Ludwig Thoma
Nachbarsleute
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kaspar Asam

Hinauf und hinunter führte der Lebensweg des Kaspar Asam; aus einer verachteten Jugend bis zu der Glücksmöglichkeit, daß ihn Magistrat und Behörden beneiden mußten, und wieder zurück in das Dunkel der Armut.

Er wuchs in der Vorstadt auf. Die Häuser der gutsituierten Bürger lagen hoch über seiner Geburtstätte und sahen nur mit den ungepflegten Hinterfronten zu ihr herunter, und dies war gewissermaßen sinnbildlich für die Einschätzung, welche seiner Herkunft zuteil wurde.

Sein Vater Bartholomäus Asam übertrug auf ihn keinerlei Grundsätze, sondern überschattete seine Kinderjahre durch das öffentliche Mißtrauen, mit dem er behaftet war. Er trieb Handel mit Goldfischen, Stallhasen und Meerschweinchen und gedieh bei dieser Beschäftigung so merkwürdig, daß es allen bisherigen Anschauungen widersprach.

Wenn es mit rechten Dingen zuging, mußte Bartholomäus Asam ein kümmerlicher Mensch sein, der den engsten Gürtel in das letzte Loch schnallen konnte.

Aber er besaß nach dem Bierbrauer Spanninger den umfangreichsten Bauch und ging vor aller Welt mit rosigen Wänglein und runden Waden spazieren und wurde den Dürnbuchern unheimlich.

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu wissen, wovon einer fett wird, und eine solche Üppigkeit, deren Nährboden rätselhaft war, erregte Verdacht und übertrug sich leider auf die Familie. So stand Kaspar Asam ohne eigene Schuld abseits vom bürgerlichen Wohlwollen, und eine edle Natur hätte vielleicht aus dieser Ungerechtigkeit Haß gesogen.

Er tat dies nicht, sondern hielt sich frei von Ehrgeiz, und sein Knabengemüt wurde viel heftiger durch den Schulzwang getroffen, als durch die Mißachtung der Altersgenossen. Sowie er seine Freiheit erlangt hatte, trat er in das väterliche Geschäft ein und steigerte bald durch sein eigenes Aussehen den Abscheu der Dürnbucher, indem auch er alle Zeichen der Wohlgenährtheit ansetzte.

Wenn er des Weges kam, blieben die ehrenwerten Leute stehen und sahen ihm kopfschüttelnd nach, und viele Blicke trafen ihn, aus denen Abweisung sprach und jene Scheu, welche das ehrliche Besitztum vor der Zweifelhaftigkeit hegt.

Kaspar kümmerte sich nicht darum und gedieh ruhig weiter, und aus Mangel an Beweisen mußte die Stadt Dürnbuch glauben, daß es um den Handel mit Stallhasen etwas recht Opulentes sei.

Dann kam aber ein aufregender Vorfall.

Als der Bäckermeister Vierthaler eines Morgens seinen Laden öffnete, merkte er mit Schrecken, daß die Kasse ausgeplündert war.

Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder hatte Asam der Vater gestohlen, oder Asam der Sohn. Der Polizeirottmeister Muggenschnabel konnte noch ein drittes Verdachtsmoment beibringen, indem er beide gemeinsam für schuldig hielt.

Die Haussuchung ergab nichts. Aber das hatte man in Dürnbuch nicht anders erwartet; denn wer vor aller Augen in der rätselhaftesten Weise einen Bauch kriegen konnte, ließ sich nicht so leicht überführen.

Die stille Abneigung gegen die Asamischen wurde jetzt zum unverhohlenen Zorn, und Kaspar, der sich gerade in dieser Zeit zu einem Verehrer der Damen ausbilden wollte, wurde auf einem dieses bezweckenden Spaziergang überfallen und windelweich geschlagen.

Das traf ihn härter wie alles Vorhergegangene, und im Kummer über die öffentliche Unsicherheit verließ er Dürnbuch bei Nacht.

Niemand beklagte sich darüber, daß er ohne Abschied von dannen gegangen war, und niemand erkundigte sich in der Folgezeit nach seinem Befinden.

