Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Dritter Akt

Gartenzimmer wie in den zwei vorhergehenden Akten.

Erste Szene

Der Bürgermeister. Frau Bürgermeister. Der Major. Sie sitzen beim Kaffee. Der Major liest in der Zeitung. Der Bürgermeister hat sich auf seinem Sessel zurückgelehnt und ist in sehr gedrückter Stimmung.

Frau Bürgermeister zum Bürgermeister. So trink doch deinen Kaffee.

Bürgermeister Ich mag keinen.

Frau Bürgermeister Du mußt etwas zu dir nehmen.

Bürgermeister Nein, danke. Wirklich nicht.

Frau Bürgermeister seufzt. Kleine Pause. Von links tritt Marie ein mit dem Brotkörbchen.

Bürgermeister Wo ist denn Suschen?

Frau Bürgermeister Wahrscheinlich oben. Zu Marie. Haben Sie ihr nicht zum Kaffee gerufen?

Marie Ich habe geklopft. Aber Fräulein Suschen sagte, sie hätte Kopfweh.

Der Bürgermeister seufzt.

Marie Ich glaube, Fräulein Suschen hat geweint, wie ich an der Tür war. Kleine Pause.

Frau Bürgermeister Hat sie gar nicht aufgemacht?

Marie Nein.

Frau Bürgermeister seufzt.

Frau Bürgermeister Da, Marie, bringen Sie ihr schwarzen Kaffee, und – warten Sie – ein bißchen Honig, und eine Semmel. So! Und sagen Sie ihr, ich komme dann gleich hinauf.

Marie Ja, gnä' Frau. Nimmt von der Frau Bürgermeister das Tablett mit Kaffee usw., links ab.

Frau Bürgermeister Das Kind wird uns noch krank.

Bürgermeister seufzt wieder.

Frau Bürgermeister Und wer ist schuld?

Bürgermeister Willst du mich auch quälen?

Frau Bürgermeister Es ist doch wahr.

Bürgermeister Freilich ist es wahr. Steht hastig auf und geht auf und ab. Alle hacken auf mich los. Mach es nur wie die anderen! Du hast ganz recht.

Frau Bürgermeister Du hast dir alles selbst getan.

Bürgermeister Dreiundzwanzig Jahre sind wir verheiratet, und nie hat es einen Streit gegeben.

Major der bisher hinter seiner Zeitung geraucht hat. Ja, Ja! Politik verdirbt den Charakter.

Bürgermeister bleibt stehen. Du hast leicht spotten. Wärst du an meiner Stelle, dann verging dir der Spaß. Er setzt sich nieder. Was über mich alles gekommen ist. An einem Tag!

Frau Bürgermeister Jetzt trink einmal deinen Kaffee, Fritz!

Bürgermeister Mir schmeckt nichts.

Steht auf und geht nach links ab.

Zweite Szene

Frau Bürgermeister. Der Major. Die Frau Bürgermeister setzt ihre Tasse zum Trinken an, stellt sie aber heftig nieder und schiebt sie mit energischer Bewegung in den Tisch hinein.

Frau Bürgermeister Da! Das soll jetzt so weiter gehen! Und ich muß zuschauen. Fällt mir gar nicht ein! Ich weiß, was ich tue. Sie räumt das Geschirr zusammen, wobei sie Tassen und Teller heftig auf das Servierbrett stellt, mit den Löffeln klirrt usw. Der Major liest anscheinend eifrig in der Zeitung.

Frau Bürgermeister Ja, die Männer! Das kann nicht nachgeben. Nur recht starrköpfig, daß um Gottes willen keine Perle aus der Krone fällt! Sie wirft die Zuckerzange sehr heftig in die Blechdose und klappt diese laut zu.

Frau Bürgermeister Nur recht rücksichtslos! Was liegt denn auch an der Familie. Zum Major. Du hörst mich wohl gar nicht?

Major über seine Zeitung weg. Doch, doch. Du bist wirklich sehr vernehmlich.

Frau Bürgermeister Aber es ist dir nicht der Mühe wert, was zu sagen?

