Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Fünfte Szene

Der Bürgermeister von links. Die Vorigen.

Bürgermeister Guten Tag, meine Herren!

Stelzer Recht guten Tag!

Die Anderen S'Good, Herr Bürgermoasta –

Bürgermeister Ich muß Ihnen nochmals meinen Dank aussprechen für gestern.

Verlegenes Schweigen. Stelzer hustet. Kiermayer schneuzt sich sehr laut.

Lindlacher gedehnt. Ja – ja!

Gschwendtner Jaa!

Stelzer Bitte sehr. Keine Ursache, Herr Bürgermeister.

Bürgermeister Es wird mir unvergeßlich bleiben.

Lindlacher grob herausplatzend. Uns aa!

Verlegene Pause.

Gschwendtner So geht's oft –

Kiermayer Jaa!

Gruber zu Stelzer. No, red halt amal!

Stelzer . Gewiß. Herr Bürgermeister, wir kommen eigentlich in einer bestimmten Angelegenheit.

Bürgermeister verbindlich. Bitte, Herr Stelzer.

Stelzer etwas stockend. Herr Bürgermeister waren – äh so liebenswürdig, im Ministerium zu... zu opponieren. Wir haben unserer Freud' Ausdruck gegeben, in dieser Beziehung.

Bürgermeister In erhebender Weise, Herr Stelzer.

Stelzer Jawohl, ja. Aber in den besseren Bürgerkreisen macht sich eine gewisse Strömung bemerkbar. Die Sorge um die Familie und das Geschäft übt einen starken Einfluß aus.

Lindlacher Und das Interesse der Stadt.

Stelzer Ganz richtig. Auch das allgemeine Wohl. In dieser Beziehung fürchtet man, daß wir überhaupt keine Bahn erhalten.

Gschwendtner Und koa Lateinschul.

Stelzer Und daß auch die Errichtung der Lateinschule unterbleibt.

Bürgermeister Aber warum denn, meine Herren?

Gruber grob. Da möcht i no lang fragen!

Stelzer Es ist bloß eine Stimme in den besseren Kreisen.

Bürgermeister Sagen Sie mir nur einen vernünftigen Grund!

Gruber aufgeregt. Jessas! Jessas!

Lindlacher heftig. Zwanzig für oan!

Gschwendtner Da braucht ma do koa Brillen, daß man dös siecht

Bürgermeister Meine Herren, dieser Ton!...

Stelzer unterbricht ihn. Verzeihung, Herr Bürgermeister! Herr Gruber! Meine Herren! Wir können doch mit Ruhe reden! Erlauben Sie, Herr Bürgermeister, wir sind hier sozusagen als Vertreter der öffentlichen Meinung. Wegen der Sorge um die Bahn.

Lindlacher und Gschwendtner unisono. Und d'Lateinschul!

Stelzer Es herrscht die Ansicht, daß Herr Bürgermeister die Opposition auf die Spitze getrieben haben. In dieser Beziehung.

Bürgermeister Ich habe doch bloß Ihre Meinung vertreten!

Stelzer Ja, aber die Wahl der Worte, Herr Bürgermeister!

Gruber grob. Net gar a so aufdrah'n hätten S' sollen!

Stelzer Pst! Herr Gruber! Ich meine die Art und Weise, wie Herr Bürgermeister mit dem Minister umgegangen sind.

Bürgermeister Sie befinden sich da in einem Irrtum, meine Herren!

Lindlacher Na! Na!

Gschwendtner Da gibt's koan Irrtum!

Bürgermeister Die Sache ist aufgebauscht worden. Ich versichere Sie. Durch den dummen Artikel im Wochenblatt.

Kiermayer Herr Bürgermoasta, a bisserl is Eahna da Gaul durchganga; a bisserl!

Gruber Ja, a bisserl! Dös war scho viel!

Bürgermeister zornig. Sie trauen mir doch nicht zu, daß ich mich wie ein Flegel benehme?