Die Nachbarn, denen der Vater Bartholomäus erzählte, daß er, vertrieben durch Ungerechtigkeit, sich auf das wilde Meer begeben habe, wünschten, daß ihn alsbald ein Walfisch verschlucken, aber nur ja nicht wieder ausspeien möge, wie zu derselbigen Zeit den Jonas.

 

Die Tage vergingen.

Der Mond nahm zu und nahm wieder ab, und als die Sonne in das Zeichen des Löwen trat und es allenthalben recht heiß war, kamen absonderliche Nachrichten über das Meer.

Niemals hatte man von solchen Menschen gehört, die sich Boxer nannten, und jetzt erfuhr man, daß sie, von einer wilden Grausamkeit erfaßt, in China Spektakel machten. Was ging es die Dürnbucher an?

Es ging sie viel an. Zunächst als Untertanen des Deutschen Reiches, denn der Gesandte des Landes war von den Heiden erschlagen worden, und freilich waren die Dürnbucher geneigt, dieses weit entfernte Ereignis nachsichtig zu beurteilen. Allein der Schwerpunkt liegt in Berlin, und von dort kam es zu lesen, daß nunmehr Krieg mit den Chinesen sein müsse. Die Vermutung ging dahin, daß auch die Dürnbucher sich an den Kosten beteiligen durften, und damit war das Ereignis näher gerückt.

Zunächst nur für die allgemeine kühle Betrachtung, welche durch das Wochenblatt geleitet wurde. Denn Haupt- und Staatsaktionen begeben sich in Höhenlagen, welche der Bürger nicht überblickt, und er leiht sich vom Zeitungsschreiber das Glas, um sie zu betrachten, und auch die Gedanken, welche darüber anzustellen sind.

Die Boxer belagerten die europäischen Gesandten, und es wurde viel geschossen, und in London, in Paris und Berlin horchte man mit großer Spannung. Der Dürnbucher Redakteur weissagte nichts Gutes, aber er stand über der Situation und faßte die schrecklichsten Möglichkeiten mit Ruhe ins Auge. Dann kam die Nachricht, alles sei ermordet worden, die Gesandten, die Verteidiger und Weib und Kind. In London, in Paris und Berlin gab es Schreie der Entrüstung; der Dürnbucher Redakteur schrieb, es sei genau das, was er sich gedacht habe, und er verlor den Kopf nicht, sondern brachte gleich hinter der Schreckensnachricht die Einladung zu einem Preiskegelschieben.

Allein die Dürnbucher sollten bald erkennen, daß sie dieses Mal nicht weit vom Strudel der Ereignisse saßen, denn das Schicksal hatte einen merkwürdigen Faden von Peking nach ihrer Stadt gesponnen.

Es lief ein amtliches Schreiben aus Berlin ein und hatte ein großes Siegel und war adressiert an den Herrn Bartholomäus Asam, Produktenhändler, und trug die Aufschrift: Kaiserliches Marineamt.

Der Postexpeditor hatte den Brief voll Erstaunen hin und her gedreht und gegen das Sonnenlicht gehalten, und der Postbote hatte ihn verschiedenen Leuten gezeigt, und alle Mittel waren versucht worden, dem Inhalt von außen her beizukommen, aber zuletzt mußte er dem Adressaten eingehändigt werden. Asam öffnete ihn, viel zu langsam für die Ungeduld des Postboten, und zog ein Blatt heraus, welches ehrfurchtgebietende Embleme und Wappen trug. Und dann las er.

»Euer Wohlgeboren!« Er las es noch einmal, und es hieß wirklich so und konnte von niemand in Zweifel gezogen werden. »Euer Wohlgeboren! Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Sohn Kaspar Asam, Gefreiter im I. Seebataillon, sich unter den Verteidigern der Gesandtschaft in Peking befand und nach den telegraphischen Berichten vermutlich den ruhmvollen Tod für das Vaterland starb.«

Gezeichnet: Admiral...

Und dann kamen zwei Schnörkel, die einen preußischen Namen bedeuten mußten.

Der wohlgeborene Produktenhändler wollte etwas fragen oder sagen, aber der Postbote war schon weggeeilt, um es brühwärmstens anzubringen. Die Nachricht flog durch die Gassen und lockte die Bürger aus den Häusern, daß sie stundenlang Geschäft und Handwerk im Stiche lassen mußten.

