Ludwig Thoma
Tante Frieda
Ludwig Thoma

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Coras Abreise

Wie die Vakanz gar gewesen ist, da hat meine Mutter gesagt, das gute Kind muß uns leider verlassen, und sie hat die Cora gemeint. Die Engländerin, die mit ihr hergefahren ist, hat geschrieben, daß sie wieder hinfahrt, und da muß die Cora mit.

Es sind bloß mehr acht Tage gewesen, und es ist traurig gewesen. Schon in der Frühe ist es traurig gewesen, wenn wir Kaffee getrunken haben. Wenn die Cora bei der Türe hereingekommen ist, da ist unser Ännchen hingelaufen und hat sie geküßt und hat sich eingehängt, und meine Mutter hat einen Seufzer gemacht und hat gesagt, in Gottes Namen, es sind bloß mehr acht Tage. Und dann hat ihr Ännchen den Kaffee eingeschenkt, und wie die Cora gesagt hat, er ist ein bißchen schwarz, hat Ännchen furchtbar geweint und hat gesagt, sie hat es nicht mit Fleiß getan, und die Cora darf ihr nicht bös sein. Und meine Mutter hat ihr den Zucker hineingetan und hat zwei zuviel genommen und hat gefragt, ob er süß genug ist, und sie hat noch einen hineingetan.

Und Ännchen hat Butterbrot gestrichen, und meine Mutter hat Honig darauf gepappt, und sie haben alles der Cora hingelegt, und sie haben selber gar nichts gegessen.

Aber sie haben bloß immer mit dem Löffel in ihre Tassen herumgerührt, und meine Mutter hat gesagt, ach Gott, in acht Tage schwimmt das Kindchen schon bald auf dem Meere.

Die Cora hat gesagt, sie muß nicht glauben, daß es gefährlich ist, aber meine Mutter hat gesagt, es ist schon gefährlich. Sie ist einmal auf dem See gefahren, wo das Schiff stark geschaukelt hat, daß sie sich gefürchtet hat, und es war doch unser Papa dabei.

Die Cora hat gesagt, ihr Schiff ist viel größer; es ist dreimal so groß wie unser Haus; da kann kein Unglück nicht passieren.

Meine Mutter hat gesagt, man muß es hoffen, und dann hat sie gefragt, ob die Cora gerne hier war.

Die Cora hat gesagt, sie ist gerne hier gewesen, und meine Mutter war so lieb zu ihr und Ännchen und alle Leute, und es war so lustig, und sie muß es ihrem Vater erzählen, wie es in der kleinen Stadt war, und wie die Leute vor dem Fenster singen und dabei der Mond auf ihre Glatze scheint.

Da hat Ännchen gelacht, aber bloß ein bißchen. Und sie ist den ganzen Tag bei der Cora eingehängt gewesen, und beim gut Nacht sagen hat meine Mutter der Cora einen Kuß gegeben und hat gesagt, in Gottes Namen, morgen sind es bloß mehr sieben Tage.

Alle Leute haben es gewußt, daß die Cora fort muß.

Im Wochenblatt ist es gestanden, daß eine junge Dame von unserer Stadt scheidet und in die Heimat der Braminen geht, und daß man allgemein Glück für diese interessante Weltreisende wünscht.

Meine Mutter ist ganz stolz gewesen, daß die Cora in der Zeitung steht, und sie hat gesagt, man muß es ausschneiden.

Aber sie hat auch geweint, weil es heißt: in die Heimat der Braminen, und es ist furchtbar weit.

Der Buchbinder Stettner, bei dem man die Schulhefte kauft und die Pulverfrösche und die Knallerbsen, hat mich gefragt, ob es wahr ist, daß die Cora hin will. Ich habe gesagt, es ist schon wahr.

Da hat er aber gelacht und hat gesagt, man muß es nicht glauben, daß sie hingeht. Ich habe gesagt, ich weiß es gewiß, und sie hat schon eine Kajüte bestellt, wo man in der Hängematte drin liegt.

Er hat gesagt, sie glaubt es bloß, und sie kehrt wieder um. Er weiß es ganz genau, weil er auch einmal bis Frankreich gewollt hat und ist bloß bis Stuttgart gekommen, aber da ist er umgekehrt.

Ich habe gesagt, sie weint doch schon, und wenn sie nicht fort will, muß sie doch nicht weinen.

Da hat er den Kopf geschüttelt und hat gesagt, jetzt weiß er es ganz gewiß, und mit Weinen fangt es immer an, daß man umkehrt.

