Ludwig Thoma
Tante Frieda
Ludwig Thoma

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Beim Essen ist die Tante noch immer zornig gewesen; man hat es gekannt, weil ihre Nase vorne ganz weiß war und weil sie mit dem Löffel so schnell die Suppe gerührt hat.

Meine Mutter hat gesagt, sie soll sich die Freude von der Ankunft nicht verderben lassen.

Da hat sie gesagt, daß sie keine Freude nicht hat, wenn man ihr zuerst bös ist, weil sie die Wahrheit redet, und wenn man ein hilfloses Tier in den Tod treibt.

»Aber Frieda!« hat meine Mutter gesagt, »er ist doch bloß naß gemacht!« Und Ännchen sagte, daß ein kleines Bad keinem Vogel nicht schaden kann.

Da hat die Tante gesagt, sie wundert sich gar nicht, daß wir alle so feindselig sind, weil sie es schon gewohnt ist, und weil schon ihre Brüder so waren und haben doch das ganze Geld verbraucht.

Sie hat so getan, als wenn sie weinen muß, und sie hat sich die Augen gewischt. Aber sie hat keine Tränen daran gehabt. Ich habe es deutlich gesehen.

Meine Mutter ist ganz mitleidig geworden und hat gesagt, daß wir sie alle mögen, weil sie doch die Schwester von unserem lieben Papa ist, und sie soll glauben, daß sie auch bei uns daheim ist.

Da hat die Tante gesagt, sie will uns diesmal verzeihen, und sie will nicht mehr daran denken, was ihr die Familie schon alles angetan hat.

Sie ist auf einmal wieder lustig gewesen, und wie der Braten da war, hat sie mit der Gabel nach der Kommode gezeigt, wo das Bild vom Steinberger war, und sie hat gefragt: »Was ist das für ein häßlicher Mensch?«

»Wo?« hat meine Mutter gefragt. »Der dort auf der Kommode«, hat sie gesagt.

Meine Mutter ist ganz rot geworden, und Ännchen ist aufgesprungen und ist hinausgelaufen, und man hat durch die Türe gehört, daß sie heult.

Meine Mutter hat ihre Haube gerichtet und hat gesagt, daß der Steinberger oft zu uns kommt und daß er gar nicht häßlich ist.

»Er hat aber eine Glatze«, hat meine Tante gesagt. »Und er schielt mit dem linken Auge.«

»Er schielt nicht«, hat meine Mutter gesagt, »es ist bloß eine schlechte Photographie, und es ist überhaupt ein Glück, wenn man ihn kennt, weil er so tüchtig ist.«

Die Tante hat gesagt, sie will nicht, daß es in der Familie einen Streit gibt wegen einem fremden Menschen, aber sie hat nicht gedacht, daß er tüchtig ist, weil er so aussieht, als ob er das Bier gern mag.

Da ist meine Mutter auch hinausgegangen, und bei der Tür ist sie stehen geblieben und hat gesagt, daß sie sich fest vorgenommen hat, bei diesem Aufenthalte sich nicht mit der Tante zu zerkriegen, aber es ist furchtbar schwer.

Auf dem Gange hat sie mit Ännchen gesprochen; das hat man herein gehört, und Ännchen hat immer lauter geweint.

Die Tante hat das Essen nicht aufgehört, und sie hat immer den Kopf geschüttelt, als wenn sie sich furchtbar wundern muß.

Sie hat mich gefragt, ob Ännchen schon lange so krank ist. »Sie ist gar nicht krank«, sagte ich. »Das verstehst du nicht«, hat sie gesagt. »Deine Schwester ist sehr leidend mit kapute Nerven, weil sie auf einmal weinen muß, und ich habe es immer gedacht, daß sie schwächlich ist, sonst hätte sie auch meinen Koffer getragen.«

Meine Mutter ist auf einmal wieder hereingekommen und hat schnell gerufen, daß der Amtsrichter zum Kaffee kommt, und sie bittet die Tante, daß sie höflich ist.

Da ist die Tante beleidigt gewesen und hat gesagt, ob man glaubt, daß sie nicht fein ist, weil sie einen Postexpeditor geheiratet hat, und sie weiß schon, wie man sich benimmt, und ein Amtsrichter ist auch nicht viel mehr wie ein Expeditor.

Meine Mutter hat immer nach der Tür geschaut, ob sie vielleicht schon aufgeht, und hat gewispert, die Tante soll nicht schreien, er ist schon auf der Treppe, und sie hat es doch nicht so gemeint, sondern weil die Tante geglaubt hat, daß er häßlich ist.

