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Vierter Anhang.
Die Ordensregel und das Testament des Franz von Assisi


Übertragen von Wolfram von den Steinen

Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Ferdinand Hirt in Breslau entnommen dem Werk: Wolfram von den Steinen Franziskus und Dominikus / Leben und Schriften. Breslau 1926

 

Die endgültige Regel.

Bestätigt und herausgegeben durch Papst Honorius III. am 29. November 1223

1. Im Namen des Herrn beginnt das Leben der Minderbrüder

Regel und Leben der Minderbrüder ist dies: unsres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu bewahren durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit. Bruder Franziskus verspricht Gehorsam und Ehrfurcht dem Herrn Papst Honorius und dessen Folgern, die gesetzlich eintreten, und der römischen Kirche. Und die andern Brüder seien verpflichtet, dem Bruder Franziskus und dessen Folgern zu gehorchen.

 

2. Von denen, welche dies Leben annehmen wollen, und wie man sie aufnehmen soll

Welche etwa dies Leben annehmen wollen und zu unsern Brüdern kommen, die soll man zu den Landesdienern schicken, denen allein und keinen andern die Erlaubnis, Brüder aufzunehmen, gewährt werde. Die Diener nun sollen sie fleißig über den katholischen Glauben und die kirchlichen Sakramente prüfen. Und wenn sie das alles glauben und es treulich bekennen und bis zum Ende fest bewahren wollen, und keine Frauen haben oder, wenn doch, die Frauen schon in ein Kloster getreten sind oder, vom Bischof ihres Sprengels bevollmächtigt, ihnen nach abgelegtem Gelübde der Enthaltsamkeit die Freiheit gegeben haben, und die Frauen solchen Alters sind, daß ihrethalben keine Nachrede aufkommen kann: so sage man ihnen das Wort des heiligen Evangeliums, daß sie gehen und all das ihre verkaufen und darauf sinnen sollen, es den Armen hinzugeben. Sollten sie das nicht können, so genügt ihnen der gute Wille. Und hüten mögen sich die Brüder und ihre Diener, um deren zeitliche Sachen besorgt zu sein, auf daß sie frei mit ihrer Habe tun, was der Herr ihnen eingebe. Wird jedoch Rat erfordert, sei den Dienern vergönnt, sie zu irgendwelchen Gottesfürchtigen zu schicken, auf deren Rat sie ihre Güter den Armen spenden mögen. Danach gewähre man ihnen das Gewand der Erprobung, nämlich zwei Kutten ohne Kapuze und Gürtel und Hose und eine große Kapuze bis zum Gürtel, wenn den Dienern nicht etwa andres mit Gott gutdünke. Ist dann das Probejahr beendet, seien sie in den Gehorsam mit dem Versprechen aufgenommen, immer dies Leben hier und die Regel einzuhalten. Und auf keine Weise wird es ihnen freistehen, aus diesem Bunde auszutreten, nach Verfügung des Herrn Papstes: denn gemäß dem heiligen Evangelium ist keiner, der seine Hand an den Pflug legt und rückwärts blickt, geschickt für Gottes Reich. Und die, welche schon den Gehorsam versprochen haben, sollen eine Kutte mit Kapuze haben und eine andre ohne Kapuze, sofern sie wollen. Und die von Not gezwungen sind, mögen Schuhe tragen. Und die Brüder alle seien mit gemeinen Kleidern angetan und sollen sie flicken dürfen mit Sacktuch und andern Flicken unter Gottes Segen. Dazu mahne und ermuntre ich sie, die Menschen weder zu verachten noch zu richten, die sie mit weichen und bunten Kleidern angetan zarte Speisen und Getränke genießen sehen, vielmehr richte und verachte ein jeglicher sich selbst.

 

3. Von Gottesdienst und Fasten, und welcher Art die Brüder durch die Welt gehen sollen

Die Geistlichen sollen den Gottesdienst nach der Ordnung der Heiligen Römischen Kirche verrichten, nur aus dem Psalter sollen sie Auszüge haben dürfen. Die Laien aber sollen vierundzwanzig Vaterunser zur Matutin sagen, fünf zu den Lauden, zur Prim, Terz, Sext, Non jedesmal sieben, zur Vesper dagegen zwölf, zur Komplet sieben, und für die Verstorbenen beten.

Und fasten sollen sie vom Fest Allerheiligen bis zur Weihnacht. Die heilige Fastenzeit aber, die vom Dreikönigstag an bis zu den vierzig Tagen hintereinander reicht, die der Herr durch sein heiliges Fasten geweiht hat – wer die freiwillig fastet, sei vom Herrn gesegnet, und wer nicht will, sei nicht gebunden. Aber die andre bis zur Auferstehung des Herrn sollen sie fasten. Zu andern Zeiten aber seien sie bloß am Freitag verpflichtet zu fasten, zur Zeit offenbarer Not indessen nicht durch das körperliche Fasten gefesselt.

