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Blütenkranz des heiligen Franziskus

I. Kapitel

Im Namen unseres Herren Jesu Christi, des Gekreuzigten, und seiner Mutter, der Jungfrau Maria: Dieses Buch enthält etliche Blüten und Wunder und fromme Beispiele des glorreichen Armen Christi, St. Francisci, und einiger seiner heiligen Jünger Zum Lobe Jesu Christi. Amen

Fürnehmlich haben wir zu betrachten, daß der glorreiche St. Franciscus in allen Handlungen seines Lebens Christo, dem Gebenedeiten, glich; daß, gleichwie Christus, da er zu predigen anfing, zwölf Apostel wählte, alle Dinge der Welt zu verachten und ihm in der Armut und den andern Tugenden zu folgen, also auch St. Franciscus zu Beginne der Gründung seines Ordens zwölf Gefährten sich erkor, so die allerhöchste Armut besaßen; und, daß, wie einer der zwölf Apostel Christi von Gott verworfen ward und sich zuletzt an seinem Halse aufhing, also auch einer der zwölf Jünger St. Francisci, dessen Name Bruder Giovanni della Capella war, abfiel und zuletzt sich selbst an seinem Halse aufhing. Und das ist ein ernstes Beispiel den Erwählten und Grund zu Furcht und Demut, wenn man zusiehet, daß keiner des sicher ist, in Gottes Gnade bis an das Ende zu verharren.

Gleichwie auch jene heiligen Apostel ganz wundersam waren an Heiligkeit und Demut und voller heiligen Geistes, also waren auch jene heiligen Jünger St. Francisci Männer von solcher Heiligkeit, daß es seit den Tagen der Apostel bis dahin keine so wunderbaren und heiligen Männer in der Welt gegeben hat: Denn einer von ihnen wurde bis zu dem dritten Himmel entzückt wie St. Paulus, und das war Bruder Egidio; einer von ihnen, nämlich Bruder Filippo, der Lange, ward vom Engel mit feuriger Kohle an seinen Lippen berührt gleich dem Propheten Jesaia; einer von ihnen, nämlich Bruder Silvestro, redete mit Gott wie ein Freund mit dem andern, gleichwie es Mose getan hatte; einer schwebte mit seines Geistes Schärfe bis zu dem Lichte der göttlichen Weisheit gleich dem Adler, so da ist der Evangelist Johannes, und das war Bruder Bernardo, der sehr demütige, welcher tief die heilige Schrift zu deuten wußte; einer von ihnen wurde von Gott heilig gesprochen und im Himmel kanonisiert, da er noch auf Erden lebte, und das war Bruder Ruffino, ein Edeler von Assisi. Und so wurden alle mit unterschiedlichen Zeichen ihrer Heiligkeit begnadet, wie man es in dem Folgenden wird sehen können.

 

II. Kapitel

Von Bruder Bernardo von Quintavalle, dem Ersten, der St. Francisco nachfolgte

Der erste, der St. Francisco nachfolgte, war Bruder Bernardo von Assisi, welcher auf folgende Weise bekehrt wurde: Als St. Franciscus noch das Kleid der Laien trug, – ob er gleich von der Welt sich abgewandt hatte und das alles für nichts achtete und von Kasteiungen entstellt war, – als er bei vielen im Geruch eines Toren stand und wie ein Blöder verspottet wurde und so von seiner Sippe wie von Fremden mit Steinen und Kot gehetzt wurde, und als er doch geduldig durch jeglichen Schimpf und Spott gleich einem Tauben und Stummen einherging, da begann Bernardo von Assisi, der Edelsten einer in der Stadt und der Reichsten und Weisesten einer, klüglich darauf zu achten, wie gering St. Franciscus diese Welt schätzte und auf seine große Geduld in jeglicher Schmach; er sah auch, daß er, der schon während zweier Jahre so sehr verabscheut worden war und von jedermann verspottet, darum nur desto beständiger wurde. So hub er denn an, mit sich zu Rate zu gehen und sich zu sagen: »So ist es und nicht anders; dieser Bruder hat große Gnade von Gott empfangen.«

Daher lud er ihn abends ein zu Nachtessen und Nachtlager; und St.Franciscus nahm an und aß mit ihm zu Nacht und wohnte mit ihm über Nacht. Da beschloß nun Bernardo in seinem Herzen, St. Francisci Heiligkeit auszukundschaften. Zu dem Ende ließ er ihm ein Bett in seiner eigenen Kammer bereiten, wo des Nachts stets eine Lampe brannte: Sobald nun St. Franciscus in die Kammer getreten, warf er sich, um seine Heiligkeit geheimzuhalten, auf das Bett und gab sich den Anschein eines Schlafenden. In gleicher Weise ging auch Bernardo bald darauf zu Bett und begann mächtig zu schnarchen, genau so, als wenn er feste schliefe.

Da nun St. Franciscus glaubte, daß Bernardo wirklich schlief, stand er um die Zeit der ersten Ruhe vom Lager auf, hub Augen und Hände gen Himmel und fing an zu beten: und dabei sagt er voll großer Andacht und Inbrunst: »Mein Gott, mein Gott!« Bei diesen Worten vergoß er viele Tränen und harrte so bis zum Morgengrauen, indem er immer wieder sagte: »Mein Gott, mein Gott!« und sonst nichts weiteres.

Das sagte aber St. Franciscus, indem er staunend die erhabene Güte göttlicher Majestät betrachtete, die voller Gnade zur untergehenden Welt herabgestiegen war und sich anschickte, in St. Francisco, ihrem Armen, das Mittel zu geben zum Heile seiner Seele und der andern Seelen. So schaute er, von dem heiligen Geist erleuchtet, dem Geiste des Prophezeiens, die großen Dinge, die Gott in Zukunft durch ihn und seinen Orden wirken sollte; und, da er seine Geringheit ansah und seine Schwäche, rief er zu Gott und bat ihn, er möge in seiner Güte und Allmacht, ohne die ja menschliche Gebrechlichkeit nichts vermag, das erfüllen, stützen, vollenden, wozu seine Kraft nicht taugte.

Als Bernardo im Scheine der Lampe dieses fromme Tun St. Francisci gewahrte und andächtig den Worten nachsann, die jener sprach, rührte ihn dieses, und der heilige Geist gab ihm ein, sein Leben zu ändern. Als es nun Tag geworden, rief er daher St. Franciscum zu sich und sprach zu ihm also: »Bruder Francisce, ich habe mich in meinem Herzen ganz und gar entschlossen, die Welt zu verlassen und dir in allem zu folgen, was du mir befehlen wirst.« Wie das St. Franciscus hörte, ward er guten Mutes und sagte: »Bernardo, das, wovon Ihr da redet, ist ein so großes und schwieriges Unterwinden, daß es gut wäre, hierüber den Rat unseres Herren Jesu Christi zu fragen, und ihn zu bitten, er möge uns seinen Willen kund tun; auch möge er uns anleiten, wie wir die Sache wohl am besten anfassen könnten. Darum laßt uns miteinander zum Palaste des Bischofs gehen, wo es einen guten Priester gibt; er soll uns die Messe lesen, und hernach wollen wir bis zur dritten Stunde Gott darum bitten, daß, wenn wir zu drei Malen das Meßbuch aufschlagen, er uns den Pfad weise, den wir zu seinem Wohlgefallen gehen sollen.« Antwortete Bernardo, daß ihm dieser Vorschlag recht dünkte.

Daher machten sie sich auf und kamen zum Palaste des Bischofs: Nachdem sie die Messe gehört und bis zur dritten Stunde gebetet hatten, nahm der Priester auf St. Francisci Bitten das Meßbuch, machte das Zeichen des Kreuzes und schlug es im Namen unseres Herren Jesu Christi zu drei Malen auf: Und, als er es zum ersten aufschlug, fanden sie jenes Wort, das Christus zu dem Jüngling gesagt hatte, der nach dem Wege der Vollkommenheit fragte: »Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe, was du hast, und gib es den Armen und folge mir nach.« Als er es zum andern aufschlug, fanden sie jenes Wort, das Christus den Aposteln gesagt hatte, da er sie zu predigen aussandte: »Nehmet nichts mit euch auf eure Wanderschaft; weder einen Stab, noch eine Tasche, noch Schuhwerk, noch Geld«, – damit aber hatte er ihnen lehren wollen, daß sie die ganze Hoffnung des Lebens auf Gott setzen und bloß danach trachten sollten, das heilige Evangelium zu predigen. – Als er es zum dritten aufschlug, fanden sie jenes Wort, das Christus gesagt hatte: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.« Nun sagte St. Franciscus zu Bernardo: »Da hast du den Rat, den Christus gibt; so gehe denn hin und tue genau so, wie du es gehört hast; gebenedeit aber sei unser Herr Jesus Christus, der die Gnade gehabt hat, uns seinen Weg nach dem Evangelio zu offenbaren.«

Als Bernardo dieses hörte, ging er hin und verkaufte, was er hatte, – und er war sehr reich. Und er verteilte jegliches mit großer Freudigkeit an Witwen, an Waisen, an Gefangene, an Klöster und an Spitäler und Pilger; in allen Stücken aber half ihm St. Franciscus treu und fürsorglich.

Als aber einer mit Namen Silvestro wahrnahm, daß St. Franciscus so viel Geld den Armen gab und geben ließ, da krampfte es sich in ihm vor Gier, und er sprach zu St. Francisco: »Du hast mir nicht ganz jene Steine bezahlt, die du von mir kauftest, um die Kirche wieder aufzubauen; jetzt, da du Geld hast, zahle!« Ob dieser Gier erstaunte St. Franciscus, weil er aber als echter Nachfolger des heiligen Evangelii nicht mit ihm streiten wollte, tat er seine Hände Bernardo in den Schoß; und die Hände voll Geldes tat er Silvestro in den Schoß und sagte: »Willst du noch mehr haben, so werde ich dir mehr geben.« Silvestro war aber damit zufrieden und ging nach Hause.

Des Abends, wie Silvestro darüber nachsann, was er des Tages getan, machte er sich Vorwürfe wegen seiner Gier, indessen er Bernardos Eifer und St. Francisci Heiligkeit betrachtete; und in der folgenden Nacht und noch in zwei andern Nächten sandte ihm Gott ein Gesicht also, daß aus St. Francisci Munde ein goldenes Kreuz hervorging, dessen Höhe den Himmel berührte, und dessen Arme vom Aufgange reichten bis zum Untergang. Um dieses Gesichtes willen gab er alles hin, was er hatte, und ward ein Ordensbruder; und er wurde so heilig im Orden und so begnadet, daß er mit Gott redete gleichwie ein Freund mit dem andern. Dieses hat auch St. Franciscus des öfteren wahrgenommen, und soll davon noch weiter die Rede sein.

Auch Bernardo empfing so viel Gnade, daß er oft im Anschauen Gottes entzückt wurde. Und St. Franciscus pflegte von ihm zu sagen, daß er jeglicher Ehrfurcht würdig sei und daß er den Orden begründet habe, denn er war der erste, so die Welt verließ, ohne etwas für sich zu behalten, sondern er hatte alles Christi Armen gegeben; und er wandelte zuerst die Bahnen der Armut nach dem Evangelio, indem er sich nackt dem Gekreuzigten hingab.

Er sei von uns gebenedeit in saecula saeculorum. Amen.

 

III. Kapitel

Wie St. Franciscus um eines schlechten Gedankens willen, den er gegen Bruder Bernardo hegte, selbigem Bruder Bernardo anbefahl, ihm zu drei Malen mit den Füßen auf den Hals und auf den Mund zu treten

Der fromme Knecht des Gekreuzigten, St. Franciscus, war durch harte Bußübungen und unaufhörliches Weinen beinahe blind geworden und sah nur wenig. Einstmals nun ging er von dem Kloster fort, da er sich befand, und begab sich zu einem Kloster, wo sich Bruder Bernardo aufhielt, um mit ihm über die göttlichen Dinge zu reden. Und, wie er an das Kloster kam, fand es sich, daß jener im Walde betete und ganz zu Gott erhoben und mit ihm vereinigt war. Da ging St. Franciscus in den Wald und rief ihn: »Komm«, sagte er, »und rede mit diesem Blinden.« Doch Bruder Bernardo antwortete ihm gar nichts, denn, da er ein Mann von großer Beschaulichkeit war, wurde sein Geist oft zu Gott erhoben; weil er aber besonders begnadet von Gott zu reden wußte, – wie es St. Franciscus des öfteren wahrgenommen hatte, – wollte dieser mit ihm sprechen. Nach einer kurzen Weile rief er ihn zum andern Male und zum dritten Male auf dieselbe Weise; doch Bruder Bernardo hörte ihn kein einziges Mal. Und, da er ihm weder antwortete, noch zu ihm kam, ging St. Franciscus fort und war nicht wenig verdrossen; und er wunderte sich und war darob ungehalten, daß Bruder Bernardo, den er doch zu drei Malen gerufen hatte, nicht zu ihm gekommen war.

Mit diesen Gedanken entfernte sich St. Franciscus und, als er ein kleines Stück Weges gegangen war, sagte er zu dem, der ihn geleitete: »Warte nur hier auf mich.« Und er ging abseits zu einer einsamen Stelle, warf sich zum Gebete nieder und bat Gott, er möge ihm offenbaren, weshalb Bruder Bernardo nicht geantwortet hatte. Und, wie er also dalag, klang zu ihm eine Stimme von Gott, die also sprach: »O du armes Menschenkind! Warum bist du so aufgebracht? Soll der Mensch denn Gott um der Kreatur willen lassen? Bruder Bernardo war mit mir vereint, als du ihn riefest; und deshalb konnte er nicht zu dir kommen, auch dir nicht antworten; so wundere dich denn nicht, wenn er dir nicht antworten konnte; denn er war also entzückt, daß er keines deiner Worte gehört hat.«

Wie St. Franciscus diese Antwort Gottes vernahm, kehrte er sofort in großer Eile zu Bruder Bernardo zurück, um sich vor ihm demütig wegen des Gedankens zu verklagen, den er ihm gegenüber gehegt hatte. Doch, als Bruder Bernardo ihn auf sich zukommen sah, ging er ihm entgegen und warf sich ihm zu Füßen: Da hieß ihn St. Franciscus aufstehen und erzählte ihm in großer Demut von seinem Gedanken und dem Ärger, den er gegen ihn gehabt, und, wie Gott ihm dieserhalb geantwortet hatte; und also schloß er: »Im Namen des heiligen Gehorsams befehle ich dir, das zu tun, was ich dich heißen werde.« Da Bruder Bernardo jedoch fürchtete, daß St. Franciscus ihm etwas Ungeheuerliches befehlen würde, wie er es ja zu tun pflegte, wollte er diesem Gehorsam mit möglichstem Anstand aus dem Wege gehen; daher entgegnete er: »Ich bin, Euch zu gehorchen, bereit, wenn Ihr mir das zu tun versprecht, was ich Euch heißen werde.« Als St. Franciscus ihm das versprochen hatte, sagte Bruder Bernardo: »Nun Vater, sprecht, was wollt Ihr, daß ich tun soll?« Sprach da St. Franciscus: »Ich werde mich jetzt rücklings zu Boden werfen und gebiete dir bei dem heiligen Gehorsam zur Strafe meines Dünkels und der Anmaßung meines Herzens, mich mit dem einen Fuße auf den Hals und mit dem andern auf den Mund zu treten und also dreimal über mich hinwegzuschreiten, indessen du mir Schande und Tadel vorhältst; besonders aber sage mir: Liege nur da, elender Sohn Pietro Bernardonis! Woher kommt dir solcher Hochmut, der du eine ganz gemeine Kreatur bist?«

Da Bruder Bernardo dieses hörte, dünkte es ihm sehr hart, also zu handeln; doch um des heiligen Gehorsams willen erfüllte er, was ihm St. Franciscus geboten hatte, – jedoch so höflich, als er nur irgend konnte, und, da er es getan, sprach St. Franciscus: »Jetzt befiehl du mir das, was du willst, daß ich tun soll; denn ich habe dir Gehorsam versprochen.« Nun sagte Bruder Bernardo: »Im Namen des heiligen Gehorsams befehle ich dir: tadele mich hart und bessere mich von meinen Fehlern jedesmal, wenn wir beisammen sein werden.« Da wunderte sich St. Franciscus über solche Heiligkeit Bruder Bernardos, so daß er ihn hoch in Ehren hielt und auch nicht des geringsten Tadels würdig achtete.

Wegen dieses seines Versprechens mied es seitdem St. Franciscus, mit jenem viel beisammen zu sein, damit ihm kein Wort des Tadels demgegenüber entfallen mochte, dessen große Heiligkeit ihm kund geworden war. Doch, wenn er ihn hatte sehen wollen und hören, wie er von Gott redete, verließ er ihn wieder, so rasch er konnte, und ging davon, und es war eine große Erbauung, zu sehen, wie liebevoll und ehrfürchtig und demütig St. Franciscus, der Vater, mit Bruder Bernardo, seinem Erstgeborenen, verkehrte und sprach.

Zum Lobe und Ruhme Jesu Christi und Francisci, des Armen. Amen.

 

IV. Kapitel

Wie der Engel Gottes Bruder Elia, der Guardian eines Klosters im Tale von Spoleto war, eine Frage aufgab und, da ihm Bruder Elia hochfahrend antwortete, den Weg nach St. Jakob in Galicien einschlug; wie er dort Bruder Bernardo traf und ihm diese Geschichte erzählte

In den ersten Zeiten zu Beginne des Ordens, da es noch wenige Brüder gab, und noch keine Klöster gegründet waren, wallfahrtete St. Franciscus in seiner Frömmigkeit zu St. Jakob nach Galicien Santiago de Compostella in der spanischen Landschaft Galicia, mit dem Grabe des Apostels Jacobus, des Älteren, des Schutzheiligen Spaniens. und nahm etliche Brüder mit sich, unter denen auch Bruder Bernardo war. Wie er mit ihnen also des Weges einherzog, sah er einen armen Kranken am Boden liegen, und es jammerte ihn seiner, und er sprach zu Bruder Bernardo: »Mein Sohn, ich will, daß du hier bleibest und diesem Kranken dienest.«

Und Bruder Bernardo beugte demütig die Knie, neigte sein Haupt und empfing in Ehrfurcht das Gebot des heiligen Vaters; und er blieb allda. St. Franciscus aber mit den anderen wanderte zu St. Jakob. Als sie dort angelangt waren, und St. Franciscus nachts in der Kirche des Heiligen betete, offenbarte ihm Gott, daß er viele Stätten der Welt sich zu Klöstern erlesen sollte; denn sein Orden sollte zunehmen und zu einer großen Menge von Brüdern anwachsen; daher begann er seitdem auf Gottes Befehl allerorten sich Stätten auszuwählen.

Als St. Franciscus auf demselben Wege zurückkehrte, den er vorher gegangen war, traf er Bruder Bernardo wieder, sowie den Kranken, mit dem er ihn zurückgelassen hatte: und er war vollkommen genesen. Daher erlaubte St. Franciscus Bruder Bernardo in dem folgenden Jahre, zu St. Jakob zu wallfahrten. St. Franciscus aber kehrte in das Tal von Spoleto zurück, und er hielt sich in einem abgelegenen Kloster, er und Bruder Masseo und Bruder Elia und andere: Sie hüteten aber sich alle davor, St. Franciscum in seinen Gebeten zu stören oder ihn daran zu hindern; und sie taten das aus Verehrung zu ihm und, weil sie wußten, daß ihm Gott große Dinge in seinen Gebeten offenbarte.

Da geschah es eines Tages, daß, wie St. Franciscus im Walde betete, ein schöner Jüngling, der gleich einem Wanderer angetan war, zu den Pforten des Klosters kam; und er klopfte so hastig und laut an die Pforte und so anhaltend, daß die Brüder wegen solch ungewohnten Klopfens äußerst erstaunten. Da ging Bruder Masseo hin, öffnete die Pforte und sagte zu jenem Jüngling: »Woher kommst du, mein Sohn? Denn es scheint, du bist noch niemals hier gewesen. Wahrhaftig, du hast geklopft, wie wir es nicht gewohnt sind.« Der Jüngling erwiderte: »Wie soll man denn klopfen?« Bruder Masseo antwortete: »Klopfe dreimal an und in Zwischenräumen, dann warte solange, bis der Bruder ein Vaterunser gesagt haben mag und zu dir kommt; und, sollte er in dieser Zeit nicht kommen, so klopfe abermals.« Da erwiderte der Jüngling: »Ich habe es sehr eilig und klopfe darum so stark, weil ich noch eine weite Reise vorhabe und gekommen bin, um mit Bruder Francisco zu reden. Doch der ist jetzt im Walde und in Gebet versunken; da will ich ihn denn nicht stören. Du aber geh und schicke mir Bruder Elia heraus: ich will ihm eine Frage aufgeben; denn mir ist wohl bekannt, daß er sehr weise ist.«

Bruder Masseo geht nun hin und sagt zu Bruder Elia, er möchte zu dem Jünglinge hinauskommen: der aber ärgert sich darüber und will nicht kommen. Bruder Masseo weiß gar nicht, was er tun soll: denn, sagte er, Bruder Elia konnte nicht kommen, so log er; sagte er aber, daß er sich belästigt fühlte und deshalb nicht kommen wolle, so fürchtete er, daß jener sich ein schlechtes Beispiel daran nehmen könnte. Während ihm also der Entschluß, zurückzugehen, recht sauer wurde, klopfte der Jüngling abermals wie vorher, – und ohne sich viel zu besinnen, kehrte Bruder Masseo an die Pforte zurück und sprach zum Jüngling: »Du hast ja meine Lehren beim Klopfen nicht befolgt!« Da entgegnete der Jüngling: »Bruder Elia will nicht zu mir kommen; geh du aber und sage Bruder Francisco, daß ich gekommen bin, um mit ihm zu reden; doch, da ich ihn nicht im Beten stören will, sage ihm, daß er mir Bruder Elia herausschicke.«

Da ging Bruder Masseo zu St. Francisco, der, das Antlitz zum Himmel erhoben, im Walde betete, und richtete ihm den Auftrag des Jünglings aus und erzählte ihm Bruder Elias Antwort; – jener Jüngling aber war ein Engel Gottes in menschlicher Gestalt. – Doch St. Franciscus rührte sich weder vom Flecke, noch senkte er sein Antlitz, er sprach bloß zu Bruder Masseo: »Geh und sage Bruder Elia, daß er auf der Stelle um des Gehorsams willen zu jenem Jünglinge hingehe.«

Als Bruder Elia St. Francisci Gebot vernahm, ging er höchst aufgebracht an die Pforte und öffnete sie heftig mit großem Krachen und sagte zum Jüngling: »Was willst du?« Der Jüngling entgegnete: »Nimm dich in acht, mein Lieber, und sei nicht so aufgebracht, wie du mir vorkommst; denn der Zorn hindert die Seele, das Wahre zu erkennen.« Da sprach Bruder Elia: »Sage mir, was du von mir willst.« Der Jüngling antwortete: »Ich frage dich: dürfen die Nachfolger des heiligen Evangelii alles essen, was ihnen vorgesetzt wird, wie Christus es seinen Jüngern gelehrt hat, und frage dich aber: darf ein Mensch einem anderen etwas in den Weg legen, das ihn an der Freiheit nach dem Evangelio hindere?« Da entgegnete Bruder Elia hochfahrend: »Das weiß ich sehr wohl; aber ich will dir nicht antworten.« Nun sprach der Jüngling: »Ich wüßte auf diese Frage besser zu antworten, wie du.« Jetzt geriet Bruder Elia außer sich, schlug die Pforte wütend zu und ging davon. Dann aber begann er über jene Fragen nachzudenken und bei sich zu zweifeln und wußte nicht, wie sie zu lösen. Er war nämlich Vicarius des Ordens und hatte über die Lehre des Evangelii und St. Francisci Regel hinaus verordnet und geboten, daß kein Bruder Fleisch essen sollte; so war denn diese Frage gerade auf ihn gemünzt. Und, da er sich selbst darüber keine Klarheit schaffen konnte und an die Züchtigkeit des Jünglings dachte und daran, daß er ihm gesagt, er würde auf diese Fragen besser zu antworten wissen, ging er wieder an die Pforte und tat sie auf, um den Jüngling zu bitten, ihm die Fragen zu lösen; doch er war bereits verschwunden, weil Bruder Elias Dünkel ihn dessen unwürdig machte, mit einem Engel zu reden.

Danach kam St. Franciscus, dem Gott das alles offenbart hatte, aus dem Walde zurück und schalt heftig und mit lauter Stimme auf Bruder Elia. Und er sprach zu ihm: »Übel tut Ihr daran, hochmütiger Bruder Elia, daß Ihr die heiligen Engel vertreibt, die uns heimsuchen und uns belehren wollen. Ich sage dir, ich fürchte sehr, daß dich einst noch dein Dünkel außerhalb des Ordens wird enden lassen.« Und es geschah auch hernach, wie St. Franciscus ihm gesagt hatte; denn er starb außerhalb des Ordens.

An dem selbigen Tage und zu der selbigen Stunde, da der Engel diesen Bruder verlassen hatte, erschien er in der nämlichen Gestalt Bruder Bernardo, der von St. Jakob zurückwanderte und an das Ufer eines großen Stromes gelangt war; und er grüßte ihn in seiner Sprache und sagte ihm: »Gebe Gott dir Frieden, du guter Bruder!« Da staunte der gute Bruder Bernardo, wie er des Jünglings Schönheit ansah und sein heiteres Antlitz, und da er den friedreichen Gruß in seiner Heimat Sprache vernahm; und er fragte: »Woher kommst du mir, guter Jüngling?« Der Engel entgegnete: »Ich komme daher, wo St. Franciscus weilt, und war hingegangen, um mit ihm zu reden; doch ich konnte das nicht, denn er war im Walde und betrachtete die göttlichen Dinge, – da wollte ich ihn nicht stören. Dort sind auch Bruder Masseo und Bruder Egidio und Bruder Elia; und Bruder Masseo hat mich gelehrt, wie man an eure Türen klopfen soll; doch Bruder Elia war zu stolz, um auf die Fragen zu antworten, die ich ihm aufgab. Hernach hat er das bereut und hat mich hören und sehen wollen; doch ist es ihm nicht mehr gelungen.«

Nach diesen Worten sprach der Engel zu Bruder Bernardo: »Warum gehst du nicht an das andere Ufer?« Bruder Bernardo antwortete: »Ich fürchte mich, da ich die Tiefe der Wasser sehe.« Der Engel sagte: »Wollen wir zusammen hinübergehen, zaudere nicht!« Und da faßt er ihn an der Hand und in einem Augenblicke setzt er ihn an das andere Ufer. Jetzt erkannte Bruder Bernardo, daß es der Engel des Herren war, und voll großer Andacht und Ehrfurcht und Freude rief er: »Gebenedeiter Engel Gottes, sage mir, welches dein Name ist.« Doch jener antwortete: »Warum fragst du nach meinem Namen, da er doch wunderbar ist.« Und nach diesen Worten war der Engel verschwunden und ließ Bruder Bernardo zurück in großer Freudigkeit des Trostes, so daß er den ganzen Weg voller Heiterkeit zurücklegte.

