Ludwig Thoma
Tante Frieda
Ludwig Thoma

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Franz und Cora

Den Reiser Franz habe ich furchtbar gern. Er ist in der Kollerbrauerei, daß er sieht, wie man das Bier macht, weil sein Vater auch eine Brauerei hat. Er hat mir erzählt, daß er daheim eine Jagd hat, und ich darf einmal bei ihm schießen. Er wohnt gleich neben uns, und wir kommen immer am Gartenzaun zusammen. Er läßt mich von seiner Zigarre rauchen und lacht furchtbar, wenn ich ihm erzähle, daß ich jemand geärgert habe, und er sagt, daß man sich von einem Professor nichts gefallen lassen muß.

Er ist stark und kann hoch springen, und er kann gut turnen. Ich habe ihn gesehen, daß er mit den Bräuburschen im Spaß gerauft hat, und er hat alle hingeschmissen. Er hat mir vorher in der Woche ein paarmal gepfiffen, daß ich zu ihm hingehe, aber jetzt kommt er jeden Tag an den Gartenzaun, und ich muß mit ihm reden. Vorher hat er oft keinen Kragen angehabt und ist in Hemdärmeln gewesen, aber jetzt hat er immer einen Kragen um. Er ist auch nicht mehr so lustig. Vorher, da hat er mir oft gezeigt, wie er auf den Händen gehen kann, und er hat meine Tante Elise nachgemacht, wie sie bloß einen Zahn hat, und er hat mir einen Pulverfrosch gegeben, daß ich ihn wo loslasse.

Aber jetzt macht er die Tante nicht mehr nach, und wenn ich einen Frosch haben will, sagt er, das muß man nicht tun. Wenn es so knallt, erschreckt vielleicht jemand. Da habe ich mich gewundert. Ich habe ihm erzählt, daß ich heuer vielleicht repetieren muß, da hat er gesagt, daß es traurig ist wegen meiner Mutter, und ich soll probieren, ob ich nicht durchkomme. Ich habe gesagt, es liegt mir nichts daran, weil ich nicht weiter studieren will. Er hat den Kopf geschüttelt, und er hat gesagt, ich verstehe es noch nicht, sonst möchte ich furchtbar lernen.

»Warum?« habe ich gefragt.

»Weil man keinen Respekt nicht hat vor einem ungebildeten Menschen«, hat er gesagt, »und wenn einer auf keinem Gymnasium war und vielleicht bloß in einer Brauerei ist, muß man es deutlich merken, daß man viel weniger ist, und auch die Mädchen geben nicht acht auf einen.«

Ich habe gesagt, die Mädchen lernen doch selber nichts.

»Sie brauchen es nicht«, hat er gesagt; »wenn sie hübsch sind und auf dem Klavier spielen, ist es schon genug. Aber ein Mann, der nicht studiert hat, gilt gar nichts.«

Er ist sehr traurig gewesen, und dann hat er mich gefragt, wie es dem Fräulein Cora geht.

Der Cora geht es ganz gut, hab ich gesagt.

Ob sie nicht von ihm redet, hat er gefragt.

Ich habe gesagt, sie redet schon von ihm, aber nicht viel.

Da hat er gesagt, ob es freundlich war, was sie geredet hat. Ich habe gesagt, ich weiß es nicht mehr so genau. Einmal hat sie zu mir gesagt, ob vielleicht der Herr Reiser das Bier macht, was wir trinken, und es war nicht gut auf diesen Abend. Aber sonst weiß ich nicht mehr, ob sie noch etwas gesagt hat.

Da ist der Franz wieder traurig gewesen und hat den Kopf geschüttelt, und er hat gesagt, er glaubt nicht, daß sie sonst etwas von ihm redet, denn sie meint, er kann nichts als vielleicht das Biermachen. Und sie hat gewiß keinen Respekt nicht vor ihm, weil er nicht auf einem Gymnasium war. Und dann hat er mir gesagt, ich muß recht aufpassen, was die Cora von ihm redet; und dann ist er gegangen.

Ich habe gedacht, ich will zu ihm helfen, weil ich ihn gerne mag, und beim Abendessen, da habe ich wieder daran gedacht. Wir haben Schinken gegessen und Salat, wo harte Eier darauf waren, und das Bier war sehr frisch. Meine Mutter hat es gelobt und hat gesagt, sie freut sich den ganzen Tag schon auf ihr Quart Bier, und es schmeckt so gut. Da habe ich sie gefragt, ob man Respekt haben muß vor einem, wenn er gutes Bier macht. Meine Mutter hat gesagt, man muß Respekt haben vor jedem, der seinen Beruf versteht. Ich habe gefragt, ob sie meint, daß vielleicht ein Professor mehr versteht als einer, der gutes Bier macht. Man kann es nicht vergleichen, hat sie gesagt, und wo einen der liebe Gott hinstellt, da muß man seine Pflicht erfüllen. Das ist die Hauptsache. Ich habe gesagt, wenn einen der liebe Gott hinstellt, daß man Bier macht, warum tun dann die Menschen glauben, daß ein Professor mehr ist, weil er auf dem Gymnasium war? Die Cora hat furchtbar gelacht, und sie hat gesagt, ich bin auf einmal ein tiefsinniger junger Mann, und sie hat einen Verdacht, daß ich jetzt Bier machen will.

