Ludwig Thoma
Tante Frieda
Ludwig Thoma

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Beim Essen hat mich Ännchen gefragt, ob ich heute besser zufrieden bin, und ob ich nicht mehr so streng bin mit die Mädchen. Ich kümmere mich um keine Mädchen nicht, habe ich gesagt; wenn man sich um die Mädchen kümmert, gibt es bloß Verdruß, und man wird furchtbar traurig.

Meine Mutter hat ihre Gabel hingelegt und hat mich angeschaut, und dann hat sie gesagt, es ist merkwürdig, was ich spreche seit ein paar Tagen.

Und Cora hat gesagt, sie fürchtet, ich werde ein Weiberfeind, weil ich jetzt immer ungnädig bin, und vorher hat sie sich eingebildet, daß ich ein Kavalier bin von ihr.

Ich habe gesagt, die Mädchen bilden sich oft viel ein.

Da haben sie alle gelacht, aber nachher hat meine Mutter gesagt, sie erlaubt es nicht, daß ich gegen Cora ungezogen bin.

»Er ist nicht ungezogen«, hat Cora gesagt; »wir müssen bloß probieren, daß wir seine Gunst wieder kriegen. Er ist der einzige Mann mit drei weibliche Wesen, und das ist wie bei die indischen Fürsten, wo auch die Damen Mühe haben, daß er gnädig ist.«

Ich habe etwas sagen wollen, aber da ist auf einmal vor unserm Haus ein Gesang gewesen. Meine Mutter und Cora und Ännchen sind zum Fenster hingelaufen, und ich habe auch hinuntergeschaut. Es sind vier Männer da gestanden, die haben gesungen. Den Seitz habe ich gleich gekannt und den Lehrer Knilling, und einer ist Postexpeditor gewesen.

Sie haben gesungen: »Ach, wie ists möglich dann, daß ich dich lassen kann!« Einer hat es zuerst hoch gesungen, und dann hat es einer tief gesungen, und dann hat es einer ganz hoch gesungen und hat seine Stimme zittern lassen. Das ist der Seitz gewesen.

Meine Mutter hat immer gesagt: »Kinder, wie ist das schön!« Und sie hat Ännchen und der Cora gezeigt, wie der Mond dazu scheint, und sie hat ganz traurig mit dem Kopf genickt, wie der Seitz so zitterig gesungen hat. Und sie hat dem Ännchen einen Kuß gegeben und hat der Cora die Backen gestreichelt, und wie es drunten fertig war, hat sie wieder gesagt, es war wunderschön und es ist eine schmeichelhafte Aufmerksamkeit.

Cora hat gelacht, und sie hat gesagt, sie muß es ihrem Papa schreiben, daß unsere Mutter jetzt noch Ständchen kriegt. Meine Mutter hat auch gelacht und hat gesagt, sie glaubt, daß die Ehre für unsre hindianische Prinzessin gemeint ist. Da haben sie drunten laut geräuspert, und es ist wieder losgegangen. Sie haben gesungen: »Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt«, und der Seitz hat seine Stimme nicht mehr so zittern lassen, aber der Knilling. Meine Mutter hat ihren Kopf auf Ännchen ihre Schultern gelegt und hat ein bißchen geweint.

Wie es vorbei gewesen ist, hat der Seitz mit seinem Hut gegrüßt, und die andern haben auch gegrüßt, und sie sind gegangen. Aber beim Brunnen sind sie stehen geblieben, und sie haben gesungen »Schlahaf wohl«. Zuerst hat einer tief gesungen, und dann ist es immer höher gegangen, und zuletzt hat bloß mehr der Seitz ganz laut mit der Stimme gezittert. Dann ist es still gewesen.

Man hat gehört, wie der Brunnen plätschert, und meine Mutter hat gesagt, wir müssen horchen, wie das Wasser rauscht, und wir müssen schauen, wie der Mond scheint, weil es so poetisch ist.

Cora hat gefragt, wer die Sänger gewesen sind. Da habe ich gesagt, einer ist der Seitz gewesen, mit der Glatze und die Kugelaugen.