Major Wozu? Du unterhältst dich ja ganz famos mit dem Kaffeegeschirr.

Frau Bürgermeister Und du machst dich über alles lustig. Das ist deine Kunst.

Major Sag mal, Schwägerin, soll ich jetzt die Vorwürfe kriegen, vor denen Fritz ausgerissen ist?

Frau Bürgermeister Die gehen schon dich selber an.

Major Das ist sehr aufmerksam von dir, aber was habe ich eigentlich mit der ganzen Geschichte zu tun?

Frau Bürgermeister Natürlich nichts. Nicht das mindeste! – Wer ist denn schuld, wie du?

Major Ich?

Frau Bürgermeister Ja, du!

Major legt die Zeitung weg. Na, Gott sei Dank, daß ihr das herausgeknobelt habt!

Frau Bürgermeister Fritz hat bloß wegen dir so gelogen.

Major. Hat er dir gebeichtet?

Frau Bürgermeister Er hat mir alles gesagt.

Major Und da habt ihr euch geeinigt, daß ich der Sündenbock bin?

Frau Bürgermeister Er traute sich nicht die Wahrheit zu sagen, weil er Angst hatte vor deinen Witzen.

Major Das ist eine Auslegung!

Frau Bürgermeister Er tut jetzt auch nicht, was er selber möchte. Aus lauter Respekt vor dir.

Major Jetzt, da schau her!

Frau Bürgermeister Jawohl. Er wäre gleich zu Adolf hin und hätte sich ausgesprochen mit ihm. Aber wenn ich ihm zurede, heißt es: ›Es geht nicht! Ich kann nicht. Karl heißt mich den größten Waschlappen, wenn ich es tue!‹

Major Wär's vielleicht schön, wenn er ihm nachläuft? Er steht auf; beide gehen nach vorn.

Frau Bürgermeister Nachlaufen! Wie sich das großartig anhört! Das wäre schon was!

Major Jedenfalls eine Blamage.

Frau Bürgermeister Und wenn! Für sein Kind kann man sich auch einmal blamieren.

Major Wenn es noch was hätte davon!

Frau Bürgermeister Ach so! Du hast ja Fritz förmlich dazu gratuliert, daß Suschen sitzenbleibt.

Major Dazu nicht. Aber, daß ihr den Herrn losgeworden seid.

Frau Bürgermeister Weißt du, da muß ich schon sagen wie meine Schwester: so ungeschickt kann bloß ein Junggesell daher reden. Was wißt ihr von den Sorgen, die man mit Kindern hat.

Major Du hast wohl die Sorge, daß Suschen glücklich wird?

Frau Bürgermeister Eben deshalb.

Major Ist denn Heiraten wirklich alles, Schwägerin?

Frau Bürgermeister resolut. Ja. Oder wenigstens die Hauptsache. Wenn ein Mädel nur eine richtige Versorgung hat. Alles andere kommt von selber.

Major. Oder auch nicht.

Frau Bürgermeister Das Glück hat niemand in der Hand. Wenn man seinem Kind nur die Möglichkeit dazu verschafft.

Major Und das war hier der Fall, meinst du?

Frau Bürgermeister Ganz gewiß.

Der Major zuckt mit den Achseln.

Frau Bürgermeister Was soll man denn verlangen? Er ist gesund, brav, hat eine sichere Stellung. Kann man sich eine bessere Partie denken? Lauter Prinzen gibt's halt nicht.

Major Und von der Neigung sagst du nichts? Sonst habt ihr sie immer im Mund.

Frau Bürgermeister Sie hat ihn gern. Und wie gern. Geh nur hinauf und schau, wie das arme Ding sich abgrämt!

Major Und er?

Frau Bürgermeister Er hat sie auch gut leiden können. Die heftige Zuneigung braucht es nicht.

Major So?

Frau Bürgermeister Nein. Das sagt jede vernünftige Frau. Die große Leidenschaft taugt gar nichts. Die hat keinen Bestand.

Major Die kleine scheint auch nicht herzuhalten.