Bruder Bernardo hatte sich aber Tag und Stunde gemerkt, da der Engel ihm erschienen. Und, als er die Stätte erreichte, wo St. Franciscus mit den genannten Jüngern weilte, erzählte er ihnen alles der Reihe nach; und sie erkannten bestimmt, daß der nämliche Engel so ihnen wie ihm an dem nämlichen Tage und zur nämlichen Stunde erschienen war.

 

V. Kapitel

Wie St. Franciscus den heiligen Bruder Bernardo von Assisi nach Bologna sandte, und dieser dort ein Kloster gründete

Da St. Franciscus und seine Jünger von Gott berufen und erwählt waren, das Kreuz Christi im Herzen und in den Werken zu tragen und es mit der Rede zu verkünden, erschienen sie selbst als die Gekreuzigten und waren es auch an Sitten und ehrbarem Wandel und in ihren Taten und Werken; daher trachteten sie um Christi Liebe willen mehr danach, Schmach und Schimpf zu erdulden, als nach dem Ruhme der Welt oder nach Ehren oder nach Menschenlobe; ja, sie freuten sich der Schmähungen und waren betrübt über Ehrungen; und also wandelten sie durch die Welt gleich Fremdlingen und Pilgern und trugen nichts andres mit sich, als Christum, den Gekreuzigten; und, da sie dem echten Weinstock, welcher ist Christus, entsprungen waren, trugen sie viel edele Frucht an den Seelen, die Gott ihnen zum Gewinne gab.

Da geschah es zu Beginne des Ordens, daß St. Franciscus den Bruder Bernardo nach Bologna sandte, auf daß er dort nach der Gnade, die Gott ihm gab, der Ernte des Herren pflege; und Bruder Bernardo machte das Zeichen des Kreuzes, gehorchte, zog fort und kam nach Bologna.

Als dort die Kinder sein fremdes und armseliges Gewand sahen, spotteten sie seiner und schmähten ihn, wie es mit einem Blöden zu geschehen pflegt. Und Bruder Bernardo ertrug ein jegliches um Christi Liebe willen geduldig und heiter; ja, damit er noch mehr geplagt würde, setzte er sich mit Fleiß auf den Marktplatz. Wie er nun so dasaß, scharten sich um ihn viel Kinder und Männer; und sie zupften ihn an der Kapuze, die einen von hinten, die andern von vorne, die einen warfen ihn mit Staub, die andern mit Steinen, und einer stieß ihn von hier, ein andrer von dort. Doch Bruder Bernardo blieb stets gleichmütig, geduldig und heiteren Angesichtes, und er klagte nicht und rührte sich nicht; und während mehrer Tage kam er immer wieder an dieselbe Stelle, bloß um dasselbe zu dulden.

Doch Geduld führt zur Vollendung und ist ein Zeugnis der Kraft: Als nun ein weiser Rechtsgelehrter darauf achtete und erwog, daß Bruder Bernardos Kraft und Beständigkeit so groß waren, daß ihn während so vieler Tage auch nicht eine Belästigung oder Schmähung außer Fassung hatte bringen können, sagte er sich: »Es ist nicht möglich, daß dieses kein heiliger Mann sei!« Und er trat auf ihn zu und sprach: »Wer bist du? Warum bist du hergekommen?« Statt der Antwort legte Bruder Bernardo die Hand in den Busen und zog die Regel St. Francisci hervor, die er auf dem Herzen trug; und er gab sie ihm zu lesen. Doch, als jener sie gelesen und erkannt hatte, daß sie von erhabener Vollkommenheit war, wandte er sich zu seinen Begleitern in Staunen und Bewunderung und sprach: »Wahrlich, das ist der höchste Stand des Glaubens, den ich je geschaut habe; darum gehört dieser da samt seinen Genossen zu den heiligen Männern auf dieser Welt, und begeht große Sünde, wer ihm ein Leid antut. Wir aber wollen ihn höchlichst ehren, denn er ist Gottes wahrer Freund.« Und zu Bruder Bernardo sagte er: »Wollt Ihr eine Stätte annehmen, da Ihr Gott geziemend dienen könnt, so werde ich sie Euch gern zu meiner Seelen Heile geben.« Da entgegnete Bruder Bernardo: »Lieber Herr, ich glaube, das hat Euch unser Herr Jesus Christus geheißen. Daher nehme ich zu Christi Ehren gerne an, was Ihr mir bietet.«

Also führte jener Richter hocherfreut und liebevoll Bruder Bernardo in sein Haus; und hernach übergab er ihm die Stätte und hatte sie in Frömmigkeit auf seine Kosten ganz und vollständig hergerichtet. Und er ward seitdem zum Vater und besonderen Anwalt Bruder Bernardos und seiner Genossen. Das Volk aber begann, Bruder Bernardo wegen seiner heiligen Reden sehr in Ehren zu halten, und derjenige pries sich glücklich, der ihn bloß angerührt oder zu Gesichte bekommen hatte.

Doch als echter Jünger Christi und des demütigen Franciscus fürchtete Bruder Bernardo, der Welt Ehren möchten seiner Seelen Heil und Frieden verkümmern. Daher machte er sich eines Tages davon und kehrte zu St. Francisco zurück und sprach zu ihm also: »Vater, in der Stadt Bologna ist das Kloster gegründet; schicke nun Brüder hin, die es uns erhalten und da bleiben mögen. Für mich jedoch war es kein Gewinn. Denn man erwies mir so viel Ehren, daß ich mehr zu verlieren fürchtete, als zu gewinnen.«

Wie St. Franciscus der Reihe nach alles vernahm, was Gott durch Bruder Bernardo gewirkt hatte, pries er Gott, der also die armen Jünger des Kreuzes auszubreiten anfing: dann aber sandte er etliche der Seinen nach Bologna hin und nach der Lombardei; und sie gründeten viele Klöster an verschiedenen Orten.

 

VI. Kapitel

Wie St. Franciscus, da er zum Sterben kam, den heiligen Bruder Bernardo segnete und als seinen Statthalter zurückließ

Bruder Bernardo war so heilig, daß ihm St. Franciscus mit großer Ehrfurcht begegnete und ihn oftmals lobte. Eines Tages nun betete St. Franciscus in Andacht; da offenbarte ihm Gott, daß er zugelassen habe, daß Bruder Bernardo viel harte Kämpfe mit den Teufeln bestehen sollte; darum fühlte St. Franciscus großes Mitleid mit jenem Bruder Bernardo, den er als seinen Sohn liebte, und viele Tage lang betete er unter Tränen und flehte für ihn zu Gott und befahl ihn Jesu Christo, damit er ihm Sieg über den Teufel gäbe. Wie nun St. Franciscus in Andacht also betete, antwortete ihm Gott eines Tages: »Francisce! Habe keine Angst! Alle Versuchungen, mit denen Bruder Bernardo angefochten werden soll, hat Gott zur Übung seiner Kraft zugelassen und zu seines Verdienstes Krone; und er wird endlich den Sieg über alle die Feinde davontragen; denn ihm ist ein Amt im Himmelreiche beschieden.« Über diese Antwort war St. Franciscus hochbeglückt und dankte Gott voller Jubel. Und seit der Zeit zweifelte er nicht mehr und fürchtete nicht mehr für ihn; er liebte aber Bruder Bernardo und ehrte ihn nur desto mehr. Und er bewies ihm das nicht nur bei seinen Lebzeiten, sondern auch im Tode.

Denn, als St. Franciscus zum Sterben kam, und die treuen Söhne ihn, wie einst den heiligen Erzvater Jakob, betrübt umstanden und weineten, da ein so liebevoller Vater von ihnen ging, fragte er: »Wo ist mein Erstgeborener? Komm zu mir, mein Sohn, daß dich meine Seele segne, ehe, denn ich sterbe.« Da sagte Bruder Bernardo leise zu Bruder Elia, der Vicarius des Ordens war: »Vater, tritt zur Rechten des Heiligen, auf daß er dich segne.« Und, als sich Bruder Elia zu seiner Rechten hingestellt hatte, reckte St. Franciscus seine Hand über Bruder Elias Haupt, – er hatte aber vor vielem Weinen sein Gesicht verloren. – Und er sprach: »Dieses ist nicht das Haupt Bruder Bernardos, meines Erstgeborenen.« Nun trat Bruder Bernardo auf seine Linke. Und St. Franciscus legte seine Arme übereinander gleich einem Kreuze und legte die Rechte auf Bruder Bernardos Haupt und die Linke auf das Haupt jenes Bruders Elia, und er redete also zu Bruder Bernardo: »Segne dich unser Gott, der Vater meines Herren Jesu Christi, mit allem himmlischen und geistigen Segen in Christo. Wie du als Erstgeborener in diesen Orden erwählt worden, um nach dem Evangelio ein Beispiel zu geben und nach dem Evangelio Christo in Armut zu folgen, also hast du nicht bloß, was dein war, dahingegeben und um Christi willen frei und ungeschmälert den Armen verteilt, sondern dich selbst auch hast du Gott dargebracht zum lieblich duftenden Opfer. Gesegnet seist du von unserem Herren Jesu Christo und von mir, dem Armen, seinem Knechte, mit ewigem Segen, wo du auch gehen mögest oder stehen oder wachen oder ruhen oder leben oder sterben. Und, wer dich segnet, wird Segen wiederempfahen, und, wer dir flucht, wird nicht ohne Strafe bleiben. Sei der Fürst unter deinen Brüdern, und deinen Geboten sollen alle Brüder folgen. Und, wen du in den Orden aufnehmen willst, der sei aufgenommen, und, wen du ausstoßen willst, der sei ausgestoßen. Und keiner der Brüder soll Macht über dich haben, und frei seiest du, zu gehen und zu stehen, wo es dir gut dünkt.«

Nach St. Francisci Tode liebten die Brüder und ehrten Bruder Bernardo wie einen würdigen Vater: Und, als er im Sterben lag, kamen zu ihm viele Brüder aus allerlei Weltgegenden, es kam auch mit ihnen jener gotterfüllte beschauliche Bruder Egidio. Als dieser Bruder Bernardo sah, rief er mit großer Freudigkeit »sursum corda, Bruder Bernardo, sursum corda!« Bruder Bernardo aber sagte heimlich einem Bruder, er möge dem Bruder Egidio eine Stätte bereiten, da er sich in Beschaulichkeit vertiefen könnte. Und so geschah es auch.

Und, als die Stunde Bruder Bernardos letzter Wanderung schlug, ließ er sich aufrichten und redete mit den Brüdern, so da vor ihm standen, und sprach: »Ihr lieben Brüder; viel Worte werde ich euch nicht sagen: Doch beherziget, daß ihr euch jetzt noch auf der Stufe des Glaubens befindet, auf der ich mich schon befunden habe, und daß ihr zu der Stufe, da ich mich jetzt befinde, noch gelangen werdet: Ich habe in meinem Herzen gefunden, daß ich auch nicht für tausend Welten, so dieser gleich sind, einem andern Herren gedient haben möchte, als unserem Herren Jesu Christo. Und jeglichen Unrechtes, das ich getan, verklage ich mich, und ich bekenne mich schuldig vor Jesu, meinem Erlöser, und vor euch. Ich bitte euch, meine lieben Brüder, liebet euch untereinander.«

Nach diesen Worten und andern guten Lehren streckte er sich wieder auf das Lager; und sein Antlitz verklärte sich und ward über alle Maßen heiter, so daß alle Brüder sehr darob erstaunten. In dieser Heiterkeit ging seine heilige Seele ruhmgekrönt aus diesem Leben in der Engel seliges Leben.

 

VII. Kapitel

Wie St. Franciscus einst die Fasten auf einer Insel im See von Perugia hielt und daselbst vierzig Tage und vierzig Nächte fastete und nicht mehr verzehrte, denn ein halbes Brot

Den wahrhaftigen Knecht Christi, St. Franciscum, der in etlichem fast als ein andrer Christus der Welt zum Heile gegeben war, den wollte Gott, der Vater, in vielen Dingen seinem Sohne, Jesu Christo, gleich und ähnlich machen. Das erkennen wir an der ehrwürdigen Gefolgschaft seiner zwölf Jünger und an dem wunderbaren Mysterio der Wundmale und daran, wie er einst die heiligen Fasten über ohne Unterlaß sich der Speise enthielt, was auf folgende Weise geschah.

Einst, um die Fastnacht, als St. Franciscus nahe bei dem See von Perugia in das Haus von einem kam, der ihm zugetan war, und über Nacht dablieb, hieß ihn Gott sich auf eine Insel des Sees begeben, um dort diese Fasten zu verbringen. Darum bat St. Franciscus diesen, seinen Getreuen, ihn um Christi Liebe willen in seinem Kahne auf eine Insel des Sees zu fahren; und es sollte niemand auf der Insel wohnen, und er sollte das in der Nacht zum Aschermittwoch tun, damit es niemand merke. Jener erfüllte sorgsam St. Francisco zuliebe dessen Bitte und fuhr ihn auf die Insel. St. Franciscus aber nahm weiter nichts mit sich als zwei kleine Brote.

Als sie auf der Insel angelangt waren, und der Gastfreund wieder nach Hause fahren wollte, bat ihn St. Franciscus recht freundlich, er möge niemandem verraten, daß er an diesem Orte wäre, und ihn nicht eher abholen als am Gründonnerstage. So schieden sie denn. Und St. Franciscus blieb allein, und, da es dort kein Obdach gab, wohin er sich hätte zurückziehen können, barg er sich in einer recht dichten Hecke aus viel Schlehen- und noch anderm Gestrüppe, die wie ein Lager des Schwarzwildes aussah oder die Hütte eines Vogelstellers. Dort verblieb er, ohne sich zu rühren, während der ganzen Fasten und aß nichts und trank nichts.

So fand ihn am Gründonnerstage sein Getreuer, als er zu ihm wiederkehrte: er fand auch von den zwei Broten das eine heil und das andre halb. Man glaubt aber, daß St. Franciscus deshalb nichts aß, weil er die Fasten Christi, des Gebenedeieten, ehren wollte, der da vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hat, ohne leibliche Speise zu sich zu nehmen. Und also mit jenem halben Brote trieb er das Gift der Eitelkeit von sich und fastete nach Christi Beispiel vierzig Tage und vierzig Nächte.

An dem Orte aber, da St. Franciscus so wunderbare Enthaltsamkeit geübt hatte, tat Gott hernach um seines Verdienstes willen viele Wunder. Daher begannen die Menschen dort Häuser zu bauen und dort zu wohnen, und bald erhob sich eine gute und große Burg; da ist auch das Kloster der Brüder, so das Inselkloster heißt. Und noch heute verehren die Männer und Frauen dieses Burgfleckens die Stätte, da St. Franciscus jene Fasten abhielt, und sind ihrem Dienste ergeben.

 

VIII. Kapitel

Wie St. Franciscus mit Bruder Leo zusammen wanderte und ihn lehrte, welche Dinge vollkommene Glückseligkeit sind

Einst, zur Winterszeit, kam St. Franciscus mit Bruder Leo hinab von Perugia gen Sta. Maria degli Angeli, und beide quälte arg die bittere Kälte. Da rief St. Franciscus Bruder Leo, der ein Stück vorneweg ging, und sagte also: »O Bruder Leo, mögen auch die Brüder allerorten ein großes Beispiel der Erbauung geben, so schreibe und merke dirs genau, daß da noch nicht vollkommene Glückseligkeit ist.«

Und, als St. Franciscus eine Strecke weitergegangen war, rief er ihn zum andern Male: »O Bruder Leo, mag auch der Bruder Blinde sehend machen und Krumme gerade und Teufel austreiben und Tauben das Gehör und Lahmen den Gang und Stummen die Rede wiedergeben, – und, was mehr ist, denn dieses alles, – auferwecken die, so vier Tage lang tot waren, so schreibe, daß da noch nicht vollkommene Glückseligkeit ist.« Und abermals, etwas weiter, rief er laut: »O Bruder Leo, wüßte der Bruder auch die Sprachen aller Völker und alle Wissenschaften und alle Schriften, und könnte er prophezeien und nicht nur die Zukunft offenbaren, sondern auch aller Seelen und Gewissen Heimlichkeit, so schreibe, daß da noch nicht vollkommene Glückseligkeit ist.«

Und, als sie ein wenig weitergegangen waren, rief St. Franciscus abermals laut: »O Bruder Leo, du Lamm des Herren, könnte der Bruder auch mit Engelszungen reden und wüßte die Bahn der Sterne und die Kräfte der Pflanzen, und wären ihm alle Schätze der Erde offenbar, und würde er die Gaben der Vögel kennen und der Fische und aller Tiere und der Menschen und der Bäume und der Steine und der Wurzeln und der Wasser, so schreibe, daß da noch nicht vollkommene Glückseligkeit ist.«

Und, als sie noch ein Stück gegangen waren, rief St. Franciscus laut: »O Bruder Leo, und wüßte der Bruder so zu predigen, daß er alle Heiden zu Christi Glauben bekehrte, so schreibe, daß da noch nicht vollkommene Glückseligkeit ist.«

Indessen er also redete, war er wohl zwei Meilen gegangen. Da fragte ihn Bruder Leo, den das alles höchlichst wunderte: »Vater, ich bitte dich um Gottes willen, sage mir, wo ist denn vollkommene Glückseligkeit?« Und St. Franciscus antwortete ihm also: »Wenn wir in Sta. Maria degli Angeli angelangt sein werden, so ganz vom Regen durchnäßt und von Kälte durchschauert, wenn wir, schwer von dem Kote der Straße, und von Hunger gequält an die Pforte klopfen werden, und der Pförtner zornig herauskommen wird und uns sagen wird: Wer seid ihr? und wenn wir dann sagen werden: Wir sind zwei von euren Brüdern, – er aber sagen wird: Ihr lügt, Landstreicher seid ihr, die ihr die Welt betrügt und den Armen die Almosen wegnehmt, geht ihr nur fort! Und, wenn er uns nicht auftun wird und uns wird draußen stehen lassen in Schnee und Regen, in Frost und Hunger bis in die Nacht hinein; dann, wenn wir solche Unbill und solche Grausamkeit und so harten Bescheid geduldig entgegennehmen, ohne uns zu entrüsten oder zu murren; dann, wenn wir demütig und liebevoll erwägen, daß jener Pförtner uns wohl kennt, daß ihn aber Gott wider uns reden heißt: da, Bruder Leo, schreibe, ist vollkommene Glückseligkeit. Und, wenn wir weiterklopfen werden, und er ganz außer sich herauskommen wird und uns wie lästige Kunden mit Schimpf und Schlägen fortjagen und uns sagen wird: Macht euch davon, elende Spitzbuben, gehet zum Spital! Hier sollt ihr weder Essen noch Herberge bekommen; und, wenn wir das geduldig tragen werden in Heiterkeit und Liebe: da, Bruder Leo, schreibe, ist vollkommene Glückseligkeit. Und, wenn wir dennoch in den Ängsten des Hungers, der Kälte und der Nacht noch mehr klopfen und rufen und um Gottes willen mit Tränen bitten werden, daß man uns doch öffnen möchte und uns hineinlassen, und wenn jener in noch größerer Wut sagen wird: Das sind unverschämte Kerle; ich werde ihnen heimleuchten, wie sie es verdienen; wenn er dann mit einem Knotenstocke kommen, uns an der Kapuze packen und zu Boden werfen wird, daß wir uns in dem Schnee werden wälzen müssen, wenn er uns dann Schlag auf Schlag mit dem Knotenstocke versetzen wird; dann, wenn wir das alles geduldig und mit Heiterkeit ertragen werden im Gedanken an die Leiden Christi, die wir um seiner Liebe willen dulden müssen: da, Bruder Leo, schreibe, ist vollkommene Glückseligkeit. Und vernimm das Ende, Bruder Leo: Über alle Gnaden, über alle Gaben des heiligen Geistes, die Christus seinen Freunden gewährt, geht es, sich selbst zu besiegen und um Christi willen gerne Pein, Unrecht und Schimpf und Mühsal zu tragen; denn aller andrer Gaben Gottes können wir uns nicht rühmen; denn sie sind nicht unser, sondern Gottes. Darum sagt auch der Apostel: Was hast du, das du nicht von Gott empfangen hast? Und, wenn du es von ihm empfangen hast, was rühmst du dich dessen, als wenn du es von dir hättest? Aber des Kreuzes und der Bedrängnis und der Trübsal dürfen wir uns rühmen; denn der Apostel sagt: Ich will mich nicht rühmen, denn allein des Kreuzes unseres Herren, Jesu Christi.«

 

IX. Kapitel

Wie St. Franciscus Bruder Leo anzeigte, was er ihm entgegnen sollte, und jener stets nur das Gegenteil von dem sagen konnte, was St. Franciscus wünschte

Als sich einst St. Franciscus mit Bruder Leo zu Beginne des Ordens an einer Stätte befand, wo Breviere nicht vorhanden waren, sagte er, als die Stunde der Mette nahte, zu Bruder Leo: »Mein Lieber, wir haben kein Brevier bei uns, die Mette zu beten; damit wir aber die Zeit zum Lobe Gottes anwenden, werde ich reden, und du sollst mir antworten, wie ich es dir lehren werde; und passe auf, daß du nicht die Worte vertauschest, die ich dir anzeige. Ich werde nun also sprechen: O Bruder Francisce, du hast viel mißgetan und so viel auf der Welt gesündigt, daß du der Hölle wert bist. Und du, Bruder Leo, sollst antworten: Wahrlich, du bist der tiefsten Hölle wert.« Und Bruder Leo antwortete mit Taubeneinfalt: »Gerne, Vater, beginnt in Gottes Namen.«

Da hub St. Franciscus an und sagte: »O Bruder Francisce, du hast viel mißgetan und so viel auf der Welt gesündigt, daß du der Hölle wert bist.« Und Bruder Leo entgegnete: »Gott wird dir so viel Gutes tun, daß du in das Paradies gehen wirst.« Doch St. Fraciscus sprach: »Sage nicht also, Bruder Leo; sondern wenn ich sagen werde: Bruder Francisce, du hast so viel Unrecht vor Gott getan, daß du wert bist, von Gott verdammt zu werden, antworte also: Wahrlich, du bist wert, unter die Verdammten geworfen zu werden.« Bruder Leo antwortete: »Gerne, Vater.«

Da hub St. Franciscus zu weinen an und zu seufzen und sich an die Brust zu schlagen und mit lauter Stimme zu rufen: »O du mein Herr und Herr des Himmels und der Erde, ich habe vor dir so viel Missetat und Sünde begangen, daß ich in allen Stücken deiner Verdammnis wert bin.« Doch Bruder Leo entgegnete: »Bruder Francisce, Gott wird dich unter den Gesegneten fürnehmlich segnen.« St. Franciscum aber nahm es wunder, daß Bruder Leo stets das Gegenteil von dem sagte, was er haben wollte; daher fiel er ihm ins Wort und sprach: »Warum erwiderst du mir nicht so, wie ich es dir anzeige? Bei dem heiligen Gehorsam befehle ich dir, mir so zu entgegnen, wie ich es dich lehren werde: Ich werde also sprechen: O Bruder Francisce, du Armseliger, denkst du denn, Gott wird mit dir Erbarmen haben, da du so viel gegen den Vater der Barmherzigkeit gesündigt hast und den Gott jeglicher Tröstung, daß du keines Erbarmens würdig bist? Du jedoch, Bruder Leo, du Lamm, antworte also: Du bist nicht wert, Erbarmen zu finden.« Doch, als St. Franciscus gesprochen hatte, erwiderte Bruder Leo: »Gott, der Vater, dessen Erbarmen unermeßlich ist, wird dir große Barmherzigkeit antun und noch obendrein große Gnade gewähren.«

Über diese Antwort erzürnte St. Franciscus, – wiewohl nur ganz leise, – und ward darob verstimmt, – wiewohl nicht ungeduldig, – und er sprach zu Bruder Leo: »Warum vermaßest du dich, wider den Gehorsam zu handeln, und hast schon so oft mir das Gegenteil von dem entgegnet, was ich dir befohlen habe?« Da antwortete Bruder Leo ehrerbietig und recht demütig: »Mein Vater, Gott weiß es, daß ich es mir jedesmal vornahm, also zu antworten, wie du es mich hießest; doch Gott läßt mich reden, wie es ihm gefällt, und nicht, wie es mir gefällt.« Darüber verwunderte sich St. Franciscus und er sagte zu Bruder Leo: »In aller Liebe bitte ich dich, dieses Mal mir so zu antworten, wie ich es dir gesagt habe.« Da entgegnete Bruder Leo: »Rede nur in Gottes Namen, denn gewiß werde ich dir dieses Mal so antworten, wie du es willst.« Und St. Franciscus sprach unter Tränen: »O Bruder Francisce, du Armseliger, denkst du etwa, daß Gott mit dir Erbarmen haben wird?« Doch Bruder Leo entgegnete: »Ja; große Gnade wirst du von Gott empfangen, und er wird dich erhöhen und in Ewigkeit verklären, denn, wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden. Ich aber kann nicht anders reden, da Gott durch meinen Mund redet.«

Und so wetteiferten sie in Demut und wachten mit vielen Tränen und im Geiste sehr getröstet, bis daß es tagte.