Die Tante hat aber nicht stiller geredet, sondern sie hat laut gesagt: »Man ist auch nicht schön, wenn man eine Glatze hat und schielt.«

Da hat meine Mutter mit Verzweiflung auf die Decke geschaut, und sie hat weinen wollen, aber da ist die Tür aufgegangen, und der Steinberger ist hereingekommen und Ännchen auch, und ihre Augen waren noch rot.

Meine Mutter hat jetzt nicht weinen dürfen, sondern sie hat freundlich gelacht und hat gesagt: »Herr Amtsrichter, das freut mich sehr, daß Sie kommen, und ich stelle Ihnen meine liebe Schwägerin vor, von der ich Ihnen schon erzählt habe.«

Der Steinberger hat eine Verneigung gemacht, und die Tante hat ihn angeschaut, als wenn sie ihm einen Anzug machen muß.

Und dann hat der Steinberger gesagt, es freut ihn, daß er die Tante kennen lernt, und er hofft, daß es ihr hier gefallt. Und sie hat gesagt, sie hofft es auch, und wenn ihr Papagei nicht mißhandelt wird, gefallt es ihr gewiß.

Der Steinberger hat es aber nicht gehört, weil er Ännchen angeschaut hat, und er hat gefragt, warum sie rote Augen hat.

Ännchen sagte, daß der Herd so furchtbar raucht, und meine Mutter hat gesagt, daß man den Herd richten muß. Und die Tante hat gesagt, daß Ännchen überhaupt nicht kochen soll, mit so schwache Nerven, und weil sie kränklich ist.

Da hat meine Mutter ein zorniges Auge auf die Tante gemacht und hat gefragt: »Was weißt du von die Nerven? Ännchen ist gottlob das gesundeste Mädchen, was es gibt, und kocht alle Tage und macht die ganze Arbeit im Haus.«

Die Tante hat gelacht, als wenn sie es besser weiß, und dann haben wir uns hingesetzt, und Ännchen ist hinaus, daß sie den Kaffee kocht.

Der Steinberger hat die Tante gefragt, wo sie lebt, und sie hat gesagt, sie wohnt in Erding, weil es so billig ist und sie so wenig Pension hat, und dann hat sie ihn gefragt, ob er schon einmal in Ansbach war, und er hat gesagt, ja, er ist dort gewesen. Da hat sie gefragt, ob er den Regierungsrat Römer nicht kennt, und wie er gesagt hat, nein, er kennt ihn nicht, hat sie gesagt, daß sie sich wundern muß, weil er doch so bekannt ist. Der Steinberger hat gesagt, er ist bloß durchgefahren in Ansbach, und meine Mutter hat gesagt, dann ist es nicht möglich, daß er die Beamten kennt.

Aber die Tante hat gesagt, der Römer ist ein hoher Beamter und kommt gleich nach dem Präsident, da muß man ihn doch kennen. Und sie hat erzählt, daß sie eigentlich seine Frau sein muß, aber es ist nicht gegangen, weil sie aus einer Beamtenfamilie ist, wo die Söhne studiert haben. Meine Mutter ist sonst immer in der Küche und läßt Ännchen hereingehen, wenn der Steinberger da ist, aber heute ist sie nicht hinaus.

Ich glaube, sie hat sich nicht getraut, weil sonst die Tante geschwind etwas sagt, und sie ist immer auf ihrem Sessel gerutscht und hat die Tante gefragt, wie es dem Förster Maier geht, und ob seine Frau gesund ist, und wo die Kinder sind, und ob er noch den schönen Hühnerhund hat; da hat die Tante immer eine Antwort geben müssen, und wenn sie fertig war, hat sie geschwind den Steinberger anreden wollen, aber meine Mutter hat gleich wieder etwas gefragt.

Da ist der Steinberger aufgestanden und hat gesagt, er will nachschauen, ob der Herd noch raucht.

Da hat meine Mutter lustig gelacht, wie er draußen war, und hat gesagt, er ist immer so aufmerksam.

Die Tante hat gesagt, sie weiß nicht, die Photographie kommt ihr geschmeichelt vor, weil er noch stärker schielt in der Wirklichkeit.

Aber meine Mutter hat sich nicht geärgert, und sie hat jetzt die Tante gar nichts mehr gefragt über dem Förster Maier seinen Hühnerhund und seine Kinder, und sie hat fleißig gestrickt.

Und dann ist Ännchen hereingekommen mit dem Kaffee und den Tassen, und der Steinberger ist hinter ihr gegangen und hat gefragt, ob er nicht helfen kann.

Und dann haben wir Kaffee getrunken, und meine Mutter hat gelacht, wenn der Steinberger etwas gesagt hat, und Ännchen hat gelacht, aber die Tante hat nicht gelacht, und sie hat immer an ihre Nase gerieben.

