Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Vierte Szene

Frau Bürgermeister. Major. Bürgermeister. Schweigel. Stelzer.

Frau Bürgermeister freudig. Grüß Gott, Fritz!

Bürgermeister sie auf beide Wangen küssend. Grüß Gott, Mama! Da wären wir ja wieder daheim. So, Karl! Schüttelt dem Major die Hand. Das hätten wir überstanden. Wo ist denn Suschen?

Frau Bürgermeister Mit Adolf. Er ist gerade fort.

Bürgermeister So, mit Adolf? Du, Mama, die Herren waren so liebenswürdig und haben mich an der Post abgeholt.

Frau Bürgermeister Das ist nett von Ihnen.

Stelzer Bitte sehr, Frau Bürgermeister. Nicht mehr wie billig. Als Vorstand des Gemeindekollegiums war es sozusagen meine Schuldigkeit. In dieser Beziehung.

Schweigel Und mir hätten aa glei' wissen mögen, wia's ganga hat. Aba der Herr Bürgermoasta hat no koa Zeit g'habt zum Verzählen vor lauter Freud, daß er wieda dahoam is.

Bürgermeister Die Herren müssen zum Kaffee bleiben.

Frau Bürgermeister Freilich! Geht zur Türe links und ruft: Marie, noch zwei Tassen! Zu Stelzer und Schweigel. Sie schenken uns doch die Ehre?

Stelzer Bitte sehr, Frau Bürgermeister, die Ehre ist unsererseits. Wenn Sie erlauben, sind wir so frei.

Alle setzen sich.

Bürgermeister Das ist ja behaglich nach dem Trubel in der Stadt.

Schweigel I bin aa jed'smal froh, wenn i wieda dahoam bi'.

Stelzer Unser Dornstein vereinigt sozusagen die Vorzüge des Stadt- und Landlebens! Man genießt die Ruhe und ist doch in den nötigen Lebensbedürfnissen nicht zu sehr beschränkt.

Frau Bürgermeister Aber erzähl doch, Fritz! Wie hat es gegangen?

Schweigel Hamm S' an Minister troffen? Zu Marie, die den Kaffee gebracht hat und einschenkt. A bissel mehr Milli, bitt schön.

Major Schieß mal los!

Bürgermeister Es war ein heißer Tag, meine Herren. Ein sehr heißer Tag.

Schweigel Und wer gibt nach? Mir oder de ganz andern?

Bürgermeister Leider, meine Herren, zu meinem Bedauern, zuckt die Achseln ich konnte nichts mehr ändern.

Schweigel heftig. I hab's ja glei g'sagt. Da hat's koana glaab'n wollen. Auf Stelzer deutend. Da sitzt aa so oana, der allaweil predigt hat: nur Ruhe – nur Ruhe! Jetzt hamm s' an Dreck. Entschuldigen schon, Frau Bürgermoasta.

Stelzer Wir, im Gemeindekollegium, glaubten, daß ein maßvolles Verhalten am besten sein würde.

Schweigel Nix is – Hätt'n ma nur 's Maul besser aufg'rissen.

Major Also glattweg abgelehnt, Fritz?

Bürgermeister Der Minister bleibt bei dem Entweder – Oder.

Schweigel Und lacht uns brav aus.

Bürgermeister Das nicht. Im Gegenteil. Es sind scharfe Worte gefallen.

Schweigel Hoffentli, aha – –

Stelzer Lassen wir doch unsern Herrn Bürgermeister erzählen.

Frau Bürgermeister So fang doch einmal an, Fritz!

Bürgermeister Gleich. Also ich fahre gestern früh in die Stadt. Sie können sich denken, in einiger Aufregung.

Stelzer Das läßt sich begreifen.

Bürgermeister Ich komme an und werde gleich vorgelassen. Wie ich eintrete, sagte der Minister: ›Ah, da ist ja mein lieber Bürgermeister von Dornstein!‹

Schweigel nachäffend. ›Mein lieber!‹ Da bals d' net gehst.

Bürgermeister Ich sage: Exzellenz, ich komme heute in dringender Sache. ›Weiß schon‹, sagte er, ›Sie wollen mich in der bewußten Angelegenheit sprechen.‹

Schweigel ›Bewußt!‹ Dös is freili bewußt.

Bürgermeister Dann sagte er: ›Ich habe den guten Dornsteinern das Ultimatum stellen müssen. Die Sache geht sonst nicht vorwärts. Hoffentlich hat man sich jetzt eines Besseren besonnen.‹

Schweigel in den Tisch schlagend, daß die Tassen klirren. Hast scho amal so was g'hört?

