Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Zwölfte Szene

Der Bürgermeister. Beringer. Suschen.

Suschen ich hab' doch deine Stimme gehört. Du! Gelt, du bist nicht böse?

Beringer macht sich sanft, aber bestimmt aus der Umarmung frei.

Beringer Suschen... ich... ich... Papa wird dir alles sagen. Geht bis zur Gartentüre.

Suschen bestürzt. Adolf!

Beringer wendet sich auf den Schrei um. Ich darf nicht.

Dreizehnte Szene

Der Bürgermeister. Suschen.

Suschen geht auf ihren Vater zu, der bestürzt in der Mitte des Zimmers steht. Papa, will mich Adolf nicht mehr?

Bürgermeister stockend. Es... es sieht so aus, Suschen.

Suschen legt heftig weinend den Kopf an seine Brust, schluchzend. Aber – warum – denn?

Bürgermeister Ich glaube beinahe, ich... ich habe dich durch meine Dummheit unglücklich gemacht, Suschen.

Suschen heftiger schluchzend. Nein – – du nicht – – du guter Papa! Er hat mich wohl nie wirklich lieb gehabt.

Bürgermeister streichelt ihr den Kopf. Nicht weinen, Kindchen! Nicht so weinen!

Vierzehnte Szene

Von links Frau Bürgermeister, Frieda, der Major. Die Vorigen.

Frieda laut. Gel, ich hab's g'sagt! Da habt's as jetzt!

Frau Bürgermeister sehr bestürzt zu ihrem Mann. Was ist mit Suschen?

Suschen Es ist alles aus, Mama.

Frau Bürgermeister ebenfalls weinend. Aber – Kind!

Frieda Wer hat jetzt recht g'habt?

Major zu Frieda. Das ist die Hauptsache, daß Sie recht haben.

Frau Bürgermeister Aber was war denn, Fritz?

Bürgermeister Er sagte, daß ich ihn kompromittiere.

Frau Bürgermeister Schau nach, Suschen! Geschwind! Vielleicht wartet er draußen.

Suschen Nein, Mama. Ich habe recht gut gemerkt, daß es vorbei ist.

Frau Bürgermeister fühlt Suschen an die Stirne. Was hast du für einen heißen Kopf!

Suschen Laß mich. Rasch nach links ab.

Frau Bürgermeister Das ist ja ein Unglück.

Frieda Und die Schand.

Bürgermeister Ich kann es noch nicht glauben. Mir ist so, als wenn es nicht wahr sein kann.

Frieda Ja, der Beamtengiggel!

Frau Bürgermeister Vielleicht hat er nur so im Zorn geredet. Er ist kein böser Mensch.

Bürgermeister Er war nicht zornig, Mama. Ganz ruhig und überlegt.

Frau Bürgermeister wieder in Weinen ausbrechend. Das arme, arme Ding! Muß so gestraft werden!

Major Geh, Schwägerin! Nimm's nicht so schwer. Es hätte was Schlimmeres passieren können.

Frieda Da sieht ma wieder an Junggesellen. Ahmt den Major nach. ›Es hätte was Schlimmeres passieren können.‹ Als wenn's noch was Ärgeres geben könnt'.

Major O ja, verehrte Frau Pilgermaier!

Frieda Weil des kei Schand net is, wenn ma scho den größten Staat g'macht hat mit'n Herrn Schwiegersohn, und auf oamal is nix mehr!

Frau Bürgermeister Ich darf nicht daran denken. Schluchzt. Vorgestern habe ich noch mit Suschen beim Kaufmann Kissenüberzüge angesehen.

Bürgermeister Es muß noch recht werden.

Major Und die Kissen kaufen wir schon noch für einen andern Mann.

Frieda Weil ma so schnell wieder ein' find't.

Major zu Frieda. Sie haben wirklich was Trostreiches an sich.

Frieda Is ja wahr! I kann mi ärgern, wenn ma so daher red't.