 

X. Kapitel

Wie Bruder Masseo sich den Anschein gab, St. Franciscum zu schelten, indem er ihm sagte, daß alle Welt ihm nachliefe, und wie dieser erwiderte, daß solches der Welt zur Beschämung und durch Gottes Gnade geschehe

Einstmals weilte St. Franciscus in dem Kloster der Portiuncula mit Bruder Masseo von Marignano, der sehr heilig war und schön und verständig von Gott zu reden wußte; darum liebte ihn St. Franciscus sehr. Eines Tages nun kehrte St. Franciscus aus dem Walde zurück, wo er gebetet hatte, und gerade, wie er aus dem Walde treten wollte, kam ihm Bruder Masseo entgegen; dieser wünschte nämlich, zu erkunden, wie groß St. Francisci Demut war, und darum sprach er: »Warum dir, warum dir, warum dir?« St. Franciscus entgegnete: »Was willst du denn eigentlich sagen?« Bruder Masseo erwiderte: »Ich frage, warum alle Welt dir nachläuft, und warum jedermann dich sehen will und auf dich horchen und dir gehorchen. Du bist kein schöner Mann; du bist nicht sehr gelehrt; du bist nicht edel. Was ist es denn, daß alle Welt dir nachläuft?« Wie das St. Franciscus hörte, ward er sehr froh im Gemüte; und er hob sein Antlitz gen Himmel und blieb lange unbeweglich stehen; denn sein Geist war zu Gott erhoben. Als er aber wieder zu sich kam, warf er sich auf die Knie, pries und dankte Gott und wandte sich dann voller Inbrunst zu Bruder Masseo und sprach: »Willst du wissen, warum mir? Willst du wissen, warum mir? Willst du wissen, warum mir? Warum mir alle nachfolgen? Das hat mir der Blick des allmächtigen Gottes ersehen, der allerorten auf Guten und Bösen weilt: Denn seine heiligen Augen sahen unter den Sündern keinen, der elender war, denn ich, keinen, der untüchtiger war, denn ich, keinen, der ein größerer Sünder war, denn ich; und, um das wundersame Werk zu vollbringen, das er sich vorgenommen, fand er kein Geschöpf auf Erden, das armseliger war; darum hat er mich auserwählt, um die Welt zu beschämen mit ihrem Adel und ihrem Stolz und ihrer Stärke und ihrer Schönheit und ihrer Weisheit; auf daß da kund werde, daß alle Kraft und alles Gute von ihm ausgehet und nicht von der Kreatur, und niemand sich vor seinem Angesichte rühme; wer sich aber rühmt, rühme sich in dem Herren, dessen alle Ehre ist und alle Herrlichkeit in Ewigkeit.«

Da erschrak Bruder Masseo über diese Antwort, die so demütig war und mit so viel Inbrunst gesprochen. Und nun erkannte er gewiß, daß St. Franciscus unerschütterlich in Demut war.

 

XI. Kapitel

Wie St. Franciscus Bruder Masseo sich mehrere Male immer rundum drehen ließ und dann nach Siena ging

Als St. Franciscus eines Tages mit Bruder Masseo zusammen wanderte, und jener Bruder Masseo ein Stück vorneweg schritt, kamen sie an einen Kreuzweg, von wo man nach drei Seiten zu gehen konnte, nach Florenz, nach Siena und gen Arezzo. Da sprach Bruder Masseo: »Vater, welche Straße sollen wir gehen?« St. Franciscus erwiderte: »Welche Gott will.« Da sagte Bruder Masseo: »Wie sollen wir aber Gottes Willen erfahren?« St. Franciscus erwiderte: »Am Zeichen, das ich dir geben werde: ich befehle dir nun bei dem heiligen Gehorsam, daß du an diesem Kreuzwege auf dem Fleck, da du eben stehest, dich immer rundum drehest, wie es die Kinder zu tun pflegen, und nicht eher dich zu drehen aufhörst, als bis ich es dir sage.«

Da fing Bruder Masseo sich zu drehen an und drehte sich so viel herum, daß es ihm im Kopfe schwindlig ward, wie es ja zu kommen pflegt, wenn man sich so dreht, und daß er mehrere Male umfiel; aber, da ihn St. Franciscus nicht aufhören ließ, und er getreulich folgen wollte, stand er immer wieder auf. Endlich, als er sich ganz unbändig drehte, sprach St. Franciscus: »Bleibe nun stehen und rühre dich nicht.« Und er blieb stehen und St. Franciscus fragte ihn: »Wohinwärts steht dir das Antlitz?« Antwortete Bruder Masseo: »Gen Siena.« Da sagte St. Franciscus: »Das ist der Weg, den Gott will, daß wir gehen sollen.« Während sie also auf dieser Straße dahinzogen, fand das Bruder Masseo höchst sonderbar, was St. Franciscus ihn hatte tun lassen, ganz wie die Kinder, und vor Laien, die vorüberkamen. Doch aus Ehrfurcht wagte er nichts dem heiligen Vater zu sagen.

Als sie sich nun Siena genähert hatten, hörte das Volk von dem Kommen des Heiligen und zog hinaus, ihm entgegen; und aus Verehrung trugen sie ihn mit seinem Gefährten bis zu dem Palaste des Bischofs, so daß ihre Füße die Erde nicht berührten.

Um die selbige Stunde hatten einige Männer von Siena miteinander Streit angefangen, und schon waren ihrer zweie gefallen. Doch da kam St. Franciscus hinzu und predigte vor ihnen so fromm und so heilig, daß er sie alle untereinander zum Frieden brachte und zu großem Einverständnis und Einheit.

Als der Bischof von dieser heiligen Tat erfuhr, die St. Franciscus vollbracht hatte, lud er ihn zu sich ein und nahm ihn mit hohen Ehren auf für jenen Tag und auch für die Nacht. St. Franciscus aber, der wahrhaftig demütig war und in seinen Werken nur nach Gottes Ehre trachtete, stand an dem folgenden Morgen in aller Frühe mit seinem Gefährten auf und ging ohne Wissen des Bischofs davon.

Doch jener Bruder Masseo ging des Weges einher und murrte unterdessen, indem er sich sagte: »Was hat dieser gute Mann da angerichtet! Mich hat er sich drehen lassen wie ein Kind, und dem Bischof, der ihm soviel Ehren erwies, hat er auch kein Wort gesagt; – nicht einmal gedankt hat er.« Und es schien Bruder Masseo, als hätte sich St. Franciscus so recht läppisch benommen. Aber durch Gottes Eingebung besann er sich und machte sich in dem Herzen Vorwürfe und sagte: »Du bist zu anmaßend, daß du über Gottes Werke urteilst, und wegen deines unverschämten Dünkels der Hölle wert. Hat denn nicht St. Franciscus gestern so heilige Werke getan, daß sie nicht wunderbarer gewesen wären, wenn sie der Engel Gottes vollbracht hätte? Ja, würde er dir sogar befohlen haben, Steine zu werfen, so hättest du gehorchen und dieses tun sollen. Denn, was er also vollbrachte, ward durch Gottes Werk vollbracht, wie man es an dem guten Ende sehen kann, das die Sache nahm. Denn würde er die, so miteinander stritten, nicht versöhnt haben, so hätten sie nicht nur weiter viele mit Messerstichen leiblich umgebracht, wie sie es schon begonnen hatten, sondern es wären auch viele Seelen von dem Teufel zur Hölle geschleppt worden; und ein Tor bist du und eitel, daß du darüber murrst, was offenbar durch Gottes Willen geschah.«

Dieses sagte sich Bruder Masseo, der einige Schritte vor St. Francisco einherging. Doch alles das wurde von Gott St. Francisco offenbart. Und er trat zu ihm von hinten und sprach: »An das, was du eben denkst, halte dich: denn gut sind die Gedanken und nützlich und von Gott eingegeben; was du aber vorher murrtest, war blind und eitel und stolz und vom Teufel in dein Herz gesäet.«

Nun erkannte Bruder Masseo deutlich, daß St. Franciscus die Geheimnisse seines Herzens wußte, und er ward fest in der Überzeugung, daß der Geist göttlicher Weisheit den heiligen Vater in allen seinen Handlungen leitete.

 

XII. Kapitel

Wie St. Franciscus Bruder Masseo das Geschäft des Pförtners, des Almoseniers und des Koches auftrug und ihn dann auf die Bitten der anderen Brüder dessen enthob

St. Franciscus gedachte den Bruder Masseo zu demütigen, damit er sich nicht wegen der vielen Gaben und Gnaden, die Gott ihm verliehen hatte, in Eitelkeit überhebe, sondern mit ihnen durch Demut von Kraft zu Kraft wachse. Als er nun einst an einem abgelegenen Orte weilte, zusammen mit jenen wahrhaft Heiligen, die ihm zuerst nachgefolgt waren, unter denen auch genannter Bruder Masseo sich befand, sprach er eines Tages vor allen seinen Jüngern zu Bruder Masseo: »O Bruder Masseo! Alle diese, deine Genossen, haben die Gabe des Betens und des Betrachtens empfangen. Du aber besitzest die Gabe, Gottes Wort zu predigen und das Volk zu erfreuen. Daher will ich, damit jene sich desto mehr der Beschaulichkeit ergeben können, daß du das Geschäft des Pförtners, des Almoseniers und des Koches besorgest: und, wenn die andern Brüder essen werden, wirst du außerhalb der Klosterpforte essen, so daß du die, so zur Stätte kommen, bevor sie anklopfen, mit einigen guten Reden von Gott erfreuen mögest; dann wird es auch nicht nötig sein, daß ein andrer hingehe außer dir. Und das tue um des Verdienstes des heiligen Gehorsams willen.«

Da schob Bruder Masseo die Kapuze herunter, neigte das Haupt und erfüllte in Demut mehrere Tage hindurch dieses Gebot, indem er das Geschäft des Pförtners, des Almoseniers und des Koches verrichtete. Hierüber begannen seine Genossen, als von Gott erleuchtete Männer, heftige Gewissensbisse zu spüren, indem sie erwogen, daß Bruder Masseo ein Mann von großer Vollkommenheit war, so wie sie selbst oder noch mehr, und, daß er alle Lasten in diesem Kloster zu tragen hatte. Darum erhoben sie sich alle einmütigen Willens und gingen, den heiligen Vater zu bitten, daß er die Geschäfte unter sie verteilen möchte; denn ihr Gewissen könnte es durchaus nicht dulden, daß Bruder Masseo so viel Anstrengung ertragen mußte. Wie das St. Franciscus hörte, gab er ihrem Rate nach, ging auf ihren Wunsch ein, ließ Bruder Masseo kommen und sagte ihm: »Bruder Masseo, deine Genossen wollen sich mit dir in die Geschäfte teilen, die ich dir aufgetragen habe; darum will ich, daß diese Geschäfte verteilt werden.« Da sagte Bruder Masseo in großer Demut und Geduld: »Vater, was du mir auch aufgeben magst, sei es ganz oder ein Teil, so sehe ich es an, als sei es mir ganz von Gott aufgetragen.«

Als nun St. Franciscus jener Liebe sah und die Demut Bruder Masseos, da hielt er ihnen eine wunderbare Predigt über die allerheiligste Demut; und er lehrte sie, daß, je größere Gaben und Gnaden Gott verleihe, desto demütiger wir sein müssen, da ohne Demut keine Tugend vor Gott besteht. Und nach dieser Predigt verteilte er die Geschäfte in liebevollster Weise.

 

XIII. Kapitel

Wie St. Franciscus und Bruder Masseo das Brot, das sie erbettelt hatten, auf einen Stein an einer Quelle niederlegten, und St. Franciscus sehr die Armut pries. Wie er dann Gott und St. Petrum und St. Paulum bat, sie möchten ihm die heilige Armut lieb werden lassen, und wie ihm St. Petrus und St. Paulus erschienen

Der wunderbare Knecht und Nachfolger Christi, d. i. St. Franciscus, trachtete in allen Stücken, Christo zu gleichen, der, wie im Evangelio geschrieben steht, seine Jünger zu zwein und zwein nach allen Städten und Flecken sandte, dahin er selbst zu kommen gedachte. Als er daher nach Christi Beispiel zwölf Jünger um sich versammelt hatte, schickte er sie zu zwein und zwein in die Welt hinaus, daß sie predigen sollten. Und, um ihnen ein Beispiel wahren Gehorsams zu geben, begann er zu allererst zu wandern nach dem Beispiele Christi, der mit der Tat anzufangen pflegte und dann erst lehrte. Nachdem er also seinen Jüngern die andern Gegenden der Welt zugewiesen hatte, nahm er sich Bruder Masseo zum Gefährten und schlug den Weg nach Frankreich ein, in die Provence.

Als sie eines Tages recht hungrig in ein Dorf gekommen waren, gingen sie, wie es die Regel vorschreibt, Brot um Gottes Liebe willen zu erbetteln, und St. Franciscus ging durch die eine Gasse und Bruder Masseo durch die andre Gasse. Da jedoch St. Franciscus zu unscheinbar von Person und von kleinem Wuchse war und deshalb von denen, die ihn nicht kannten, für einen elenden Bettler gehalten wurde, so bekam er bloß einige Bissen und Stücke trockenen Brotes; aber an Bruder Masseo, welcher stattlich war und von schöner Gestalt, gaben sie gute Stücke und große und reichlich und auch ganze Brote.

Als sie genug erbettelt hatten, trafen sie sich beide wieder außerhalb des Dorfes zum Essen, an einem Platze, wo es eine schöne Quelle gab und daneben einen breiten, schönen Stein, an dem sie ihre Freude hatten; und sie legten darauf die Almosen nieder, die ein jeder sich erbettelt. Wie nun St. Franciscus sah, daß der Brotstücke von Bruder Masseo mehr da waren und größere und schönere, als die seinen, frohlockte er im Geiste und sagte also: »O Bruder Masseo, eines so großen Schatzes sind wir nicht würdig!« Doch, als er diese Worte mehrfach wiederholte, entgegnete ihm Bruder Masseo: »Vater, wie kann man nur das einen Schatz nennen, wo soviel Armut ist, und soviel nötige Sachen fehlen: Hier ist kein Tischtuch, noch ein Messer, noch Schneidebrett, noch Schüsseln, noch ein Haus, noch ein Tisch, noch Diener, noch Magd.« Da sprach St. Franciscus: »Das ist es eben, was ich für einen großen Schatz halte, daß es nämlich dabei tatsächlich kein Ding gibt, das von Menschenhand bereitet ist; sondern, was da ist, ist von Gottes Vorsehung bereitet, wie wir es deutlich am erbettelten Brote sehen, an einem so schönen Tische, wie dieser Stein, und an dieser Quelle, die so hell ist; und darum will ich, daß wir Gott bitten, er möge uns den so edelen Schatz der heiligen Armut, der auch Gott zum Diener wurde, von ganzem Herzen lieb gewinnen lassen.«

Nach diesen Worten, und nachdem sie das Gebet gesprochen und sich leiblich an diesen Stücken Brot erquickt hatten, standen sie auf, um gen Frankreich zu wandern. Als sie nun zu einer Kirche kamen, sprach St. Franciscus zu seinem Gefährten: »Laßt uns in diese Kirche gehen und beten.« Und St. Franciscus trat hinter den Altar und fing an zu beten; und in diesem Gebete wurde er durch Gottes Heimsuchung von solch übermächtiger Glut erfüllt, die seine Seele zur Liebe der heiligen Armut gewaltig anfachte, daß er aus seinem Antlitze und, sobald er den Mund auftat, Flammen der Liebe von sich zu geben schien.

Und also entflammt ging er auf seinen Gefährten zu und rief: »A. A. A. Bruder Masseo, gib dich mir hin.« Also rief er zu drei Malen. Und beim dritten Male hob St. Franciscus mit seinem Odem Bruder Masseo in die Luft und schleuderte ihn eine gute Speerlänge von sich wieder zu Boden; und Bruder Masseo überkam großes Staunen. Hernach erzählte er seinen Genossen, daß, wie St. Franciscus ihn mit seinem Odem also emporhob und fortschleuderte, er eine solche Süße im Herzen und solche Tröstung des heiligen Geistes empfand, wie er sie noch nie so stark in seinem Leben verspürt hätte.

Nach diesem sagte St. Franciscus: »Lieber Gefährte, laß uns zu St. Peter und St. Paul gehen und sie bitten, sie mögen uns lehren und uns helfen, den unermeßlichen Schatz der heiligen Armut zu besitzen. Denn sie ist ein so kostbarer und göttlicher Schatz, daß wir des nicht würdig sind, sie in unseren dürftigen Gefäßen zu besitzen. Sie ist jene himmlische Gabe, kraft derer wir alle irdischen und vergänglichen Dinge verachten, durch die der Seele jegliche Sorge genommen wird, daß sie sich frei mit dem ewigen Gotte vereinigen mag, und sie ist jene Kraft, so die Seele, welche noch auf Erden wohnt, mit den Engeln im Himmel reden läßt, und ist jene, die Christo an das Kreuz nachfolgte, mit Christo begraben ward, mit Christo auferstand, mit Christo gen Himmel fuhr; sie ist es, die in diesem Leben Seelen, die sich mit Liebe zu ihr erfüllt haben, so leicht macht, daß sie gen Himmel fliegen; sie hütet auch die Waffen der echten Demut und Liebe. Darum laß uns in Christo zu den heiligen Aposteln flehen, die da unübertroffen jene Perle des Evangelii lieb hatten, sie mögen uns diese Gnade von unserem Herren Jesu Christo erbitten; und um seiner heiligen Barmherzigkeit willen möge er uns vergönnen, die allerköstlichste, hochgeliebte Armut nach dem Evangelio in Wahrheit zu lieben und ihre Nachfolger und demütigen Jünger zu sein.«

Sie kamen also nach Rom und gingen zu St. Peter. Und St. Franciscus hub zu beten an in einer Ecke der Kirche, und Bruder Masseo in einer andern Ecke. Als sie nun lange unter vielen Tränen und höchst andächtig gebetet hatten, erschienen St. Francisco die heiligen Apostel Petrus und Paulus mit großem Gefolge und sagten: »Da du das zu achten wünschest und begehrest, was Christus und die heiligen Apostel beachtet haben, so sendet uns der Herr Jesus Christus, dir anzukünden, daß dein Gebet erhört worden ist. Und dir und denen, so dir in Vollkommenheit nachfolgen, ist von Gott der Schatz der heiligen Armut übergeben worden. Wir sollen dir auch von ihm sagen, daß jedem, der sich nach deinem Beispiele gänzlich von diesem Wunsche wird leiten lassen, des ewigen Lebens Seligkeit gewiß ist; und du und alle, so dir nachfolgen, werden von Gott gebenedeit werden.«

Nach diesen Worten verschwanden sie und ließen St. Franciscum zurück voller Freudigkeit des Trostes. Er aber stand auf vom Gebete und ging zu seinem Gefährten und fragte ihn, ob er nicht Botschaft von Gott empfangen habe; jener verneinte. Da erzählte ihm St. Franciscus, wie die heiligen Apostel ihm erschienen waren, und was sie ihm offenbart hatten. Darob waren beide so voller Jubels und Freude, daß sie der Reise nach Frankreich nicht mehr gedachten, sondern sie kehrten schleunigst zurück in das Tal von Spoleto.

 

XIV. Kapitel

Wie St. Franciscus mit seinen Ordensbrüdern von Gott redete, und Gott in ihrer Mitten erschien

Als einmal St. Franciscus zu Beginne des Ordens mit seinen Jüngern vereint war, um von Christo zu sprechen, gebot er in der Brunst seines Geistes einem von ihnen, in Gottes Namen den Mund aufzutun und das von Gott zu reden, was ihm der Heilige Geist eingab. Als nun der Bruder diesem Befehle nachkam und wunderbarlich von Gott redete, hieß ihn St. Franciscus schweigen und gebot einem andern Bruder desgleichen. Dieser gehorchte, und, als er klüglich von Gott redete, hieß ihn St. Franciscus gleichfalls schweigen. Und er gebot einem dritten, von Gott zu reden, und er hub gleichfalls so tief von Gottes Geheimnissen zu reden an, daß St. Franciscus gewiß erkannte, daß er wie auch die zwei andern getrieben von dem Heiligen Geiste sprachen. Das ward aber auch durch ein Zeichen offenbart und durch eine besondere Weisung.

Denn, während sie also redeten, erschien der gebenedeite Christ mitten unter ihnen in Gestalt und Ansehen eines wunderschönen Jünglings. Und, da er sie segnete, erfüllte er sie insgesamt mit so lieblicher Süße, daß sie alle außer sich entzückt wurden und wie tot dalagen und nichts mehr von dieser Welt spürten.

Dann aber, als sie wieder zu sich kamen, sprach St. Franciscus: »Ihr, meine lieben Brüder, danket Gott, der durch den Mund der Einfältigen seiner göttlichen Weisheit Schätze hat offenbaren wollen; denn Gott ist es, der den Mund der Stummen auftut und der Einfältigen Zungen weise reden läßt.«

 

XV. Kapitel

Wie St. Clara mit St. Francisco und seinen Genossen, den Brüdern, in Sta. Maria degli Angeli speiste

Wenn St. Franciscus in Assisi weilte, besuchte er oft St. Clara und gab ihr heilige Ratschläge; und, da es ihr sehnlichster Wunsch war, einmal mit ihm zu speisen, hatte sie ihn oft darum gebeten; doch er hatte ihr diesen Gefallen niemals tun wollen. Als nun die, so mit ihm waren, St. Claras Wunsch erkannten, sagten sie zu St. Francisco: »Vater, uns dünkt es, daß solche Strenge gar nicht zur göttlichen Liebe paßt, da du Schwester Clara, einer so heiligen und gottgeliebten Jungfrau, in etwas so Geringem, wie einer Mahlzeit mit dir, nicht zu Willen bist, zumal wenn du beherzigest, daß sie um deiner Predigt willen Reichtum und Prunk der Welt verließ. Wahrlich, würde sie von dir auch einen größeren Gefallen begehren, wie diesen, du solltest ihn deiner geistlichen Pflanze tun.« Da entgegnete St. Franciscus: »Dünkt es euch recht, daß ich ihr den Wunsch erfülle?« Die Jünger antworteten: »Jawohl, Vater! Die Sache ist es wert, daß du ihr diesen Gefallen und diese Freude erweisest.« Nun sagte St. Franciscus: »Da ihr dieser Ansicht seid, bin ich es auch. Damit sie aber noch mehr Freude habe, wünsche ich, daß diese Mahlzeit in Sta. Maria degli Angeli stattfinde; denn sie war lange Zeit in San Damiano eingeschlossen, daß es sie daher freuen wird, die Stätte St. Mariä zu sehen, wo man ihr das Haar geschoren, und sie die Braut Jesu Christi wurde. Und dort wollen wir in Gottes Namen zusammen speisen.«

Als nun der Tag erschien, der dazu bestimmt war, verließ St. Clara mit einer Gefährtin das Kloster, von den Jüngern St. Francisci geleitet, und kam nach Sta. Maria degli Angeli, und sie grüßte dort in Ehrfurcht die Jungfrau Maria vor ihrem Altare, wo ihr das Haar geschoren, und sie den Schleier genommen hatte. Und man führte sie durch das Kloster und zeigte es ihr, bis daß es Zeit ward Mittag zu essen. Unterdessen aber hatte St. Franciscus auf bloßer Erde decken lassen, wie er zu tun pflegte. Und, als es Zeit wurde Mittag zu essen, ließen sich St. Franciscus und St. Clara zusammen nieder, und einer von St. Francisci Genossen mit der Genossin von St. Clara; danach setzten sich auch alle andern Jünger demütig zum Mahle. Und bei dem ersten Gange hub St. Franciscus von Gott zu reden an, so lieblich, so erhaben, so wunderbar, daß die Fülle göttlicher Gnade über sie kam, und alle in Gott entzückt wurden.

Da sie also entzückt waren mit gen Himmel erhobenen Augen und Händen, erblickten die Leute von Assisi, von Bettona und des ganzen umliegenden Gaues, daß Sta. Maria degli Angeli und das ganze Kloster und der Wald, so damals neben dem Kloster stand, gewaltig brannten, und es schien ein großes Feuer die Kirche, das Kloster und den Wald zu füllen; deshalb rannten von Assisi die Männer in großer Eile herab, um das Feuer zu löschen, denn sie glaubten wahrhaftig, daß alles brenne. Als sie aber zu dem Kloster kamen und dort gar kein Feuer gewahrten, traten sie ein und fanden St. Franciscum und St. Clara und alle die, so mit ihnen waren, von Gottes Anschauen entzückt rund um das bescheidene Mahl sitzen. Also erkannten sie gewiß, daß dieses ein göttliches Feuer war und kein irdisches, das Gott wunderbarlich hatte erscheinen lassen, um die Flammen göttlicher Liebe, in denen die Seelen jener heiligen Brüder und Nonnen brannten, darzustellen und zu offenbaren. Daher kehrten sie wieder um voller Trostes im Herzen und in heiliger Erbauung.

Als dann nach einiger Zeit St. Franciscus und St. Clara nebst den andern wieder zu sich kamen und sich von himmlischer Kost wohl gestärkt fühlten, gedachten sie nur wenig der irdischen.

So kehrte nach jenem gebenedeiten Mahle St. Clara wohlgeleitet nach San Damiano zurück. Und, als die Schwestern sie sahen, freuten sie sich darob sehr; denn sie fürchteten bereits, St. Franciscus möchte sie fortgeschickt haben, um ein anderes Kloster zu verwalten, wie er schon St. Agnes, ihre leibliche und heilige Schwester, als Äbtissin des Klosters Monticelli nach Florenz gesandt hatte. Auch hatte bisweilen St. Franciscus zu St. Clara gesagt: »Halte dich bereit, daß ich dich in ein andres Kloster schicke, wenn es nötig ist«; und sie, des heiligen Gehorsams Tochter, hatte erwidert: »Vater, ich bin stets bereit, dorthin zu gehen, wohin Ihr mich auch senden möget.« Darum waren die Schwestern hocherfreut, sie wieder bei sich zu haben.

