Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Funfzehntes Kapitel

Reisebeschreibung

Ich komme nun endlich zu einem Kapitel, auf das ich mich schon vom Anfange meines Buchs gefreut hatte, weil es eigentlich das werden sollte, welches meiner Erzählung ihren eigentlichen Wert und ihre Nutzbarkeit geben sollte: und nun ich endlich so weit gekommen bin, weiß ich nicht recht, was ich mit diesem Kapitel anfangen soll. Ganz auslassen möcht ich es nicht gern, und doch weiß ich nicht eigentlich, was ich erzählen soll. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, hier eine gründliche statistische Nachricht von ganz Europa einzuschalten, um dadurch mein Buch für die lesebegierige Jugend recht nützlich und anziehend zu machen, mir auch daneben die naseweisen Anmerkungen mancher Rezensenten abzuweisen, daß meine ganze Erzählung keinen eigentlichen praktischen Nutzen habe. Ich hatte mir schon alle Bücher zurechtgelegt, die ich hier ausschreiben wollte, als mir zu meinem größten Unglücke einige Bedenklichkeiten einfielen.

Die gefährlichste Klippe eines Schriftstellers ist Langeweile; wer vor dieser glücklich vorbeisegelt, hat immer schon einen sehr großen Vorteil gewonnen, wenn sein Schiff auch nur mit Ballast geladen sein sollte. Ich fürchtete also, und wahrscheinlich sehr mit Recht, daß diese vortreffliche Ladung für mein kleines Fahrzeug zu schwer sein würde, und ließ alles liegen.

Ich will also nur ohne alle geographische und statistische Nachrichten erzählen, daß ich zuerst Deutschland, mein geliebtes Vaterland, durchreiste. Man könnte mich am Ende für einen gefährlichen Menschen halten, wenn ich von diesem Lande nicht alles Gute sagte und darum will ich lieber gar nichts davon sagen.

In Frankreich mißfielen mir die Reichen und jammerten mich die Armen: vor lauter bon ton konnte man mit niemand umgehn. Ich hielt mich aber doch ziemlich lange in diesem Lande auf, weil es mir im ganzen außerordentlich gefiel.

Daß ich mich verleiten ließ, über die Pyrenäen zu gehn, um dem altfränkischen, rechtgläubigen, hausmütterlich faulen Spanien einen Besuch abzustatten, mag mir der Himmel vergeben, denn es gereut mich noch am heutigen Tage. Ich war in einer unaufhörlichen Angst vor der heiligen Inquisition; ein paarmal ward ich auf der öffentlichen Landstraße beraubt, und zwar von denselben Leuten, die ich für mein Geld angenommen hatte, um mich gegen Räuber zu schützen.

In Italien hatte ich mancherlei Abenteuer, die aber zu weitläuftig sind, als daß ich sie hier erzählen könnte. Von den Antiken habe ich viel gelitten; ich ließ mir zum Unglücke einfallen, ein Kunstkenner zu werden, und da bin ich um vieles Geld betrogen worden. Eine Menge ganz moderne Antiken stehn noch immer in meinem Studierzimmer und predigen mir unaufhörlich die Wahrheit: »Was deines Amts nicht ist, da laß deinen Fürwitz!« – Indessen, was hätte ich auch Großes damit anfangen können, wenn alle die Onyxe und Carniole, die ich besitze, nun auch wirklich unter August oder Tiber geschnitten wären? Sie kommen mir jedesmal, wenn ich sie betrachte, recht niedlich vor, und so habe ich ihnen denn den Fehler, für den sie gar nicht können, vergeben: daß nämlich das Altertum nicht an ihnen klebt. – Doch betrachte ich einen schöngeschnittenen Käfer immer mit einer vorzüglichen Ehrfurcht, weil ich von diesem glaube, daß er echt ist: er hat vielleicht vor zweitausend Jahren einmal an einer ägyptischen Kinderklapper seine Rolle gespielt. – In Neapel wär ich fast erstochen worden, weil man eifersüchtig auf mich war, doch kam ich durch einen Zufall noch mit dem Leben davon: oh, der Zufall ist ein herrliches Ding, ihm hat der Leser diese ganze Geschichte zu danken, denn wäre ich in Neapel erstochen worden, so hätte ich höchstens ein Gespräch im Reiche der Toten schreiben können, und die sind jetzt aus der Mode gekommen.

Ich reiste über Frankreich zurück und von da nach England. Die ganze Insel ist voll von seltsamen Leuten, ein gutes Volk und ein böses, je nachdem man es gerade trifft, oder macht; phlegmatisch und voll Enthusiasmus. – Ich besah alle Merkwürdigkeiten des Landes, aber nirgends schlug in mir mein Herz so hoch und so ungestüm, als in dem Hause, in welchem Shakespeare geboren ist. Ich sah im Geiste den großen Sterblichen dort durch die Zimmer gehn; ich belauschte ihn bei seinen Arbeiten, die seiner Feder entflossen zu sein schienen, ohne daß er selbst ihr hohes Gepräge, ihre Göttlichkeit geahndet hat. – Es gab mir einen Stich ins Herz, als ich vor der Kirche in Stratford vorbeiging, in welcher seine Asche ruht, daß auch er, wie der Elendeste seines Geschlechts, durch das Leben hat hindurchgehen müssen, ohne daß wir es begreifen können, wohin er gegangen ist.

Ich wollte nicht weiter nach Norden reisen, weil ich einen großen Abscheu vor dem Froste habe; ich beschloß also, in mein Vaterland zurückzukehren.

Allenthalben machte ich die Erfahrungen, die Scarmentado auf seinen Reisen gemacht hat. Es ist also überflüssig, wenn ich noch ein Wort über meine Wanderungen sage.


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