Ludwig Thoma
Nachbarsleute
Ludwig Thoma

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»Sie san aber einer!« lispelte Fräulein Fanny Trinkl, als sie in Gesellschaft des Herrn Pfaffinger den Höllbräusaal verließ.

Der stattliche Brauereivolontär warf sich in die Brust und sagte mit geheucheltem Gleichmute: »Da gibt's bei mir nix!«

»Ich bin so derschrocken, wie Sie auf einmal aufg'sprungen sind. Jessas Maria! hab ich mir denkt, es werd doch kein Unglück geb'n, daß er Ihnen was tut...«

»Der – mir?«

»Man weiß halt oft nicht...«

Herr Pfaffinger schob den Hut verwegen aus der Stirne.

»Solchene derfen drei daherkemma, nacha fürcht' i s' aa no net.«

Das üppige Mädchen sah bewundernd zu dem Ritter auf, der sich kraftvoll in den Hüften wiegte und mit den Fingern schnalzte, gleichsam um zu beweisen, wieviel ihm an einer ganzen Schar von Gegnern läge.

Fannys rehbraune Augen trafen sich mit seinen etwas hervorquellenden wasserblauen und senkten sich sofort, indessen sie wiederum rief: »Nein, Sie sind aber einer!«

Offenbar hegte Herr Pfaffinger die gleiche günstige Meinung von sich; denn sein ganzes Gebaren verriet, daß er mit der Bewunderung seiner Persönlichkeit beschäftigt war.

»Ich hätt' mir gar nicht denkt, daß Sie so heftig sein können...«, sagte Fräulein Fanny.

»Ja, da kenn i nix.«

»Wie Sie den Stuhl z'ruckg'stössen haben, und auf und hin...«

»Da gibt's koana Würschtel!...«

»Und wie Sie ihm eine hing'haut haben, daß's ihn gleich draht hat!«

Wieder gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander, und indessen Herr Pfaffinger beim Schein einer Straßenlaterne respektvoll seine große Hand betrachtete, huschten Fannys Blicke wieder beifällig über ihn hin. Schön war er nicht –

Ein gewissermaßen viereckiger Kopf auf einem kurzen Halse; eine stumpfe Nase, dicke Lippen, die sich nicht ganz schlossen, so daß man die unregelmäßigen Zähne sah, der Teint von jener biersäuerlichen Blässe, wie sie Schenkkellnern und Bräuburschen eigen ist... All das ließ den Pfaffinger Schorschl nicht gerade als verführerisch erscheinen, und doch besaß er Reize, die ein altbayrisches Mädchen, wenn auch noch so flüchtig, wohl bemerken konnte.

Derbe Rundungen und Breiten und Grobschlächtigkeiten, die vielverheißend waren.

»Eigentlich san S' wegen meiner in die G'schicht nein kommen, weil ich mich beschwert hab', daß die Tür offen war, und mich hat's nachher schon g'reut...«

»Da braucht Ihnen nix reu'n, Fräulein Fannerl...«

»Aber do, wenn S' jetzt solchene Unannehmlichkeiten hamm...«

»Dös is mir ganz egal...« Schorschl sagte wirklich egal... »Bald ich amal bei einer Dame sitz... nacha muß ich auch für die Dame eintreten...« Ein zärtlicher Blick traf ihn, und seine wasserblauen Augen streiften wohlgefällig über den sehr stattlichen Busen des Mädchens und blieben daran haften.

Vielleicht war es der Wunsch, diesen straffen Formen näher zu rücken, vielleicht war es eine aufquellende Zärtlichkeit... Schorschl streckte seinen Ellbogen hin und fragte: »Darf ich Ihnen nicht meinen Arm anbieten, Fräulein?«

Fanny hing sich ein, und beide fühlten wohlig eines die Wärme des anderen.

»Da gibt's nix«, sagte Schorschl, »bal ich amal mit einer Dame beisammen bin...«

»Sie sind einer!«

»In Freising, wia 'r i studiert hab', da hat amal oana auf an Ball meiner Dame auf'n Fuaß tret'n. Dem hab i a paar abazog'n und hab'n über d' Stiag'n abi g'schmiss'n, daß er dös halbe G'lander mitg'numma hat«

»Jessas Maria!«

»Und amal hat unser Verbindung a Gartenfest g'habt...«

»Waren S' bei an Studentenkorps?«

»Bei der Cerevisia in Weihenstephan in der Brauschul'... und da hamm mir a Gart'nfest g'habt, und da hat oana mit meiner Dame 's Speanzeln o'g'fangt... dem hab i aa zoagt, wo der Bartl an Most holt...«

»Sie sind g'wiß ein rechter Don Schuang g'wesen?«

»Han?«

»Daß Sie recht poussiert hamm?«

»Gar so arg is 's net g'wes'n...«

Schorschl lächelte aber doch vielsagend, und Fanny wollte hastig ihren Arm zurückziehen und wurde festgehalten.

»Mit Ihnen sollt' man sich gar net geh'n trauen... Sie sind vielleicht ein ganz gefährlicher...«

»Eahna waar i net feind, Fräulein Fannerl!«

»Sie Schlimmer!«

»G'wiß is wahr, i hab's Eahna scho lang sag'n woll'n...«

»Was?«

»Daß S' mir gar so guat g'fall'n...«

Ein zärtlicher Blick streifte ihn.

»Sie möcht'n mich g'wiß derbleck'n!«

»G'wiß net... überhaupts gibt's dös bei mir durchaus net... Freil'n Fannerl... dös dürfens net glaub'n... Fannerl...«

Sie drückte sich näher an ihn, und er wurde eifriger.