Ich rate aber, mahne und fordere meine Brüder auf im Herrn Jesus Christ, sie sollen, wenn sie durch die Welt wandern, nicht hadern noch mit Worten streiten noch andre richten; sondern sie seien mild, friedfertig und bescheiden, sanft und demütig, ehrbar in der Rede zu allen, wie sichs ziemt. Und ihnen gebühre kein Reiten, wenn nicht offenbare Not oder Krankheit sie zwingt. In welches Haus sie auch treten mögen, zuerst sollen sie sagen: Friede diesem Hause. Und gemäß dem heiligen Evangelium stehe ihnen frei, von allen Speisen, die man ihnen vorsetzt, zu essen.

 

4. Daß die Brüder kein Geld nehmen sollen

Ich biete fest den Brüdern insgesamt, daß sie auf keine Weise Münze oder Geld annehmen, weder selbst noch durch Vermittler. Trotzdem sollen für Bedürfnisse der Kranken und zum Einkleiden der andern Brüder vermittels geistlicher Freunde die Diener und Wächter, nur sie, eifrige Sorge tragen, je nach Ort und Zeit und Kälte der Gegend, wie sie es dem Bedürfnis entsprechen sehen: dies allzeit wahrend, daß sie, wie es gesagt ist, Münze oder Geld nicht annehmen.

 

5. Von der Art der Arbeit

Jene Brüder, denen der Herr die Gnade des Arbeitens gegeben hat, mögen treu und ergeben arbeiten, derart daß sie, fern der seelenfeindlichen Muße, den Geist des heiligen Gebets und der Andacht nicht auslöschen, dem das übrige Zeitliche zu fronen hat. Zum Lohn ihrer Arbeit aber sollen sie für sich und ihre Brüder die Notdurft des Körpers annehmen außer Münze oder Geld, und das in Demut, wie sichs ziemt für Knechte Gottes und Gefolgsleute der heiligsten Armut.

 

6. Daß die Brüder sich nichts zu eigen machen sollen; und vom Almosenerbitten und von kranken Brüdern

Die Brüder sollen sich nichts zu eigen machen, weder Haus noch Platz noch irgendein Ding. Und als Pilger und Fremdlinge in dieser Zeitlichkeit in Armut und Demut dem Herrn dienend, mögen sie vertrauensvoll um Almosen ausziehen, und keine Scham gebührt ihnen, da der Herr sich für uns in dieser Welt arm gemacht hat. Dies ist jene Erhabenheit der tiefsten Armut, die euch, meine teuersten Brüder, zu Erben und Königen im Königreich des Himmels gesetzt, euch arm an Habe gemacht, an Kräften geadelt hat. Dies sei euer Los, das ins Land der Lebenden geleitet. Der sollt ihr, geliebteste Brüder, ganz anhangen und für den Namen unsres Herrn Jesus Christ auf alle Dauer nichts andres unter dem Himmel haben wollen.

Und überall, wo Brüder sind und sich treffen, sollen sie sich freundlich zueinander zeigen, und sorglos offenbare einer dem andern seine Not, denn wenn eine Mutter ihren leiblichen Sohn nährt und liebt, wie viel liebender muß man seinen geistlichen Bruder lieben und nähren! Und wenn einer von ihnen in Krankheit fiele, sollen die andern Brüder ihm so dienen, wie sie selbst bedient sein wollen.

 

7. Welche Buße sündigen Brüdern aufzulegen

Sollten Brüder vom Feinde gestachelt tödlich sündigen, so seien sie für die Sünden, derethalben unter den Brüdern bestimmt ist, daß man einzig auf die Landesdiener zurückgehe, verpflichtet, auf diese zurückzugehen, sobald sie können, ohne Verzug. Die Diener nun sollen, wenn sie Priester sind, ihnen mit Barmherzigkeit Buße auferlegen, wenn sie aber nicht Priester sind, sie durch andre Priester des Ordens auferlegen lassen, wie es ihnen mit Gott am besten zu helfen scheint. Und hüten müssen sie sich, zornig und erregt um jemandes Sünde zu werden, denn Zorn und Erregung hemmen in sich und in andern die Liebe.