Und St. Clara verblieb seitdem in großer Freudigkeit des Trostes.

 

XVI. Kapitel

Wie St. Francisco von St. Clara und dem heiligen Bruder Silvestro geraten wurde, durch Predigen viele Menschen zu bekehren, und wie er den dritten Orden gründete und den Vögeln predigte und den Schwalben Ruhe gebot

Christi demütiger Knecht, St. Franciscus, der schon bald nach seiner Bekehrung viele Jünger um sich versammelt und in den Orden aufgenommen hatte, begann ernstlich darüber nachzudenken und zu zweifeln, was er tun sollte: sollte er sich bloß auf das Beten legen oder bisweilen auch predigen? Und er wünschte sehr, den Willen Gottes hierin zu erfahren. Da nun die heilige Demut in ihm es gar nicht dazu kommen ließ, daß er sich etwas auf seine Person oder sein Beten zugute tat, wollte er durch die Gebete andrer den göttlichen Willen erkunden. Er ließ daher Bruder Masseo kommen und sprach zu ihm also: »Gehe zu Schwester Clara und sage ihr in meinem Namen, sie möchte mit einigen ihrer Genossinnen, die am meisten erleuchtet wären, Gott in Andacht darum bitten, daß er mir offenbaren wolle, was besser sei: mich auf das Predigen zu verlegen oder bloß auf das Gebet. Und dann gehe zu Bruder Silvestro, der auf dem Monte Subasio wohnt, und sage ihm desgleichen.« – Dieses war nämlich jener Silvestro, der noch als Weltlicher zum Munde St. Francisci ein goldenes Kreuz hatte ausgehen sehen, das bis an den Himmel hoch und weit gewesen war bis an der Welt Enden. Und dieser Bruder Silvestro war von solcher Frömmigkeit und Heiligkeit, daß er das, worum er Gott bat, auch erlangte und dieserhalb erhört wurde und oftmals mit Gott redete; deshalb vertraute ihm auch St. Franciscus und war ihm höchlichst zugetan.

Da ging Bruder Masseo hin und richtete nach St. Francisci Gebote den Auftrag erst bei St. Clara aus und dann bei Bruder Silvestro. Sobald ihn dieser vernommen hatte, warf er sich zum Gebete nieder und erhielt im Beten die göttliche Antwort; und er kehrte zu Bruder Masseo zurück und sprach zu ihm also: »Dieses sagt Gott: Du sollst Bruder Francisco sagen, daß ihn Gott nicht nur um seiner selbst willen in diesen Stand berufen hat, sondern damit er auch der Seelen Ernte pflege, und viele durch ihn gerettet werden.« Nachdem nun Bruder Masseo diese Antwort erhalten hatte, ging er wieder zu St. Clara, um zu erfahren, was sie von Gott erlangt hätte. Und sie antwortete ihm, daß sie und ihre Genossinnen von Gott dieselbe Antwort erhalten hätten, wie Bruder Silvestro.

Mit diesem Bescheide kehrte Bruder Masseo zu St. Francisco zurück, und St. Franciscus nahm ihn mit der größten Liebe auf, wusch ihm die Füße und bereitete ihm ein Essen; und nach dem Essen rief er Bruder Masseo in den Wald und kniete dort vor ihm nieder und schob die Kapuze herunter und kreuzte seine Arme und fragte ihn: »Was befiehlt mein Herr Jesus Christus, daß ich tun soll?« Da erwiderte Bruder Masseo, daß Christus sowohl dem Bruder Silvestro wie der Schwester Clara samt den andern Schwestern geantwortet und offenbart hätte, daß dieses sein Wille sei: »Du sollst durch die Welt ziehen und predigen; denn nicht nur um deinetwillen allein hat Er dich auserwählt, sondern auch zum Heile der andern.« Als St. Franciscus diese Antwort vernahm und in ihr Jesu Christi Willen erkannte, erhob er sich in großer Inbrunst und sprach: »Laßt uns in Gottes Namen gehen.« Und er nahm sich Bruder Masseo zum Gefährten und Bruder Agnolo, beides heilige Männer.

Und da sie vom Geiste getrieben wanderten, ohne der Straße oder des Pfades zu achten, kamen sie in einen Burgflecken, der Savurniano heißt, und St. Franciscus begann zu predigen. Zuvor aber hieß er die Schwalben, so da zwitscherten, sich stille halten, bis daß er zu Ende gepredigt hätte; und die Schwalben gehorchten; er aber predigte dort mit einer solchen Glut, daß alle Männer und Frauen dieses Burgfleckens ihm aus Verehrung nachfolgen und den Flecken verlassen wollten. Doch St. Franciscus wehrte ihnen und sprach: »Habt es nicht so eilig und ziehet nicht fort; ich werde schon anordnen, was ihr zu eurer Seelen Heile tun sollt.« Und damals faßte er den Gedanken, zum gemeinsamen Heile aller den dritten Orden zu gründen. So ließ er denn sie insgesamt wohl bereit zur Buße und sehr getrost und ging von da weg und kam in die Gegend zwischen Cannaio und Bevagno.

Und, da er in derselben Inbrunst weiterzog, erhob er die Augen und sah auf einigen Bäumen am Wege eine schier endlose Menge Vögel sitzen; zudem saß noch auf dem Felde neben diesen Bäumen eine große Zahl von ihnen. Darüber wunderte sich St. Franciscus, und er sprach zu seinen Gefährten: »Erwartet ihr mich hier auf dem Wege; ich aber werde meinen Geschwistern, den Vögeln, predigen gehen.« Und er trat in das Feld und begann den Vögeln, die dort auf der Erde waren, zu predigen, und alsbald kamen die Vögel, so da auf den Bäumen saßen, zu ihm herab, und alle, samt und sonders, blieben unbeweglich vor ihm sitzen, bis daß St. Franciscus seine Predigt beendete; auch dann flogen sie nicht eher davon, als bis daß er ihnen den Segen erteilt hatte. Und, wie es hernach Bruder Masseo an Bruder Jacopo von Massa erzählt hat, wandelte St. Franciscus mitten unter ihnen, so daß er sie mit seiner Kutte streifte, doch keiner von ihnen rührte sich.

Der Inhalt von St. Francisci Predigt war aber folgender: »Ihr, meine Geschwister, ihr Vögel, ihr solltet Gott, eurem Schöpfer, sehr verbunden sein und müßt ihn stets und allerorten loben: denn er hat euch die Freiheit gegeben, überall hinzufliegen, auch gab er euch Kleidung, doppelt und dreifach; dazu noch, weil er euren Samen in der Arche Noah bewahrte, so daß eurer Sippe nicht weniger geworden ist; dann sollt ihr ihm auch dankbar sein für das Element der Luft, das er euch bestimmt hat. Und überdies: Ihr säet nicht und mähet nicht, und Gott gibt euch Speise und gibt euch die Flüsse und die Quellen zu eurem Tranke; er gibt euch die Berge und die Täler zu eurer Zuflucht und die hohen Bäume, um eure Nester zu bauen; und, ob ihr gleich nicht zu spinnen wißt, auch nicht zu nähen, so kleidet euch Gott, euch und eure Kinder. So liebt euch denn euer Schöpfer sehr, da er euch so viel Gutes tut, und darum hütet euch, ihr meine Geschwister, vor der Sünde des Undankes und seid allzeit eifrig zum Lobe Gottes.«

Da St. Franciscus ihnen diese Worte sagte, begannen alle jene Vögel samt und sonders ihre Schnäbel zu öffnen und die Hälse auszurecken und die Flügel aufzutun und ehrerbietig ihre Köpfe zu Boden zu neigen und mit Sang und Gebärden kundzugeben, daß der heilige Vater ihnen groß Ergötzen bereitete. Und St. Franciscus war mit ihnen froh und hatte sein Wohlgefallen an ihnen und wunderte sich über eine solche Menge der Vögel und über ihre schöne Mannigfaltigkeit und ihre Aufmerksamkeit und Zutraulichkeit. Darum pries er in ihnen voller Andacht den Schöpfer.

Schließlich, als die Predigt beendet war, machte St. Franciscus über ihnen das Zeichen des Kreuzes und gab ihnen Urlaub, und da erhoben sich alle diese Vögel mit wunderbaren Sängen in die Lüfte. Dann aber folgten sie dem Kreuze, das St. Franciscus über ihnen geschlagen hatte, und teilten sich in vier Haufen: und ein Haufen flog gen Aufgang, und ein andrer gen Untergang, und ein andrer gen Mittag, und der vierte gen Norden, und eine jede Schar zog dahin und sang wunderbare Lieder.

Damit aber kündeten sie, daß, wie St. Franciscus, der Bannerträger des Kreuzes Christi, ihnen gepredigt und über ihnen das Zeichen des Kreuzes geschlagen, und sie nach den vier Weltgegenden sich verteilt hatten, also auch die Predigt des Kreuzes Christi, die durch St. Franciscum wieder auflebte, von ihm und den Brüdern durch die ganze Welt getragen werden sollte: und diese Brüder besitzen gleich den Vögeln nichts auf Erden, das sie ihr Eigen nennen, und haben einzig Gottes Vorsehung ihr Leben befohlen.

 

XVII. Kapitel

Wie ein junges Brüderlein, als St. Franciscus in der Nacht betete, Christum und die Jungfrau Maria und viele andere Heilige sah, die mit jenem redeten

Ein sehr unschuldiger und reiner Knabe wurde einst bei St. Francisci Lebzeiten in den Orden aufgenommen, und er wohnte in einem dürftigen Kloster, wo die Brüder aus Not auf Matten schliefen. Einmal kam nun St. Franciscus in dieses Kloster, und am Abend gleich nach dem Gebete ging er zur Ruhe, um des Nachts aufzustehen und, wenn die andern Brüder schliefen, zu beten, wie er es zu tun gewohnt war. Da nahm es sich jener Knabe im Herzen vor, sorgfältig die Wege St. Francisci zu erkundschaften, auf daß er seine Heiligkeit erkenne und besonders wisse, was er des Nachts, wenn er aufstand, treibe. Und, daß ihn der Schlaf nicht darum betrüge, legte sich der Knabe neben St. Franciscum hin und knüpfte seinen Strick an den Strick St. Francisci, damit er es spüren könnte, wenn jener aufstand.

Und St. Franciscus merkte nichts davon. – Aber des Nachts, zur Zeit der ersten Ruhe, da alle andern Brüder schliefen, stand er auf und fand seinen Strick also verknüpft; und leise band er ihn los, damit der Knabe es nicht merken sollte, und ging allein in den Wald, der dem Kloster nahe war, und trat in eine Zelle, die da stand, und hub an zu beten.

Nach einiger Zeit wacht der Knabe auf, findet den Strick losgebunden und, daß St. Franciscus aufgestanden ist. Da erhebt er sich und geht ihn suchen. Und, wie er die Tür offen sah, die nach dem Walde zu führte, dachte er sich daß St. Franciscus dorthin gegangen sei, und trat ebenfalls in den Wald. Als er der Stelle nahe kam, da St. Franciscus betete, ward es ihm, als vernehme er ein mächtiges Sprechen, und, da er sich noch mehr näherte, um das, was er hörte, zu sehen und zu verstehen, erschien ihm ein wunderbares Licht, das um St. Franciscum war, und in demselben sah er Christum und die Jungfrau Maria und Johannes den Täufer und den Evangelisten und eine große Schar von Engeln, die mit St. Francisco redeten. Wie das der Knabe sah und hörte, fiel er für tot zur Erde.

Als sich dann das Mysterium dieser heiligen Erscheinung vollendet hatte, und St. Franciscus zum Kloster heimging, stieß er mit dem Fuße an den Knaben, der wie tot dalag. Und mitleidig hob er ihn auf und nahm ihn auf seine Arme, wie es der gute Hirte mit seinen Schafen tut, und bettete ihn auf sein Lager.

Und, als er darauf von jenem erfuhr, daß er diese Erscheinung gesehen hatte, schärfte er ihm ein, niemanden etwas davon zu sagen, bei seinen Lebzeiten nämlich.

Der Knabe aber nahm hernach zu in großer Gnade vor Gott und in der Zuneigung St. Francisci und wurde ein tüchtiger Mann in dem Orden. Und nach St. Francisci Tode erzählte er dieses Gesicht den Brüdern.

 

XVIII. Kapitel

Von dem wundersamen Kapitel, das St. Franciscus in Sta. Maria degli Angeli abhielt, und dem über fünftausend Brüder beiwohnten

Christi treuer Knecht, St. Franciscus, hielt einst ein Generalkapitel ab in Sta. Maria degli Angeli, und zu diesem Kapitel hatten sich mehr denn fünftausend Brüder versammelt. Es kam auch St. Dominicus hin, das Haupt und der Grundstein des Ordens der Predigermönche, der damals von Burgund nach Rom wanderte. – Als er nämlich von der Versammlung des Kapitels hörte, das St. Franciscus in der Ebene bei Sta. Maria degli Angeli abhielt, ging er mit sieben Brüdern seines Ordens hin, es zu besuchen. – Jenem Kapitel wohnte auch ein Kardinal bei, der St. Franciscum sehr verehrte und dem er prophezeit hatte, daß er Papst werden sollte; – und so geschah es auch. Dieser Kardinal war absichtlich von Perugia, wo der Papst damals Hof hielt, nach Assisi gekommen; und jeden Tag kam er und besuchte St. Franciscum und seine Brüder und las auch bisweilen die Messe und predigte den Brüdern während des Kapitels: und besagter Kardinal fand großes Wohlgefallen und Erbauung, wenn er jene heilige Versammlung aufsuchen kam.

Und, als er in jener Ebene um Sta. Maria die Brüder sitzen sah, Schar an Schar, hier vierzig, dort hundert, dort achtzig beieinander, alle mit Reden von Gott beschäftigt, im Gebet, in Tränen, in Übungen der Liebe und so still und bescheiden, daß man gar kein lautes Treiben und keinen Lärm vernahm, wunderte es ihn, daß eine solche Menge so wohl geordnet war, und er sprach in Tränen und in großer Ehrfurcht: »Wahrlich, dieses ist das Heer und das Lager der Ritter Gottes!« Man hörte kein eiteles oder närrisches Geschwätz in dieser Schar; sondern, wo sich eine Anzahl Brüder zusammentat, da beteten sie entweder oder hielten Andacht oder beweinten die Sünden ihrer selbst oder derer, so ihnen Gutes getan hatten, oder redeten vom Heile der Seelen. Auf jenem Felde standen Dächer aus Weidengeflecht und von Stroh zu verschiedenen Haufen je nach den Brüdern verschiedener Provinzen; – darum nannte man jenes Kapitel das Kapitel der Weiden- oder der Strohdächer. Ihre Betten waren die bloße Erde, und etliche hatten auch ein wenig Streu; die Kissen waren Holzklötze oder Steine.

Aus diesem Grunde ward zu ihnen die Verehrung aller, die sie sahen und hörten, so groß, und so groß der Geruch ihrer Heiligkeit, daß von dem Hoflager des Papstes, so damals sich in Perugia befand, und von den andern Ortschaften des Tales von Spoleto viele Grafen, Barone und Ritter hinkamen und andre Edelleute und Männer aus dem Volke und Kardinäle und Bischöfe und Äbte mit vielen Klerikern, um diese also heilige und große und zugleich so demütige Versammlung zu sehen, wie ja noch nie die Welt eine Versammlung so vieler heiliger Männer auf einmal erlebt hatte. Vor allem aber kamen sie, um das Haupt und den heiligen Vater dieses heiligen Volkes zu sehen, der so schöne Beute der Welt entrissen und eine so schöne und fromme Herde vereinigt hatte, den Fußtapfen des wahren Hirten, Jesu Christi, zu folgen.

Als nun das ganze Kapitel versammelt war, da kündete ihrer aller heiliger Vater und Ordensgeneral, St. Franciscus, voller Inbrunst des Geistes den Text nach Gottes Wort und predigte ihnen mit lauter Stimme, was der heilige Geist ihn reden hieß. Dieses aber war der Gegenstand seiner Predigt: »Ihr, meine Söhne! Großes haben wir Gott versprochen; allzu Großes hat Gott uns versprochen, wenn wir das halten werden, was wir ihm gelobt haben: und laßt uns in Gewißheit darauf harren, was uns verheißen worden! Kurz ist die Lust dieser Welt, die Pein, die darauf folgt, ist ewig; kurz ist die Pein dieser Welt, aber die Herrlichkeit der andern ist endlos.« Über diese Worte predigte er höchst andächtig, stärkte die Brüder und führte sie zum Gehorsam und zur Verehrung der heiligen Mutter Kirche und zu brüderlicher Liebe und, Gott für das ganze Volk zu bitten, Geduld zu haben in den Widerwärtigkeiten der Welt und Mäßigung im Glücke, und rein zu sein und voller Keuschheit gleich den Engeln, und Eintracht zu halten mit Gott und den Menschen und mit dem eigenen Gewissen, und die heilige Armut zu lieben und ihrer zu achten.

Und da sagte er: »In des heiligen Gehorsams Namen befehle ich, daß niemand von euch allen, die ihr hier versammelt seid, sich sorge oder bekümmere um Essen oder Trinken oder was dem Leibe not tut, sondern sich bloß dem Gebete und dem Lobe Gottes hingebe; und alle Sorge des Leibes werfet auf ihn, denn er sorget für euch besonders.« Und alle vernahmen dieses Gebot freudigen Herzens und heiteren Angesichts, und als St. Franciscus seine Predigt beendet hatte, warfen sich alle nieder und beteten.

St. Dominicus aber, der bei alledem zugegen war, wunderte sich höchlichst über dieses Gebot St. Francisci und achtete es für unverständig; denn er konnte sich nicht vorstellen, wie es möglich sei, eine solche Menge zu leiten, ohne sich irgendwie um die Leibesnotdurft zu kümmern und zu sorgen.

Doch der allerhöchste Hirte, Christus der Gebenedeite, wollte zeigen, wie er für seine Herde sorgt und seine Armen vor allen liebt, und sogleich gab er den Leuten von Perugia ein und denen von Spoleto, von Foligno, von Spello und von Assisi und den andern umliegenden Landen, jener heiligen Versammlung Speise und Trank zu bringen: Und siehe da: Auf einmal kamen aus den genannten Ortschaften Männer mit Saumtieren, Pferden, Karren, beladen mit Brot und Wein, mit Bohnen und Käse und andern guten Eßwaren, wie sie die Armen Christi nötig hatten. Dazu brachten sie Tischtücher, Krüge, Näpfe, Becher und andre Gefäße, deren sich eine solche Menge bedienen konnte, und glücklich pries sich, wer das meiste zu bringen vermochte oder am eifrigsten zu dienen; sogar die Ritter und die Barone und andern Edelleute, die zu schauen gekommen waren, dienten ihnen voller Demut und Ergebenheit.

Wie das St. Dominicus sah und wahrhaftig erkannte, daß Gottes Vorsehung in ihnen wirkte, ward er sich in Demut bewußt, daß er mit Unrecht St. Francisco ein unverständiges Gebot zugetraut hatte. Und er trat vor ihn hin, kniete nieder und bekannte demütig seine Schuld und fügte hinzu: »Wahrlich, Gott sorgt für diese heiligen Armen, und ich wußte es nicht! Von nun ab gelobe ich, der heiligen Armut nach dem Evangelio zu folgen, und fluche allen Brüdern meines Ordens, die sich anmaßen sollten, Eigentum zu haben.«

So war denn St. Dominicus erbaut von dem Glauben des hochheiligen Franciscus und davon, daß eine so große und wohlgeordnete Brüderschaft der Armut folgte, und von Gottes Vorsehung und der Fülle alles Guten.

Auf demselben Ordenskapitel hinterbrachte man St. Francisco, daß viele Brüder stachlichte Panzer auf dem Fleische trugen und eiserne Ringe, wodurch gar mancher krank wurde und daran starb. Da gebot St. Franciscus bei dem heiligen Gehorsam, als höchst verständiger Vater, daß jedermann, so einen Panzer oder eisernen Ring trug, ihn abtun und vor ihm niederlegen sollte; und sie taten also: Und es wurden wohl an fünfhundert eiserne Panzer gezählt und weit mehr noch eiserne Ringe für die Arme und für die Leiber, so daß man davon einen großen Hügel aufschüttete; und St. Franciscus ließ sie dort liegen.

Darauf, als das Kapitel beendet war, ermutigte sie alle St. Franciscus zum Guten und lehrte ihnen, wie sie in dieser bösen Welt sündlos leben sollten, und hieß sie mit Gottes und seinem Segen in ihre Provinzen heimziehen, alle getrost in Glückseligkeit des Geistes.

 

XIX. Kapitel

Wie in dem Weinberge des Priesters von Rieti, in dessen Hause St. Franciscus betete, die große Volksmenge, so da zu ihm kam, die Trauben weggepflückt und abgerissen hatte, und darauf wunderbarerweise jener Berg mehr Wein trug denn je (wie es St. Franciscus dem Priester versprochen hatte). Und, wie Gott St. Francisco offenbarte, daß er am Paradiese teilhaben sollte

Als St. Franciscus einmal schwer an den Augen litt, schrieb ihm der Kardinal Ugolino, der Beschützer des Ordens, um der großen Zärtlichkeit willen, die er für ihn empfand, er solle zu ihm nach Rieti kommen, wo es ausgezeichnete Augenärzte gab. Da brach St. Franciscus, als er den Brief des Kardinals empfangen hatte, zunächst nach San Damiano auf, wo St. Clara, die fromme Braut Christi, weilte, um ihr eine Freude zu machen und dann erst zum Kardinal zu reisen.

Nachdem aber St. Franciscus in San Damiano angelangt war, wurde es in der folgenden Nacht so viel schlimmer um seine Augen, daß er gar kein Licht mehr sah. Und, weil er aus diesem Grunde nicht abreisen konnte, richtete ihm St. Clara eine Rohrhütte her, damit er dort besser der Ruhe pflegen mochte. Doch St. Franciscus konnte vor Schmerzen seiner Krankheit und der großen Zahl von Mäusen, die ihn belästigte, gar nicht ruhen, weder des Tages noch in der Nacht. Und, indessen er immer mehr von jener Pein und Drangsal litt, begann er nachzudenken und zu erkennen, daß dieses eine Geißel Gottes war wegen seiner Sünden; und er hub an, Gott von ganzem Herzen und mit dem Munde zu danken, und schrie mit lauter Stimme und rief: »Mein Herr, ich bin des würdig und des Allerschlimmsten! Mein Herr Jesus Christus, du guter Hirte, der du uns Sündern deine Barmherzigkeit in Gestalt von mannigfacher leiblicher Pein und Ängsten gewährst, vergönne mir die Kraft und die Gnade, mich durch keine Krankheit oder Angst oder Schmerz von dir zu trennen!« Und, da er also betete, geschah zu ihm eine Stimme vom Himmel, die da sprach: »Antworte mir, Francisce! Wenn die ganze Welt Gold wäre und alle Meere und Quellen und Flüsse Balsam, und wären alle Berge und Hügel und Felsen kostbare Steine; und du würdest einen andern Schatz finden, der so viel edler wäre wie diese Dinge, als Gold edler ist denn Erde und Balsam edler denn Wasser und kostbare Steine edler denn Berg und Felsen; und wäre dir um dieser Krankheit willen dieser Schatz gegeben, solltest du nicht des wohl zufrieden sein und sehr erfreut?« Da antwortete St. Franciscus: »Herr, ich bin unwürdig eines so köstlichen Schatzes!« Und die Stimme Gottes sagte ihm: »Freue dich, Francisce, denn das ist der Schatz des ewigen Lebens, den ich dir vorbehalte und mit dem ich dich zur Stunde belehne; und diese Krankheit und Trübsal ist Gewere an jenem seligen Schatze.«

Da rief St. Franciscus seinen Gefährten herbei in großer Freude über seine so herrliche Verheißung und sagte ihm: »Laß uns zum Kardinale ziehen!« Zunächst aber tröstete er St. Clara mit einigen heiligen Worten und, nachdem er von ihr in Demut Abschied genommen hatte, machte er sich auf den Weg nach Rieti.

Als er der Stadt nahe kam, zog ihm eine solche Menge Volkes entgegen, daß er sie deshalb nicht betreten wollte. Sondern er ging nach einer Kirche, die nahe der Stadt, etwa zwei Meilen abseits, lag. Wie nun die Bürger erfuhren, daß er dort in der Pfarre war, liefen sie in solcher Zahl herbei, um ihn zu sehen, daß der ganze Kirchenweinberg verdorben, und alle Trauben abgepflückt wurden. Darob ward der Priester in seinem Herzen recht betrübt, und es gereute ihn, St. Franciscum in seiner Pfarre aufgenommen zu haben.

Doch des Priesters Gedanken wurden St. Francisco von Gott offenbart, und er ließ ihn zu sich kommen und sagte ihm: »Lieber Vater, wieviel Maß Ein Maß, »soma«, ist hier so viel, als ein Lasttier zu tragen vermag. Wein bringt dir dieser Weinberg jährlich, wenn er am besten trägt?« Er antwortete: »Zwölf Maß.« Da sagte St. Franciscus: »Ich bitte dich, Vater, trage es in Geduld, daß ich noch einige Tage verweile, da ich hier viel Ruhe finde, und laß nur jedermann Trauben von deinem Weinberge pflücken um Gottes und meiner, seines Armen, Liebe willen. Und ich verspreche dir im Namen meines Herren Jesu Christi, daß er dir jedes Jahr zwanzig Maß tragen wird.« Dieses tat aber St. Franciscus, um dort zu bleiben, weil er die reiche Ernte gewahrte, die an den Seelen derer geschah, so da hinkamen: denn viele von ihnen gingen hinweg an göttlicher Liebe trunken und ließen von der Welt.

Der Priester aber baute auf St. Francisci Versprechen und gab den Weinberg willig denen preis, da so hinkamen. Und wunderbar! Der Wein wurde ganz und gar vernichtet, so daß kaum einige Stiele mit einigen Beeren übrigblieben. Da kommt die Zeit der Weinernte: der Priester sammelt diese Beeren ein, legt sie in die Kufe, preßt sie, und, wie es St. Franciscus versprochen hatte, erntete er zwanzig Maß von dem besten Weine!