»Moana S' denn, i hätt' mi so gift' über den Tresser, wenn i Eahna net gern hätt...«

»Das sagen S' halt so...«

»Na! Wenn i no red'n kunnt... aba da auf da Straß ko ma ja net red'n... wenn S' mi bloß a bisserl ins Haus nei lasset'n, Fannerl!«

»Aba Herr Pfaffinger!«

»Bloß in Hausgang! Daß ma dischkrier'n kunnt'n...«

»Aba dös geht doch net!«

»Warum denn net? Bloß red'n, Fannerl, weil i Eahna gar so gern hab'.«

»Dös merkt doch der Vata!«

»Der merkt nix!«

»Hören S' auf! Was Sie red'n!«

Und wenn Herr Pfaffinger auch nicht gewandt genug war, um eine Situation blitzschnell zu überschauen, bemerkte er doch den sachlichen Ernst, der in der Abwehr des Mädchens lag.

»Geht's gar net... Fannerl?«

»Genga's Sie!«

»I waar mäuserlstaad...«

»Aba Herr Pfaffinger!«

»Geh! Wenn i d' Stiefel ausziahg...«

»Jessas na!«

»Höret mi koa Mensch...«

»Ja, wia red'n denn Sie?«

»Fannerl!«

Er zog das Mädchen an sich. Seine linke große Hand verirrte sich auf den prallen Busen, indes er mit der rechten die schwach sich Sträubende rückwärts faßte und auch hier Anlaß zur stürmischen Werbung fand.

»Du Trutscherl, du liab's!«

»Herr Pfa...«

Seine breiten Lippen erstickten ihre Stimme, und sie legten sich breit und feucht auf ihren Mund. Ehrlich erwiderte sie den Kuß.

»Du Gschmacherl, du!«

»Schorschl!«

»Also paß auf, Fannerl, i ziahg d' Stiefeln aus... werst sehg'n, es hört mi neamd...«

»Aba da Vata schlaft do no net...«

»Der schlaft scho!«

»Geh! Wenn er do jetzt erst hoam geht...«

»Nacha wart i halt a halbe Stund, bis er eing'schlaf'n is... und du machst mir d' Haustür auf!«

»Na... Schorschl... dös geht net...«

»Leicht geht's.«

»Was denkst da denn du von mir? So schnell! Na... dös geht amal net...«

»Geh weiter... Trutscherl! jetzt dös derfst mir net o'toa!«

»Was?«

»Jetzt hab' i mi a so g'freut... und nacha waar's nix!«

»Aba wenn's net geht!«

»Und i hab' mi so für di ins Zeug g'legt!«

»Aba Schorschl!«

»Ja... Und du tatst mir gar koan G'fall'n!«

»Wenn aba da Vata net so g'schwind ei'schlaft!«

»Na... wart i a Stund...«

Fannerl schien zu überlegen, und da die Ergebnisse solcher Überlegungen immer die gleichen sind, sah Schorschl beseligt in die Zukunft...

»Aba daß d' a net früher kummst...«

»Na...«

»Und net an d' Stiag'n hi stößst...«

»I sag da ja... daß i d' Stiefel ausziahg...«

»Jessas! Jessas! Was muaßt dir du von mir denk'n!«

»Daß du a G'schmacherl bist!«

»Dös hast g'wiß scho zu viele g'sagt!«

»Dös? Na... dös hab i no zu gar koane g'sagt! Derfst d'as g'wiß glaab'n...«

Er war doch ein Don Schuang und kannte das weibliche Herz.

Ein neuer Kuß befestigte das Versprechen, und innig aneinandergeschmiegt schritten die beiden dem Hause zu, in das Schorschl so bald einzuschleichen gedachte.

Auf dem Stadtplatze hörten sie die rauhen Worte des Herrn Schwarz durch die stille Nacht schallen und stießen auch bald auf den ahnungslosen Vater, der sie freudig begrüßte.

»Ah! Der Herr Pfaffinger! Hamm S' mei Fannerl begleit'?«

»Ich hab mir erlaubt, weil mir Ihnen nicht mehr g'sehen haben...«

»Ja... i hab da a kloane Aussprach' g'habt... über Eahna, Herr Pfaffinger...«

»Ah so! Weg'n der Gaudi?...«

»Ja... und die Folgen, wo mir der Elfinger, der Hansdampf, der spinnate, hätt erzähl'n mög'n. Daß Sie a Duwäl kriag'n...«

»I?«

»Ja... sagt der Elfinger...«

»Um Gott'swill'n... Herr Pfaffinger... weg'n mir...«

»Da brauchen Sie keine Angst nicht zu haben, Fräulein!«

»Dös hab i aa g'sagt... so a Schmarrn, sag i... auf d' Kirta laden S' den Kerl ei, wenn er Eahna was will...«

»Geh, Vata!«

»Is ja wahr... aa dös is de richtige Antwort... Also guat Nacht, Herr Pfaffinger, und b'suachen S' mi amal... werd mir an Ehr sei!«

»Guat Nacht, Fräulein!«

»Gut Nacht!«

Noch ein Blick, der alles auf ein neues bestätigte, dann huschte das Mädchen ins Haus, die Türe klappte ins Schloß, Herr Pfaffinger entfernte sich mit absichtlich lauten Schritten.

Ob es nun gerade eine Ehre für den Stadtvater Trinkl war, als Schorschl eine schwache Stunde später und sehr viel leiser wieder zu dem Hause kam, die Türe frohlockend geöffnet fand und auf den Fußspitzen gehend sich einschlich? Für ihn war es jedenfalls ein Glück.

Da stand er im Dunkeln und fühlte die Nähe des Mädchens. Ein leises Rascheln. »Pst!«

Eine Hand ergriff die seine... eine Stimme flüsterte dicht an seinem Ohr: »Ziahg d' Stiefeln aus!«

Und er zog sie aus.


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