 

8. Von der Wahl des gemeinsamen Dieners dieser Bruderschaft und vom Pfingstkapitel

Sämtliche Brüder seien verpflichtet, einen von den Brüdern dieses Bundes stets zum gemeinsamen Diener und Knecht der ganzen Bruderschaft zu haben, und seien fest verpflichtet, ihm zu gehorchen. Stirbt er, so geschehe die Wahl des Nachfolgers durch die Landesdiener und Wächter auf dem Pfingstkapitel, zu welchem die Landesdiener verpflichtet seien, stets zusammenzukommen, wo es auch vom gemeinsamen Diener angesetzt sein mag: und das einmal in drei Jahren oder zu andrer Frist, größerer oder kleinerer, wie es von dem genannten Diener angeordnet wird. Und schiene es zu irgendeiner Zeit der Gesamtheit der Landesdiener und Wächter, der genannte Diener sei nicht genügend zum Dienst und gemeinsamen Nutzen der Brüder, so seien die genannten Brüder, denen die Wahl verliehen ist, verpflichtet, im Namen des Herrn sich einen andern zum Wächter zu wählen. Nach dem Pfingstkapitel aber dürfen die einzelnen Diener und Wächter, wenn sie wollen und es ihnen förderlich dünkt, im gleichen Jahr auf ihren Wachten einmal ihre Brüder zum Kapitel berufen.

 

9. Von den Predigern

Die Brüder sollen im Bistum eines Bischofs nicht predigen, wenn es ihnen von ihm untersagt ist. Und kein Bruder wage vollends dem Volke zu predigen, ehe er vom gemeinsamen Diener dieser Bruderschaft geprüft und anerkannt und ihm das Amt der Predigt von ihm verliehen ist. Ich mahne zudem und erinnere diese Brüder, daß die Sprache ihrer Predigten geprüft und keusch sei, zu Nutzen und Erbauung des Volkes, indem sie Laster und Tugenden, Strafe und Glorie in Kürze der Rede ihnen verkünden; denn ein gekürztes Wort hat der Herr auf Erden gewirkt.

 

10. Von der Ermahnung und Zurechtweisung der Brüder

Brüder, welche Diener und Knechte andrer Brüder sind, sollen ihre Brüder heimsuchen und ermahnen und sie demütig und liebreich zurechtweisen, ohne ihnen irgend zu gebieten, was gegen ihre Seele und unsre Regel ist. Die Brüder aber, die untergeben sind, seien gedenk, daß sie Gott zuliebe den eignen Willen verleugnet haben. Daher gebiete ich ihnen fest, daß sie ihren Dienern in allem gehorchen, was sie dem Herrn einzuhalten versprochen haben und der Seele und unsrer Regel nicht zuwider ist. Und wo jemals Brüder sind, die wissen und erkennen, sie vermöchten die Regel nicht geistlich einzuhalten, sollen und dürfen sie zu ihren Dienern Zuflucht nehmen. Die Diener aber mögen sie liebreich und gütig aufnehmen und so große Herzlichkeit für sie haben, daß die mit ihnen reden und tun können wie Herren mit ihren Knechten: denn so soll es sein, daß die Diener die Knechte aller Brüder sind.

Ich mahne aber und erinnere beim Herrn Jesus Christ, daß sich die Brüder hüten vor allem Hochmut, eitlen Ruhm, Mißgunst, Habsucht, Sorge und Geschäftigkeit dieser Welt, Verleumdung und Gemurr. Auch sei, wer nicht lesen kann, außer Sorge lesen zu lernen, sondern denke daran, daß er über alles sich sehnen solle, den Geist des Herrn und sein heiliges Handeln zu haben, allzeit reines Herzens zu ihm zu beten und die Demut zu haben, Geduld in Verfolgung und Krankheit, und zu lieben die, die uns verfolgen und tadeln und schelten, denn es sagt der Herr: »Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen und beschimpfen; selig, die Verfolgung ertragen um der Gerechtigkeit willen, denn derer ist das Himmelreich. Wer aber ausharrt bis zum Ende, der wird heil sein.«

 

11. Daß die Brüder Nonnenklöster nicht betreten sollen

Ich gebiete fest den Brüdern insgesamt, keinen verdächtigen Umgang oder Beratung mit Frauen zu haben, auch Nonnenklöster nicht zu betreten, die Brüder ausgenommen, denen vom apostolischen Stuhl besondere Erlaubnis verliehen ist. Und sie sollen nicht Gevattern von Männern oder Frauen werden, damit kein Anlaß zum Ärgernis unter den Brüdern oder über Brüder daraus entstehe.

 

12. Von denen, die zu Sarazenen und andern Ungläubigen gehen

Alle Brüder, die auf göttliche Eingebung zu Sarazenen oder andern Ungläubigen gehen wollen, mögen die Erlaubnis dazu von ihren Landesdienern erbitten. Die Diener aber sollen die Erlaubnis zu gehen einzig denen erteilen, die sie für die Sendung geeignet sehen.

Zu diesem lege ich es beim Gehorsam den Dienern auf, den Herrn Papst um einen Kardinal der Heiligen Römischen Kirche zu bitten, welcher Lenker, Schützer und Besserer dieser Bruderschaft sei, auf daß wir immer ergeben und untertan zu Füßen der heiligen Kirche, stetig im katholischen Glauben, die Armut und Demut und das heilige Evangelium unsres Herrn Jesus Christ nach unserm festen Gelübde bewahren.


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