Die Boxer hätten mit Wahrheit sagen dürfen, daß sie sich in Dürnbuch Achtung und Vertrauen erweckt und daß sie sich in einem deutschen Bäckermeister einen aufrichtigen Bewunderer erworben hatten.

Was Bartholomäus Asam anbetraf, so ging er unter dem ersten und starken Eindrucke der Trauerbotschaft zum königlichen Bezirksamt und erkundigte sich, wieviel er vom Staate als verwaister Vater zu beanspruchen habe, und die Auskunft, daß er nichts erhalte, ließ seinen Schmerz neu erwachen. Er sollte bald erfahren, daß es ihm außer an sonstigen rechtlichen Gesichtspunkten auch an einem toten Sohne fehle.

Die Zeit war reich an Überraschungen und arm an verlässigen Nachrichten. Das Gerücht von der Erstürmung der Gesandtschaft war falsch, der Abscheu vor den Boxern übertrieben, und die Freude eines Bäckermeisters verfrüht gewesen. Man hörte jetzt, daß die Gesandten mit heilen Gliedern der Gefahr entronnen waren. Die Berliner Zeitungen waren erstaunt; der Dürnbucher Redakteur aber schrieb, er hätte die tendenziöse Aufbauschung sofort erkannt und nur das Weitere abgewartet. Die weniger Einsichtigen im alten Europa atmeten auf und sagten, daß der Allmächtige seine Hand über die Bedrängten gehalten habe. Nur der Bäcker Vierthaler murrte gegen die Vorsehung und meinte, es sei eben wieder nach der alten Regel gegangen: was am Galgen sterben müsse, könne nicht ersaufen, und Unkraut verderbe nicht.

Der Mann hätte vorsichtiger sein dürfen mit seinen veralteten Sprichwörtern, denn man beleidigt nicht die Freunde der Monarchen, und Kaspar Asam hatte drei auf seiner Seite, was sich bald genug herausstellte. Zuerst wurde es angedeutet durch ein Telegramm des preußischen Admirals, welcher sich beeilte, den Druck jener Todesnachricht von dem gramvollen Vater zu nehmen, und welcher die Tatsache, daß der Gefreite Asam erhalten geblieben war, als etwas Freudiges hinstellte. Man muß eben bedenken, daß im Schlachtenpulverrauche die bürgerlichen Qualitäten verschwinden, und daß das Vaterland die Leumundszeugnisse seiner Helden nicht prüft.

Immerhin war es den Dürnbuchern erlaubt, ihre eigene Meinung zu haben und über die Schwärmerei des Marineamts zu lächeln, solange keine geheiligte Autorität sich der Sache angenommen hatte. Aber das geschah einige Wochen später, indem Kaspar Asam von drei Machthabern dieser Erde affektioniert und durch Kreuze und Medaillen unter die Ausnahmemenschen gestellt wurde. Von Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser, von dem Allergroßmächtigsten Zaren zu Petersburg und von Sr. Majestät dem Könige von Großbritannien und Irland und Kaiser von Indien. Mit einem Schlage war Kaspar neben die Kämpfer von Königgrätz und die Löwen von Plewna und die Sieger von Omdhurman gesetzt und war ein Held für drei Länder des alten Europas. Es liegt in der Souveränität begründet, daß vor ihr Meinungen ebensowohl wie Tatsachen schweigen müssen, und der Bäckermeister Vierthaler tat gut, seine alte Geschichte zu begraben und sich an ein anderes Sprichwort zu erinnern, welches so hieß: Jugend hat keine Tugend.

Die Stadt konnte dem Glanz, der auf sie zurückfiel, nicht ausweichen, und sie konnte nicht darauf verzichten, aus dem Ruhme ihres Sohnes Anerkennung und Besonderheit zu gewinnen. Der Dürnbucher Zeitungsschreiber traf wieder einmal mitten ins Schwarze, als er einen begeisterten Artikel über den bayrischen Löwen brachte, der mit mächtigen Tatzenschlägen die wütenden Heiden niedergestreckt hatte. Jedermann fühlte es mit Stolz, daß dieser Löwe ein Dürnbucher war.


 << zurück weiter >>