Frau Bürgermeister Sie hält schon, wenn man erst verheiratet ist und sein anständiges Auskommen hat.

Major Ich wünsche deinem Suschen etwas Besseres als so einen Frosch.

Frau Bürgermeister Du warst immer gegen ihn.

Major Und hab' ich nicht recht gehabt? Beim ersten Schuß läßt er das Mädel im Stich.

Frau Bürgermeister Das wäre nie so weit gekommen, wenn Fritz nicht so bockbeinig gewesen wäre. Und heute ließe sich noch mit Adolf reden.

Major Du nimmst ihm das gar nicht übel?

Frau Bürgermeister Er ist am wenigsten schuld. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er nie daran gedacht, wegzugehen.

Major Aber, weil er Angst kriegte...

Frau Bürgermeister Er ist ein Mensch, der was auf sich hält und der vorwärts kommen will.

Major Und dem alles andere wurscht ist.

Frau Bürgermeister Gerade, weil er so vorsichtig ist, wird eine Frau bei ihm ihre sichere Existenz haben.

Major Übertriebene Ansprüche an den Charakter stellst du wirklich nicht.

Frau Bürgermeister Charakter! Er hat Charakter genug.

Major Ah?

Frau Bürgermeister Wer sich eine solche Stellung erringt, muß schon Charakter haben.

Major Warum streiten wir eigentlich, Schwägerin? Du hast ja deinen Entschluß schon gefaßt.

Frau Bürgermeister Das habe ich auch.

Major Du wirst dem Herrn Amtsrichter sagen, daß er seiner Karriere nicht schadet, wenn er wiederkommt.

Frau Bürgermeister Er soll wenigstens wissen, woran er ist. Wenn er trotzdem wegbleibt, in Gottes Namen! Aber die Dummheit verschweigen, das tue ich nicht.

Major Er wird euch verzeihen. Suschen ist ja ein hübsches Mädel, kriegt auch was mit, und bis er wieder eine findet, das kostet ihm Zeit und Mühe.

Frau Bürgermeister Es kann ja sein, daß ich mir was vergebe. Die Leute würden es vielleicht schöner finden, wenn wir jetzt recht großartig beleidigt wären. Ich verliere aber gerne meinen Stolz, wenn nur das Kind glücklich wird.

Major hält ihr die Hand hin, jovial. Geh her! Du bist eine brave Haut.

Frau Bürgermeister schlägt ein. Lach nur über mich!

Major Das tu' ich nicht. Ich habe gestern und heute viele Redensarten gehört; vielleicht selber ein paar gemacht. Am Ende ist das natürlicher, was du sagst. Auch wenn du nicht recht hast.

Frau Bürgermeister Du mußt mir etwas versprechen, Karl.

Major Und was?

Frau Bürgermeister Daß du Fritz nicht in seinem Hochmut bestärkst, wenn Adolf wirklich zurückkommt.

Major lacht. Das werde ich bleiben lassen. Der tut doch, was er will.

Frau Bürgermeister Nein, du! Wirklich! du hast einen solchen Einfluß auf ihn. Und es ist dir doch nicht gleich, wenn wir in dem Kummer weiter leben?

Major Das kann mir schon nicht gleich sein. Ich habe den Schaden daran. Das ist ja scheußlich, wie ihr jetzt herumsitzt.

Frau Bürgermeister Also versprich mir das!

Major Gut! Ich werde Fritz nicht in seinem Hochmut bestärken.

Frau Bürgermeister Ich dank' dir; auch für Suschen.

Marie kommt von links.

Frau Bürgermeister Marie, räumen Sie ab, und wenn mein Mann fragt, sagen Sie ihm, daß ich fort bin und bald wieder komme.

Marie Ja, gnä' Frau.

Die Bürgermeisterin droht im Abgehen dem Major noch mit dem Zeigefinger; dann links ab.

Dritte Szene

Der Major. Marie.

Major sucht in seinen Rocktaschen. Marie, haben Sie meinen Tabakbeutel nicht gesehen?

Marie Da liegt er ja. Auf dem Tisch.