Der Kaufmann Schwaiger hat mich im Laden vor alle Leute gefragt, wann es losgeht.

Ich habe gesagt, in sechs Tage, und da hat er gesagt, ich muß daheim ausrichten, er empfehlt dem Fräulein den Weg über Suez, weil es näher ist, als wie über Kapstadt, und sie muß beim Roten Meer Obacht geben auf die Hitze, aber dann wird es wieder kühler.

Ich glaube, er hat es bloß gesagt, daß die Leute recht schauen, und die Magd vom Notar hat gleich gefragt, ob er schon dort war.

Er hat gesagt, er war beinah dort, aber er weiß es so genau von seine Pakete, die man ihm schickt.

Wie es bloß mehr fünf Tage war und noch viel trauriger, sind wir nach dem Essen im Zimmer gesessen, und die Lampe hat schon gebrannt. Meine Mutter hat zu der Cora gesagt, sie muß die Namen aufschreiben von alle Orte, wo sie hinkommt, daß man es auf der Landkarte sehen kann, wo sie ist. Ich habe gesagt, ich hole meinen Atlas, und bin hinaus. Da habe ich auf einmal dem Franz seinen Pfiff gehört, und ich habe den Atlas nicht geholt, sondern ich bin in den Garten hinunter.

Der Franz ist beim Brunnen gestanden, und es war ganz dunkel, und ich habe gefragt, bist du es?

Er ist näher zu mir gegangen und hat schnell gefragt, geht sie wirklich fort?

Ich habe gesagt, ja, am Samstag.

Da hat er meine Hand furchtbar stark gedrückt und hat gefragt, ob sie ganz fortgeht, daß man sie nicht mehr sieht. Ich habe gesagt, der Buchbinder Stettner glaubt, sie kehrt wieder um, aber ich glaube es nicht.

Da ist er auf den Brunnen gesessen und hat gesagt, er weiß es auch. Sie geht ganz fort, und niemand kann mehr hören, wie sie durch den Garten singt, und niemand kann mehr hören, wie sie lacht.

Ich habe gesagt, ich muß auch Zeitlang haben nach ihr, und ich habe gar nicht gedacht, daß man nach einem Mädchen Zeitlang haben muß.

Da hat er meinen Kopf gestreichelt und hat ganz still gesagt, ja, Ludwig, man muß Zeitlang haben nach ihr.

Auf einmal ist er fort gewesen, und ich habe es gar nicht gesehen, weil es so finster war. Wie ich im Bett gelegen bin, habe ich gedacht, warum die Cora fortgeht, wenn Alle nicht wollen; und ich habe gedacht, warum der Franz nichts sagt, daß er sie heiraten mag. Wenn er sie heiratet, bleibt sie noch lange bei uns, und sie fahrt bloß mit meiner Mutter fort, daß sie die Einrichtung kaufen, wie es bei unserer Marie gewesen ist. Und dann ist die Hochzeit zuerst in der Kirche, und dann in der Post, und es gibt Schampanier, und um vier Uhr sind der Franz und die Cora auf einmal nicht mehr da, und meine Mutter sagt, daß die beiden lieben Kinder in der Bahn sitzen und der liebe Gott sie begleiten muß. Aber die andern bleiben noch sitzen, und der Onkel Pepi kriegt einen Schwips und lacht furchtbar und fragt die Rosa, ob sie auch bald in der Bahn sitzen mag. Und dann wird getanzt. Es wird furchtbar lustig, aber der Franz traut sich nicht, und er hat es doch gesagt, wie wir hinter dem Holzstoß waren, daß er sich traut. Jetzt sind bloß mehr vier Tage, und vielleicht kriegt die Cora ihr Billet, und dann muß sie fort, weil es sonst ungültig wird.

Da ist mir eingefallen, daß ich es ihr sage, und ich bin ganz lustig geworden, und dann bin ich eingeschlafen.

In der Früh beim Kaffee haben sie wieder nichts gemocht, und die Cora auch nicht. Ännchen hat rote Augen gehabt und hat immer die Cora angeschaut, und wenn die Cora den Mund aufgemacht hat, hat sie ihr drauf geküßt.

Ich habe gedacht, wie sie anders sind, wenn sie auf einmal hören, die Cora bleibt da, und der Franz heiratet sie auf der Post. Aber ich habe mir noch nichts merken lassen. Nach dem Kaffee hat meine Mutter gesagt, Ännchen muß auf den Markt gehen und einkaufen. Ännchen hat gesagt, sie bittet die Cora, daß sie mitgeht, aber die Cora hat gesagt, sie muß ihre letzten Sachen einpacken, weil es Nachmittag abgeholt wird.