Da hat meine Mutter gesagt, sie muß leider schon wieder sehen, daß ich den Anstand verliere, und gewiß sind es vier gebildete junge Leute, denen man eine Freude verdankt. Dann sind wir bald ins Bett gegangen, und meine Mutter hat zu Ännchen gesagt: »Gute Nacht, Ännchen von Tharau!« und hat sie zweimal geküßt. Wie ich am andern Tag von der Klasse heimgekommen bin, hat mir der Reiser Franz schon gepfiffen. Ich bin gleich in unsern Garten, aber der Franz hat mir gesagt, ich soll lieber durch den Zaun schliefen zu ihm, er muß mir etwas sagen. Ich bin durch den Zaun geschloffen, und wir sind hinter einen Holzhaufen gegangen, wo man uns nicht gesehen hat.

Der Franz hat ganz dicke Augen gehabt, als wenn er geweint hat, und er ist in Hemdärmeln gewesen und hat keinen Kragen angehabt. Er hat sich in das Gras gelegt, und ich habe mich auch hingelegt. Er hat immer Grasbüschel ausgezogen und hat sie weggeschmissen. Auf einmal hat er gefragt, ob ich den Gesang gehört habe. Ich habe gesagt, ich habe ihn schon gehört, weil er bei uns gewesen ist. Er hat gefragt, ob ich den Seitz gekannt habe. Ich habe gesagt, ich habe ihn gleich gekannt. Da hat er gesagt, man muß ihn gleich kennen, an die krummen Beine, und ob ihn auch die andern gekannt haben? Ich habe ihn gefragt, welche andern? Er hat mit dem Daumen gedeutet und hat gesagt: »Deine Mutter und deine Schwester.« Ich habe gesagt: »Ja, freilich haben sie ihn gekannt.«

»Und das Fräulein Cora auch?« hat er gefragt.

»Die Cora auch!« habe ich gesagt.

Er hat viel Gras ausgerupft und hat es hingeschmissen, und dann hat er gefragt, ob es ihnen vielleicht gefallen hat.

»Meiner Mutter hat es recht gefallen, weil es so poetisch war, wie der Brunnen geplätschert hat«, habe ich gesagt.

»Es ist furchtbar gemein, wenn man die Leute nicht schlafen läßt«, hat der Franz gesagt. »Es ist gar nicht poetisch.« Er ist wieder still gewesen und hat Gras gerupft, und dann hat er gefragt, ob es die Cora auch gelobt hat. Ich habe gesagt, sie hat es nicht gelobt, aber ich glaube, es hat ihr gefallen. Der Franz hat einen Prügel aus dem Holzhaufen gezogen und hat gesagt, mit einem solchen Prügel haut er den Seitz, wenn er noch einmal singt.

Ich habe gelacht, weil ich gedacht habe, wie es ist, wenn der Seitz mit seiner Stimme so zittert, und auf einmal haut ihn der Franz auf den Kopf. Aber der Franz hat nicht gelacht. Er hat sich umgedreht, und er hat sein Gesicht in das Gras gesteckt, und auf einmal hat er furchtbar geweint.

Ich habe mich gar nicht ausgekannt, was es ist, und ich habe ihn gefragt. Aber er hat den Kopf geschüttelt und hat geschluchzt und hat mit dem Prügel auf den Boden gehaut. Und dann hat er sein Gesicht wieder aus dem Gras getan und hat sich mit die Ärmel seine Augen gewischt. Da habe ich ihn noch einmal gefragt. Er hat gesagt, ich verstehe es nicht. Ich habe gesagt, ich verstehe es schon, und ich helfe ihm, wenn vielleicht der Seitz etwas getan hat. Und ich habe ihm gesagt, daß ich ihn gerne mag, und den Seitz mag ich nicht. Da hat er gesagt, vielleicht bin ich der einzige, mit dem er reden kann, und er hat die Cora furchtbar lieb.

Ich habe gesagt, ich habe sie auch lieb, aber warum er deswegen so weint und auf den Boden haut?

Da hat er gesagt, er hat sie ganz anders lieb wie ich, und er möchte, daß sie seine Frau wird.

Ich habe gefragt, warum er nicht hinüber geht und es sagt? Er hat gesagt, es geht nicht.

