Ludwig Thoma
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Ludwig Thoma

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Krawall

Jawohl, auch wir Dürnbucher haben unsere Revolution gehabt, oder einen Krawall, und es war damals, wo der Buchdrucker Schmitt, Gott hab ihn selig, als Major von der alten Landwehr vom Messerschmied Simon unter den Tisch geschlagen worden ist und sozusagen betäubt war... aber ich will die Geschichte der Reihe nach erzählen.

Ihr könnt euch denken, daß wir Dürnbucher Anno 66 einen großen Haß auf diese Preußen gehabt haben, und wenn der Feind damals bis zu uns gedrungen wäre, dann hätte es geraucht. Ich weiß noch gut, wie die privilegierte Schützengesellschaft zum Ausrücken bereit war; und der alte Büchsenmacher Weinzierl ist jeden Tag auf den Kapellenberg gegangen, wo er das Terrain studiert hat. Die Bürgergarde oder Landwehr älterer Ordnung, wie man auch sagt, ist zweimal in der Woche ausgerückt und hat im Buchwald exerziert, und der Major, was der Buchdrucker Schmitt war, Gott hab ihn selig, ist zum Messerschmied Simon gegangen und hat sich öffentlich, daß es jeder gesehen hat, den Säbel schleifen lassen.

Überhaupt herrschte eine furchtbare Aufregung, und der Provisor von der Marienapotheke hat für den Ernstfall ein Sanitätskorps gebildet, wo er der Vorstand war, und die Frau Landrichter Hefele hat sich auf der Stelle zur Krankenpflege gemeldet, und dann haben sich die meisten Frauen einschreiben lassen.

Alles war bereit, und jeden Tag hätte es losgehen können. Einmal hat man geglaubt, es ist schon so weit.

Mitten in der Nacht hat es auf dem Marktplatz geschossen, zweimal hintereinander. – –

Beim Spanninger sitzt alles käsweiß in der Gaststube und still, eine Maus hätte man laufen hören, und der Hausknecht hat die Geistesgegenwart und riegelt das Tor zu, und am Kirchturm schlägt die Glocke an, weil der Mesner Benno die Schüsse auch vernommen hat, aber es war bloß der alte Büchsenmacher Weinzierl.

Der ist immer mit dem Doppelläufer ins Wirtshaus gegangen, damit er die Waffe bei der Hand hatte, und auf dem Heimweg hat er sich lebhaft vorgestellt, wie es jetzt wäre, wenn beim Glaser Spannagl ums Eck die Preußen kämen, und er ist aufgefahren und hat geschossen.

Zwei wären es gewesen, hat er oft gesagt, und dann Adieu Weib und Kind, denn zum Laden wäre er nicht mehr gekommen. Aber zwei wären es gewesen.

Das war das einzige Mal, wo auch bei uns so eine Art Kriegslärm war; später hat man nichts mehr gehört, und die Preußen sind nicht gekommen.

Übrigens, daß ich es recht sage, einer war schon anwesend in Dürnbuch. Ein windiger Buchbindergeselle, und der hat das Maul so preußisch spitzen können, daß es einem siedig heiß geworden ist. Wie die Nachricht von der Schlacht bei Kissingen gekommen ist, da waren viele Bürger im Kollergarten beim Bier und haben über das Unglück geredet.

Auf einmal steht der Schmied Kasenbacher auf und schaut über ein paar Bänke hinüber, wo der preußische Buchbinder war.

Man hat nicht gewußt, lacht er höhnisch oder lacht er nicht, denn er hat das Maul immer so hinaufgezogen.

»Himmelkreuzdonnerwetter!« hat der Kasenbacher geflucht, »jetzt wenn ich es aber wissen täte!«

Die Bürger sind aufgesprungen und haben den Preußen umringt, und ein paar Bräuknechte haben schon die Hemdärmel aufgekrempelt.

Aber der Buchbinder ist gegangen, und das war sein Glück, denn wir Dürnbucher haben damals keinen Spaß verstanden.

Also, ich habe erzählen wollen von der Revolution, wie der Messerschmied Simon den Buchbinder Schmitt, Gott hab ihn selig, unter den Tisch geschlagen hat.

Das war ein Jahr später, aber es hängt mit diesem furchtbaren Haß gegen die Preußen zusammen.

Nämlich Anno 1867 haben wir schon das neue Militärgesetz gehabt, und es war die erste Kontrollversammlung angesagt.

Das hat besonders draußen auf dem Land böses Blut gemacht. In Dürnbuch waren die Leute ja vernünftiger, denn man hat doch eine andere Schulbildung, und man hat seine Zeitung, aber unter den Bauernburschen ist die Rede gegangen, daß jetzt alle preußische Soldaten werden müssen.

