Ludwig Thoma
Tante Frieda
Ludwig Thoma

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Das Waldfest

Am Sonntag ist das Waldfest von der Liedertafel gewesen.

Der Seitz und der Knilling sind herumgelaufen und haben die Einladungen gemacht.

Bei uns sind sie auch gewesen. Meine Mutter hat sie in das schöne Zimmer gelassen, und Ännchen und Cora sind hinein, und ich bin auch hinein.

Der Seitz und der Knilling sind auf das Kanapee gesessen und haben die Zylinder auf ihre Kniee gestellt. Der Seitz hat seine Augen herausgehängt, und wenn er geredet hat, hat er den Mund spitzig gemacht, als ob er pfeift.

Der Seitz hat gesagt, er hofft, daß wir das Fest verschönern, und meine Mutter hat gesagt, daß wir es tun.

Der Lehrer Knilling hat gesagt, man glaubt allgemein, es wird eine gelungene Veranstaltung.

Da hat meine Mutter gesagt, man ist es bei der Liedertafel gewohnt, daß es gelungen wird.

Ännchen hat gefragt, ob vielleicht auch getanzt wird. Da hat der Seitz geschaut, als ob er einem armen Kind was schenkt, und hat gesagt, es wird getanzt.

Da ist Ännchen ein bißchen gehupft, daß man ihre Freude sieht, und hat in die Hände gepatscht, und hat gerufen, es wird herrlich.

Meine Mutter hat gelacht und hat gesagt, das Mädchen freut sich so. Dann hat der Knilling gesagt, daß hoffentlich das Wetter schön bleibt, aber man weiß es nicht, bloß der Barometer geht noch hinauf. Dann sind sie fort.

Wie sie draußen waren, hat Ännchen mit der Cora herumgetanzt, und sie haben gelacht.

Die Mädchen tun ganz närrisch, wenn sie sich auf etwas freuen.

Ich kann es nicht leiden, aber ich habe heute nichts gesagt. Ich bin zum Reiser Franz, und ich habe ihm gesagt, daß wir alle zum Waldfest gehen, und ob er auch mitgeht.

Er hat gesagt, er kommt.

Am Sonntag ist es losgegangen. Nach dem Essen hat sich die Liedertafel auf dem Platz aufgestellt. Zuerst ist der Kaufmann Heinrich gekommen, mit der Fahne, und neben ihm ist der Seitz und auf der andern Seite ist der Knilling gegangen. Sie haben Schärpen umgehabt, und sie haben geschwitzt, weil sie furchtbar gelaufen sind, wenn wieder wer gekommen ist.

Sie haben die Leute aufgestellt und sind immer auf und ab, daß man in Reih und Glied geblieben ist, und haben der Musik was angeschafft, und wenn sie vorne gewesen sind, hat hinten wer gerufen, daß sie haben furchtbar laufen müssen, und wenn den Seitz wer gefragt hat, ob es bald losgeht, hat er gezappelt und hat gerufen, er wird noch kaput. Und der Knilling hat immer geschrieen, man muß in Reih und Glied bleiben, bis der Zug aus der Stadt ist, dann darf man auseinandergehen. Wie wir gekommen sind, ist der Seitz zu uns her und hat gesagt, daß meine Mutter fahren darf, und die jungen Damen haben einen schönen Platz bald hinter der Musik, aber er kann leider nicht bei ihnen sein, bis man aus der Stadt ist, weil er neben der Fahne gehen muß.

Ich war zuerst bei ihnen, aber wie der Reiser Franz gekommen ist, bin ich zu ihm. Ich habe gesagt, wir wollen mit Ännchen und Cora marschieren, aber er hat nicht mögen, weil es so weit vorn war.

Da haben wir uns hinten aufgestellt, und ich habe meine Mutter gesehen. Sie ist im Wagen gesessen neben der Frau Notar, und sie hat gelacht. Ich und der Franz sind zu ihr hin, und sie hat gesagt, sie freut sich, daß ich mit dem Herrn Reiser marschiere, und ich soll anständig sein, und es ist so schön, und wo die Mädchen sind. Ich habe gesagt, sie stehen gleich hinter der Musik.

Sie ist aufgestanden und hat hingeschaut und hat ihnen mit dem Sonnenschirm gewunken, und die Cora hat es gesehen und hat gerufen hurra! und hat mit dem Sacktuch gewunken. Meine Mutter war ganz lustig, und sie hat gesagt, es wird ein wunderschönes Fest, und die Herren waren so freundlich zu ihr, und es ist auch so nett, daß der Herr Reiser mit mir geht. Wir sind wieder auf unsern Platz, und der Franz hat zu mir gesagt, daß meine Mutter eine gescheite Frau ist, und sie glaubt nicht, daß bloß die Studierten etwas sind.

Der Onkel Pepi war auch da mit der Tante Elis, und die Tante hat immer nach dem Wagen geschaut, wo meine Mutter gesessen ist, und man hat gesehen, daß sie den Onkel Pepi schimpft, und die Federn auf ihrem Hut haben so gezittert.