Durch dieses Wunder ward uns offenbar zu erkennen gegeben, daß, wie durch das Verdienst St. Francisci der Weinberg, den man seiner Trauben beraubt hatte, Überfluß an Wein brachte, so auch das christliche Volk, das durch die Sünde an Tugenden unfruchtbar geworden, durch St. Francisci Verdienst und Lehre oft in Überfluß gute Früchte der Buße trug.

 

XX. Kapitel

Von einem schönen Gesichte, das ein junger Bruder sah, welcher die Kutte so sehr verabscheute, daß er das Mönchsgewand abzulegen und aus dem Orden zu treten gedachte

Ein Jüngling, der recht zart und edel war, trat in den Orden St. Francisci, und nach einigen Tagen begann er, vom Teufel verleitet, das Gewand, das er trug, so zu verabscheuen, daß es ihm deuchte, er sei mit einem elenden Sacke bekleidet; es ekelte ihn vor seinen Ärmeln, und er verabscheute die Kapuze, und die Länge und Rauheit des Kleides schien ihm eine unerträgliche Last. Und, da sein Widerwille gegen den Orden nur zunahm, beschloß er endlich, das Mönchsgewand abzulegen und in die Welt zurückzukehren. Schon hatte er aber die Gewohnheit angenommen, jederzeit, wenn er am Altare des Klosters vorbeikam, wo der Leib Christi aufbewahrt wurde, höchst ehrerbietig niederzuknien, die Kapuze hinunterzuschieben und sich mit gekreuzten Armen zu verbeugen, – wie es ihn sein Meister gelehrt hatte.

Da geschah es, daß er in der Nacht, da er davongehen und den Orden verlassen wollte, am Altare des Klosters vorüber mußte; und, als er vorbeikam, kniete er, wie er es gewohnt war, nieder und verneigte sich. Da ward er auf der Stelle im Geiste entzückt, und Gott zeigte ihm ein wunderbares Gesicht also, daß er vor sich eine schier endlose Zahl von Heiligen sah in der Art einer Prozession zu zweien und zweien in herrlichen und köstlichen Gewändern, und ihr Antlitz und ihre Hände glänzten wie die Sonne, und sie zogen dahin bei Gesang und Spiel von Engeln. Unter den Heiligen waren aber zweie, die edler gekleidet und reicher geschmückt waren, denn alle andern, und von solcher Klarheit umgeben, daß sie den, der sie ansah, gewaltig staunen machten; und fast am Ende des Zuges gewahrte er jemanden, der mit solcher Herrlichkeit geziert war, daß er ihm gleich einem deuchte, der eben den Ritterschlag empfangen, und höher geehrt, wie die andern.

Als der Jüngling diese Erscheinung sah, wunderte er sich und wußte nicht, was dieser Zug bedeuten sollte; er wagte aber nicht, danach zu fragen, und war starr vor süßem Staunen. Doch, als der ganze Zug vorübergegangen, faßt er Mut, läuft hinter den letzten her und fragt sie mit großer Scheu und spricht: »Liebe Herren, ich bitte euch, daß ihr mir sagen möget, wer jene wunderbaren Männer sind, die in so würdiger Prozession einherziehen?« Und sie antworten: »Wisse, lieber Sohn, daß wir alle Ordensbrüder sind, die wir eben aus der Herrlichkeit des Paradieses kommen.« Er aber fragt nun also: »Wer sind jene beiden, die strahlender sind, denn die andern?« Sie antworten: »Das sind St. Franciscus und St. Antonius, und jener zuletzt, den du so hochgeehrt siehst, ist ein heiliger Bruder, der unlängst gestorben ist. Und, da er gegen alle Versuchungen mannhaft gestritten hat und bis an sein Ende ausharrte, führen wir ihn im Triumphe zur Herrlichkeit des Paradieses: Und diese wunderbare Seide, so wir tragen, hat uns Gott für die rauhen Kutten gegeben, die wir geduldig in dem Orden getragen haben, und die herrliche Klarheit, so du an uns siehst, gab uns Gott für unsere Geduld und Demut und für die heilige Armut, den Gehorsam, die Keuschheit, der wir bis an das Ende gepflogen haben. Darum, lieber Sohn, laß es dich nicht hart dünken, das grobe Ordenskleid zu tragen, das solchen Lohn bringt; denn, wirst du mit St. Francisci grobem Gewande um Christi Liebe willen die Welt verachten und das Fleisch töten und mannhaft gegen den Teufel kämpfen, so wirst du mit uns ein gleiches Gewand und gleiche Herrlichkeit und Glanz empfangen.«

Nach diesen Worten kehrte der Jüngling in sich und, durch das Gesicht ermutigt, verscheuchte er jegliche Anfechtung und bekannte seine Schuld vor dem Guardian und den Brüdern.

Seitdem trachtete er bloß nach der Rauheit der Buße und des Mönchsgewandes und beschloß in großer Heiligkeit sein Leben in dem Orden.

 

XXI. Kapitel

Von St. Francisci hochheiligem Wunder, da er den grimmigen Wolf von Gubbio bekehrte

In der Zeit, da St. Franciscus in der Stadt Gubbio weilte, erschien im Lande ein ungeheurer Wolf, schrecklich und wild, der nicht allein die Tiere fraß, sondern auch die Menschen, so daß alle Bürger sich in großer Angst befanden, weil er oft nahe an die Stadt kam, und daß alle, wenn sie aus der Stadt gingen, Waffen trugen, als zögen sie zur Schlacht. Trotz alledem vermochte sich jemand, der ihm allein begegnete, nicht gegen ihn zu wehren, und aus Angst vor diesem Wolfe kam man so weit, daß keiner mehr es wagte, die Stadt zu verlassen. Da taten St. Francisco die Leute des Ortes leid, und er beschloß, zu jenem Wolfe hinauszugehen, obgleich die Städter ihm nicht zurieten.

So machte er denn das Zeichen des Kreuzes und ging zur Stadt hinaus mit seinen Gefährten und setzte sein ganzes Vertrauen auf Gott. Und, weil die andern keinen Mut zum Weitergehen fanden, wandte sich St. Franciscus allein nach jener Gegend, da der Wolf hauste.

Und siehe! Da geschah es in dem Angesichte vieler Bürger, die hinausgekommen waren dieses Wunder zu schauen, daß jener Wolf mit offenem Rachen auf St. Franciscum losrannte; und, wie er ihm nahe kam, machte St. Franciscus über ihm das Zeichen des Kreuzes und rief ihn zu sich heran und sprach zu ihm also: »Komm her, Bruder Wolf! Ich befehle dir in Christi Namen, nichts Böses zu tun, weder mir noch irgend jemanden.« Und wunderbar! Kaum hatte St. Franciscus das Zeichen des Kreuzes geschlagen, da machte der fürchterliche Wolf seinen Rachen zu und blieb stehen; und, da St. Franciscus seinen Befehl gesprochen hatte, kam er sanftmütig heran, wie ein Lamm, und legte sich zu St. Francisci Füßen.

Da redete St. Franciscus zu ihm also: »Bruder Wolf, du richtest viel Schaden in dieser Gegend an und hast große Missetaten begangen, indem du unerlaubt Gottes Kreaturen verdarbest und umbrachtest. Und nicht bloß Tiere hast du umgebracht und gefressen, ja, du hast auch gewagt, Menschen zu töten, die nach Gottes Bilde geschaffen sind. Darum bist du des Galgens schuldig als ein Dieb und schlimmer Mörder. Und alle Welt schreit gegen dich und murrt über dich, und dieses ganze Land ist dir feind. Ich aber will, Bruder Wolf, Frieden machen zwischen diesen und dir, so daß du ihnen kein Leid mehr zufügest, sie dir aber alle vergangene Missetat erlassen, und weder Menschen noch Hunde dir nachstellen sollen.«

Nach diesen Worten begann der Wolf zu wedeln und gab mit Gebärden des Leibes und der Augen und mit Nicken des Kopfes zu erkennen, daß er auf den Vertrag eingehen wolle, den ihm St. Franciscus vorschlug, und ihn achten.

Da sagte ihm wieder St. Franciscus: »Bruder Wolf, sintemalen du damit einverstanden bist, diesen Frieden zu schließen und zu halten, verspreche ich, dir für immer, solange du lebest, deine Kost zu verschaffen, so, daß du nicht mehr Hunger leiden sollst; denn ich weiß sehr wohl, daß du aus Hunger alles Böse getan hast. Doch, weil ich diese Gnade dir erwirke, wünsche ich, Bruder Wolf, daß du mir versprechest, niemals irgendeinem Menschen oder Tiere ein Leides zu tun; versprichst du mir das?«

Und der Wolf gab durch Kopfnicken deutlich kund, daß er dieses versprach. St. Franciscus sagte nun: »Bruder Wolf, ich wünsche, daß du mir auf dieses Versprechen dein Wort zum Pfande gebest, damit ich mich gut darauf verlassen kann.« Und St. Franciscus streckte seine Hand aus, um das Pfand seiner Treue entgegenzunehmen, und der Wolf hob eine Tatze gerade in die Höhe und legte sie zutraulich in die Hand St. Francisci, indem er ihm also das Zeichen der Treue gab, so gut er es verstand.

Da sprach St. Franciscus: »Bruder Wolf! In Jesu Christi Namen befehle ich dir, ohne Bangen mitzukommen; und laß uns hingehen in Gottes Namen diesen Frieden zu besiegeln.« Und der Wolf ging mit ihm, folgsam gleich einem sanften Lamme.

Wie das die Bürger sahen, waren sie höchst verwundert; und sofort wußte man davon in der ganzen Stadt: Und alle Menschen, Mann und Weib, groß und klein, jung und alt, wälzten sich auf den Platz, um den Wolf mit St. Francisco zu sehen. Da nun alles Volk zusammengekommen war, erhob sich St. Franciscus, um ihnen zu predigen, und er sagte ihnen unter anderm auch, daß Gott dergleichen Dinge und Plagen um der Sünden willen zulasse, und daß der Hölle Feuer, so für die Verdammten ewig währen soll, weit furchtbarer sei, als der Grimm des Wolfes, der bloß den Leib umzubringen vermag. Wie sollte man da nicht den Rachen der Hölle fürchten, wenn schon eines kleinen Tieres Rachen solche Menge in Angst und Zittern hält. »Kehret denn um, ihr Lieben, zu Gott und tut die schuldige Buße wegen eurer Sünden, dann wird euch Gott für dieses Leben von dem Wolfe befreien und für das künftige Leben von dem Feuer der Hölle.«

Als St. Franciscus die Predigt beendet hatte, sagte er: »Hört, ihr lieben Brüder! Bruder Wolf, der vor euch steht, hat mir versprochen und sein Wort darauf verpfändet, mit euch Frieden zu machen und euch nie irgendein Leides zu tun. Nun sollt ihr ihm versprechen, jeglichen Tag ihm das nötige zu geben. Und ich verbürge mich für ihn, daß er den Frieden treulich achten wird.«

Da sprach das ganze Volk einstimmig, ihn zu ernähren. St. Franciscus aber sagte vor allen zu dem Wolfe: »Und du, Bruder Wolf, gelobst du diesen da, den Friedensvertrag zu halten, daß du niemanden ein Leid tuest, weder den Menschen noch den Tieren, noch irgendeiner Kreatur?« Und der Wolf kniete nieder und neigte den Kopf; und mit freundlichen Gebärden des Leibes und des Schweifes und der Ohren zeigte er, so gut er es konnte, daß er ihnen gegenüber jegliche Bedingung achten wollte. Nun sprach St. Franciscus: »Bruder Wolf! Wie du mir vor dem Tore dein Wort auf dieses Versprechen gabst, so wünsche ich, daß du mir in gleicher Weise auch vor allem Volke ein Treuepfand dafür gebest, auf daß du mich nicht im Stiche lassest, wo ich deinetwegen Bürgschaft geleistet habe.« Da hob der Wolf die Tatze und legte sie St. Francisco in die Hand.

Über diese Begebenheit und die andern, so da oben erzählt wurden, erhob sich in dem Volke solche Freude und solches Staunen über die Frömmigkeit des Heiligen, wie über das unerhörte Wunder und die Urfehde mit dem Wolfe, daß alle zum Himmel riefen und Gott zu preisen und zu benedeien anhuben, der ihnen St. Franciscum gesandt hatte, auf daß er sie um seines Verdienstes willen von dem Rachen des grausamen Tieres befreite.

Und hernach lebte genannter Wolf noch zwei Jahre in Gubbio; und er verkehrte ganz zutraulich in den Häusern von Tür zu Tür, ohne jemanden ein Leid zu tun und ohne, daß ihm ein solches widerfuhr; und er wurde in freundlichster Weise von den Leuten gefüttert; auch, während er also durch den Ort von Haus zu Hause ging, bellte kein Hund hinter ihm her. Zuletzt nach zwei Jahren starb Bruder Wolf an Altersschwäche; und die Städter waren darüber sehr traurig: denn, wenn sie ihn so sanft durch die Stadt gehen sahen, konnten sie besser der Tugend und der Heiligkeit St. Francisci gedenken.

 

XXII. Kapitel

Wie St. Franciscus die Waldtauben zähmte

Ein junger Mann hatte eines Tages viele Turteltauben gefangen und, da er sie zum Markte trug, begegnete ihm St. Franciscus, der stets besonderes Erbarmen mit sanftmütigen Geschöpfen hatte; und sein mitleidiges Auge sah die Tauben an, und er sprach zu dem jungen Mann: »O du guter Jüngling, ich bitte dich, gib mir diese sanftmütigen Vögel, denen in der heiligen Schrift die keuschen Seelen verglichen werden und die demütigen und gläubigen, auf daß sie nicht in die Hände der Grausamen fallen, die sie töten.« Und auf der Stelle gab sie jener, von Gott dazu getrieben, St. Francisco; er aber nahm sie in seinen Schoß und begann sachte mit ihnen zu reden: »Ihr Turteltauben, meine Schwestern, ihr einfältigen und unschuldigen und reinen, warum laßt ihr euch fangen? Jetzt will ich euch von dem Tode retten und euch Nester bauen, damit ihr fruchtbar seid und euch mehret nach unseres Schöpfers Gebote.« Und St. Franciscus ging hin und baute allen Nester; und sie benutzten sie und begannen im Angesichte der Brüder Eier zu legen und zu zeugen; und sie wurden so zahm und vertraut mit St. Franciscus und den andern Brüdern, als wären es Hühner gewesen, die sie allzeit gefüttert hätten. Und sie zogen nicht eher fort, als bis daß ihnen St. Franciscus mit seinem Segen Urlaub gab.

Doch zu dem jungen Manne, der sie ihm gegeben hatte, sprach St. Franciscus: »Mein Sohn, du wirst noch einst ein Bruder in diesem Orden werden und Gott in Gnaden dienen.« Und also geschah es auch: denn jener Jüngling ward ein Bruder und lebte im Orden in großer Heiligkeit.

 

XXIII.

Wie St. Franciscus den Bruder rettete, so durch Sünde in des Teufels Macht geraten war

Da St. Franciscus einmal in dem Kloster der Portiuncula betete, sah er durch göttliche Offenbarung, wie das ganze Kloster von Teufeln umzingelt und belagert wurde, als wie von einem großen Heere; doch ihrer keiner vermochte in das Kloster hineinzugelangen, denn die Brüder darinnen waren so heilig, daß die Teufel niemanden fanden, zu dem sie hätten eindringen können.

Und dabei blieb es. Eines Tages aber ärgerte sich ein Bruder über einen andern und gedachte in seinem Herzen, ihn zu verklagen und sich an ihm zu rächen. Darum, weil jener in so üblen Gedanken lebte, fand der Teufel den Eingang offen, und er drang in das Kloster und setzte sich jenem Bruder auf den Nacken.

Als da der mitleidige und sorgsame Hirte, der allzeit über seiner Herde wachte, sah, daß der Wolf eingefallen war, seine Lämmer zu fressen, ließ er jenen Bruder kommen und befahl ihm, sofort das Gift des Hasses zu entdecken, den er gegen seinen Nächsten gefaßt, und der ihn des Feindes Händen überliefert hatte.

Und jener geriet in Angst, da er sich also von dem heiligen Vater durchschaut sah, und er entdeckte ihm alles Giftige, das in ihm war, und erkannte seine Schuld und bat demütig um Buße und Erbarmen. Darauf aber, als er von der Sünde losgesprochen war, fuhr alsbald der Teufel im Angesichte St. Francisci von ihm. Und der Bruder, der also durch den guten Hirten von den Krallen des grausamen Tieres befreit wurde, dankte Gott; und belehrt und gebessert kehrte er zu der Herde des heiligen Hirten zurück und lebte fortan in großer Heiligkeit.

 

XXIV. Kapitel

Wie St. Franciscus den Sultan von Babylon bekehrte

Von seines Glaubens Eifer getrieben und der Sehnsucht des Märtyrertums zog St. Franciscus einstmals über Meer mit zwölf seiner heiligen Jünger, um sich geradesweges zum Sultan von Babylon zu begeben; und sie kamen in ein Land der Sarazenen, wo alle Orte, da sie hindurch mußten, von so grausamen Männern gehütet wurden, daß kein Christ, der an ihnen vorbei wollte, mit dem Leben davonkam, sondern er den Tod fand. Da es aber Gott also gefiel, wurden sie nicht umgebracht, sondern gefangen genommen, gestäupt und vor den Sultan geführt.

Und, als sie vor ihm standen, predigte St. Franciscus, von dem heiligen Geiste beraten, so göttliche Worte über den Christenglauben und wollte sogar für diesen Glauben durch das Feuer schreiten, daß der Sultan große Verehrung zu ihm faßte, sowohl wegen der Festigkeit seines Glaubens, als auch wegen der Verachtung der Welt, die er an ihm sah, auch weil er von ihm kein Geschenk annehmen wollte, ob er gleich so arm war, und weil er so voll Eifers nach dem Märtyrertume trachtete. Seitdem hörte ihm der Sultan gerne zu und bat ihn, oft wiederzukommen, und erlaubte ihm und seinen Gefährten, frei zu predigen, wo es ihnen gefiele; auch verlieh er ihnen ein Zeichen, dadurch sie von niemanden beleidigt werden konnten.

Nachdem nun St. Franciscus diese Freiheit erlangt hatte, sandte er seine Jünger zu zweien und zweien in die verschiedenen Gegenden der Heiden. Er selbst aber zog mit einem Gefährten und kam in ein Gasthaus, wo er der Nachtruhe halber anhalten mußte; und er fand dort ein Weib, das zwar von Angesichte schön war, aber häßlichen Sinnes, und diese Ruchlose begehrte, daß er sündige. Da entgegnete St. Franciscus: »Willst du, daß ich dir den Willen tue, so will ich, daß auch du mir zu Willen seist.« Sie sprach: »Gut, laßt uns also gehen, das Lager zu bereiten.« Doch St. Franciscus sagte: »Komm mit mir, ich werde dir ein köstliches Lager weisen.« Und er führte sie an ein großes Feuer, das um die Zeit in dem Hause brannte, und in der Glut seines Geistes entkleidete er sich und legte sich auf jenen flammenden Herd, wie auf ein Bett. Und er rief und sprach: »Entkleide dich! Und eile, dieses funkelnden und blühenden und wundersamen Lagers dich zu freuen; denn hierher mußt du kommen, wenn du mir folgen willst.« Und dieses Feuer tat St. Francisco keinen Schaden, sondern auf dem flammenden Herde ruhte er wie auf Blumen. Als aber jenes Weib dieses Wunder sah, entsetzte es sich und säuberte sich nicht allein von dem Kote der Sünde, sondern ward auch von der Finsternis des Heidentums zu dem Herrn Jesu Christo bekehrt; und sie wurde von solcher Heiligkeit und Gnade, daß sie mit Hilfe des Verdienstes St. Francisci viele Seelen in jenen Landen dem Herren gewann.

Doch, als St. Franciscus schließlich des inne ward, daß er keine Früchte mehr in jenen Landen ernten konnte, schickte er sich auf Gottes Geheiß an, mit allen seinen Jüngern zu den Gläubigen zurückzukehren. Und, nachdem er sie alle versammelt hatte, ging er noch einmal zu dem Sultan und nahm von ihm Abschied.

Da sagte ihm der Sultan: »Bruder Francisce, ich möchte mich gern zu dem Christenglauben bekehren, aber ich habe Angst davor, es jetzt zu tun: Denn, wenn es jene erfahren, würden sie dich und mich sowie alle deine Gefährten umbringen. Und, da du noch so viel Gutes tun könntest, und ich noch etliche höchst wichtige Geschäfte zu besorgen habe, will ich jetzt deinen und meinen Tod nicht herbeiführen. Doch lehre mir, wie ich gerettet werden möchte; ich bin bereit zu tun, was du mich heißest.«

Sprach da St. Franciscus: »Herr, ich gehe jetzt von euch; doch, wenn ich in meine Heimat gelangt und hernach durch Gottes Gnade in das Himmelreich gegangen sein werde, – dann, nach meinem Tode, werde ich dir mit Gottes Willen zweie meiner Brüder senden, von denen du Christi heilige Taufe empfangen sollst; und du wirst erlöst werden, wie es mir mein Herr Jesus Christus offenbart hat. Du aber, mache dich unterdessen von allen Geschäften frei, damit, wenn dir Gottes Gnade nahen wird, sie dich bereit finde zu Glauben und Frömmigkeit.« Und jener versprach, also zu tun, und tat also.

Darauf kehrte St. Franciscus mit jener würdigen Gefolgschaft seiner heiligen Jünger heim. Und nach einigen Jahren gab St. Franciscus durch leiblichen Tod seine Seele an Gott. Der Sultan aber wurde siech und harrte auf das, was St. Franciscus ihm versprochen hatte; und er ließ Späher aufstellen und gab den Befehl, wenn zwei Brüder im Gewande St. Francisci gesehen werden sollten, sie auf der Stelle zu ihm zu führen.

Um diese Zeit erschien St. Franciscus zween Brüdern und gebot ihnen, alsbald zu dem Sultan aufzubrechen und ihm das Heil zu bringen, wie er es ihm versprochen hatte. Und die Brüder machten sich sofort auf den Weg, fuhren über Meer und wurden von jenen Spähern zu dem Sultan geführt. Und, als sie dieser gewahrte, hatte er große Freude daran und sagte: »Jetzt weiß ich in Wahrheit, daß Gott mir seine Knechte zu meinem Heile gesandt hat, wie es mir von St. Francisco nach göttlicher Offenbarung versprochen wurde.« Hierauf ward er von jenen Brüdern im Christenglauben unterwiesen und empfing von ihnen die heilige Taufe. Und, also in Christo wiedergeboren, starb er in jenem Siechtum, und seine Seele ward gerettet durch St. Francisci Verdienst und Gebete.

 

XXV. Kapitel

Wie St. Franciscus in wunderbarer Weise einen Aussätzigen an Leib und Seele heilte, und was ihm dessen Seele sagte, da sie gen Himmel fuhr

Christi wahrhaftiger Jünger, St. Franciscus, bemühte sich mit allen Kräften, solange er noch in diesem elenden Leben weilte, Christo, dem vollkommenen Meister, nachzufolgen; daher geschah es oft durch Gottes Werk, daß, wem er den Leib heilte, diesem Gott zu der selbigen Stunde die Seele heilte, wie man es von Christo liest. Und er diente nicht nur gern den Aussätzigen, sondern hatte auch den Brüdern seines Ordens geboten, wo sie nur in der Welt gehen oder stehen mochten, den Aussätzigen zu dienen um Christi Liebe willen, der ja selbst von uns als ein Aussätziger geachtet werden wollte.

Da geschah es einstmals an einer Stätte, in deren Nähe St. Franciscus weilte, daß die Brüder im Spitale den Aussätzigen und den Kranken dienten: Und es gab dort einen Aussätzigen, der so ungeduldig war und so unausstehlich und frech, daß ein jeder glaubte, er sei vom Teufel besessen; – und so war es auch: denn er beschimpfte in so unanständiger Weise mit Worten und mit Schlägen jeden, der ihm diente, und schlimmer noch, er lästerte so schmählich Christ um, den Gebenedeiten, und seine heilige Mutter, die Jungfrau Maria, daß sich um nichts in der Welt jemand finden ließ, der ihm hätte dienen können oder wollen. Denn, wenn sich auch die Brüder, um das Verdienst der Geduld zu mehren, bestrebten, die Mißhandlungen und Schmähungen ihrer selbst geduldig auszuhalten, so konnten doch ihre Gewissen diejenigen gegen Christum und seine Mutter nicht ertragen, und sie entschlossen sich daher, jenen Aussätzigen ganz im Stiche zu lassen; doch wollten sie das nicht eher tun, bis daß sie es ordnungsmäßig St. Francisco angezeigt hätten, der damals nicht weit von dort in einem Kloster wohnte.