In Stockach hat es der Pfarrer auf der Kanzel gesagt.

Er hat die Arme zum Himmel gehoben und hat gerufen, daß es wenigstens von dort oben noch weiß und blau herunterschaut, wenn es gleich auf der Welt nicht mehr altbayrisch sein soll.

»Werdet nicht lutherisch!« hat der geistliche Rat in Sassau gepredigt. »Buben, werdet nur ja nicht lutherisch und behaltet euren heiligen Glauben!«

Und das hat man überall gehört; in der ganzen Umgegend ist das gleiche gesagt worden, und die einen waren voll Angst und die andern waren voll Wut.

Daß es unter den Bauern nicht mehr richtig war, hat man schon ein paar Wochen vor der Kontrollversammlung gemerkt.

Wenn sie nach Dürnbuch auf die Schranne gekommen sind, haben sie in den Wirtshäusern Spektakel gemacht und drohende Reden geführt.

Und der Respekt vor der Obrigkeit war überhaupt vollständig weg.

In der Post ist ein Bauer zum Beamtentisch hingegangen, wo die Herren ihren Tarock gespielt haben, und er schaut dem Bezirksamtmann in die Karten und klopft ihm auf die Schulter.

»Du glaubst schon, du hast alle Trümpf in der Hand«, sagt er, »aber paß auf, ob nicht am End wir das Spiel gewinnen.«

»Sie sind ein Flegel«, sagt der Bezirksamtmann, »überhaupt, was wollen Sie?«

»Manderl!« sagte der Bauer, »überleg dir die Sach noch, ob ich ein Flegel bin.«

»Ich lasse Ihnen arretieren«, schreit der Herr Bezirksamtmann, »Wo ist die Polizei?«

»Heb dir deine Polizei auf«, sagt der Bauer und lacht ganz merkwürdig, »vielleicht kannst sie noch gut brauchen«, und dann ist er gegangen. Unter der Tür hat er sich nochmal umgedreht und sagt: »Wennst an den König von Preußen schreibst, kannst ihm einen schönen Gruß ausrichten von den Stockacher Bauern.«

Die Herren waren durchaus verblüfft und haben nicht mehr gewußt, was sie denken sollen. Der Bezirksamtmann – Alois Reich hat er geheißen, und er war aus der Rheinpfalz – hat die Karten hingelegt und ist wütend auf den Marktplatz hinaus.

Aber von den Bauern war nichts mehr zu sehen, und der Bürgermeister von Stockach, der gleich am andern Tag hereinzitiert worden ist, hat keine Auskunft geben können oder wollen.

»Sie müssen es wissen, wer der Kerl ist«, sagt der Bezirksamtmann.

»Wenn Sie einen Kerl suchen«, antwortet der Bürgermeister ganz kalt, »hernach müssen Sie schon bei einer andern Gemeinde anfragen. Wir Stockacher haben keinen Kerl unter uns.«

»Aha! Pfeift der Wind aus dem Loch? Ich will Ihnen was sagen. Innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden erfahre ich, wer mich gestern beleidigt hat. Der Mann ist leicht zu eruieren, schon an seinen Redensarten über Preußen und so weiter. Erhalte ich keinen Bescheid, dann sollen Sie mich kennen lernen.«

»Ist nicht notwendig«, sagt der Bürgermeister, »ich hab ja schon länger die Ehr. Und wenn das ein Kennzeichen ist, daß einer nicht preußisch werden will, dann müssens wir Stockacher alle miteinander gewesen sein. Und ich kann gleich dableiben«, sagt er, »denn ich bin der Allererste dagegen.«

Eine solche Auflehnung hat man damals überall gemerkt, heimlich und offen, und eigentlich haben wir Dürnbucher uns darüber gefreut, wenn es nur keine Konsequenzen gehabt hätte.

Unter gebildeten Leuten hat das keine Gefahr. Man sagt seine Meinung, oder man denkt sich seinen Teil, und vergißt aber nicht den Anstand.

Aber bei den gewalttätigen Bauern sind natürlich die Konsequenzen eingetreten. Nun muß ich es der Reihe nach erzählen, obwohl es eigentlich schwer ist, weil man in dem Krawall den Kopf verloren hat, und keiner hat recht gewußt, wo der Anfang war.

Am Tag der Kontrollversammlung sind aus allen vier Himmelsrichtungen die Bauernburschen in die Stadt gekommen.

Nicht einzeln oder paarweis, sondern in Haufen, und alle haben schon in der Herrgottsfrühe Spektakel gemacht.

