Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Neunte Szene

Die Vorigen. Beringer.

Bürgermeister auf ihn zueilend. Adolf!

Beringer Mama hat mir gesagt...

Bürgermeister Herrgott, weil du nur kommst! Weil du nur wieder da bist! Junge!

Beringer Ja, ich weiß noch nicht, ob...

Bürgermeister Aber ich weiß. Das Ganze war ja ein Unsinn!

Frau Bürgermeister welche sich mit dem Taschentuche die Tränen trocknet, zu Adolf. Die Hauptsache ist, daß du unser Suschen noch immer lieb hast.

Beringer Gewiß habe ich Suschen gerne, aber du weißt ja, was ich gesagt habe, Mama.

Frau Bürgermeister zu ihrem Manne. Er war so gut zu mir, und er ist gleich mitgekommen.

Beringer Ja, aber ihr begreift doch, ich muß doch gewisse Sicherheiten haben.

Frau Bürgermeister So red doch. Fritz!

Bürgermeister zu Adolf. Natürlich! Da hast du recht! Du mußt Sicherheiten haben. Schüttelt ihm die Hand. Alter Junge!

Beringer Mama sagt mir, du hättest keinerlei Kontroversen mit Exzellenz gehabt?

Bürgermeister I wo werd ich!

Beringer Es hat keine Szene gegeben?

Bürgermeister Keine Spur! Wie du nur einen Moment so was glauben konntest!

Frau Bürgermeister Das war schon deine Schuld, Fritz.

Bürgermeister Aber natürlich war es meine Schuld.

Beringer Ich begreife faktisch nicht, wie man mit so etwas renommieren kann! Das ist doch kein Verdienst!

Bürgermeister Im Gegenteil! Da hast du recht.

Frau Bürgermeister Er hat ja sonst nie etwas von der Politik wissen wollen, Adolf.

Bürgermeister Und du weißt doch, daß ich die besten Beziehungen zum Ministerium habe.

Beringer Das liegt vor dieser Geschichte.

Bürgermeister Das waren bloß ein paar Redensarten, im Privatkreis.

Frau Bürgermeister Es war gewiß nicht bös gemeint.

Bürgermeister Und eigentlich habe ich der Regierung damit einen Dienst geleistet.

Beringer gedehnt. So?

Frau Bürgermeister ängstlich. Fritz!

Bürgermeister Nein, wirklich! Du mußt doch zugeben, Adolf, daß in der Stadt eine starke Erregung herrschte.

Beringer Ach was!

Bürgermeister begütigend. Natürlich nichts Gefährliches. Aber immerhin eine Erbitterung. Da war es doch meine Aufgabe, den Leuten darüber wegzuhelfen. Das tat ich, indem ich sagte, daß ich ihre Interessen kräftig vertrat. Wenn wir nicht durchdrangen, ging es eben nicht anders. Der Notwendigkeit muß man sich beugen.

Beringer So hast du aber nicht gesprochen.

Frau Bürgermeister Nein, Fritz!

Bürgermeister Ich hätte deutlicher sein sollen. Das war mein Fehler. Aber am Ende kann ich nichts dafür, wenn einige Schreier die Sache aufbauschen!

Beringer Das ist alles recht schön. Aber die Ovation ist nun einmal Tatsache.

Bürgermeister Ich werde morgen dem Minister versichern, daß sie durchaus loyal gemeint war.

Beringer Du fährst zum Minister?

Bürgermeister Gewiß. Vorhin habe ich es der Bürgerschaft versprochen.

Frau Bürgermeister Die Bürger waren bei dir?

Bürgermeister Ja, und haben mich gebeten, dem Minister ihre Ergebenheit zu versichern. Damit ist doch die Sache bestens erledigt.

Beringer Aber womit kannst du deinen Besuch motivieren: Du mußt doch einen Grund haben?

Bürgermeister Den habe ich auch. Ich werde mich feierlich gegen den Artikel im Wochenblatt verwahren. Ich werde erklären, daß wir nicht das Mindeste damit zu tun haben.

Beringer Der Minister wird glauben, daß dich dein schlechtes Gewissen hintreibt.

Bürgermeister eifrig. Wieso denn? Er muß es doch selbstverständlich finden, daß wir gegen diese Taktlosigkeit Stellung nehmen.

Beringer Hm!

Bürgermeister Außerdem weiß der Minister doch selbst am besten, daß ich ihm keine Grobheiten gemacht habe.

Beringer Das ist allerdings richtig.

Bürgermeister Und er sieht ja, wieviel mir an seinem Wohlwollen liegt!

Frau Bürgermeister Es wird noch alles gut werden.

Beringer zögernd. Vielleicht. Jedenfalls kann die Audienz günstig wirken.

Bürgermeister Aber natürlich! Wird sie auch! Verlaß dich ganz auf mich! Er schiebt seinen Arm unter den Beringers. Und jetzt komm zu unserm Suschen! Er zieht Beringer lebhaft gegen die linke Türe.

Die Bürgermeisterin folgt und trocknet wieder ihre Augen. Vor der Türe bleibt Beringer stehen.