Meine Mutter hat gefragt, ob es ihr schmeckt, und sie hat gesagt, sie weiß es nicht, weil es so ungewohnt ist, denn sie kann mit ihre Pension keinen Bohnenkaffee kaufen.

Da hat der Steinberger gesagt, das ist schade, denn der Kaffee ist das Beste, was es gibt, besonders wenn ihn Fräulein Ännchen kocht.

Die Tante hat ihn gefragt, ob er immer den Kaffee so gerne gemocht hat, und er hat gesagt, ja. Da hat sie gelacht und hat gesagt, das kann sie gar nicht glauben, weil die Studenten so gern Bier trinken.

Da hat er auch gelacht und hat gesagt, daß er nicht viel getrunken hat, weil er fleißig sein mußte und nicht viel Geld hatte.

Aber die Tante hat wieder gesagt, sie glaubt es einmal nicht.

»Warum glaubst du es nicht?« hat meine Mutter gesagt. »Es gibt doch viele Studenten, die kein Bier nicht trinken, und der Herr Amtsrichter hat keine Zeit dazu gehabt, und er mußte mit seinem Geld sparen.«

»Das weiß man schon, wie die Studenten sparen«, hat die Tante gesagt. »Wenn sie nichts mehr haben, so lassen sie alles aufschreiben. Das weiß niemand besser als ein Mädchen, von dem drei Brüder studieren. Und der Herr Amtsrichter hat so wenig Haar auf dem Kopf, da war er gewiß einmal recht lustig.«

Ännchen hat gerufen: »Aber Tante!« Und meine Mutter hat gerufen: »Aber Frieda!« Und sie hat gesagt: »Was habt ihr denn? Ich meine es im Spaß, und es ist doch wahr, daß man seine Haare verliert, wenn man recht lustig ist und ein bißchen gerne trinkt.«

Ich habe gemeint, der Steinberger ärgert sich. Aber er hat gelacht und hat gesagt, daß er schon oft in diesem Verdachte steht, aber er ist einmal krank gewesen, und da sind ihm die Haare weggekommen.

Er ist bald aufgestanden, weil er in seine Kanzlei muß, und er hat meine Mutter auf die Hand geküßt und hat vor der Tante eine Verneigung gemacht, und mich hat er lustig beim Ohr genommen und hat gesagt: »Sei recht brav, wenn du es fertig bringst, du Schlingel!«

Ännchen hat ihn bis zur Haustür begleitet; wie wir allein gewesen sind, hat meine Mutter gesagt: »Frieda, es ist schrecklich mit dir! Wenn er beleidigt ist, kann ich nie mehr gut sein mit dir.«

Und da ist auch Ännchen wieder gekommen und ist gleich auf das Kanapee hingefallen und hat geheult und hat gesagt, sie glaubt, daß der Steinberger nie mehr zum Kaffee kommt, und er ist viel schneller fort, wie sonst.

Die Tante hat noch eine Tasse vollgeschenkt und hat gesagt, sie hat noch keine Familie gesehen mit so kapute Nerven, und sie muß sich wundern, wo das herkommt.

Da habe ich gedacht, ich will schon machen, daß sie auch heult, und bin geschwind hinaus.

In meinem Zimmer habe ich das Pulver geholt, und eine Zündschnur habe ich auch gehabt, weil ich oft im Wald einen Ameisenhaufen in die Luft sprengen muß.

Ich habe das Pulver in ein Papier gewickelt und die Schnur hineingesteckt, und dann bin ich in der Tante ihr Zimmer und habe alles in den Käfig getan. Die Schnur ist so lang gewesen, daß sie fünf Minuten brennt, und sie ist herausgehängt.

Wie ich das Paket mit dem Pulver hineingeschoben habe, ist der Papagei ganz oben hinauf geklettert und hat seinen Schnabel aufgerissen und hat gepfaucht, wie eine Katze.

Ich bin noch mal auf den Gang hinaus und habe gehorcht, ob niemand kommt, es ist aber ganz still gewesen.

Da bin ich wieder hinein und habe das Zündholz angebrannt und an die Schnur gehalten. Es hat gleich geraucht. Der Papagei ist jetzt auf der Stange gesessen und hat den Kopf auf die Seite getan und hat Obacht gegeben auf mich. Ein Auge hat er zugedrückt, und mit dem andern hat er furchtbar geschaut. Wie die Zündschnur geraucht hat, ist der Papagei hergerutscht und hat seinen Kopf herausgestreckt und hat hinuntergeschaut, warum es raucht.

Ich dachte, er wird es schon noch merken und bin geschwind fort, aber wie ich an das Wohnzimmer gekommen bin, da bin ich langsam gegangen und bin ganz ruhig hinein, als wenn nichts ist.

