pflanze vergleichen will, so ist der Kuß die Blume der Liebe, schöner und reizender wie die Frucht, zu welcher sich endlich die Blüte entwickelt. – Ich habe oft darüber nachgedacht, worin das Entzückende, das Seelenerhebende in der Berührung einer männlichen und weiblichen Lippe liegen könne, aber bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, dem bezaubernden Geheimnisse auf die Spur zu kommen: so wie die oberste Spitze unsers geistigen Menschen offenbar im Kopfe zu suchen ist, so scheint sich die feinste Spitze unsrer Sinnlichkeit in den Lippen zu befinden. Es ist vielleicht unmöglich, hier tiefer einzudringen, ich wenigstens gebe es völlig auf, hierüber je eine gründliche und kritische Abhandlung zu schreiben.

Unsre Seelen waren nun durch einen förmlichen Kontrakt einverstanden, meine eifrigsten Wünsche waren erfüllt, die ganze Zukunft meines Lebens lag wie ein rotblühendes Rosental vor mir, wo eine aufbrechende Knospe die andre drängt, und ein Abblühen der schönen Gebüsche unmöglich macht.

Ich entwarf nun in der Einsamkeit paradiesische Plane meiner zukünftigen Ehe, ein großes Gewebe breitete sich vor meiner Seele aus, ganz aus goldenen Träumen gewirkt. – Wenn der Verliebte einmal in das Gebiet der Poesie hineingeraten ist, so ist es unmöglich, ihn in die Prosa des gewöhnlichen Lebens herunterzuziehn. Er ist wie ein Luftball, der sich den festhaltenden Stricken entrissen hat; geduldig müssen die Zuschauer unten warten, bis die leichte Luft nach und nach aus ihm verflogen ist und er von selbst auf die Erde zurückfällt.


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