Beringer Gut! Ich komme mit. Aber wie gesagt, unter dem Vorbehalt, daß ich etwa...

Bürgermeister burschikos. Papperlapapp! Da fehlt nichts mehr! Verlaß dich nur ganz auf mich! Er zieht Beringer mit.

Alle drei ab.
Man hört zuerst den Bürgermeister, dann seine Frau lebhaft rufen:

Suschen! Suschen!

Zehnte Szene

Die Szene ist kurze Zeit leer. Dann treten der Major und Bierbrauer Schweigel durch die Gartentüre ein. Schweigel sichtlich in Verlegenheit. Während der Szene tritt allmählich Dämmerung ein.

Schweigel nimmt seinen Hut ab und kraut sich hinter dem Ohre. Teufi! Teufi!

Major Ja, ja.

Schweigel Dablecken S' mi nur recht!

Major Ich sag' doch nichts.

Schweigel Aber hoamli lacha, gel? Reden S' halt amal! Was sagen denn Sie dazua?

Major Das nämliche wie gestern.

Schweigel Da hamm Sie unsern Charakter anzweifelt. Net wahr?

Major Wollen Sie heut wieder über die Festigkeit streiten?

Schweigel Warum denn net?

Major Schön. Da fangen wir gleich beim Gemeindekollegium an.

Schweigel rasch. Na! Liaba net!

Major Jetzt frag' ich einmal. Was sagen denn Sie dazu, Herr Schweigel?

Kleine Pause. Schweigel kratzt sich wieder hinter dem Ohre. Dann resolut.

Schweigel I will Eahna was sag'n, Herr Major. Sie hamm jetzt das Heft in der Hand. Scheinbar. Aha Sie schaug'n die G'schicht do net ganz richtig o.

Major So?

Schweigel Ja. Wissen S', es gibt da aa verschiedene Ansichten.

Major Das stimmt.

Schweigel Oaner hat de, und der ander hat an andere.

Major Und manche haben zwei und wechseln ab damit.

Schweigel I hör Eahna scho geh. Aba wissen S' die Halsstarrigkeit is aa'r a Fehler.

Major An dem leiden die Dornsteiner nicht.

Schweigel Ja no! Der G'scheiter gibt nach.

Major lacht herzlich. Sie sind ein braver Staatsbürger.

Schweigel Sie lachen, Herr Major, aber sehg'n S', i behaupt, daß für uns Bürger de Politik überhaupts net paßt.

Major Nicht?

Schweigel Na – de Politik is was für de Leut', de Zeit dazua hamm und de koana Rücksichten net z' nehma braucha.

Major Ja, wenn die Rücksichten nicht wären!

Schweigel Des is ja! Sehg'n S', mir hamm z'letzt soviel Schneid wia'r a jeder. Aba – mir halten uns z'ruck.

Major Aha!

Schweigel Mir müassen scho! Ob ma mög'n oder net. Mir hamm a G'schäft und hamm a Familie.

Major Kommen Sie auch mit dem?

Schweigel Herr Major, allen Respekt vor dem Mannesmut, aba das allererste is, daß 's Haus in Ordnung is. Und des geht mit der Politik net z'samm.

Major Das sehe ich gar nicht ein.

Schweigel Des is ganz klar. Net wahr, wenn oaner Politik macht, steht er allaweil zu oaner Partei. Und des is nix für an Geschäftsmann. Der muaß mit alle Leut guat steh'.

Es ist dunkel geworden. Marie kommt mit einer Gartenlampe. Die Bühne ist nur mäßig erhellt. Marie ab.

Major Ihr dürft also bloß im Wirtshaus politisieren?

Schweigel Des is des G'scheitest. Was schaugt denn raus dabei, wenn ma selber mittuat? Mir sehg'n recht guat, daß im Staat vieles zum verbessern waar – aber mir Dornstoana alloa reißen des aa nimmer raus.

Major Besonders nicht, wenn ihr gleich umfallt.

Schweigel Umfallen! G'setzten Falles, mir waaren umg'fallen.

Major Blimel! Blamel! Ihr habt nach allen Regeln der Kunst umgeschmissen.

Schweigel Also g'setzten Falles, mir san umgefallen, was is denn nacha?

Major Oh, gar nichts.

Schweigel Sie müassen mi recht vasteh'. I sag' selber, daß de Standhaftigkeit was Schön's is. Moralisch bin i eigentli ganz mit Eahna ei'vastanden, aber der ander Standpunkt hat aa sei Berechtigung.

Major Welcher? Der unmoralische?

Schweigel Jetzt möchten S' mi wieder dablecken! Na, sehg'n S', Herr Major, ma fragt si doch, will ma den Streit weiter führ'n oder will ma sei Ruah hamm. D' Regierung is oamal z' stark, und da gang der Verdruß nimmer aus. Also sagt ma si: »Leb'n ma'r in Frieden!«

Während der letzten Sätze ist von beiden unbemerkt der Bürgermeister links eingetreten.

Elfte Szene

Die Vorigen. Der Bürgermeister.