Gruber Gar so übrig's fei müassen S' net g'wesen sei!

Lindlacher Für was hätten denn mir nacha an Ovation bracht?

Gschwendtner grob. Mir san do net lauter Hanswurschten!

Stelzer flehend. Ruhe, meine Herren! Ruhe! Wir sagen ja bloß, Herr Bürgermeister. Sie haben sich etwas hinreißen lassen durch Ihren edlen Eifer.

Bürgermeister So glauben Sie mir doch, meine Herren! Sie sind falsch berichtet!

Gruber wütend. Herrschaft! Jetzt kunnt i scho glei grob wer'n.

Stelzer zu Gruber. Lassen Sie mich reden! Zum Bürgermeister. Herr Bürgermeister, wir haben doch nur das Wohl der Stadt im Auge. Wir machen Ihnen keine Vorwürfe; wir wollen uns nur beraten wegen dieser mißlichen Lage...

Bürgermeister Wie Sie immer von einer mißlichen Lage reden können.

Stelzer Oder sagen wir Dilemma. Es ist doch ein gewisses Dilemma vorhanden. Herr Bürgermeister waren in einer durchaus edlen Erregung, aber wir sind halt auch Untertanen.

Kiermayer Dös können S' doch net leugna, Herr Bürgermoasta!

Gschwendtner Geben S' as halt zua!

Bürgermeister Ich will Ihnen was sagen, meine Herren! Das Wohl unserer Stadt liegt mir auch am Herzen.

Stelzer Das wissen wir, Herr Bürgermeister. In dieser Beziehung.

Bürgermeister Ich habe mir die Sache überlegt. Schon bevor Sie gekommen sind, weil ich über Ihre Sorgen schon etwas unterrichtet war.

Stelzer Herr Bürgermeister...

Bürgermeister fortfahrend. Sehr würdevoll. Und ich habe sofort meinen Entschluß gefaßt. Vollständig frei, denn ich lasse mich durchaus nicht nötigen.

Stelzer Das möchten wir nie, aber...

Bürgermeister unterbricht. Ich werde den Minister fragen, ob ich sein Empfinden auch nur im geringsten verletzt habe. Und sollte dies der Fall sein, kurze Pause dann werde ich mich entschuldigen.

Gschwendtner Ja, wirkli?

Kiermayer freudig. I sag's ja!

Bürgermeister Ich reise bereits morgen in die Residenz.

Gschwendtner und Lindlacher Ah! Ah!

Kiermayer Unsa Bürgermoasta!

Stelzer Herr Bürgermeister, erlauben Sie mir, diese Handlungsweise, sie ist eine edle!

Lindlacher, Gschwendtner, Kiermayer unisono. Dös is s' aber aa!

Bürgermeister Ich betone ausdrücklich, daß ich damit durchaus nicht zugebe, was in dem taktlosen Artikel gestanden hat. Aber – unserer Stadt zuliebe zögere ich keinen Augenblick. Ich möchte nicht, daß auch nur die leiseste Verstimmung bei der Regierung herrscht.

Gschwendtner Ja! ja!

Kiermayer I sag ja bloß.

Stelzer Herr Bürgermeister, Sie haben sich selbst bezwungen, sozusagen. Das ist der schönste Sieg.

Alle drängen sich freudig erregt um den Bürgermeister, rufen bravo, schütteln ihm die Hand.

Kiermayer Das war ein Manneswort!

Lindlacher Respekt, sag' i!

Gschwendtner Hut ab! vor einem solchen Mann!

Gruber Nix für unguat.

Stelzer Und unsern Dank! Unsern heißen Dank!

Bürgermeister Bitte, meine Herren! Ich bedaure nur, daß Sie mir nicht gleich ihr Vertrauen schenkten.

Kiermayer Der Gruber halt!

Gruber I war net alloa!

Stelzer Keinen Zwist, meine Herren! Wir haben nie das Vertrauen verloren, Herr Bürgermeister.

Lindlacher Ma red't ja bloß!