Wo ein Haufe mit der Ziehharmonika angerückt ist, das hat man sich noch gefallen lassen. Aber die meisten haben geschnackelt, gepfiffen und gejohlt, und andere haben durch Kuhhörner geblasen, als wenn sie Feuerlärm geben müßten, und wieder andere haben bloß geschrien, daß die Fenster gezittert haben.

Die Bürger sind erschrocken aus den Betten gestürzt und haben in die Gassen hinuntergeschaut, und den meisten hat schon nichts Gutes geahnt.

Am Marktplatz sind alle Haufen zusammengekommen; so oft ein neuer aufmarschiert ist, haben die andern ihn mit furchtbarem Lärm begrüßt, sie haben gejuchzt und geblasen und Blechdeckel auf einander geschlagen, und es war wie ein Haberfeldtreiben.

Aus dem Stern und dem Goldenen Lamm und aus dem Rappen haben sich die Burschen Bierfässer geholt und auf den Platz gerollt, wo gleich angezapft worden ist.

Die Bräuknechte haben sie hergeben müssen und die Maßkrüge dazu, denn an einen Widerstand war nicht zu denken.

Der lange Martl vom Rappenbräu hat Bezahlung verlangt, aber da ist ein allgemeines Gelächter gewesen, und ein Bursche hat gerufen: »Heut sind wir zechfrei; heut zahlt alles der König von Preußen.«

Und sie sind her über das Bier, wie die Wilden; den Hahnen haben sie nicht mehr zugedreht, und was nicht in den Krügen Platz gehabt hat, ist auf den Boden gelaufen.

Mit dem Trinken ist der Lärm ärger und ärger geworden; einer hat den andern überschrien, und weil ihnen das noch nicht laut genug war, haben sie mit den Stecken auf die Fässer geschlagen.

Der Bürgermeister Wieser schaut zum Fenster herunter und glaubt, der Jüngste Tag ist gekommen.

Er hat aber den Kopf schnell zurückgezogen, denn wie ihn herunten ein paar gesehen haben, pfeifen sie durch die Finger und brüllen hinauf, ein Wort gröber wie das andere.

»O du Herrgottssakrament, tu deinen Gipskopf hinein, oder es geht dir schlecht!«

Endlich kommt der Polizeidiener Kraus hinter der Kirche herum, den Helm auf, den Säbel umgeschnallt, und blaß wie der leibhaftige Tod.

Er hat später oft erzählt, daß er Reu und Leid gemacht hat, bevor er in den Haufen hinein ist.

Er kann sich zuerst nicht verständlich machen; aber nach und nach zieht sich ein Kreis um ihn, und ein Bursche steigt auf das nächste Bierfaß und schreit: »Ruhe! Seid ruhig eine kleine Weile, jetzt müssens mir hören, wie lang wir noch bayrisch bleiben.«

»Meine Herren!« sagt der Polizeidiener Kraus, »machen Sie doch keine solchene Ruhestörung! Ich muß Sie aufmerksam machen, daß das verboten ist.«

»Steht das im preußischen G'setz?« fragt der Bursche vom Bierfaß herunter.

Und in dem Augenblick geht der Lärm auf ein neues an. Wie auf Kommando singen alle zu gleicher Zeit:

»Schenkt's mir amal was boarisch ein!
Boarisch woll'n wir lustig sein,
Schenkt's mir amal was boarisch ein,
Boarisch woll'n wir sein!«

Den Kraus packen drei oder vier und schieben ihn voran, und gleich schieben noch ein paar mit, und vor er richtig umschaut, fliegt der Polizeidiener in den Hauseingang vom Rappenbräu hinein, und vom Hauseingang in die Gaststube und von der Gaststube in die Küche.

»Hebt's ihn gut auf!« schreit einer zu den Weibsbildern hin, »denn wenn er nochmal rauskommt, könnt's leicht sein, daß er zerbrochen wird.«

Der Kraus hat nicht daran gedacht, noch einmal auf den Platz zu gehen, denn er hatte seine Pflicht schon erfüllt und betrachtete sich für kampfunfähig und gefangen.

Bis jetzt war eigentlich nichts geschehen; aber in dem Augenblick, wo es acht Uhr schlug, ging es wie auf Befehl über das Rathaus her.

Auf die Stunde war die Versammlung angesetzt, und die Burschen haben geglaubt, daß sie jetzt die preußischen Offiziere erwischen könnten.

Natürlich war überhaupt keiner in Dürnbuch, aber es war allgemein gesagt in der ganzen Gegend.

Also, die Kannibalen stürzen über die Stiege hinauf und nehmen den Gemeindeschreiber bei der Gurgel.

»Wo sind die Preußen?«

»Heraus damit!«

»Es sind keine Preußen da! Tut mir nichts, ich hab Weib und Kind!«

»Kerl, wenn wir sie finden, bist du auch hin!«


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