Major Ah, richtig. Der Major geht zum Tische und nimmt von Marie den Tabakbeutel in Empfang. Er stopft nachdenklich die Pfeife, wobei er mehrmals laut räuspert.

Major brummend. Mich soll der Teufel in der Luft beuteln, wenn ich nochmal meine Nase hineinstecke.

Geht langsam nach links ab.

Vierte Szene

Zuerst Marie allein, welche den Tisch abräumt. Dann treten durch die Gartentür Stelzer, Gruber, Kiermayer, Gschwendtner und Lindlacher ein. Alle tragen Gehröcke und altmodische Zylinder, die sie erst beim Eintreten des Bürgermeisters abnehmen.

Stelzer Ist Herr Bürgermeister zu Hause?

Marie Ja. Soll ich ihn holen?

Stelzer Wenn Sie so gut sein wollen und sagen, daß wir da sind.

Marie Gleich. Ab nach links mit dem Kaffeegeschirr.

Kiermayer Du muaßt's Wort führ'n, Stelzer. Als Vorstand vom Kollegium.

Stelzer In dieser Beziehung kann ich nicht umhin, wenn es mir auch unangenehm ist.

Gruber Mir hamm uns do nix z'fürchten.

Kiermayer Z'fürchten net; aba schö is aa net. Heut so, morgen a so.

Gruber Ja no! –

Gschwendtner Wenn's amal das Interesse der Stadt erfordert!

Stelzer Wir konnten gestern die Sachlage nicht so beurteilen.

Gruber Und mir hamm eahm net o'g'schafft, daß er 's Maul soweit aufreißt.

Kiermayer Aha g'freut hat's uns.

Lindlacher Dös hamm mir net so überlegt.

Stelzer Wir können mit der Regierung nicht im Zwiespalt leben.

Gruber Was hamm mir denn von dera Streiterei? Wir möchten unser Ruah!

Lindlacher und Gschwendtner laut unisono. Wir möchten unser Ruah!

Stelzer Wenn wir uns gegen die Behörden nicht mäßigen, is das ganze Bahnprojekt gefährdet.

Kiermayer Des ist ja richtig; des gib i zua.

Gruber Und koa Lateinschul krieg'n mir aa net. Seit zehn Jahr mach ma'r oa Eingab nach der andern, und jetzt waar alles umasunst.

Stelzer Wir dürfen unter keinen Umständen die Gunst der Regierung verscherzen.

Gruber Wenn ma was krieg'n will, muaß ma sie aa was g'fallen lassen. Des is an alte G'schicht.

Kiermayer I bin ja selber net regierungsfeindli.

Gruber No also!

Lindlacher Im G'schäft hat ma'r an Verlust, und dahoam d' Vorwürf.

Gschwendtner Und wie waar's denn bei mir? Net? I bi Buachbinder und kriag vom Amtsg'richt d' Hypothekenbüacher zum Ei'binden. Auf oamal stand i do als a Revolutionär. De lasseten halt ihre Bücher ganz oafach bei an andern ei'binden. Und i hätt' an Dreck.

Lindlacher So geht's an jeden.

Stelzer Wir können die staatlichen Lieferungen nicht entbehren.

Kiermayer Des is mir alles recht, aba was soll denn jetzt da Bürgermoasta toa?

Stelzer Auf irgendeine Weise muß die Sache ins Geleise gebracht werden.

Kiermayer Wia denn?

Gruber Des is sei Sach. Dafür is er Bürgermoasta.

Lindlacher grob. Und werd zahlt von uns.

Gschwendtner Hat er den Karr'n einig'schoben, kann er'n wieda rausziagn aa.

Kiermayer Aber a Blamaschi is scho, a Blamaschi.

Lindlacher Auf dös bissel geht's net z'samm.

Gruber Dös hätt' er si z'erscht überlegen müassen. Was braucht er denn gar so aufz'drah'n? A Minister is do aa'r a Mensch!

Stelzer Alles mit Maß und Ziel!

Gschwendtner und Lindlacher laut unisono. Mir möcht'n unser Ruah! –

Kiermayer Pst! Da kimmt er!


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