Nachdem sie ihm das angezeigt hatten, begab sich St. Franciscus zu diesem bösen Aussätzigen und, da er hinkam, grüßte er ihn und sprach: »Gott gebe dir Frieden, mein lieber Bruder.« Darauf der Aussätzige: »Was kann ich für einen Frieden von Gott erwarten, der mir den Frieden und alles Gute genommen und mich faul und stinkend gemacht hat?« Und St. Franciscus sprach: »Mein Sohn, habe Geduld: die Gebrechen des Leibes sind zum Heile der Seelen in diese Welt gegeben und sind daher von großem Verdienste, wenn man sie geduldig trägt.« Antwortet der Kranke: »Wie soll ich denn geduldig die immerwährende Pein ertragen, so mich Tag und Nacht bekümmert? Und ich werde nicht nur von meiner Krankheit geplagt; schlimmer noch handeln an mir die Brüder, die du mir gegeben hast, auf daß sie mir dienen, und die mir nicht also dienen, wie sie sollen.«

Nun erkannte St. Franciscus durch Offenbarung, daß jener Aussätzige vom bösen Geiste besessen war, und ging hin und fing an zu beten, und betete andächtig für ihn zu Gott. Nachdem er aber gebetet hatte, kam er zu dem Aussätzigen zurück und sprach also: »Mein Sohn, jetzt will ich dir dienen, da du mit den andern nicht zufrieden bist.« »Gut«, sagte der Kranke, »aber was wirst du mehr für mich tun können, denn die andern?« St. Franciscus antwortete: »Ich werde tun, was du willst.« Da sagte der Aussätzige: »Ich will, daß du mich ganz und gar waschest; denn ich stinke so sehr, daß ich mich selbst nicht ertragen kann.«

Da ließ St. Franciscus alsbald Wasser wärmen und tat viel wohlriechende Kräuter hinein; dann entkleidet er ihn und beginnt ihn mit beiden Händen zu waschen; und ein andrer Bruder goß Wasser darüber. Und durch göttliches Wunder schwand der Aussatz, wo ihn St. Franciscus mit seinen heiligen Händen berührte, und das Fleisch blieb ganz geheilt. Doch, gleichwie sein Fleisch zu heilen begann, so begann auch seine Seele zu heilen; denn wie der Aussätzige sah, daß seine Genesung herankam, fing er an, heftige Reue und Zerknirschung über seine Sünden zu empfinden und bitterlich zu weinen so, daß, wie äußerlich sein Leib durch die Waschung vom Aussatz gesäubert wurde, also im Innern seine Seele durch Besserung und Tränen von der Sünde sich reinigte.

Wie er aber vollkommen an Leib und Seele geheilt war, bekannte er demütig seine Schuld. Und er sagte weinend mit lauter Stimme: »Wehe mir, der ich der Hölle wert bin wegen der Mißhandlungen und Schmähungen, so ich den Brüdern in Wort und Tat zugefügt habe, und wegen der Lästerungen, so ich gegen Gott ausgestoßen habe.« Also weinte er unausgesetzt während zweier Wochen bitterlich über seine Sünden und bat Gott um Erbarmen und beichtete alles dem Priester.

Als St. Franciscus dieses offenbare Wunder sah, das Gott durch seine Hände vollbracht hatte, dankte er Gott und ging von da hinweg und wandte sich nach abgelegenen Stätten; denn aus Demut wollte er jedem Ruhme entgehen und suchte in allen seinen Taten bloß den Ruhm und die Ehre Gottes, nicht jedoch seinen eigenen.

Danach aber gefiel es Gott, daß jener Aussätzige, der an Leib und Seele genesen war, nach zwei Wochen seiner Buße an einer andern Krankheit siech wurde und, mit den geistlichen Sakramenten versehen, eines heiligen Todes starb. Und seine Seele, die nach dem Paradiese zog, erschien in der Luft St. Francisco, der in einem Walde betete. Und sie sprach zu ihm: »Kennst du mich?« »Wer bist du?« sagte St. Franciscus. »Ich bin der Aussätzige, den Christus, der Gebenedeite, durch dein Verdienst geheilt hat; und heute gehe ich in das ewige Leben. Dafür danke ich Gott und dir: Gesegnet sei deine Seele und dein Leib und gesegnet deine heiligen Worte und Werke; denn es werden durch dich viele Seelen auf Erden gerettet werden. Und wisse: kein Tag geht dahin, an dem nicht die heiligen Engel und die andern Heiligen Gott für deine heiligen Früchte danken, die du wie dein Orden an aller Welt Enden tragt; darum sei guten Mutes und danke Gott und bleibe in seinem Segen.« Nach diesen Worten ging er in den Himmel. St. Franciscus aber blieb zurück voller Freudigkeit des Trostes.

 

XXVI. Kapitel

Wie St. Franciscus drei Raubmörder bekehrte, und diese Ordensbrüder wurden; und von dem erhabenen Gesichte, das der eine von ihnen schaute, der ein sehr heiliger Bruder war

St. Franciscus wanderte einst durch die Wildnis von Borgo di San Sepolcro und, als er durch einen Burgflecken kam, der Monte Casale heißt, trat ein edler und zarter Jüngling auf ihn zu und sagte: »Vater, ich möchte recht gern einer von euren Brüdern werden.« Da entgegnete St. Franciscus: »Mein Sohn, du bist jung und zart und aus edlem Hause; vielleicht könntest du unsere Armut und die Rauheit unseres Lebens nicht ertragen?« Er aber sprach: »Vater, seid ihr nicht Menschen wie ich? So gut ihr es denn aushaltet, so werde auch ich es mit der Gnade Jesu Christi aushalten.« Diese Antwort gefiel St. Francisco sehr, daher segnete er ihn und nahm ihn auf der Stelle in den Orden auf und nannte ihn Bruder Angelo. Und jener Jüngling trug sich so liebenswert, daß ihn St. Franciscus kurze Zeit hernach zum Guardian des Klosters Monte Casale machte.

Zu jener Zeit hausten in diesem Gaue drei berüchtigte Räuber, die viel Böses im Lande verübten. Diese kamen eines Tages zu genannter Wohnstätte der Brüder und baten jenen Bruder Angelo, den Guardian, daß er ihnen zu essen gebe. Der Guardian aber fuhr sie scharf an und gab ihnen folgendes zur Antwort: »Ihr Räuber und grausamen Mörder, schämt ihr euch nicht, fremder Arbeit Lohn zu rauben! Ja, hochmütig und unverschämt, wie ihr seid, wollt ihr sogar noch die Almosen verschlingen, die Gottes Knechten bestimmt sind; ihr, die ihr nicht wert seid, daß euch die Erde trage! Denn ihr habt keine Scheu, weder vor Menschen, noch vor Gott, der euch geschaffen hat. Weichet von hier wegen eurer Missetaten und kommt mir nicht wieder vor die Augen!« Jene aber zogen aufgebracht und voller großen Unmutes ab.

Und siehe, da kam gerade St. Franciscus von auswärts heim mit der Tasche voll Brot und einem kleinen Kruge Wein, – was er und sein Gefährte sich zusammengebettelt hatten. Als nun der Guardian ihm erzählte, wie er jene fortgejagt hatte, tadelte ihn St. Franciscus heftig und sagte ihm, daß er sich hart benommen habe: Denn die Sünder würden eher durch Sanftmut zu Gott geführt, denn durch bittere Vorwürfe: »So sagt auch unser Meister, Jesus Christus, dessen Evangelio zu folgen wir gelobt haben, daß nicht die Gesunden des Arztes bedürfen, sondern die Kranken; und, daß er nicht gekommen sei, die Gerechten zur Buße zu rufen, sondern die Sünder. Deshalb hat er auch oft mit ihnen gegessen. Da du also gegen die Liebe und das heilige Evangelium Christi gefehlt hast, gebiete ich dir bei dem heiligen Gehorsam, sofort diese Tasche mit Brot zu nehmen, die ich erbettelt habe, und diesen Krug Wein, und gehe jenen getreulich nach über Berg und Tal, bis daß du sie findest, und biete ihnen all dieses Brot und den Wein in meinem Namen an. Dann aber knie vor ihnen nieder und bekenne ihnen demütig die Schuld deiner Härte. Und bitte sie dann in meinem Namen, kein Böses mehr zu begehen, sondern Gott zu fürchten und keinem mehr ein Leid zu tun. Sollten sie das erfüllen, so verspreche ich, für alles zu sorgen, des sie bedürfen, und ihnen allezeit Speise und Trank zu geben. Und, wenn du ihnen das gesagt haben wirst, so komm in Demut wieder.«

Indessen nun jener Guardian hinging, St. Francisci Gebot zu erfüllen, begann dieser zu beten und bat Gott, er möchte die Herzen der Räuber erweichen und sie zur Buße bekehren. Der gehorsame Guardian aber gelangte zu ihnen und reichte ihnen das Brot und den Wein und tat und sagte, was St. Franciscus ihm aufgegeben hatte. Und, weil es Gott also gefiel, begannen jene Räuber, da sie St. Francisci Almosen aßen, einander zu sagen: »Wehe uns Unglücklichen und Elenden! Wie hart sind doch die Höllenstrafen, so unser harren, die wir nicht bloß einherwandeln, indem wir unsere Nächsten berauben und schlagen, sondern auch sie töten! Und trotz so vieler Missetaten und Frevel, die wir begehen, haben wir keine Gewissensbisse noch Furcht vor Gott! Doch siehe, da ist jener heilige Bruder zu uns gekommen wegen einiger Worte, die er mit Recht über unsere Schlechtigkeit gesagt hat, und er bekennt sich in Demut schuldig; und mehr noch: er hat das Brot und den Wein gebracht und des heiligen Vaters so freigiebige Verheißung. Wahrhaftig, das sind heilige Brüder Gottes, die Gottes Paradies verdienen, wir aber sind Kinder der ewigen Verdammnis, so der Hölle Strafen wert sind und jeden Tag unserm Verderben zuwachsen, und wir wissen nicht, ob es uns gelingen mag, von den Sünden, die wir bis heute begangen, zu Gottes Barmherzigkeit umzukehren.«

Während einer von ihnen dieses und ähnliches sagte, sprachen die andern: »Gewiß, du redest wahr, aber was sollen wir tun?« »Laßt uns zu St. Francisco gehen«, sagte da einer, »und, wenn er uns die Hoffnung gibt, daß es möglich sei, von unseren Sünden zu Gottes Barmherzigkeit umzukehren, so laßt uns tun, was er uns befiehlt, auf daß wir unsere Seelen von den Strafen der Hölle befreien.«

Dieser Rat dünkte den andern gut. Und alle drei wurden sich einig und gingen schleunigst zu St. Francisco und sprachen zu ihm also: »Vater, um manch frevelhafter Sünden willen, die wir begangen haben, hielten wir es nicht für möglich, zu Gottes Barmherzigkeit umzukehren. Aber, wenn du irgendeine Hoffnung hast, daß uns Gott in Gnaden aufnehmen wird, so sind wir bereit zu tun, was du uns sagen wirst, und mit dir zu büßen.«

Und St. Franciscus behielt sie liebevoll und gütig bei sich, machte ihnen mit vielen Beispielen Mut und, nachdem er ihnen Gottes Barmherzigkeit kund getan hatte, versprach er ihnen gewiß, sie von Gott zu erwirken, und legte ihnen dar, daß Gottes Erbarmen endlos sei: »Und hätten wir unendlich viel Sünden, so ist doch nach dem Evangelio Gottes Barmherzigkeit immer noch größer als unsere Sünden. Auch hat der Apostel Paulus gesagt: Christus, der Gebendeite, kam in diese Welt, die Sünder loszukaufen.«

Um dieser Worte und ähnlicher Lehren willen entsagten die drei Räuber dem Teufel und seinen Werken, und St. Franciscus nahm sie in den Orden auf, und sie begannen, viel Buße zu tun. Doch zwei von ihnen lebten nur noch kurze Zeit nach ihrer Bekehrung und gingen in das Paradies. Der dritte aber überlebte sie und, da er seiner Sünden gedachte, gab er sich solcher Buße hin, daß er beständig, während fünfzehn Jahren, – abgesehen von den ordentlichen Fasten, die er mit den andern Brüdern zusammen einhielt, – auch in der übrigen Zeit drei Tage der Woche bei Brot und Wasser Enthaltsamkeit übte und immer barfuß ging und nie mehr denn einen Rock auf dem Leibe trug und niemals nach der Mette wieder schlafen ging. Um jene Zeit schied auch St. Franciscus aus diesem elenden Leben.

Als nun jener viele Jahre hindurch unausgesetzt solche Buße geübt hatte, überkam ihn eines Nachts, nach der Mette, so große Lust, zu schlafen, daß er auf keine Weise der Müdigkeit widerstehen und wachen konnte, wie er es sonst zu tun pflegte. Zuletzt, da er nicht mehr imstande war, sich des Schlafes zu erwehren und auch nicht zu beten, ging er hin und streckte sich auf das Lager, um zu ruhen. Und kaum, daß er sein Haupt niedergelegt hatte, ward er im Geiste entzückt und auf einen hohen Berg geführt: Neben diesem befand sich ein tiefer Abgrund, und da und dort zerklüftete Felstrümmer und zackige Klippen, die aus dem Gesteine hervorsprangen; und es war furchtbar, in diesen Abgrund zu schauen. Und der Engel, so diesen Bruder führte, versetzte ihm einen Stoß und warf ihn in jenen Abgrund hinab; er aber überschlug sich und stieß sich von Klippe zu Klippe, von Felsen zu Felsen und kam zuletzt in der Tiefe des Abgrundes, wie es ihm schien, ganz zerschunden und zerschmettert an; und, da er so übel zugerichtet am Boden lag, sagte ihm, der ihn führte: »Stehe auf, denn du mußt eine noch größere Wanderung machen.« Der Bruder entgegnete: »Du scheinst mir ein sehr törichter und grausamer Mann zu sein, wo du mich an dem Sturze verenden siehst, der mich so zerschlagen hat, und mir sagst, daß ich aufstehen soll.« Da trat der Engel an ihn heran, und wie er ihn berührte, heilte er ihm alle Glieder und ließ ihn genesen.

Dann wies er ihm eine große Ebene voll scharfer und schneidender Steine und Dornen und Stachelkraut; und er sagte ihm, daß er über diese ganze Ebene barfuß laufen müßte, bis daß er an das Ende käme; dort aber sah er einen glühenden Ofen, in den er hineingehen sollte. Als nun der Bruder über diese ganze Ebene gegangen war in großer Angst und Pein, da sprach der Engel: »Steige in diesen Ofen, denn also mußt du tun.« Er aber entgegnete: »Wehe, was bist du mir für ein grausamer Führer! Der du mich von den Schrecknissen dieser Ebene dem Tode nahe siehst und mich nun zur Erquickung in diesen glühenden Ofen hineingehen heißest!« Und, wie er zusah, gewahrte er um den Ofen herum viele Teufel mit eisernen Gabeln in den Händen und, da er zauderte, stießen sie ihn damit rasch hinein.

Als er in dem Ofen drinnen war, blickte er um sich und sah da einen, der zu Gevatter mit ihm gestanden, und der ganz und gar brannte. Und er fragte ihn: »O du armer Gevatter, wie bist du hierher geraten?« Er antwortete: »Gehe nur ein Stück weiter, da wirst du meine Frau, deine Gevatterin, finden; die wird dir den Grund unserer Verdammnis sagen.« Als nun der Bruder weiterging, siehe, da erschien ihm jene Gevatterin ganz in Feuer, und sie stak in einem Kornmaße, das ganz aus Feuer war, und er fragte sie: »O du arme, unglückselige Gevatterin, wie bist du in so grausame Qual gekommen?« Sie entgegnete: »Weil mein Mann und ich zur Zeit der großen Teuerung, die St. Franciscus vorausgesagt hatte, das Korn und das Getreide fälschten, da wir es in diesem Maße verkauften: Darum stecke ich in diesem Maße und brenne.« Und, nachdem sie diese Worte gesagt hatte, stieß der Engel, so den Bruder führte, diesen zum Ofen hinaus und sagte ihm dann: »Rüste dich zu einer schrecklichen Reise, die du noch durchzumachen hast.« Er aber jammerte und sprach: »Du allergrausamster Führer, der du gar kein Mitleid hast! Du siehst, daß ich in diesem Ofen ganz verbrannt bin, und willst mich noch auf eine gefahrvolle und schreckliche Reise führen!« Da berührte ihn der Engel und machte ihn heil und stark.

Hierauf führte er ihn zu einer Brücke, über die man nicht ohne große Gefahr hinwegkonnte, denn sie war sehr schwach und eng und sehr schlüpfrig und ohne Geländer an den Seiten; darunter aber floß ein furchtbarer Strom voller Schlangen und Drachen und Skorpione und gab einen mächtigen Gestank von sich. Und der Engel sagte ihm: »Gehe über diese Brücke; und zwar mußt du ganz über sie hinweggehen.« Da erwiderte jener: »Wie kann ich da hinübergehen, ohne in diesen fürchterlichen Strom zu fallen?« Sprach der Engel: »Komm hinter mir her und setze deinen Fuß dahin, wo du sehen wirst, daß ich den meinen hinsetze, und so wirst du gut hinübergelangen.« Jener Bruder geht nun hinter dem Engel her, wie dieser es ihm angezeigt hatte, bis daß er die Mitte der Brücke erreichte. Doch, wie er so in der Mitte steht, fliegt der Engel davon; und, nachdem er ihn im Stiche gelassen, schwang er sich auf einen sehr hohen Berg, ein gutes Stück jenseits der Brücke. Jener betrachtete wohl die Stelle, dahin der Engel geflogen war: aber, da er ohne Führer blieb und abwärts blickte, sah er, wie die furchtbaren Tiere ihre Köpfe mit offenem Rachen aus dem Wasser streckten, bereit, ihn zu verschlingen, wenn er fallen sollte; und er war in solchem Schaudern, daß er durchaus nicht wußte, was er tun oder sagen sollte. Denn er konnte weder vorwärts noch rückwärts gehen.

Da er sich in so großer Bedrängnis sah und, daß er keine andre Zuflucht hatte, denn zu Gott, bückte er sich und umfaßte die Brücke; und er befiehlt sich von ganzem Herzen und unter Tränen Gott, damit er ihm durch sein Erbarmen helfe. Als er gebetet hatte, ward es ihm da, wie wenn er Flügel bekäme: und mit großer Freude harrte er darauf, daß sie wachsen möchten, um auf die andre Seite der Brücke zu fliegen, wo sich der Engel befand. Und, da er sehr über die Brücke hinwegzukommen begehrte, versuchte er nach einiger Zeit zu fliegen: doch, weil die Flügel ihm noch nicht genug gewachsen waren, stürzte er auf die Brücke, und die Schwingen fielen ihm ab. Er aber umfaßte wiederum die Brücke und befahl sich Gott, wie zu Anfang. Und da er gebetet hatte, ward es ihm wieder, als bekäme er Flügel; doch, wie zuvor, wartete er nicht ab, bis daß sie sich ausgewachsen hatten. Darum, weil er allzu früh den Flug begann, stürzte er wieder auf die Brücke, und die Schwingen fielen ihm ab.

Als er nun erkannte, daß er hinabstürzte, weil er vorzeitig zu fliegen eilte, begann er sich selbst zu sagen: »Gewiß werde ich, wenn mir zum dritten Male Flügel wachsen, so lange warten, bis sie so groß geworden sind, daß ich werde fliegen können, ohne hinabzustürzen.« Indessen er also dachte, merkte er, daß sich ihm zum dritten Male Flügel ansetzten. Und, da er lange Zeit wartete, – so lange, bis daß die Flügel recht groß geworden, – schien es ihm, als habe er wohl hundertundfünfzig Jahre oder mehr gewartet, während ihm die Flügel zum ersten und zweiten und dritten Male wuchsen.

Endlich erhob er sich zum dritten Male und schwang sich mit aller Kraft empor und flog in die Höhe bis zu der Stelle, wohin der Engel geflogen war, und, als er an das Tor der Burg klopfte, da sich jener befand, fragte der Torwart: »Wer bist du, der du hergelangtest?« Jener antwortete: »Ich bin ein Bruder des Ordens St. Francisci.« Da sprach der Hüter: »Warte, ich will St. Franciscum rufen, um zu sehen, ob er dich kennt.« Während er nun St. Franciscum holen ging, begann sich jener die wunderbaren Mauern dieses Schlosses anzusehen: und siehe! die Mauern schienen durchsichtig zu sein und von solcher Klarheit, daß er deutlich die Chöre der Heiligen wahrnahm und das, was darinnen vorging.

Und wie er staunend in diesen Anblick versunken war, siehe, da kommen St. Franciscus und Bruder Bernardo und Bruder Egidio und hinter ihnen eine solche Menge heiliger Männer und heiliger Frauen, die seinem Lebenswandel gefolgt waren, daß sie fast zahllos schienen. Und, als St. Franciscus herankam, sprach er zum Torwart: »Laß ihn nur herein, denn er ist von meinen Brüdern.« Kaum aber, daß er eingetreten war, fühlte er solchen Trost und solche Süße, daß er aller Bedrängnis vergaß, die ihm widerfahren, als wäre sie niemals dagewesen.

Darauf führte ihn St. Franciscus hinein und zeigte ihm viele wunderbare Dinge und sagte ihm dann: »Mein Sohn; du mußt nun in die Welt zurückkehren und wirst dort sieben Tage bleiben, in denen du dich sorgsam und in großer Andacht bereitmachen sollst; darauf, nach den sieben Tagen, werde ich zu dir kommen, und du wirst dann mit mir gehen nach dieser Stätte der Seligen.«

Es war aber St. Franciscus in einen wunderbaren Mantel gehüllt, der mit schönen Sternen geziert war, und seine fünf Wundmale glichen fünf schönen Sternen und waren von solchem Glanze, daß sie mit ihren Strahlen die ganze Burg erleuchteten. Und Bruder Bernardo trug auf dem Haupte eine Krone von schönen Sternen, und Bruder Egidio war mit wundersamem Lichte geschmückt; und viele andre heilige Brüder lernte er unter ihnen kennen, die er niemals auf Erden gesehen. Nachdem ihn aber St. Franciscus entlassen hatte, kehrte er, wenn auch ungern, in die Welt zurück.

Als er aufwachte und wieder zu sich kam und sich zu besinnen anfing, da läuteten die Brüder zur Prime. So hatte er in diesem Gesichte nicht länger, denn von der Mette bis zur Prime verweilt, ob es ihm gleich gedünkt hatte, als wären viele Jahre vergangen.

Nachdem er dieses Gesicht seinem Guardian in rechter Folge erzählt hatte, begann er innerhalb sieben Tagen zu fiebern. Und am achten Tage kam St. Franciscus zu ihm, wie er es ihm versprochen hatte, mit einer großen Menge glorreicher Heiliger und führte seine Seele in das Reich der Seligen zu ewigem Leben.

 

XXVII. Kapitel

Wie St. Franciscus zu Bologna zwei Scholare bekehrte, und diese Brüder wurden, und wie er den einen von ihnen nachmals von großer Versuchung befreite

Als St. Franciscus einstmals nach der Stadt Bologna kam, lief das ganze Volk der Stadt hin, um ihn zu sehen, und das Gedränge war so groß, daß die Leute nur mit vieler Mühe zum Markte gelangen konnten. Da der ganze Platz mit Männern und Frauen und Scholaren angefüllt war, richtete sich St. Franciscus inmitten der Stätte hoch auf und begann zu predigen, was ihm der Heilige Geist eingab: Und er predigte so wundersam, daß es eher schien, als predige ein Engel, denn ein Mensch, und seine Worte schienen himmlisch, gleich scharfen Pfeilen, so die Herzen derer durchbohrten, die ihm zuhörten; und um seiner Predigt willen bekehrte sich eine große Anzahl Männer und Frauen zur Buße.

Unter ihnen befanden sich auch zwei edelbürtige Studenten aus der Mark Ancona; und der eine hieß Pellegrino, der andere Rinieri: Diese beiden wurden nach jener Predigt von Gottes Eingebung im Herzen erfaßt und kamen zu St. Francisco und sagten ihm, daß sie die Welt verlassen und zu seinen Brüdern gehören wollten. Und St. Franciscus, der durch Offenbarung erkannte, daß diese von Gott gesandt waren und daß sie in dem Orden ein heiliges Leben führen würden, und der ihren großen Eifer sah, nahm sie mit Freuden auf und sprach: »Du, Pellegrino, wandele den Weg der Demut, und du, Bruder Rinieri, diene den Brüdern.« Und so geschah es: denn Bruder Pellegrino wollte sich nie als Gelehrter zeigen, ob er gleich der Wissenschaft sehr kundig war und sehr bewandert im kanonischen Rechte. Mit dieser Demut gelangte er zu großer Vollkommenheit seiner Tugend, so sehr, daß Bruder Bernardo, St. Francisci Erstgeborener, von ihm sagte, daß er einer der vollkommensten Brüder dieser Welt sei. Schließlich ging jener Bruder Pellegrino, der voller Tugend war, aus diesem Leben in das selige Leben, indessen viele Wunder vor seinem Tode geschahen und auch hernach.

Und jener Bruder Rinieri diente fromm und treu den Brüdern, indem er in großer Heiligkeit und Demut lebte; und er wurde sehr vertraut mit St. Francisco, und St. Franciscus eröffnete ihm viele Geheimnisse. Als er darauf zum Minister in der Ordensprovinz der Mark Ancona ernannt war, verwaltete er sie lange Zeit in tiefem Frieden und in Verständigkeit.

Nach einiger Zeit aber ließ Gott eine große Versuchung wider seine Seele zu; und bedrängt und geängstigt plagte er sich darum sehr mit Fasten, mit Bußübungen, mit Tränen und Gebeten, des Tages und des Nachts, und konnte jene Anfechtung doch nicht verscheuchen. Oft aber befand er sich in großer Verzweiflung, denn er glaubte, daß er von Gott verlassen sei.

Da er nun so verzweifelt war, beschloß er endlich, zu St. Francisco zu gehen, wobei er also dachte: »Wird mir St. Franciscus ein gütiges Gesicht zeigen und Freundschaft, wie er es sonst zu tun pflegte, so glaube ich, daß Gott mit mir noch Erbarmen haben wird; wenn aber nicht, so wird es ein Zeichen sein, daß ich von Gott verlassen bin.«

Er bricht also auf und geht zu St. Francisco, der damals schwerkrank im Palaste des Bischofs von Assisi lag; und Gott hatte ihm die ganze Versuchung und Verzweiflung dieses Bruders Rinieri offenbart und sein Vorhaben und sein Kommen: Sofort ruft da St. Franciscus Bruder Leo und Bruder Masseo und sagt ihnen: »Gehet alsbald meinem lieben Sohne, Bruder Rinieri, entgegen und umarmt ihn in meinem Namen und grüßt ihn und sagt ihm, daß vor allen Brüdern, die auf der Welt sind, ich ihn besonders liebe.« Und sie gehen hin und treffen Bruder Rinieri unterwegs und umarmen ihn und sagen ihm, was St. Franciscus ihnen geboten hatte.