Stelzer Die kommerziellen Interessen unserer Stadt sollten doch besser gewürdigt werden.

Schweigel ungestüm. Hamm Sie Eahna des g'fallen lassen?

Frau Bürgermeister Was hast du gesagt, Fritz?

Bürgermeister Mir ist das Blut siedheiß in den Kopf gestiegen. Ich denke mir, da hört sich doch die Gemütlichkeit auf.

Major Ja, und?

Bürgermeister Und... und ich trete einen Schritt zurück, und dann habe ich losgelegt. Aber gründlich! Exzellenz, sage ich, wo ist hier das Bessere? Warum, sagte ich, müssen wir uns eines Bessern besinnen? ›Weil ich sonst nicht in der Lage bin, das Projekt zu befürworten‹, sagte er.

Major War's dann fertig?

Bürgermeister Nein, dann ging es erst recht an. Ich dachte mir, jetzt ist schon alles gleich.

Schweigel brüllt. Bravo!

Bürgermeister Das ist ein Zwang, sagte ich, ein unerhörter Zwang. Das lassen wir uns nicht bieten! Und dann redete ich mich in den Zorn hinein. Ich weiß auch nicht mehr jedes Wort, aber es war scharf.

Schweigel Hamm S' aufdraht?

Bürgermeister Ich sparte nichts, was gesagt werden mußte.

Frau Bürgermeister ängstlich. Aber Fritz!

Bürgermeister Mama, es mußte sein.

Schweigel Der werd g'schaugt hamm!

Bürgermeister Er war sichtlich betroffen, als ich ging. Das hatte er sich wohl nicht erwartet.

Frau Bürgermeister Wenn er dir nur nichts nachtragt

Schweigel Ah was! Da san mir Dornstoana scho da! Dös vergessen mir Eahna net, Herr Bürgermoasta, daß S' so aufdraht hamm. Dös is ja großartig! Da! Geb'n S' ma Eahna Hand! Schüttelt dem Bürgermeister kräftig die Hand.

Stelzer Mir auch, wenn Sie erlauben, Herr Bürgermeister. Als Vorstand des Kollegiums, und in dieser Beziehung.

Bürgermeister Ich danke Ihnen, meine Herren. Sie sind zu freundlich. Ich habe nur meine Pflicht getan.

Major Du bist ja ein Hauptkerl, Fritz!

Fünfte Szene

Suschen rasch von links. Die Vorigen.
Alle sind aufgestanden.

Suschen Papa! Papa!

Bürgermeister küßt sie. Grüß' dich Gott, Suschen. So, mein Kind. Wo hast du Adolf gelassen?

Suschen Er muß arbeiten und kommt später.

Bürgermeister Schön. Da wollen wir einen vergnügten Abend verleben. Wendet sich wieder zu Schweigel und Stelzer. Wie gesagt, meine Herren, nur meine Pflicht.

Schweigel Na, na, Herr Bürgermoasta! Dös war schon mehr. Und wenn's aa nix g'holfen hat, dös vergessen mir Eahna net.

Stelzer Wir können mit Stolz darauf zurückblicken.

Der Bürgermeister geht mit Schweigel und Stelzer etwas nach rückwärts gegen die Gartentüre zu. Er unterhält sich lebhaft mit ihnen, und man sieht immer wieder, daß Schweigel dem Bürgermeister kräftig die Hand schüttelt. Die Frau Bürgermeister, der Major, Suschen kommen mehr nach vorne.

Suschen Mama, was wollen die Herren?

Frau Bürgermeister Ach Kind, dein Papa!

Suschen ängstlich. Was ist denn?

Frau Bürgermeister Er hat wirklich einen schrecklichen Auftritt gehabt.

Suschen Beim Minister?

Major Ja, furchtbar!

Suschen blickt bestürzt auf die Mutter. Aus dem Hintergrund hört man Schweigel sehr laut sagen:

Ein Manneswort! Ein deutsches Manneswort!

Suschen Wenn ihm nur nichts geschieht, Mama!

Frau Bürgermeister Hoffen wir das Beste. Sei nicht zu ängstlich, Suschen! Wir dürfen den Kopf nicht verlieren. Komm, hilf mir abdecken! Sie gehen zum Tische und räumen geräuschvoll das Kaffeegeschirr ab.