Sie hat sich geärgert, daß sie nicht auch fahren darf.

Vor uns ist die Tante Theres mit der Rosa gestanden. Jedesmal, wenn der Seitz vorbeigelaufen ist, haben sie ihm gerufen, aber er hat es nicht gehört, weil es ihm pressiert hat.

Da hat die Tante Theres gesagt, daß es sehr auffallend ist, und wie der Seitz wieder vorbei ist, hat sie gesagt, es ist ungezogen.

Die Rosa hat sie gezupft und hat ihr gezeigt, daß ich hinten stehe. Das habe ich gemerkt.

Es ist schon viertel über zwei gewesen, und es hat aber geheißen, daß es Punkt zwei Uhr los geht.

Die Leute haben gebrummt, und der Sattler Weiß hat laut gerufen, ob man vielleicht auf die Beamten warten muß. Da hat der Onkel Pepi auch gerufen, es ist ordinär. Aber er hat gleich geschnupft und hat getan, als wenn er es nicht war, weil die Leute sich umgedreht haben.

Der Seitz ist ganz rot gewesen und hat immer seine Uhr herausgezogen, und der Knilling hat immer die Achseln gezuckt, daß man sieht, er kann nichts dafür.

Auf einmal ist schnell ein Wagen gekommen. Da war der Bezirksamtmann darin und der Bürgermeister. Der Seitz ist zu ihnen gelaufen, und der Bezirksamtmann hat mit ihm geredet, und dann ist der Knilling hingelaufen, und dann sind sie wieder vorgelaufen zu der Musik. Der Kaufmann Heinrich hat die Fahne aufgehoben, und der Seitz hat kommandiert vorwärts marsch! Da hat die Musik gespielt, und wir sind marschiert. Viele Leute haben von den Fenstern heruntergeschaut und haben gegrüßt, und vor den Türen sind auch viele Leute gestanden, und der Kaufmann Heinrich hat die Fahne geschwenkt, und wie wir in der langen Gasse waren, hat die Musik furchtbar laut getan, weil sie so eng ist. Beim Landsberger Tor ist die Musik auf die Seite gegangen und hat geblasen, bis wir alle draußen waren, und dann ist der Zug auseinander.

Ich habe zum Franz gesagt, wir wollen vorgehen, daß wir zum Ännchen und zur Cora hinkommen, aber da ist schon der Seitz und der Knilling dagewesen, und der Seitz hat der Cora ihren Mantel getragen.

Wir sind an der Cora vorbei, und sie hat gelacht. Der Franz hat mich gefragt, ob ich es gehört habe.

Ich habe gesagt, ich habe es schon gehört. Da hat er gesagt, vielleicht hat sie ihn ausgelacht.

Ich habe gesagt, die Mädchen lachen überhaupt immer; sie lachen wegen nichts, bloß wenn sie sich anschauen.

Der Franz hat nichts mehr gesagt, und wir sind schnell gegangen, daß wir weit vorgekommen sind. Im Wald war ein Platz hergerichtet mit Tische und Bänke und Fahnen und Lampions.

Der Franz hat gesagt, ich soll dableiben, aber er will noch weiter in den Wald gehen. Ich habe gefragt, warum. Es gibt doch jetzt Bier und Würsten und die Musik kommt gleich.

Er hat gesagt, es ist im Wald viel schöner, wenn es still ist, und er mag lieber die Vögel hören als die dummen Menschen. Er ist über einen Graben gesprungen und war gleich fort.

Ich habe nachlaufen gewollt, aber da habe ich gedacht, daß es Bier gibt und Würste.

Meine Mutter ist mit ihrem Wagen gleich hinter dem Bezirksamtmann gefahren. Sie ist ausgestiegen, und wir haben einen Tisch besetzt und haben immer geschaut, ob die Mädchen kommen, und sie waren auch bald da.

Meine Mutter hat gesagt, sie müssen ihre Mäntel anziehen, weil sie erhitzt sind, und der Seitz hat gesagt, die Temperatur im Wald ist kühl, und er hat der Cora helfen wollen. Aber sie hat nicht mögen, und wir haben uns hingesetzt.

Dann ist der Onkel Pepi gekommen, und meine Mutter hat gesagt, er soll sich mit der Tante Elis zu uns setzen.

Die Tante Elis hat gesagt, sie stört vielleicht. Aber sie hat sich doch hingesetzt, und dann ist noch die Tante Theres mit der Rosa gekommen. Der Seitz und der Knilling und ich haben Bier geholt und Würste und Butter und Käs.

Wir haben gegessen und getrunken; bloß die Tante hat nichts mögen. Sie hat die Wurst zurückgeschoben, und dann hat ihr der Onkel Pepi einen Käs hingestellt, und sie hat den Käs weggestoßen und hat gesagt, sie ist erschöpft. Meine Mutter hat gefragt, von was sie erschöpft ist.