Da ward nun seinem Gemüte solche Tröstung und Süßigkeit, daß er beinahe außer sich geriet; und er dankte Gott von ganzem Herzen, ging hin und kam zur Stätte, da St. Franciscus krank lag. Und, obgleich St. Franciscus schwer krank war, stand er auf, als er von Bruder Rinieris Kommen hörte, und ging ihm entgegen und umarmte ihn liebevoll und sprach zu ihm: »Mein lieber Sohn, Bruder Rinieri; vor allen Brüdern, die auf der Welt sind, liebe ich dich, liebe ich dich besonders.« Nach diesen Worten machte er ihm über der Stirn das Zeichen des Kreuzes und küßte ihn auf diese Stelle; dann sprach er zu ihm: »Lieber Sohn, diese Versuchung hat Gott dir zugelassen, damit du großes Verdienst gewinnest. Doch wenn du diesen Gewinn nicht mehr willst, sollst du ihn auch nicht mehr haben.« Und wunderbar! Sobald St. Franciscus diese Worte ausgesprochen hatte, verließ ihn mit einem Male jede Versuchung, als ob er sie nie in seinem Leben gespürt hätte, und er blieb ganz getrost.

 

XXVIII. Kapitel

Von einer Verzückung, die Bruder Bernardo widerfuhr, so daß er neun Stunden lang vom Morgen ab seiner selbst bewußtlos blieb

Wieviel Gnade Gott oft den armen Nachfolgern des Evangelii erwies, so der Welt um Christi Liebe willen entsagten, sieht man an Bruder Bernardo von Quintavalle, der, seitdem er das Gewand St. Francisci trug, oftmals in Gott entzückt wurde, wenn er die himmlischen Dinge betrachtete. Und so geschah es unter anderm, daß er, wie er einst die Messe hörte, und alle seine Sinne auf Gott gerichtet waren, dermaßen sich in Gott versenkte, daß er, wie man den Leib Christi emporhob, nichts davon wahrnahm, auch nicht niederkniete und die Kapuze herunterschob, wie es die andern taten, sondern, ohne mit den Wimpern zu zucken, blickte er stier und blieb empfindungslos vom Morgen ab bis zu der neunten Stunde.

Nach der neunten Stunde kam er aber wieder zu sich und ging durch das Kloster einher und rief dabei mit einer Stimme voller Wunderns: »O ihr Brüder! Ihr Brüder! Ihr Brüder! Keinen Mann gibt es in diesem Lande, und sei er auch noch so groß und edel, dem es nicht ein Leichtes dünkte, einen Sack voll Mist zu schleppen, wenn man ihm einen herrlichen Palast voller Goldes versprochen hätte, auf daß er den so edlen Schatz gewinne.«

Zu jenem himmlischen Schatze, der denen verheißen ist, so Gott lieb haben, strebte Bruder Bernardos Gemüt dermaßen empor, daß er fünfzehn Jahre hindurch unablässig mit gen Himmel erhobenem Sinne und Angesichte einherwandelte. Und in dieser Zeit aß er sich nie bei Tische satt, wenn er auch von dem, was man ihm vorsetzte, ein wenig nahm; denn er sagte, daß der Mensch an dem, wovon er nicht schmecke, keine vollkommene Enthaltsamkeit übe, sondern, daß die wahre Enthaltsamkeit darin bestehe, maßzuhalten in den Dingen, so dem Munde gut schmecken.

Auf diese Weise kam er zu solcher Klarheit und zu solchem Lichte des Verstandes, daß sogar die großen Gelehrten sich an ihn wandten, um die schwierigsten Fragen und heikelsten Stellen der Schrift zu lösen; und er erklärte sie ihnen ohne alle Mühe. Und, da sein Gemüt von den irdischen Dingen ganz losgelöst war, schwebte er in Betrachtungen, einer Schwalbe gleich, viel in den Höhen: So weilte er bisweilen zwanzig Tage und bisweilen dreißig Tage allein auf den Gipfeln der höchsten Berge und betrachtete die himmlischen Dinge. Daher pflegte Bruder Egidio von ihm zu sagen, daß andre Menschen diese Gabe nicht besäßen, die Bruder Bernardo von Quintavalle gegeben war, nämlich gleich den Schwalben sich im Fluge zu nähren. Und wegen dieser besondern Gnade, die er von Gott empfangen, redete St. Franciscus gern und oft mit ihm des Tages und in der Nacht, und so fand man sie auch manches Mal, wie sie die ganze Nacht hindurch zu Gott entzückt gewesen waren, zusammen im Walde, wo sich beide getroffen hatten, um miteinander von Gott zu reden.

 

XXIX. Kapitel

Wie der Teufel in Gestalt des Gekreuzigten mehrere Male Bruder Ruffino erschien und ihm sagte, daß er das Gute, das er tue, umsonst täte, da er doch nicht zu den Auserwählten des ewigen Lebens gehöre. Und wie das St. Franciscus durch Offenbarung Gottes erfuhr und Bruder Ruffino den Irrtum erkennen ließ, an den er geglaubt hatte

Bruder Ruffino, der edelsten einer in der Stadt Assisi und ein Jünger St. Francisci, ein Mann von großer Heiligkeit, wurde eine Zeitlang heftig in seiner Seele wegen der Prädestination versucht. Davon war er ganz trübselig und traurig, denn der Teufel gab ihm in das Herz, daß er verdammt sei und nicht zu denen gehörte, so für das ewige Leben ersehen waren, und daß, was er im Orden tat, umsonst vergeudet würde. Obgleich nun diese Versuchung immer mehr und mehr Tage anhielt, er aber aus Scham sie nicht St. Francisco gestehen wollte, unterließ er es trotzdem nicht, die gewohnten Gebete und Bußübungen zu verrichten. Daher begann ihm der Feind Traurigkeit auf Traurigkeit zu bereiten, indem er ihn zu dem innern Kampfe überdies noch von außen mit trügerischen Erscheinungen anfocht.

So erschien er ihm einmal in Gestalt des Gekreuzigten und sagte ihm: »Bruder Ruffino! Warum bekümmerst du dich mit Büßen und Gebet, da du ja doch nicht zu denen gehörst, die für das ewige Leben bestimmt sind? Und glaube mir, daß ich weiß, wen ich erwählt und vorausbestimmt habe, und glaube nicht dem Sohne Pietro Bernardonis, wenn er dir das Gegenteil sagt, – frage ihn auch nicht danach, – da weder er, noch andere etwas davon wissen, außer mir, der ich Gottes Sohn bin; glaube mir darum gewiß, daß du von der Zahl der Verdammten bist; und der Sohn Pietro Bernardonis, der dein Vater ist, und auch sein Vater sind verdammt, und jeder, so ihnen folgt, ist betrogen.« Und nach diesen Worten begann Bruder Ruffino dermaßen von dem Fürsten der Finsternis verdüstert zu werden, daß ihm schon jeder Glaube und jede Liebe, die er zu St. Francisco hatte, verlorengingen, und er dachte nicht mehr daran, ihm etwas hiervon zu sagen.

Doch was Bruder Ruffino dem heiligen Vater nicht gesagt hatte, das offenbarte ihm der heilige Geist.

Als daher St. Franciscus im Geiste solche Gefahr jenes Bruders sah, schickte er Bruder Masseo nach ihm. Doch Bruder Ruffino entgegnete diesem mürrisch: »Was habe ich mit Bruder Francisco zu schaffen?« Da erkannte Bruder Masseo ganz voll göttlicher Weisheit den Betrug des Teufels und sprach: »O Bruder Ruffino, weißt du denn nicht, daß Bruder Francesco wie ein Engel Gottes ist, er, der in der Welt so viele Seelen erleuchtet hat und von dem wir die Gnade Gottes empfangen haben? Daher möchte ich, daß du jedenfalls mit mir zu ihm kommst; denn ich sehe deutlich, daß du vom Teufel betrogen bist.«

Auf diese Worte hin stand Bruder Ruffino auf und ging zu St. Francisco, und als ihn St. Franciscus von weitem kommen sah, begann er zu rufen: »O Bruder Ruffino, du Armseliger, wem hast du geglaubt!« Und da Bruder Ruffino herangekommen war, erzählte ihm jener die ganze Versuchung, in die ihn der Teufel von innen und von außen geführt hatte; und er zeigte ihm deutlich, daß der, so ihm erschien, der Teufel gewesen war und nicht Christus, und daß er in keinem Falle seinen Einflüsterungen nachgeben dürfte: »Sondern wenn dir der Teufel noch weiter sagen wird: Du bist verdammt! so antworte ihm: Sperre dein Maul auf. Und das wird dir das Zeichen sein, daß jener der Teufel ist und nicht Christus, daß er gleich entfliehen wird, sobald du ihm diese Antwort gibst. Auch daran hättest du den Teufel erkennen müssen, daß er dein Herz gegen alles Gute verhärtete, wie es ganz eigentlich seines Geschäftes ist; doch Christus, der Gebenedeite, verhärtet nie das Herz des gläubigen Menschen, vielmehr, er macht es weich, wie er durch den Mund des Propheten sagt: Ich werde euch euer steinernes Herz nehmen und euch ein fleischernes Herz geben.«

Als da Bruder Ruffino sah, daß ihm St. Franciscus den ganzen Hergang seiner Versuchung der Reihe nach erzählte, ward er durch diese Worte zerknirscht und hub bitterlich zu weinen an und St. Francisco die Ehre zu geben und ihm demütig seine Schuld zu bekennen, daß er jene Anfechtung ihm verheimlicht habe. Und so ward er ganz getrost und gestärkt durch die Ermahnungen des heiligen Vaters und ganz zum Besseren gewandelt. Dann sagte ihm St. Franciscus noch zum Schlusse: »Gehe hin, mein Sohn, beichte und unterlasse nicht die Übung des gewohnten Betens; und wisse bestimmt, daß diese Versuchung dir zu großem Nutzen und Troste dienen wird, denn über kurz wirst du das erfahren.«

Bruder Ruffino kehrt nun zu seiner Zelle in den Wald zurück; und während er unter vielen Tränen betet, siehe, da kommt der Feind, seiner äußeren Erscheinung nach in Christi Gestalt, und sagt ihm: »O Bruder Ruffino! Habe ich dir nicht gesagt, daß du Pietro Bernardonis Sohne nicht glauben sollst und dich nicht mit Tränen und Beten plagen, da du doch verdammt bist? Was hast du davon, dich zu quälen, solange du lebest, und dann, wenn du stirbst, wirst du doch verdammt werden?« Und auf der Stelle entgegnete Bruder Ruffino dem Teufel: »Sperre dein Maul auf, denn jetzt will ich dir hineinscheißen!«

Darüber entrüstete sich der Teufel und fuhr sofort unter solchem Sturme ab und ließ das Gestein des Monte Subasio, der in der Nähe war, dermaßen erbeben, daß von dem Sturze der Felsen, so hinabfielen, ein großer Raum bedeckt wurde; und die Erschütterung, die sie verursachten, war so groß, daß sie bei ihrem Rollen furchtbares Feuer in Funken durch das Tal stieben ließen, und bei dem Gepolter, das sie machten, St. Franciscus mit seinen Jüngern in großem Staunen aus dem Kloster trat, um zu sehen, was da Unerhörtes geschehe. Und heute noch sieht man dort jene gewaltigen Felstrümmer.

Da erkannte Bruder Ruffino ganz gewiß, daß jenes der Teufel gewesen war, der ihn betrogen hatte. Und er kehrte wieder zu St. Francisco, warf sich vor ihm zur Erde und bekannte sich nochmals schuldig.

St. Franciscus aber ermutigte ihn mit freundlichen Worten und schickte ihn ganz getrost nach seiner Zelle zurück. Dort befand er sich in andächtigem Gebete, als ihm der gebenedeite Christ erschien und ihm die ganze Seele von göttlicher Liebe erwärmte und ihm sagte: »Gut tatest du, mein Sohn, daß du St. Francisco geglaubt hast, denn, der dich betrübt hat, war der Teufel; aber ich bin Christus, dein Meister; und damit du ganz sicher seist, gebe ich dir dieses Zeichen: Solange du lebst, wirst du nie eine Traurigkeit spüren noch Trübseligkeit.« Nach diesen Worten verschwand Christus und ließ ihn zurück in solcher Heiterkeit und Süße des Geistes und so erhobenen Sinnes, daß er den Tag und die Nacht in Gott versunken und entzückt blieb.

Von nun an ward er der Gnade so gewiß und der Sicherheit seines Heiles, daß er zu einem ganz andern Menschen gewandelt wurde. Und er hätte die Tage und die Nächte betend im Anschauen der göttlichen Dinge verbracht, wenn nur die andern ihn hätten gewähren lassen. Daher pflegte St. Franciscus von ihm zu sagen, daß Bruder Ruffino in diesem Leben von Christo heilig gesprochen sei, und daß er, in Abwesenheit jenes wie vor ihm, sich nicht scheuen würde, ihn »St. Rufinum« zu nennen, ob er gleich noch auf Erden lebte.

 

XXX. Kapitel

Von der schönen Predigt, die St. Franciscus und Bruder Ruffino in Assisi hielten

Genannter Bruder Ruffino hatte sich durch unablässige Beschaulichkeit also in Gott versenkt, daß er fast empfindungslos geworden war und stumm und äußerst selten sprach, dazu besaß er weder die Gabe, noch den Mut, noch die Fruchtbarkeit, zu predigen. Nichtsdestoweniger hieß ihn eines Tages St. Franciscus nach Assisi gehen und dem Volke predigen, was Gott ihm eingab. Hierauf erwiderte Bruder Ruffino: »Ehrwürdiger Vater, ich bitte dich, entschuldige mich und schicke mich nicht hin; denn wie du weißt, habe ich nicht die Gabe zu predigen und bin einfältig und unwissend.« Da sprach St. Franciscus: »Weil du nicht sogleich gehorcht hast, befehle ich dir bei dem heiligen Gehorsam, in bloßen Hosen nach Assisi zu gehen und in eine Kirche zu treten und dem Volke zu predigen.« Auf diesen Befehl zieht sich jener Bruder Ruffino aus und geht nach Assisi und tritt in eine Kirche; und nachdem er sich vor dem Altare verneigt hatte, bestieg er die Kanzel und fing an zu predigen. Darüber begannen die Kinder und die Leute zu lachen und sagten: »Sehet doch, diese da treiben so viel Buße, daß sie davon dumm werden und nicht mehr bei Troste sind.«

Unterdessen gedachte St. Franciscus des willigen Gehorsams von Bruder Ruffino, der doch zu den edelsten Männern von Assisi gehörte, und des harten Gebotes, das er ihm gegeben hatte, und er begann, sich Vorwürfe zu machen und sagte: »Woher kommt dir solche Vermessenheit, Sohn Pietro Bernardonis, du armseliges Menschenkind, daß du Bruder Ruffino, der zu den edelsten Männern von Assisi gehört, hingehen heißest, damit er dem Volke gleich einem Blöden predige! Bei Gott, versuche an dir selbst, was du andern befiehlst.« Und auf der Stelle zieht er im Eifer des Geistes sich in gleicher Weise aus und geht nach Assisi und nimmt Bruder Leo mit sich, damit er seinen Rock und den von Bruder Ruffino trage.

Und als die Leute von Assisi ihn gleichfalls in diesem Aufzuge sahen, verspotteten sie ihn, denn sie glaubten, daß er und Bruder Ruffino vor zuviel Buße verrückt geworden waren.

St. Franciscus tritt nun in die Kirche, wo Bruder Ruffino diese Worte redete: »Ihr Lieben, fliehet die Welt und laßt von der Sünde; gebt fremdes Gut zurück, falls ihr der Hölle zu entgehen gedenkt; haltet die Gebote Gottes, indem ihr Gott und den Nächsten liebet, wenn ihr zum Himmel eingehen wollt; tut Buße, wenn ihr das Himmelreich besitzen wollt.« Da steigt St. Franciscus auf die Kanzel: Und er hub an, so wunderbar zu predigen über die Verachtung der Welt, über die heilige Buße, über die freiwillige Armut und über das Sehnen des Himmelreiches und über die Nacktheit und Schmach des Leidens unseres Herrn Jesu Christi, daß alle die, so der Predigt beiwohnten, Männer und Frauen in großer Zahl, heftig zu weinen begannen in wundersamer Andacht und Zerknirschung des Herzens; und nicht allein dort, sondern in ganz Assisi herrschte an dem Tage solches Klagen über die Passion Christi, wie niemals ein gleiches stattgefunden hatte.

Nachdem nun das Volk also durch das Tun St. Francisci und des Bruders Ruffino erbaut und erfreut worden war, zog St. Franciscus sich und Bruder Ruffino wieder an. Und also kehrten sie, wieder bekleidet, nach dem Kloster der Portiuncula zurück, indessen sie Gott lobten und priesen, der ihnen die Gnade verliehen hatte, sich selbst durch eigene Verachtung zu besiegen und die Lämmer Christi mit gutem Beispiele zu erbauen und ihnen darzutun, wieviel es wert sei, die Welt gering zu achten. Und an jenem Tage wuchs die Verehrung zu ihnen derart, daß sich glücklich schätzte, wer ihnen den Saum des Kleides berühren konnte.

 

XXXI. Kapitel

Wie St. Franciscus ganz genau die Heimlichkeiten der Gewissen von all seinen Ordensbrüdern kannte

Gleichwie unser Herr Jesus Christus in dem Evangelio sagt: »Ich kenne meine Schafe, und sie kennen mich«, usw., also wußte auch der heilige Vater, St. Franciscus, als guter Hirte alle Verdienste und Gaben seiner Jünger durch göttliche Offenbarung und kannte ebenso ihre Fehler. Deshalb verstand er es auch, allen mit den besten Mitteln beizustehen, d. h., indem er die Stolzen demütigte, die Demütigen hob, die Laster schalt und die Tugenden lobte, wie man es aus jenen wundersamen Offenbarungen liest, die ihm über seine früheste Gefolgschaft zuteil wurden.

Unter anderm traf es sich einmal, daß St. Franciscus mit jener Gefolgschaft sich an einer Stätte befand im Gespräche von Gott, und daß Bruder Ruffino nicht mit ihnen an diesem Gespräche teilnahm, sondern sich im Walde der Beschaulichkeit ergeben hatte. Wie sie nun über Gott immer weiter redeten, siehe, da trat Bruder Ruffino aus dem Walde heraus und ging in einiger Entfernung an ihnen vorüber. Als ihn St. Franciscus erblickte, wandte er sich zu denen, so mit ihm waren, und fragte sie: »Sagt mir, welche Seele, glaubt ihr, ist die heiligste Seele, die Gott in dieser Welt hat?« Und jene antworteten und sprachen, sie glaubten, daß es die seinige wäre. Doch St. Franciscus sagte ihnen: »Liebe Brüder, ich weiß, daß ich der unwürdigste und niedrigste Mensch bin, den Gott auf dieser Welt hat; aber sehet ihr jenen Bruder Ruffino, der eben aus dem Walde kommt: Gott hat mir offenbart, daß seine Seele eine der drei heiligsten der Welt ist; und ich sage euch gewiß, daß ich mich nicht besinnen würde, ihn bei Lebzeiten St. Ruffinum zu nennen, da seine Seele in der Gnade bestätigt ist und von unserem Herrn Jesu Christo im Himmel geheiligt und kanonisieret.« Doch diese Worte pflegte St. Franciscus niemals in Gegenwart des genannten Bruder Ruffino zu sagen.

Daß St. Franciscus ebenso die Fehler seiner Ordensbrüder kannte, sieht man deutlich an Bruder Elia, den er oft wegen seines Dünkels schalt, und an Bruder Giovanni della Cappella, dem er voraussagte, daß er sich selbst an seinem Halse aufhängen würde; und an jenem Bruder, dem der Teufel die Kehle zuschnürte, und an vielen andern Brüdern, deren heimliche Fehler und Tugenden er durch Christi Offenbarung deutlich kannte.

 

XXXII. Kapitel

Wie Bruder Masseo von Christo die Gabe seiner Demut erwarb

Die ersten Jünger St. Francisci bemühten sich mit allen Kräften, arm zu sein an irdischen Gütern und reich an Gaben, durch die man zu den wahren und himmlischen Gütern gelangt. Da geschah es eines Tages, daß, wie sie beisammen waren und von Gott redeten, einer von ihnen dieses Beispiel erzählte: »Und es gab einen, der ein großer Freund Gottes war und hoch begnadet im tätigen und im schauenden Leben, und zugleich damit besaß er so außerordentliche Demut, daß er sich für einen großen Sünder hielt; diese Demut heiligte ihn und bestätigte ihn in der Gnade und ließ ihn fortwährend an Tugenden und Gaben Gottes zunehmen und bewahrte ihn davor, jemals in Sünden zu fallen.«

Als Bruder Masseo so wunderbare Dinge von der Demut hörte und erkannte, daß sie ein Schatz des ewigen Lebens sei, begann er also von Liebe und Sehnsucht nach dieser Kraft entflammt zu werden, daß er in großer Inbrunst sein Antlitz gen Himmel hob und sich fest vornahm und ein Gelübde tat, sich niemals mehr in diesem Leben zu freuen, bis daß er nicht ganz sicher diese Kraft in seiner Seele verspürte. Seitdem hielt er sich fast unausgesetzt in seiner Zelle eingeschlossen und kasteite sich mit Fasten, Wachen, Beten und vielem Weinen vor Gott, um von ihm jene Kraft zu erlangen, ohne die er sich der Hölle wert glaubte, und mit der jener Freund Gottes, von dem er gehört hatte, also begabt gewesen war.

Da sich Bruder Masseo viele Tage lang bloß hiernach gesehnt hatte, geschah es, daß er einmal in den Wald trat und in der Brunst des Geistes Tränen vergoß und seufzte und klagte und voller heißen Begehrens Gott um diese Gabe flehte. Und weil Gott gern die Bitten der Demütigen hört, so da zerknirscht sind, tönte eine Stimme vom Himmel, während Bruder Masseo also dastand, die ihm zweimal rief: »Bruder Masseo, Bruder Masseo!« Er aber erkannte im Geiste, daß dieses Christi Stimme war, und antwortete: »Mein Herr!« Und Christus sagte ihm: »Was willst du dafür geben, die Gnade zu erlangen, um die du bittest?« Antwortete Bruder Masseo: »Herr, ich möchte die Augen aus meinem Angesichte geben.« Und Christus sagte ihm: »Ich aber will, daß du jene Gnade haben sollst und auch die Augen.« Nach diesen Worten ward es stille.

Doch Bruder Masseo blieb erfüllt und so begnadet mit der ersehnten Gabe der Demut und des Lichtes Gottes, daß er seitdem in unablässigem Jubel lebte; und oftmals, wenn er betete, jubelte er in einem dumpfen Tone gleich einem Täuberich: »U. U. U.« Also pflog er der Beschaulichkeit mit heiterem Antlitz und freudigen Herzens, und da er zugleich höchst demütig geworden war, achtete er sich geringer denn alle Menschen der Welt.

Als er einst von Bruder Jacopo von Fallerone gefragt wurde, warum er nie seines Jubels Weise ändere, antwortete er in großer Glückseligkeit, daß, wenn man in einem alles Gute fände, es nicht nötig sei, die Weise zu ändern.

 

XXXIII. Kapitel

Wie St. Clara auf Befehl des Papstes das Brot segnete, das auf der Tafel stand, und wie davon auf jedem Brote das Zeichen des heiligen Kreuzes erschien

St. Clara, die ergebene Jüngerin des Kreuzes Christi und edele Pflanze St. Francisci, war von solcher Heiligkeit, daß nicht allein Bischöfe und Kardinäle, sondern auch selbst der Papst von ganzem Herzen sie zu sehen und zu hören begehrten, und dieser auch oft in Person sie besuchte.

Unter anderm begab sich einmal der heilige Vater zu ihr in das Kloster, um sie von den himmlischen und göttlichen Dingen reden zu hören. Und während sie also beisammen waren und von verschiedenem redeten, ließ unterdessen St. Clara den Tisch decken und das Brot darauf stellen, damit es der heilige Vater segnete. Nachdem sie nun ihr geistliches Gespräch beendet hatten, kniet St. Clara mit großer Ehrfurcht nieder und bittet ihn, er möge das Brot, so auf der Tafel stand, segnen wollen. Antwortet der heilige Vater: »Allergläubigste Schwester Clara, ich wünsche, daß du diese Brote segnest und über ihnen das Zeichen des Kreuzes Christi machest, dem du dich ganz ergeben hast.« St. Clara spricht: »Heiligster Vater, verzeiht! Ich würde allzugroßen Tadels wert sein, wenn ich, die ich ein niedriges Jüngferlein bin, mich vor Christi Statthalter anmaßen sollte, dergleichen Segen zu sprechen.« Und der Papst antwortet: »Auf daß dieses nicht für Anmaßung geachtet werde, befehle ich dir bei dem heiligen Gehorsam, über diesen Broten das Zeichen des Kreuzes zu machen und sie in Gottes Namen zu segnen.« Da segnete St. Clara als wahrhaftige Tochter des Gehorsams in Ergebenheit diese Brote mit dem Zeichen des Kreuzes. Und wunderbar! Alsbald erschien das Zeichen des Kreuzes auf allen diesen Broten schön eingeschnitten. Danach wurden von jenen Broten etliche gegessen, etliche aber des Wunders halber aufgehoben. Und der heilige Vater nahm, als er dieses Wunder gesehen, von diesem Brote, dankte Gott und ging fort und ließ St. Clara zurück mit seinem Segen.

Zu jener Zeit lebten in dem Kloster Schwester Ortolana, St. Claras Mutter, und Schwester Agnese, ihre leibliche Schwester, die beide zusammen mit St. Clara voller Tugend und heiligen Geistes waren, und mit ihnen viele andre Nonnen. Zu ihnen schickte St. Franciscus viele Kranke; sie aber gaben allen die Gesundheit wieder mit ihrem Gebete und mit dem Zeichen des Kreuzes.