Frau Bürgermeister Das wird noch alles recht werden. Er ist ja sonst gut angeschrieben.

Suschen Glaubst du wirklich?

Frau Bürgermeister Gewiß. Und laß auch nur den Adolf nichts merken! Da kommen noch ein paar Herren! Rasch, Suschen! Frau Bürgermeister und Suschen mit dem Kaffeegeschirr links ab. Der Major folgt ihnen.

Vom Garten herein treten Redakteur Heitzinger, Schlosser Gruber und Schreiner Kiermayer.

Sechste Szene

Der Bürgermeister. Schweigel. Stelzer. Heitzinger. Gruber. Kiermayer. Der Major.

Heitzinger Guten Tag zu wünschen, Herr Bürgermeister!

Kiermayer Grüaß Gott beinand!

Bürgermeister Grüß Gott, meine Herren!

Heitzinger Wir haben vernommen, daß der Herr Bürgermeister zurück sind, und bei der Aufregung in der Stadt möchten wir um Bescheid bitten.

Kiermayer Ma möcht sozusag'n sei G'wißheit hamm! Net wahr?

Bürgermeister Leider, meine Herren, leider ist meine Nachricht keine günstige.

Schweigel Nix is, Kiermayer! Abg'fahren san ma.

Kiermayer Also is so weit, daß mir zuaschaug'n müassen, wia die städtischen Interessen hintangesetzt wern.

Gruber Und die Dornsteiner G'schäftswelt.

Heitzinger Das ist die Behandlung des Mittelstandes.

Bürgermeister Ja, es ist eine böse Sache, meine Herren.

Gruber San de Ziagelstoa vom Herrn Baron mehra wert als wia de ganz Stadt?

Kiermayer Gibt's da gar koane Mittel und Weg mehr?

Heitzinger Sollte die Presse nichts vermögen, Herr Bürgermeister?

Bürgermeister Das ist alles umsonst.

Schweigel Mir müassen no recht brav sein, sonst kriag'n ma überhaupts gar koa Bahn.

Gruber laut. Oho!

Kiermayer Dös woll'n ma sehg'n.

Schweigel Da brauchst net warten; dös is uns schnurg'rad g'sagt wor'n. Geln S', Herr Bürgermoasta?

Bürgermeister Allerdings.

Kiermayer Jetzt muaß i scho dumm frag'n: San denn mir gar nix? Mir san do gewissermaßen Bürger und zahlen, wia ma so zu sagen pflegt, unsere Steuern und Abgaben.

Schweigel Und net z'weni!

Kiermayer Und net z'weni, ganz richtig! Is denn da gar koa Mensch net vorhanden, der wo si rührt und sagt amal alles, was wahr is? Und schon glei a so, daß ma's überall vasteht! Herrschaftseiten überanand! Jetzt wurd i scho glei zorni aa!

Heitzinger Ich werde einen fulminanten Artikel schreiben.

Schweigel Ah was! Mit dein Artikel, da kost dahoam bleiben!

Kiermayer Dös hätt si mündli g'hört, und auf der Stell!

Schweigel Is scho g'schehg'n! Da brauchst di net kümmern.

Kiermayer Wos? Vo wem?

Schweigel Unsa Herr Bürgermoasta! Ha ha! Freunderl, der hat's eahm g'sagt!

Kiermayer Is wahr.

Schweigel No, mei Liaba! Der hat si hi'g'stellt für uns! Der hat uns vertreten!

Bürgermeister Sie dürfen überzeugt sein, daß nichts versäumt wurde.

Kiermayer lärmend. Respekt, sag i, Respekt!

Schweigel De Herren wissen jetzt, wo der Bartel an Most holt. Und daß mir aa no wer san!

Kiermayer Entschuldigen S', Herr Bürgermoasta, dös hab i ja net wissen könna!

Gruber Hat nacha des Reden was g'holfen?

Bürgermeister Sie wissen, meine Herren, wenn sich die Regierung einmal ihre Meinung gebildet hat!

Stelzer Leider! Leider!

Bürgermeister Wir dürfen uns keinen Hoffnungen hingeben.

Gruber Dös valernt ma scho heutzutage

Heitzinger Bei der Untergrabung des Mittelstandes!

Kiermayer Aha wart's nur, Manndeln, wenn die Wahlen kemma! Da zoag'n ma's eahna, bei die Wahlen!

Bürgermeister Wie gesagt, wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, die wahre Meinung der hiesigen Bürgerschaft kennt das Ministerium jetzt.