Da haben der Tante Elis ihre Federn gezittert, und sie hat gesagt, von dem weiten Weg.

Meine Mutter hat gefragt, von dem weiten Weg? Die Tante hat gesagt, ja, von dem weiten Weg, aber wenn man im Wagen sitzt, merkt man es nicht, daß der Weg weit ist.

Der Knilling hat gesagt, es ist schade, daß sie bloß einen Wagen gekriegt haben, sonst hätte die Tante auch fahren dürfen.

Die Tante hat den Kopf zu ihm hingedreht und hat ganz langsam gefragt, wer hat dürfen?

Sie! hat der Knilling gesagt.

Da hat die Tante gefragt, ob er glaubt, daß sie eine Gnade haben will, oder ob er glaubt, daß sie eine Barmherzigkeit mag, oder ob er nicht glaubt, daß sie lieber geht.

Da hat der Knilling nichts mehr gewußt, aber der Onkel Pepi hat gesagt, man muß nicht glauben, daß die Tante furchtbar erschöpft ist, und sie wird gleich gesund.

Da hat ihn die Tante angeschaut, als wenn sie ihn nicht kennt, und sie hat ihre Augen ganz furchtbar gemacht. Der Onkel hat seinen Krug genommen, daß er sie nicht mehr sieht, und er hat lang getrunken.

Aber die Tante hat nicht weggeschaut, und da hat der Onkel Pepi den Knilling gefragt, wie viele Lampions aufgehängt sind, und er hat sich umgedreht und hat sie gezählt.

Aber wie er fertig war, hat die Tante immer noch geschaut.

Der Seitz ist neben mir gesessen, und auf der andern Seite ist Ännchen gesessen und die Cora, und neben der Cora ist meine Mutter gesessen.

Der Seitz hat gesagt, daß ein Wald so poetisch ist, und ob es die Cora merkt.

Sie hat gelacht und hat gesagt, warum er glaubt, daß bloß er es merkt. Er meint es nicht so, hat er gesagt, sondern weil sie von Indien ist. - Sie hat gesagt, ob er glaubt, daß man in Indien nicht poetisch ist. Der Seitz hat seine Augen hinaushängen lassen und hat gesagt, er glaubt, daß Indien noch poetischer ist wie Deutschland.

Die Cora hat gefragt, wie er glaubt, daß es in Indien ist.

Der Seitz hat gesagt, es ist in Indien prachtvoller, und die Blumen sind viel größer, und man liegt unten in einer Hängematte, und oben fliegen die Papageie. Die Cora hat gelacht, und sie hat gesagt, das ist wahr, und der Herr Apotheker kennt es gut, aber es gibt noch mehr in Indien.

Zum Beispiel die Lotosblumen, wenn der Mond darauf scheint, und die Palmen, die so hin und her schaukeln, und die gefleckten Tiger, die bei der Nacht brüllen.

Der Seitz hat gesagt, man muß eine glühende Phantasie haben, daß man sich Indien vorstellt; er glaubt, es ist ein Zauberland.

Da hat die Tante Theres gesagt, sie hat gehört, daß der Pfeffer dort wachst, und es kann doch gar nicht so schön sein, weil man zu schlechte Leute sagt, sie sollen hingehen, wo der Pfeffer wachst.

Auf einmal hat die Trompete ein Zeichen geblasen, und der Seitz ist geschwind aufgestanden, und der Knilling auch. Sie haben gesagt, es kommt jetzt ein Gesang.

Der Onkel Pepi ist auch aufgestanden, aber er ist nicht zum Singen gegangen, sondern er hat sich ein Bier geholt, und wie er gekommen ist, hat die Tante Elis gesagt, es ist schon die dritte. Der Onkel hat sich weiter hinunter gesetzt, daß er nicht so nah bei ihr ist. Da hat die Liedertafel angefangen. Der Knilling ist in der Mitte gestanden und hat die Arme links und rechts getan und hinauf und hinunter getan.

Wenn sie haben still singen müssen, hat er mit die Hände so gemacht, als wenn er einen Schwamm ausdrückt, und wenn es hat laut tun müssen, ist er mit die Fäuste in die Luft gefahren. Rechts vom Knilling ist der Seitz gewesen und die anderen, die hoch gesungen haben. Sie haben laut geschrieen und haben den Mund weit aufgerissen, aber die links vom Knilling waren, haben tief gesungen und haben beim Singen immer den Hals in den Kragen gesteckt und haben den Mund nicht so weit aufgerissen, sondern haben ihn rund gemacht.

Sie haben gesungen, wer den schönen Wald gebaut hat, und wie es fertig war, haben alle Leute gepatscht, und da haben sie etwas Lustiges gesungen, wo es immer geheißen hat, Mädle ruck, ruck, ruck!

Der Seitz hat immer mit dem Kopf gewackelt, wenn er ruck, ruck, ruck geschrieen hat, und hat auf unsern Tisch geschaut.


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