Bürgermeister Ich mache mir solche Vorwürfe, Mama!

Frau Bürgermeister Ich habe schon eine Ahnung gehabt, wie du fortgefahren bist.

Bürgermeister Und wegen nichts! Rein wegen nichts!

Frieda I geh jetzt. Soll i mi net z'erst nach'm Suschen umschau'n?

Frau Bürgermeister Nein.

Frieda Ich hätt s' vielleicht trösten können, daß s' doch net gar so fassungslos is.

Frau Bürgermeister Laß sie jetzt allein.

Frieda Wie d' meinst. Also adieu! Und nehmt's as halt als eine Fügung Gottes! Links ab; unter der Türe dreht sie sich nochmals um. I schick euch später mein Mann her. Nein, das wird eine Schwätzerei geben in dem Dornstein! Ab.

Major Das glaube ich auch.

Frau Bürgermeister Ich will zum Suschen hinauf.

Bürgermeister Ja. Rede ihr zu!

Frau Bürgermeister langsam nach links ab; sie trocknet sich mit dem Taschentuche die Augen.

Fünfzehnte Szene

Der Bürgermeister. Der Major. Der Bürgermeister sieht seiner Frau nach und seufzt tief auf.

Bürgermeister Gestern so vergnügt, und heute! Das Unglück kommt über Nacht.

Major Jetzt, weißt, wenn deine Frau jammert, sage ich nichts. Aber dir steht das schlecht an.

Bürgermeister Mich trifft es vielleicht noch härter.

Major Sei froh, daß der Kerl weg ist.

Bürgermeister Was?

Major Na, vielleicht nicht?

Bürgermeister Droben weint sich das Mädel die Augen rot, und ich soll froh sein!

Major Suschen nimmt es nicht leicht. Das ist ganz in der Ordnung. Aber du sollst weiter sehen!

Bürgermeister Gerade, weil ich weiter sehe. Weil ich an die Zukunft denke.

Major Ist es nicht besser, daß ihr ihn jetzt kennen gelernt habt? Vor der Hochzeit? Hinterher wär's zu spät gewesen.

Bürgermeister Da hätte er wenigstens nicht mehr zurücktreten können.

Major Das wäre aber ein Glück gewesen!

Bürgermeister Du weißt nicht alles, Karl, sonst würdest du anders reden.

Major Ich weiß, daß er ein kalter Tropf ist. Das langt.

Bürgermeister Er hat ja nicht schön gehandelt, aber...

Major Ach was, schön gehandelt! Das sind Sprüche. Er hat sich so benommen, wie's in seinem Charakter liegt. Kein Mensch kann aus seiner Haut hinaus.

Bürgermeister Suschen hat ihn gerne.

Major Was versteht so ein Mädel? Sie wären doch nie glücklich geworden!

Bürgermeister Das kann man nicht sagen.

Major Wie hat er sich denn gestellt, als Bräutigam? Der lederne, langweilige Kerl!

Bürgermeister Das ist kein Beweis, daß er nicht ein guter Mann geworden wär.

Major Den Beweis hast du jetzt. Wenn du noch einen gebraucht hast.

Bürgermeister Und es ist doch ein Unglück. Ich mache mir die schwersten Vorwürfe.

Major Das ist eben keine Vernunft.

Bürgermeister Wenn du alles so wüßtest wie ich.

Major Ach was!

Bürgermeister Nein, Karl! Schau, wenn es was Ernstliches gegeben hätte, das wäre ja auch traurig, aber... es wäre einmal nicht zu ändern. Aber so! Es ist zum Haar ausraufen!

Major Der Grund ist doch wirklich Nebensache.

Bürgermeister Wenn aber gar keiner da ist!

Major Dann siehst du erst recht, daß ihr ihm nichts wert seid.

Bürgermeister Du kannst mich nicht verstehen. Komm, setz dich einmal her.