Da ist Ännchen ganz traurig hinaus, und ich habe aber zu der Cora geblinzelt. Sie hat gefragt, ob ich ihr was will, und meine Mutter hat mich angeschaut.

Da habe ich gesagt, ich will ihr nichts, und warum sie es glaubt. Weil du so merkwürdig mit die Augen machst, hat sie gesagt.

»Ich?« habe ich gefragt.

Aber meine Mutter hat gesagt, ich habe überhaupt so dumme Angewohnheiten; vielleicht war es eine.

Ich habe gedacht, sie wird es bald erfahren, und ich habe gewartet, bis sie hinaus war.

Da habe ich zu Cora gesagt, ich will ihr schon etwas.

Sie hat ein bißchen gelacht und hat gesagt, sie hat es gleich gedacht. Vielleicht habe ich wieder ein schlechtes Gewissen, und sie will mir zum Abschied gerne helfen, wenn sie kann.

Ich habe gesagt, es ist gar nichts wegen mir, sondern wegen ihr.

Wegen ihr? hat sie gefragt.

Jawohl, habe ich gesagt, und sie muß noch warten mit dem Einpacken, daß sie keine Arbeit nicht hat mit dem Auspacken. Sie hat gesagt, sie versteht mich gar nicht; ich soll es geschwind sagen.

Ich habe gesagt, ich kann es da nicht sagen, und ich komme zu ihr, wenn sie in ihrem Zimmer ist. Sie hat den Kopf geschüttelt und hat gefragt, was ich für merkwürdige Geheimnisse mache, aber da ist meine Mutter wieder herein, und ich habe geblinzelt und bin hinaus.

Oben auf dem Gang habe ich gepaßt, bis die Cora zu sich hinein ist. Da bin ich auch hinein.

Sie hat wieder ein bißchen gelacht und hat gesagt, sie muß um Entschuldigung bitten wegen die Unordnung, denn es ist alles voll Sachen, die in den Koffer müssen.

Ich habe gesagt, sie kann die Sachen in den Schrank tun, und der Koffer muß wieder auf den Dachboden.

Mit was sie dann reisen muß, hat sie gefragt.

Mit nichts nicht, habe ich gesagt.

Da hat sie gesagt, ich muß nicht solche Rätsel machen, weil sie kein so gescheidter Junge ist, wie ich, sondern bloß ein Mädchen, das kein Rätsel nicht auflösen kann.

Ich habe gesagt, ich erkläre es gleich, und sie muß zuerst sagen, ob sie gerne hier bleibt, oder ob sie lieber fahrt.

Sie hat gesagt, daß man nicht fragt, ob sie mag, sondern sie muß zu ihrem Papa.

Ich habe gesagt, kein Mädchen bleibt bei ihrem Papa, wenn es heiratet, sondern es fahrt mit der Eisenbahn fort, und die Mädchen tun bloß so, als ob sie bei dem Papa bleiben mögen, aber sie sind doch froh, daß sie fortfahren dürfen, wenn die Hochzeit vorbei ist.

Da hat die Cora auf einmal gelacht, als wie früher, und sie hat sich auf den Koffer gesetzt und hat mich angeschaut, und sie hat gesagt, es ist großartig, was ich für gute Kenntnisse habe.

Ich habe gesagt, ich weiß es genau, weil ich schon dabei war. Unsere Marie hat auch geheult, wie sie mit dem Bindinger fort ist, aber in ein paar Tage hat meine Mutter gesagt, daß sie einen furchtbar glücklichen Brief geschrieben hat, und da hat man gemerkt, daß sie froh war. Die Cora hat noch immer gelacht, und sie hat gesagt, ich bin der feinste Junge von dem alten Europa, und es ist furchtbar nett, daß ich sie heiraten will, bloß daß sie bleibt, aber es geht nicht, weil ich noch zehn Jahre warten muß, und so lange kann sie nicht mit die Vorbereitungen hier bleiben.

Da habe ich gesagt, ich will sie gar nicht heiraten.

Sie hat gesagt, das ist schade, und sie hat sich umsonst gefreut, aber sie versteht gar nicht, warum ich dann so rede.

Da habe ich ihr gesagt, daß sie den Franz heiraten darf und keine zehn Jahre nicht warten muß.


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