Stelzer Und in dieser Beziehung schulden wir Ihnen den größten Dank.

Kiermayer und Gruber unisono. Des tean mir aber aa!

Schweigel Gott sei Dank, daß 's no Leut gibt, de 's Herz auf'n recht'n Fleck hamm!

Gruber Und a Schneid!

Kiermayer Mir lassen aa net aus. Und bal die Regierung, i sag net mehra; Sie vastengan mi scho, Herr Bürgermoasta! Bal die Regierung!

Heitzinger Herr Bürgermeister, darf ich Sie um den genauen Wortlaut der Unterredung bitten?

Bürgermeister Wozu?

Heitzinger Ich muß einen Leitartikel bringen. Einen gepfefferten.

Bürgermeister Das ist nicht notwendig, Herr Heitzinger. Wirklich nicht. Er geht mit Heitzinger nach rückwärts.

Heitzinger Sie verkennen die Bedeutung der Presse, Herr Bürgermeister.

Bürgermeister Durchaus nicht, aber ich bin kein Freund von den Geschichten.

Sie entfernen sich gegen die Gartentüre zu. Heitzinger spricht lebhaft auf den Bürgermeister ein.

Schweigel Der Heitzinger is eine Wanzen.

Kiermayer Du, was hat denn der Bürgermoasta g'sagt?

Schweigel Ah, Freunderl, der hat's eahna g'muckt!

Gruber Geh!

Schweigel Mir lassen uns nix g'fallen, hat er g'sagt, mir Dornstoana, von koan Minister. Mir wollen unser Recht, geht's, wia's mog, sagt er.

Kiermayer Ah Herrschaft!

Schweigel Ja, und koan Zwang leiden mir durchaus gar net. Mir san freie Bürger, hat er g'sagt.

Kiermayer sich auf die Schenkel patschend. Freie Bürger!

Schweigel Und der muaß erscht no auf d' Welt kemma, der uns schikanieren derf, hat er g'sagt.

Kiermayer und Gruber reiben sich vor Vergnügen die Hände. Haha! Herrschaftseiten! Haha!

Schweigel Und so is weiterganga, in dera Tonart. I sag enk, des muaß an ganzen Auflauf geben hamm.

Stelzer Es war eine mutvolle Tat.

Kiermayer brüllt. Respekt, sag i nomal! So is recht!

Stelzer Die Stadt sollte eigentlich ihrem Dankgefühl Ausdruck verleihen.

Schweigel Scho deswegen, daß de drobern sehg'n, daß mir zum Bürgermoasta halten.

Kiermayer Und daß sie si grean und blau ärgern.

Gruber De müassen z'springa vor lauter Gift.

Kiermayer Mir müassen was arranschieren.

Schweigel Dös verlangt der Anstand; er hat si aa für uns ei'g'legt.

Stelzer Wenn mir die Herren erlauben, werde ich die Sache gleich in die Hand nehmen.

Schweigel Dös tuast.

Kiermayer Da müassen mir uns aha tummeln! Zum Bürgermeister, der mit Heitzinger wieder nach vorne kommt. I geh jetzt; es is nimmer z' fruah.

Gruber I geh mit. Pfüat Gott, Herr Bürgermoasta!

Stelzer Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.

Heitzinger Ich muß auch noch in meine Offizin.

Bürgermeister Dann adieu, meine Herren! und nicht wahr, Herr Heitzinger, der Artikel unterbleibt bis auf weiteres?

Kiermayer Was ist, Schweigel? Kimmst net mit?

Schweigel Na, i bleib no a bissel, wenn's der Herr Bürgermoasta erlaubt.

Bürgermeister Ist mir ein Vergnügen, Herr Schweigel.

Schweigel Nacha pfüat enk, und, Stelzer, gel du b'sorgst alles!

Stelzer Auf der Stelle.

Kiermayer, Stelzer, Gruber, Heitzinger geben zur Gartentüre hinaus. Kiermayer bleibt unter der Türe plötzlich stehen, kehrt um, geht gravitätisch auf den Bürgermeister zu und gibt ihm die Hand.

Kiermayer Herr Bürgermoasta, ich hab koa Rednergab, aba Sie verstengan mi schon. I sag net mehra, wie dös: bal die Regierung!

Bürgermeister Besten Dank, Herr Kiermayer. Ich weiß ja.

Kiermayer Bal die Regierung! Geht langsam ab.


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