Stelzer Es war nur die Sorge um das Gemeinwohl!

Gschwendtner Ganz richtig!

Stelzer Wir wissen alle, was wir an Herrn Bürgermeister haben. Und wir werden das auch zeigen.

Lindlacher Jawohl!

Sechste Szene

Unter der Gartentüre erscheint Heitzinger in Eile

Heitzinger Endlich finde ich die Herren. Ich suche seit einer Stunde herum. Was sagen Sie zu meinem Artikel? Wie steht jetzt die Angelegenheit?

Beim Eintreten Heitzingers sind alle etwas beiseite getreten, so daß sich der Bürgermeister und Heitzinger gegenüber stehen.

Bürgermeister Das will ich Ihnen schon sagen. Die Angelegenheit steht schlecht für Sie.

Heitzinger verblüfft. Wie? Was? Für mich?

Bürgermeister Sie sind schuld an der ganzen Geschichte! Sie sind schuld, wenn die Gesinnung dieser Stadt auch nur einen Augenblick angezweifelt werden konnte. Sie ganz allein.

Heitzinger Diesen Vorwurf habe ich nicht verdient.

Bürgermeister Jawohl haben Sie ihn verdient. Durch Ihren taktlosen Artikel!

Heitzinger Ich weiß nicht, wie ich mir vorkomme.

Gschwendtner Geh! G'stell di net a so!

Lindlacher Die ganze Bürgerschaft hetzat er auf anander. Was glauben denn Sie eigentli?

Gschwendtner Hast denn du koan Respekt vor der Obrigkeit?

Gruber Wia er d' Regierung anpacken möcht! Da hört sie do alles auf.

Lindlacher An Minister möcht er beleidigen!

Kiermayer Mit sein' Schmierblattl!

Heitzinger Das verbitte ich mir! Ich verbitte mir solche unparlamentarischen Ausdrücke! Ich habe bloß meine Pflicht getan.

Bürgermeister Das haben Sie nicht.

Heitzinger Herr Bürgermeister, ich habe doch bloß geschrieben, was Sie erzählt haben.

Bürgermeister Was?

Heitzinger Ja. Nach Ihrer glücklichen Rückkehr.

Bürgermeister geht langsam auf Heitzinger zu, tritt dicht an ihn heran und blickt ihn durchbohrend an. Mensch! Habe ich Ihnen etwas erzählt von Brutus? He?

Heitzinger Nein – – –

Gschwendtner Des muaß scho der Richtige g'wen sei!

Bürgermeister Und vom weströmischen Reich? He?

Heitzinger Erlauben Sie – – –

Bürgermeister Und von Tyrannen? Und von vernichten? He?

Heitzinger Das ist ja bloß der Stil, Herr Bürgermeister! Das ist ja bloß der Stil. Das muß so sein.

Gruber A Schmarr'n is!

Gschwendtner Und a rechte Unverschämtheit.

Alle schreien auf Heitzinger ein.

Bürgermeister Sie haben sich alles aus den Fingern gesogen.

Heitzinger Ich habe der Sache natürlich eine schöne Wendung gegeben. Damit es einen Schwung hat. Aber ich wollte damit nur Herrn Bürgermeister unterstützen.

Bürgermeister So?

Heitzinger In Ihrem Kampf gegen den Minister.

Bürgermeister groß. Herr Heitzinger, diese Kämpfe pflege ich allein auszutragen.

Kiermayer Da brauch'n ma Eahna net dazua.

Heitzinger Aber die Presse – – –

Bürgermeister wie oben. Was ich und der Minister einander zu sagen haben, das ist nicht für die Presse.

Lindlacher Wia könna denn Sie überhaupts mitreden? Sie san ja gar net von hier.

Gruber Sie Zuag'roaster!

Bürgermeister Ich kann Ihnen nur sagen, Heitzinger, Sie haben es beinahe fertiggebracht, daß der Frieden unserer Stadt gestört wurde.

Stelzer Wenn das überhaupt möglich wäre!