Die beiden setzen sich rechts einander gegenüber.

Bürgermeister Karl, die heftige Szene mit dem Minister weißt du – an der Szene ist kein wahres Wort.

Major etwas erstaunt. Kein wahres Wort?

Bürgermeister Nein. Nicht die Spur davon. Die ganze Audienz hat zwei Minuten gedauert. Ich habe nicht mehr gesagt, als Grüß Gott und Adieu.

Major Na, hör mal! Daß du übertrieben hast, dachte ich mir. Aber daß du die ganze Geschichte aus der Luft greifst, lacht das hätte ich dir eigentlich nicht zugetraut. Bürgermeister Ich wollte es auch nicht.

Major Wer hat dich denn gezwungen?

Bürgermeister Wie es halt geht. Ich war ja tatsächlich wütend auf den Minister.

Major Mhm.

Bürgermeister Und... während der Fahrt in die Residenz habe ich mir ausgemalt, was ich ihm sagen werde.

Major In der Eisenbahn?

Bürgermeister In der Eisenbahn, ja. Und im Vorzimmer. Im Vorzimmer auch noch. Und dann – – siehst du, Karl, ich kann furchtbar grob sein, rück-sichts-los, wenn jemand gegen mich grob ist. Aber wenn jemand höflich ist, da... da bring ich's eben nicht fertig.

Major Und der Minister war höflich?

Bürgermeister Und wie! Er gab mir gleich die Hand. ›Mein lieber Bürgermeister, es tut mir ja unendlich leid, aber es geht unmöglich anders.‹ Was hätte ich da sagen sollen? Wie hätte ich da brutal sein können?

Major Man hat dir Honig ums Maul geschmiert. Kenn' ich.

Bürgermeister Ich habe überhaupt nichts gesprochen; ich wurde hinauskomplimentiert. Wie ich dann wieder in der Eisenbahn saß, habe ich mir vorgestellt, was ich eigentlich hätte sagen sollen.

Major Warum hast du dann hier geflunkert?

Bürgermeister Du lieber Gott! Wie ich ankomme, steht schon der Schweigel da und der Stelzer. Brennend vor lauter Neugier. Aus jedem Haus schauen die Leute und grüßen. Daheim seid ihr und fragt mich aus. Überall ist die größte Erwartung. Da konnte ich doch nicht sagen, daß gar nichts gewesen ist.

Major Was willst du jetzt tun?

Bürgermeister Wenn ich das wüßte! Ich kann doch nicht erklären, daß ich gelogen habe!

Major Das würde sich nicht gut ausnehmen.

Bürgermeister Noch dazu, wo die Ovation war!

Major Jetzt mußt du schon dabei bleiben.

Bürgermeister Nicht bloß wegen mir. Ich kann doch die Bürgerschaft nicht bloßstellen.

Major Es wäre eine verdammte Blamage.

Bürgermeister Nein, es geht nicht. Es wäre undankbar, wo die Leute alle zu mir gestanden sind.

Major Dann bleib jetzt wenigstens fest.

Bürgermeister Ich muß. Und weißt du, Karl, es tröstet mich auch etwas, daß die Bürgerschaft wie ein Mann zu mir hielt.

Schweigel tritt rasch durch die Gartentüre ein. Er ist sehr erhitzt und wischt sich den Schweiß von der Stirne.

Sechzehnte Szene

Die Vorigen. Schweigel. Der Bürgermeister und der Major sind aufgesprungen.

Schweigel Saxen! Saxen! Herrschaftssaxen!

Major Was ist denn los?

Schweigel Ah was! Beim Stelzer drunten steht das ganze Gemeindekollegium beinander und steckt d'Köpf z'samm.

Bürgermeister Warum?

Schweigel Ja, wissen S', Herr Bürgermoasta, die Leut hamm Angst, ob Sie's Maul net do a bissel gar z'weit aufgerissen hamm!

Vorhang


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