Ich habe gesagt, es geht schon. Er muß einen schwarzen Rock anziehen und hinübergehen. Zuerst ist meine Mutter allein da. Dann wird die Cora hereingeholt, und er muß den Arm um sie legen, und dann werden Ännchen und ich hereingeholt, und meine Mutter weint ein bißchen, und dann kriegt jedes in der Reihe herum einen Kuß.

Der Franz hat wieder den Kopf geschüttelt.

Da habe ich gesagt, ich weiß es gewiß. Wie der Bindinger unsere Marie gewollt hat, ist es so gewesen.

Aber der Franz hat gesagt, es geht doch nicht, weil er nichts ist und bloß später eine Brauerei kriegt, und er weiß, die Cora mag ihn nicht, er ist ungebildet.

Ich habe gesagt, ich glaube, sie ist froh, wenn er sie mag, weil die Mädchen froh sind, wenn sie gemocht werden.

Er hat gesagt, die Cora nicht. Er merkt es gut, daß er ihr zu wenig ist, weil er nicht studiert hat, und sie schaut ihn gar nicht an. Ich habe gesagt, ich will sie fragen; vielleicht heute beim Essen. Da hat er gerufen, ich darf es nicht tun. Er sagt es ihr selber. Ich habe gefragt, ob er es noch heute sagt. Und er hat gesagt, es dauert nicht mehr lange; vielleicht sagt er es noch heute. Wenn er die Cora allein sieht, dann geht er hin und sagt es ihr. Er kann es nicht mehr aushalten, weil er nicht mehr schlafen kann und nicht mehr essen und trinken kann. Gestern hat er gemeint, er muß aus seinem Fenster springen, wie er den Seitz gehört hat. Er hat gesagt, er hat sich nie getraut, die Cora anzureden, und der ekelhafte Apotheker traut sich gleich zu singen, daß alle Leute es merken. Aber jetzt ist er auch nicht mehr so dumm, und wenn er sie sieht, dann geht er einfach hin und sagt es ihr. Wenn sie den Kerl mit seinen krummen Beinen singen läßt, muß sie ihn auch reden lassen. Und er mag nicht mehr warten.

Ich habe gefragt, warum er sie gerne hat, und er hat sie bloß von weitem gesehen. Er hat gesagt, es ist immer so, aber ich verstehe es nicht.

Wir haben noch miteinander geredet, da hat mich wer gerufen, und der Franz ist ganz erschrocken. Es ist der Cora ihre Stimme gewesen. Wir haben hinter dem Holzhaufen vorgeschaut, da haben wir gesehen, daß die Cora in unserem Garten gestanden ist, und sie hat meinen Namen gerufen. Der Franz hat ganz still gesagt, ich darf keine Antwort geben und ich muß jetzt bei ihm bleiben, sonst merkt sie, daß er auch da ist. Ich habe gesagt, er soll hingehen und soll es ihr sagen, sie ist jetzt allein.

Er hat gesagt, es geht nicht, weil er keinen Kragen nicht anhat, und ich muß ganz still sein, daß sie nichts merkt.

Wir sind auf dem Bauch gelegen und haben bloß mit dem Kopf vorgespitzt. Die Cora hat überall herumgeschaut, und sie hat noch einmal gerufen; dann ist sie zur Gartentür gegangen, und ich habe gewußt, daß sie jetzt hinten herum spazieren geht und bei uns vorbeikommt. Ich habe es dem Franz geschwind gesagt, und da sind wir auf die andere Seite von dem Holzhaufen geschlichen, wie die Cora gerade am Zaun vorbei ist. Sie hat nichts gesehen, und sie ist lustig gewesen und hat gesungen.

Wie sie vorbei war, ist der Franz aufgestanden, und ich bin auch aufgestanden. Wir haben die Cora noch lange gesehen, weil sie ein weißes Kleid gehabt hat, und wir haben sie auch noch singen gehört. Der Franz ist auf den Holzhaufen gestiegen, daß er sie noch länger sieht. Ich habe ihn gefragt, warum er nicht geschwind einen Kragen geholt hat, daß er ihr nachlaufen kann. Er hat gesagt, es geht heute nicht, aber er sagt es ihr morgen. Ich glaube aber jetzt, er sagt es ihr gar nicht.


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