Bürgermeister Wenn das überhaupt möglich wäre. Ja! Er zieht das Wochenblatt aus der Tasche und klopft darauf. Es weht ein böser Geist aus diesen Zeilen, Heitzinger!

Heitzinger resolut. Wissen Sie was, Herr Bürgermeister, wenn der Artikel verfänglich ist – – dann dementiere ich ihn ganz einfach.

Gschwendtner Dös werd dei Glück sei!

Bürgermeister Wie soll das gehen?

Heitzinger Ich schreibe einfach, daß ich mich geirrt habe.

Kiermayer Oder daß d' b'suffa g'wen bist.

Bürgermeister Schreiben Sie nur, daß Sie sich geirrt haben. Denn glauben Sie mir, Sie haben sich auch geirrt.

Stelzer Aber meine Herren, wir müssen jetzt gehen. Also adieu, Herr Bürgermeister.

Gschwendtner Und nomal vielen Dank.

Kiermayer und Lindlacher Im Namen der Stadt. Sie schütteln ihm wieder die Hand.

Stelzer Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.

Bürgermeister Adieu, Herr Stelzer!

Lindlacher, Gschwendtner, Gruber, Kiermayer Pfüat Good!

Bürgermeister Adieu, meine Herren! Und Sie, Herr Heitzinger, halten Sie diesmal Ihr Versprechen; Sie haben viel gutzumachen.

Alle gehen ab durch die Gartentüre und reden eifrig in Heitzinger hinein, der heftig gestikuliert. – Kiermayer kehrt unter der Türe um und geht auf den Bürgermeister zu.

Kiermayer Herr Bürgermoasta! I bi koa Redner. Aha Sie verstengan mi do! I sag bloß dös. Bal die Regierung jetzt no was will – nacha san mir scho do! Schüttelt ihm die Hand.

Bürgermeister Jawohl, Herr Kiermayer.

Kiermayer Mir zwoa verstengan anand. Kiermayer ab.

Nach Abtreten Kiermayers stellt sich der Bürgermeister an das rechte Fenster und blickt mit dem Rücken gegen das Publikum gewendet in den Garten hinaus.

Pause. Der Major kommt von links.

Siebente Szene

Der Major. Der Bürgermeister.

Major Was war denn das für eine lebhafte Unterhaltung?

Bürgermeister Das Gemeindekollegium war da.

Major Aha!

Bürgermeister Sie haben mich gebeten, daß ich den Minister beschwichtigen soll.

Major Und du?

Bürgermeister Ich? Legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab. Ich habe eingewilligt. Was soll ich machen?

Major Natürlich!

Bürgermeister Weißt du, Karl, eine Lehre habe ich mir gezogen heute. Ich bin jetzt gewitzigt. Ich hole nicht noch einmal die Kastanien aus dem Feuer.

Major Da hast du recht.

Bürgermeister Diese Helden! Und dafür opfere ich das Glück meiner Familie!

Frau Bürgermeister von links in großer Eile.

Achte Szene

Die Vorigen. Frau Bürgermeister.

Frau Bürgermeister Fritz! Fritz! Er kommt.

Bürgermeister Was? Wer?

Frau Bürgermeister Adolf. Ich war bei ihm. Ich habe ihm alles erzählt.

Der Major geht nach links ab.

Bürgermeister aufgeregt. So red doch! Was ist denn?

Frau Bürgermeister Ich bin so gelaufen. Es kann noch alles gut werden. Er weiß, daß gar nichts vorgefallen ist.

Bürgermeister ja, aber...

Frau Bürgermeister Denk an unser Suschen. Sie war unglücklich genug wegen deiner Halsstarrigkeit.

Bürgermeister Ich will ja gern. Ich will ja von Herzen gern, wenn...

Frau Bürgermeister streichelt ihm die Wange. Sei wieder der Alte! Schau! So wie früher. Da kommt er schon!

Beringer erscheint langsam und gemessen unter der Gartentüre.


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