Bürgermeister laut und freudig. Bravo! Ja, wir leben im Frieden!

Schweigel Ah, da Herr Bürgermoasta...

Bürgermeister Das war mir aus der Seele gesprochen.

Major Ist die Versöhnung allgemein?

Bürgermeister Gott sei Lob und Dank! Ja!

Schweigel in der ganzen Stadt is oa Begeisterung. Dös hamm S' scho fei geben, Herr Bürgermoasta!

Major In der Familie ist alles wieder in Ordnung?

Bürgermeister schüttelt ihm die Hand. Ja, Karl.

Major Dann wäre ich also der einzige, der unrecht hat.

Bürgermeister Du hast es gewiß gut gemeint.

Major Na, das ist wenigstens etwas.

Schweigel Da Herr Major is halt an alter Soldat und möcht allaweil an kloan Kriag.

Bürgermeister sich die Hände reibend. Ach, Leute! Ich bin so froh! Sie haben jedenfalls gehört, Herr Schweigel, es war eine Verstimmung da.

Schweigel Mit'n Herrn Amtsrichter? Ja, i hab was läuten hören.

Bürgermeister heiter. Das ist alles in Ordnung! Gottlob!

Von links kommt Beringer, Arm in Arm mit Suschen. Hinter ihnen die Bürgermeisterin.

Zwölfte Szene

Der Bürgermeister. Der Major. Schweigel. Frau Bürgermeister. Beringer. Suschen.

Schweigel sehr laut. So is recht! Waar ja net übi, wenn sie des schönste Brautpaar z'kriag'n tat!

Bürgermeister zu Beringer . Herr Schweigel hörte davon.

Schweigel Und i hab koan schlechten Verdruß g'habt! Liaba weret ma da scho a ganze Sud Bier sauer, als so was! Herrschaftsseiten!

Suschen Sie sind so gut zu mir, Herr Schweigel.

Schweigel mit lärmender Lustigkeit. Da hamm S' recht! I gab Eahna glei a Busserl, wenn da Herr Amtsrichter net dabei war! Wendet sich zur Bürgermeisterin und reicht ihr die Hand. Gelten S', Frau Mama?

Suschen zu Beringer. Heute bleibst du recht lange!

Beringer Eigentlich... aber wenn du willst.

Suschen küßt ihn. Du lieber Schatz!

Frau Bürgermeister gerührt. Unsere Kinder! Fritz!

Schweigel lärmend zum Major. Ha? Sag'n S' amal selber, is des net gescheiter als wia d' Politik?

Frau Bürgermeister Aber jetzt setzen wir uns!

Bürgermeister Heute soll es einmal gemütlich werden.

Suschen Herr Schweigel bleibt auch da? Gelt?

Schweigel Freili, Sie liabs Hascherl!

Man hört entfernt Musik.

Frau Bürgermeister Also Platz nehmen! Karl, du mußt neben mich...

Schweigel Wenn i no dro denkt hätt', nacha hätt' i a Banzel Bier auf g'legt.

Alle gehen zu Tisch. Schweigel, der Major, Frau Bürgermeister, der Bürgermeister setzen sich. Suschen und Beringer wollen Platz nehmen. In diesem Augenblick intoniert die Musik ganz nahe einen Marsch. Alle horchen. Der Bürgermeister und seine Frau springen auf.

Bürgermeister Was ist das?

Marie stürzt herein und ruft. D' Liedertafel kommt!

Frau Bürgermeister bestürzt. Um Gottes willen!

Bürgermeister Es wird doch nicht wieder!...

Schweigel Na! Na! Hamm S' nur koa Angst! Desmal is a Friedensfeier!

Dröhnender Marsch. Die Musik, die Liedertafel, Lampionträger und viel Volk sind im Garten angelangt. Einen Moment Stille. Dann singt ein Quartett die erste Strophe von »Still ruht der See«. Nach Beendigung der Strophe tritt Stelzer unter die Türe und spricht gegen den Zuschauerraum gewendet.

Stelzer Zum zweiten Male kommen wir mit Dank erfüllt an diese Schwelle. Unser Herr Bürgermeister, der dem Wohle der Stadt alles opfert, und der sich selber bezwungen hat, er lebe hoch! Hoch! Hoch!

Die Leute im Garten stimmen brausend in das Hoch ein. Einen Augenblick Schweigen. Dann tritt der Bürgermeister vor und spricht.

Bürgermeister Mitbürger! Diese Ehrung überrascht mich noch mehr wie die erste. Ich weiß aber, daß Sie damit nur Ihre gute Gesinnung zeigen wollen. Wir Dornsteiner sind und bleiben treue Untertanen. Jetzt und immerdar. In diesem Sinne rufe ich: Die loyale Stadt Dornstein soll leben Hoch! Hoch! Hoch!

Stürmische Hochs und Bravos. Die Liedertafel fällt gleichzeitig mit dem Sängerspruche ein.

Schneidige Wehr,
Blanke Ehr,
Lied zum Geleit,
Gib Gott allezeit!

Während des Singens fällt der Vorhang.


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