Ännchen hat noch geweint, und meine Mutter war rot im Gesicht, und die Tante hat noch Kaffee getrunken. Ich glaube, sie haben es gar nicht gemerkt, daß ich fort war.

Die Tante hat gerade gesagt, sie weiß schon, daß man sie in unserer Familie nicht leiden kann, aber das ist immer der Dank von den Brüdern, wenn sie fertig sind und das ganze Geld gebraucht haben; dann kümmern sie sich nicht mehr um die Schwestern.

Da hat meine Mutter gesagt, daß unser Vater sich schon gekümmert hat um sie und daß er oft gesagt hat, es tut ihm leid, wenn die Frieda nirgends bleiben kann wegen ihrem bösen Mundwerk.

Die Tante hat den Kaffeelöffel auf den Tisch geworfen und hat geschrien: »Wenn er das gesagt hat, ist es eine Gemeinheit! So muß man es seiner Schwester machen! Zuerst das Geld verputzen, und dann...«

»Pfff-uum!«

Es hat einen dumpfen Knall gemacht, und das Küchenmädchen hat gleich furchtbar geschrieen und ist herein gelaufen, und wie sie die Tür aufgemacht hat, da hat es furchtbar nach Pulver gerochen, und der Gang ist voll Rauch gewesen.

Ich habe vergessen gehabt, daß ich die Zimmertür von der Tante zumache.

Das Mädchen hat gerufen, es ist was los gegangen, sie glaubt, es brennt.

»Wo? Wo?« hat Ännchen geschrieen.

»Um Gottes willen, wo ist die Feuerwehr?« hat meine Mutter geschrieen.

Wir sind auf den Gang gelaufen, da hat man gesehen, daß der Rauch aus der Tante ihrem Zimmer kommt, und die Tante ist hinein, und da hat sie geschrieen, als ob sie auf dem Spieß steckt.

»Um Gottes willen, was ist jetzt?« hat meine Mutter gesagt, und es ist ihr schwach geworden, daß sie nicht weiter gegangen ist. Ich habe gesagt, ich will ihr helfen, und bin bei ihr geblieben. Ännchen ist schon wieder aus dem Zimmer gekommen und hat gerufen: »Sei ruhig, Mamachen! Es ist bloß der Papagei!« Da ist die Tante herausgefahren aus ihrem Zimmer und hat geschrieen: »Was sagst du, es ist bloß der Papagei? Du rohes Ding! Du abscheuliches Ding!«

»Ich habe Mama beruhigt, daß es nicht brennt«, sagte Ännchen.

»Und das Tierchen sitzt ganz voll Pulver in seinem Käfig, und sie sagt, es ist bloß der Papagei! Du rohes Ding!« schrie die Tante.

»So sei doch ruhig, Frieda!« hat meine Mutter gesagt. »Vielleicht ist es nicht so arg.«

»Ihr helft alle zusammen!« schrie die Tante, und dann ist sie gegen mich gelaufen und hat noch lauter geschrien: »Du bist der Mörder! Du bist der ruchlose Mörder!«

»Schimpfe ihn nicht so!« hat meine Mutter gesagt. »Er ist ganz unschuldig; er ist doch im Zimmer gewesen.«

Ich sagte, ich bin es schon gewohnt, daß die Tante immer mir die Schuld gibt, aber es ist mir zu dumm, und ich sage gar nichts. Ich weiß noch gar nicht, was geschehen ist.

»Du weißt es schon!« schrie die Tante. »Du hast es getan, und sonst hat es niemand getan. Aber du mußt gestraft werden, wenn auch deine Mutter auf die Kniee bittet!«

»Ich bitte dich gar nichts, Frieda, als daß du nicht so schreist«, hat meine Mutter gesagt.

Wir sind jetzt auch in das Zimmer gekommen, und der Rauch war schon beim Fenster hinaus, aber es hat doch nach Pulver gerochen und nach verbrannte Federn.

Der Papagei ist auf dem Boden von dem Käfig gesessen, aber er war nicht mehr grün und rot. Er war ganz schwarz. Die Schwanzfedern sind verbrennt gewesen und struppig und sind auseinander gestanden. Der Kopf ist auch ganz schwarz gewesen, und die Augen sind gewesen wie von einer Eule so groß. Er ist ganz still gesessen und hat mich angeschaut. Ich glaube, er hat sich furchtbar gewundert, wie es losgegangen ist.

»Er lebt doch!« hat meine Mutter gesagt. »Er wird schon wieder gesund werden.«

»In diesem Hause nicht!« hat die Tante geschrieen. »In diesem abscheulichen Hause lasse ich das Tierchen keinen Tag nicht mehr! Ich gehe heute noch fort!«

Und sie ist aber auch fortgegangen.


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