»Um Gottes willen«, hat meine Mutter gerufen; »du hast doch keine solchen Gedanken nicht, Ludwig, daß du von dem Schimnasium weggehst?«

Nein, habe ich gesagt, aber warum sie das Weggehen so erschreckt? Wenn mich doch der liebe Gott dazu hinstellen will, muß ich dabei meine Pflicht tun.

Es ist nicht der liebe Gott, hat meine Mutter gesagt, sondern es ist deine Faulheit.

Ich will doch gar nicht weg, habe ich gesagt. Aber jetzt sieht man es deutlich, daß ihr bloß Respekt habt vor dem Gymnasium.

Die Cora hat wieder gelacht, und sie hat wieder gesagt, vielleicht ist für meine Betrachtungen der Herr Reiser schuld, weil ich jetzt so oft bei ihm bin.

Da bin ich zornig geworden. Er ist nicht schuld, habe ich gesagt, er sagt immer, ich muß studieren, weil man sonst nichts ist, aber ich habe ihn getröstet.

»Wie hast du das gemacht?« hat Cora gefragt.

»Ich habe ihm gesagt«, habe ich gesagt, »daß die Mädchen bloß deswegen glauben, das Gymnasium ist etwas Besonderes, weil sie selber nichts lernen.«

»Von welchen Mädchen sprichst du?« hat meine Mutter gefragt.

»Ich rede von allen Mädchen«, habe ich gesagt, »weil alle gleich sind. Sie meinen, wenn man eine Brille auf hat, ist man gescheit.«

»Was weißt du von den Mädchen?« hat meine Mutter gefragt. »Wie kannst du bei deinem Alter solche Reden machen?«

Aber Cora hat ihr die Hand gestreichelt und hat gesagt: »Du mußt nicht böse sein, Mamachen, mit Ludwig. Er ist nur ein bißchen strenge mit uns Mädchen.« Dann hat sie zu Ännchen geblinzelt, und dann haben sie furchtbar gelacht.

Und wie ich gute Nacht gesagt habe, da ist die Cora ganz freundlich zu mir gewesen, und sie hat zu mir gesagt, sie muß mir ein Geheimnis sagen. An der Tür hat sie mir ganz still ins Ohr gesagt, ich muß dem Herrn Reiser sagen, er soll sich eine Brille anschaffen, denn sonst kann er keinem Mädchen nicht gefallen.

Ich glaube aber nicht, daß sie es ernst gemeint hat, weil ich auf der Stiege gehört habe, daß Cora und Ännchen gekichert haben. Am andern Tage bin ich wieder zum Gartenzaun hin, und der Franz ist schon dagewesen. Er hat mich gefragt, ob ich meine Aufgabe schon gemacht habe. Ich habe sie noch nicht gemacht gehabt, aber ich habe ja gesagt. Dann hat er mit dem Daumen auf unser Haus gezeigt und hat gefragt, ob man von ihm geredet hat. Ich habe es ihm erzählt, daß ich wegen ihn gestritten habe, und daß Cora gesagt hat, er muß eine Brille kaufen. Da ist er wieder ganz traurig gewesen und hat gesagt, daß sie ihn ausspottet. Ich habe gesagt, er muß darauf pfeifen; ich mag die Cora gut leiden, weil sie lustig ist, aber wenn sie mich spotten will, zeige ich ihr gleich, daß man auf ein Mädchen nicht aufpaßt.

Der Franz hat den Kopf geschüttelt und hat gesagt, bei ihm ist es anders, und es ist furchtbar traurig; ich verstehe es noch nicht, aber es ist ein sehr großes Unglück für ihn.

Ich habe gesagt, ich möchte wissen, warum alle so seufzen, wenn sie von der Cora reden.

»Wer alle?« hat er schnell gefragt.

»In der Apotheke«, habe ich gesagt. »Der Seitz und der andere Provisor fragen mich immer, wenn ich etwas kaufe, und sie sagen, ich soll ihnen dem Fräulein empfehlen, und sie tun, als wenn sie auf der Stelle weinen müssen.«

Der Franz hat auf unser Haus gezeigt und hat gefragt, was sie sagt, wenn ich es ausrichte.

Ich habe gesagt, daß sie lacht.

Ob sie lacht, als wenn es sie freut, hat er gefragt.

Ich habe gesagt, ich weiß es nicht.

Da hat er gesagt, vielleicht freut es sie, weil der Seitz studiert hat; er ist aber ein Salbenreiber, und er hat krumme Beine, und er ist ein dummer Mensch, den man einmal furchtbar hauen muß, weil er sich so viel einbildet.

Ich habe gefragt, ob der Seitz ihm etwas getan hat, weil er so zornig ist auf ihn.

Der Franz hat gesagt, er hat ihm nichts getan, aber er kann ihn nicht leiden, und ich darf keine Grüße nicht mehr ausrichten.

Und dann ist er weggegangen und hat immer mit seinem Stock in die Luft gehauen, daß es gepfiffen hat.


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