 

XXXIV. Kapitel

Wie St. Ludwig, der König von Frankreich, in eigener Person und in Gestalt eines Pilgers nach Perugia kam, um den heiligen Bruder Egidio heimzusuchen

St. Ludwig, der König von Frankreich, zog aus zu wallfahrten, auf daß er die heiligen Stätten der Welt besuchte. Und da er den großen Ruhm der Heiligkeit von Bruder Egidio vernahm, der unter den ersten Jüngern St. Francisci gewesen war, nahm er es sich in seinem Herzen vor und beschloß, ihn in Person heimzusuchen; zu dem Ende kam er nach Perugia, wo genannter Bruder Egidio damals wohnte. Und als er an die Pforte kam der Stätte, da die Brüder wohnten, gleich einem armen Pilger und unerkannt, mit wenigen Gefährten, fragte er in großem Drange nach Bruder Egidio und sagte dem Pförtner, den er darum fragte, nicht, wer er sei.

Geht nun der Pförtner zu Bruder Egidio und sagt, daß an der Pforte ein Pilger stehe, der seiner begehre. Und von Gott ward diesem eingegeben und geoffenbart, daß jenes der König von Frankreich sei: Daher geht er sofort in großem Eifer aus der Zelle und läuft an die Pforte. Und ohne nach anderm zu fragen, oder daß sie sich jemals gesehen hätten, knieten sie in großer Ehrfurcht nieder und umarmten sich und küßten sich mit solcher Vertrautheit, als hätten sie lange Zeit miteinander große Freundschaft gehalten. Doch während dieser ganzen Zeit sprach weder der eine, noch der andre, sondern sie hielten einander also in den Armen mit jenen Zeichen inniger Liebe und schwiegen. Und nachdem sie geraume Zeit also verblieben waren, ohne sich ein Wort zu sagen, schieden sie voneinander; und St. Ludwig zog weiter auf seine Wallfahrt, und Bruder Egidio kehrte in seine Zelle.

Da der König fortging, fragte ein Bruder jemanden, so mit ihm gekommen, wer das gewesen sei, der so lange mit Bruder Egidio in Umarmung gelegen hätte. Und jener antwortete, es sei Ludwig gewesen, der König von Frankreich, der gekommen war, Bruder Egidio zu sehen. Wie das nun jener den andern Brüdern gesagt hatte, ward es ihnen zu großer Betrübnis, daß Bruder Egidio zu ihm kein Wort gesprochen, und es tat ihnen darum leid, und sie sagten ihm: »O Bruder Egidio, weshalb warst du von so unhöfischer Art, daß einem so heiligen Könige, der von Frankreich herkam, um dich zu sehen und gute Rede von dir zu hören, du vielmehr gar nichts gesagt hast.« Antwortete Bruder Egidio: »Liebe Brüder, nehmt euch des nicht wunder! Darum vermochte weder ich ihm, noch er mir ein Wort zu sagen, weil alsbald, da wir einander umfaßt hatten, das Licht der Weisheit mir sein Herz entdeckte und offenbarte, und ihm das meine. Und da wir so durch Gottes Werk einander in die Herzen schauten, erkannten wir das, was ich ihm sagen wollte und er mir, viel besser, als wenn wir mit dem Munde geredet hätten, und mit größerer Freudigkeit des Trostes, als wenn wir mit Worten einander hätten künden wollen, was wir im Herzen fühlten. Wegen der Unvollkommenheit der menschlichen Sprache, die nicht in Klarheit Gottes verborgene Geheimnisse auszudrücken vermag, hätte uns dieses eher zur Kümmernis gereicht denn zur Freudigkeit des Trostes. Und darum wisset, daß der König von mir schied in wunderbarer Zufriedenheit und getrost in seiner Seele.«

 

XXXV. Kapitel

Wie St. Clara, da sie krank war, auf wundersame Art in der Weihnacht zur Kirche von St. Franciscus getragen wurde und dort den Gottesdienst hörte

Als St. Clara einstmals schwer krank war, konnte sie nicht mit den andern Nonnen in die Kirche gehen, um die Stunden zu beten. Da nun das Fest der Weihnacht kam, gingen alle andern zur Mette; sie aber blieb im Bette, wenig damit zufrieden, daß sie nicht mit hingehen konnte und sich an jener geistlichen Tröstung erfreuen. Doch Jesus Christus, ihr Bräutigam, wollte sie nicht also ungetröstet lassen und ließ sie auf wundersame Art nach der Kirche von St. Franciscus bringen und der ganzen Mette und dem Morgengottesdienste beiwohnen; zudem ließ er sie das heilige Abendmahl empfangen und sie dann wieder auf ihr Lager zurücktragen.

Als die Nonnen, nachdem der Gottesdienst in San Damiano beendet war, zu St. Clara wiederkamen, sagten sie ihr: »O du unsre Mutter, Schwester Clara! Wollte Gott, ihr wäret mit uns gewesen!« Und St. Clara entgegnete: »Dank und Preis gebe ich unserm Herrn Jesu Christo, dem Gebenedeiten, ihr meine Schwestern und lieben Töchter! Denn an jeglicher Feier in dieser hochheiligen Nacht habe ich teilgenommen und an größerer, denn welcher ihr beiwohntet, und meine Seele hat viel Trost empfangen. Denn durch Mittlerschaft St. Francisci, meines Vaters, und die Gnade unsers Herren Jesu Christi war ich in der Kirche meines ehrwürdigen Vaters, St. Francisci, und habe mit meinen leiblichen und geistigen Ohren den ganzen Gottesdienst gehört und das Orgelspiel, so dort erklang; dort auch habe ich das heilige Abendmahl genommen. Darum freuet euch über solche Gnade, die mir widerfahren ist, und danket unserm Herren Jesu Christo.«

 

XXXVI. Kapitel

Wie St. Franciscus Bruder Leo ein schönes Gesicht deutete, das er geschaut hatte

Einstmals, da St. Franciscus schwer krank war, und Bruder Leo ihm diente, wurde jener Bruder Leo, wie er nahe bei St. Francisco betete, verzückt und im Geiste an einen mächtigen, breiten und reißenden Strom geführt. Und als er dastand und denen zusah, die hinübergingen, gewahrte er, wie einige Brüder, die Lasten trugen, in den Fluß traten; und sie wurden alsbald von des Stromes Ungestüm hinabgerissen und ertranken; einige andre gelangten bis zu einem Dritteil des Stromes, einige bis in die Mitte, einige bis nahe an das Ufer: sie alle aber sanken schließlich um von der Gewalt des Stromes und von den Lasten, die sie auf dem Rücken trugen, und ertranken.

Als das Bruder Leo sah, empfand er großes Mitleid mit ihnen, und wie er so dastand, siehe, da kommt eine große Schar von Brüdern ohne jede Last oder Bürde an irgendeinem Dinge, und es lag auf ihnen der Glanz der heiligen Armut. Und sie schritten in den Fluß und gingen ungefährdet an das andre Ufer. Wie Bruder Leo das gesehen hatte, kam er wieder zu sich.

Da merkte St. Franciscus im Geiste, daß Bruder Leo irgendein Gesicht geschaut hatte, und er rief ihn heran und fragte ihn nach dem, was er gesehen. Und als ihm Bruder Leo das ganze Gesicht in rechter Folge hergesagt hatte, sprach St. Franciscus: »Was du geschaut, ist wahr: Der große Strom ist diese Welt; die Brüder, so in dem Strom ertranken, sind diejenigen, die nicht den Gelübden nach dem Evangelio folgen und besonders nicht dem der allerhöchsten Armut. Doch die, so ungefährdet durchgingen, sind die Brüder, die nach keinem irdischen Dinge, noch nach einem fleischlichen trachten, noch solches in dieser Welt besitzen; sondern, wenn sie nur ihren mäßigen Unterhalt und Kleidung haben, sind sie zufrieden und folgen Christo ans Kreuz, der da nackt war. Und die Bürde und das liebliche Joch Jesu Christi und des heiligen Gehorsams tragen sie heiter und gern; darum gehen sie leicht aus dem zeitlichen Leben in das ewige Leben.«

 

XXXVII. Kapitel

Wie Jesus Christus, der Gebenedeite, auf St. Francisci Bitten einen Reichen und edelen Ritter sich bekehren und zum Ordensbruder werden ließ, welcher Ritter St. Francisco viel Ehre bezeugt und große Freigebigkeit angeboten hatte

St. Franciscus, der Knecht Christi, kam eines Abends spät in das Haus eines großen und mächtigen Edelen und ward von ihm zur Nacht aufgenommen – er und sein Gefährte –, mit großer Höflichkeit und Ehrfurcht, wie Engel Gottes. Darum gewann ihn St. Franciscus sehr lieb; denn er gedachte, daß jener ihn, wie er in sein Haus trat, umarmt und freundschaftlich geküßt hatte und ihm dann die Füße gewaschen und getrocknet und demütig geküßt und ein großes Feuer angezündet und eine Tafel mit viel guten Speisen hergerichtet; und daß er während des Mahles ihn frohen Angesichtes unermüdlich bediente. Als nun St. Franciscus und sein Gefährte gegessen hatten, sprach dieser Edele: »Hier, mein Vater, stelle ich mich und mein Vermögen Euch zur Verfügung; so oft Ihr eines Rockes bedürft oder eines Mantels oder irgendeiner Sache, so kauft sie, und ich werde es Euch bezahlen. Und sehet, daß ich bereit bin, Euch mit allem zu versehen, was not tut, weil ich das durch die Gnade Gottes vermag, sintemalen ich an jedem zeitlichen Gute Überfluß habe; denn aus Liebe zu Gott, der es mir gegeben, tue ich gern seinen Armen wohl.«

Da St. Franciscus an ihm solche Höflichkeit wahrnahm und so viel Liebe und seines freigebigen Erbietens gedachte, faßte er solche Zuneigung zu ihm, daß er unterwegs beim Fortgehen seinem Gefährten sagte: »Wahrhaftig, dieser Edelmann wäre gut für unsern Orden und als unser Geselle. Denn er ist so dankbar und erkenntlich gegen Gott und so liebevoll und höflich gegen seinen Nächsten und die Armen. Wisse, liebster Bruder, daß die Höflichkeit eine Eigenschaft Gottes ist, der seinen Sonnenschein und Regen Gerechten und Ungerechten gibt aus Höflichkeit. Und die Höflichkeit ist die Schwester der Liebe, da sie den Haß auslöscht und die Liebe erhält. Weil ich in diesem Manne solch göttliche Gabe erkannt habe, wünsche ich ihn mir gern zum Genossen. Und darum möchte ich, daß wir eines Tages zu ihm wiederkehren; ob Gott ihm nicht vielleicht das Herz rührt, damit er sich uns im Dienste Gottes geselle. Unterdessen aber werden wir Gott darum bitten, er möge ihm das Sehnen hiernach in das Herz geben und ihm die Gnade gewähren, daß er es verwirkliche.«

Und wunderbar! – Wenige Tage später, nachdem St. Franciscus also gebetet hatte, ward dem Edelen von Gott dieses Sehnen in das Herz gegeben. Und St. Franciscus sprach zu seinem Gefährten: »Mein Bruder, laßt uns zu des höflichen Mannes Sitze gehen: denn ich habe feste Hoffnung in Gott, daß jener mit derselben Höflichkeit wie seine weltlichen Güter sich selbst uns darbieten wird und unser Genosse werden.«

Sie gingen also hin. Und, wie sie nahe an sein Haus kamen, sprach St. Franciscus zu seinem Gefährten: »Warte ein wenig auf mich, denn ich will erst zu Gott beten, daß er unsern Weg mit Gelingen segne und, daß es ihm gefallen möge, die edle Beute, die wir der Welt zu entreißen gedenken, uns Armen und Schwachen kraft seiner heiligen Passion zu gönnen.« Nachdem er das gesagt hatte, fing er so zu beten an, daß er von jenem höflichen Manne gesehen werden konnte; und, da es Gott so gefiel, erblickte jener, wie er gerade hin und her schaute, St. Franciscum in andächtigem Gebete vor Christo, der ihm in großer Klarheit bei diesem Gebete erschienen war und vor ihm stand. Und er sah, daß St. Franciscus dabei ein gutes Stück von der Erde körperlich emporgehoben schwebte. Hierdurch ward er von Gott so sehr ergriffen und davon erfüllt, die Welt zu verlassen, daß er alsbald aus seinem Schlosse ging und in der Brunst des Geistes zu St. Francisco lief. Als er aber ihn, der da betete, eingeholt hatte, kniete er zu seinen Füßen nieder und bat ihn recht dringend und ehrerbietig, er möge ihn doch aufnehmen und mit sich büßen lassen.

Wie St. Franciscus nun sah, daß sein Gebet von Gott erhört war und, daß jener Edele recht dringend darum bat, wonach er begehrte, erhebt er sich, und in der Freude und Inbrunst des Geistes umarmt er und küßt ihn und dankt voller Andacht Gott, der einen solchen Ritter in seinen Orden hatte treten lassen. Und jener Edele sprach zu St. Francisco: »Was befiehlst du, daß ich tun soll, mein Vater? Siehe, ich bin bereit zu deinen Geboten und, was ich besitze, den Armen zu geben und mit dir Christo zu folgen, ledig somit jedes zeitlichen Dinges.« Und also tat er, daß er nach dem Rate St. Francisci das Seinige unter die Armen verteilte und in den Orden trat und in großer Buße und Heiligkeit des Lebens einen rühmlichen Wandel führte.

 

XXXVIII. Kapitel

Wie St. Franciscus im Geiste erkannte, daß Bruder Elia verdammt war und außerhalb des Ordens sterben sollte; und wie er deshalb auf Bruder Elias Bitten Christum für ihn bat und erhört wurde

Als St. Franciscus und Bruder Elia einst in dem nämlichen Kloster beisammen wohnten, wurde St. Francisco von Gott offenbart, daß Bruder Elia verdammt war und von dem Orden abfallen und zuletzt außerhalb des Ordens sterben sollte. Aus diesem Grunde faßte St. Franciscus einen solchen Widerwillen gegen ihn, daß er mit ihm weder redete noch verkehrte; und wenn es sich bisweilen so traf, daß Bruder Elia ihm entgegenkam, machte er einen Bogen und ging auf die andre Seite, damit er ihm nicht begegnete. Daran fing Bruder Elia zu merken an und zu verstehen, daß St. Franciscus einen Widerwillen gegen ihn hegte; und weil er davon den Grund erfahren wollte, gesellte er sich eines Tages zu St. Francisco, um ihn zu sprechen, und, da St. Franciscus auswich, hielt er ihn in aller Höflichkeit mit Gewalt zurück und begann ihn bescheiden darum zu bitten, er möge ihm doch die Ursache dessen sagen, warum er seine Gesellschaft und das Reden mit ihm meide.

St. Franciscus antwortete ihm: »Das ist der Grund: daß mir von Gott offenbart worden ist, daß du wegen deiner Sünden von dem Orden abfallen und außerhalb des Ordens sterben wirst; auch hat mir Gott offenbart, daß du verdammt bist.« Als Bruder Elia das hörte, sprach er: »Mein ehrwürdiger Vater, ich bitte dich um Jesu Christi Liebe willen, daß du mich deshalb nicht meidest, noch mich von dir jagest; sondern, daß du als guter Hirte nach Christi Beispiel das Schaf auffindest und zu dir nehmest, das verlorengeht, wo du ihm nicht hilfst; und, daß du Gott für mich bittest, den Spruch meiner Verdammnis zurückzunehmen, wenn das möglich ist. Denn es stehet geschrieben, daß Gott seinen Spruch ändert, wenn der Sünder sein Vergehen sühnet, und ich habe großes Vertrauen zu deinen Gebeten, so daß ich auch mitten in der Hölle ein wenig Kühlung spüren würde, wenn du für mich beten solltest. Darum bitte ich dich abermals, mich Sünder Gott zu befehlen, der gekommen ist, die Sünder zu erlösen, auf daß er mich in sein Erbarmen aufnehme.«

Dieses sagte Bruder Elia höchst ehrerbietig und in Tränen; daher versprach ihm St. Franciscus als mitleidiger Vater, Gott für ihn zu bitten; und er tat also. Und, da er Gott in höchster Andacht für ihn bat, vernahm er durch Offenbarung, daß sein Gebet erhört war, soweit es den Spruch von Bruder Elias Verdammnis anging, – nämlich, daß seine Seele schließlich nicht verdammt werden sollte, aber, daß er gewiß aus dem Orden treten und außerhalb des Ordens sterben würde. Und so geschah es: Denn, als Friedrich, der König von Sizilien, gegen die Kirche aufstand und von dem Papste in den Bann getan wurde – er, oder wer ihm mit Rat oder Tat beistand –, da wurde jener Bruder Elia, der für einen der weisesten Männer der Welt galt, von dem genannten Könige Friedrich eingeladen und schloß sich diesem an und ward zum Aufständischen an der Kirche und fiel von dem Orden ab. Darum wurde er von dem Papste in den Bann getan und das Kleid St. Francisci von ihm genommen.

Da er so in dem Banne war und schwer erkrankte, und von dieser Krankheit einer seiner leiblichen Brüder hörte – ein Laienbruder, so dem Orden treu geblieben und ein Mann von gutem und ehrsamem Wandel –, ging er hin, ihn zu besuchen und sagte ihm unter andern Dingen: »Mein lieber Bruder, es schmerzt mich sehr, daß du in dem Banne und außerhalb deines Ordens bist und also sterben mußt; aber, solltest du einen Weg oder ein Mittel sehen, durch das ich dich aus dieser Gefahr reißen könnte, so würde ich jegliche Mühe gern für dich tragen.« Antwortet Bruder Elia: »Mein Bruder, ich sehe kein anderes Mittel, als daß du zum Papste gehest; und bitte ihn bei der Liebe Gottes und St. Francisci, seines Knechtes, um dessen Lehren willen ich die Welt verlassen habe, daß er mich von seinem Banne löse und mir das Kleid des Ordens wiedergebe.« Jener, sein Bruder, sagte, daß er für sein Heil sich gern dieser Mühe unterziehen werde. Und er ging von ihm und warf sich dem Papste zu Füßen und bat ihn demütig, seinem Bruder um Christi Liebe willen und St. Francisci, seines Knechtes, Gnade zu erweisen. Da es Gott nun also gefiel, erlaubte ihm der Papst, zurückzukehren und Bruder Elia in seinem Namen von dem Banne zu lösen, falls er ihn noch am Leben finden sollte, und ihm das Ordenskleid wiederzugeben. Froh darüber entfernte sich jener und kehrte mit großer Eile zu Bruder Elia wieder und findet ihn lebend, jedoch fast auf dem Tode, und er löste ihn von dem Banne. Während er ihm aber das Ordenskleid wieder reichte, schied Bruder Elia aus diesem Leben, und seine Seele ward gerettet durch das Verdienst St. Francisci und sein Gebet, auf das Bruder Elia so große Hoffnung gesetzt hatte.

 

XXXIX. Kapitel

Von der wunderbaren Predigt, die St. Antonius von Padua, ein Ordensbruder, vor dem Consistorio hielt

Das wunderbare Gefäß des heiligen Geistes, St. Antonius von Padua, einer der erlesenen Jünger und Gefährten St. Francisci, den St. Franciscus seinen Statthalter zu nennen pflegte, predigte einst im Consistorio vor dem Papste und den Kardinälen. An diesem Consistorio nahmen viele Männer teil aus verschiedenen Völkern; nämlich aus dem Griechischen, dem Lateinischen, dem Französischen, dem Deutschen, und Slavonen und Engelländer und verschiedene andere Zungen der Welt. Entflammt von dem heiligen Geiste, legte er Gottes Wort so eindringlich aus, so andächtig, so fein, so süß, so klar und so verständlich, daß alle, die jenem Consistorio beiwohnten, ob sie wohl auch verschiedenen Zungen angehörten, ganz deutlich alle seine Worte verstanden, wie wenn er in der Sprache eines jeden von ihnen geredet hätte. Und alle waren erstaunt, und es schien, als hätte sich wieder jenes alte Pfingstwunder von den Aposteln erneut, die vermöge des heiligen Geistes Kraft in jeder Zunge redeten. Und sie sprachen zueinander voller Wunderns: »Ist nicht der, so da predigt, von Spanien? Und wie hören wir denn in seiner Rede alle die Sprache unserer Heimat?« Desgleichen sagte auch der Papst, da er die Tiefe seiner Worte betrachtete und darüber staunte: »Wahrlich, dieser ist die Bundeslade und der Heiligen Schrift Behältnis.«

 

XL. Kapitel

Von dem Wunder, das Gott tat, wie St. Antonius, da er in Rimini war, den Fischen des Meeres predigte

Da Christus, der Gebenedeite, die große Heiligkeit seines allertreuesten Knechtes, St. Antonii, kundzutun gedachte, mit welcher Andacht man auch seiner Predigt und seiner heiligen Lehre zuhören sollte, beschämte er unter anderm einstmals durch die unvernünftigen Tiere – die Fische nämlich – der ungläubigen Ketzer Torheit, so wie er vor Zeiten im Alten Testamente durch den Mund der Eselin Bileams Unwissenheit beschämt hatte.

Als nämlich St. Antonius einmal in Rimini war, wo es eine große Menge von Ketzern gab, und er sie zum Lichte des wahren Glaubens und zu der Tugend Pfade zurückführen wollte, predigte er ihnen mehrere Tage lang und disputierte über den Glauben Christi und die Heilige Schrift. Da sie jedoch sich nicht bloß dagegen sträubten, seinen heiligen Reden zu folgen, sondern als Verhärtete und Verstockte ihn nicht einmal hören wollten, ging St. Antonius eines Tages auf Gottes Geheiß an das Ufer des Flusses, nahe dem Meere, und als er dort zwischen Meer und Flusse stand, begann er nach Art einer Predigt in Gottes Namen den Fischen zu sagen: »Höret das Wort Gottes, ihr Fische des Meeres und des Flusses, da die ungläubigen Ketzer es nicht hören wollen.« Und, da er also gesprochen hatte, kam alsbald an das Ufer zu ihm eine solche Menge von Fischen, großen, kleinen und mittelgroßen, daß ihrer niemals, weder in diesem Meere noch in diesem Flusse, eine so große Schar gesehen worden ist: Und alle hielten ihre Köpfe aus dem Wasser, alle merkten auf das Antlitz St. Antonii, alle in größtem Frieden, Sanftmut und Ordnung; denn an dem Ufer und mehr in dessen Nähe befanden sich die kleineren Fischlein, und dahinter kamen die mittleren, und weiter hinten, wo das Wasser am tiefsten war, kamen die größeren Fische.

Wie sich nun die Fische also in Reih und Glied geordnet hatten, hub St. Antonius feierlich zu predigen an und redete also: »Ihr, meine Brüder, ihr Fische, ihr seid, so gut ihr könnt, unserem Schöpfer zu großem Danke verbunden, da er euch solch edles Element zu eurer Wohnung gab; denn, wie es euch beliebt, habt ihr die süßen und salzigen Wasser; und er hat euch viele Schlupfwinkel gegeben, den Stürmen zu entgehen; dazu gab er euch eine klare und durchsichtige Nahrung und Speise, davon ihr leben möget. Gott, euer freundlicher und gütiger Schöpfer, hat, da er euch schuf, euch das Gebot gegeben, zu wachsen und zuzunehmen, und hat euch seinen Segen erteilt. Dann, als die Sintflut allerorten war, hat Gott euch allein ohne Schaden bewahrt. Dazu hat er euch Flossen gegeben, zu schwimmen, wohin es euch gefällt. Euch ward es auf Gottes Geheiß vergönnt, den Propheten Jonam zu bergen und ihn am dritten Tage gesund und heil an das Ufer zu werfen. Ihr botet den Zinsgroschen unserm Herren Jesu Christo, der als ein Armer nichts besaß, womit er zahlen konnte. Ihr waret die Speise des ewigen Königs Jesu Christi vor seiner Auferstehung und hernach durch ein besonderes Mysterium. Für das alles seid ihr Gott zu höchstem Preise verbunden und ihn zu benedeien, der euch solche und so viele Wohltaten erwiesen hat, mehr als wie den andern Kreaturen.«

Bei diesen und ähnlichen Worten und Lehren St. Antonii begannen die Fische ihr Maul zu öffnen und neigten die Köpfe und lobten Gott hiermit und mit andern Zeichen der Verehrung nach ihrer Weise, so gut sie konnten. Als da St. Antonius so große Ehrfurcht der Fische vor Gott, ihrem Schöpfer, sah, freute er sich in dem Geiste und rief mit lauter Stimme: »Gebenedeit sei der ewige Gott, da ihn die Fische des Wassers höher ehren denn die ketzerischen Menschen, und die unvernünftigen Tiere besser seinem Worte hören als die ungläubigen Menschen.« Und je mehr St. Antonius predigte, desto mehr wuchs die Menge der Fische, und keiner rührte sich vom Flecke, den er eingenommen.

Auf dieses Wunder begann das Volk aus der Stadt hinzulaufen, und darunter kamen auch jene Ketzer herbei. Als diese das Wunder sahen, das so staunenswert und offenkundig war, wurden sie zerknirscht in ihren Herzen, und alle warfen sich St. Antonio zu Füßen, auf daß sie sein Wort hörten. Da hub St. Antonius an, von dem Allgemeinen Glauben zu predigen, und er predigte so erhaben, daß er alle diese Ketzer bekehrte, und sie dem wahren Glauben Christi sich wieder zuwandten. Und alle Gläubigen wurden davon mit großer Freudigkeit gestärkt und in dem Glauben gefestigt.

Da dieses geschehen war gab St. Antonius mit dem Segen des Herrn den Fischen Urlaub; und alle entfernten sich mit wundersamen Gebärden der Freude, und desgleichen auch das Volk.

Danach blieb St. Antonius viele Tage in Rimini und predigte und erntete viel geistliche Frucht an den Seelen.

 

XLI. Kapitel

Wie der ehrwürdige Bruder Simon einen Bruder von großer Versuchung befreite, derentwegen er aus dem Orden treten wollte

Zu Beginn des Ordens St. Francisci und noch zu dessen Lebzeiten trat ein junger Mann von Assisi in den Orden, welcher Bruder Simon genannt wurde; diesen schmückte und begabte Gott mit so viel Gnade und so viel Beschaulichkeit und Erhabenheit des Sinnes, daß er sein ganzes Leben lang ein Spiegel der Heiligkeit war, wie ich es von denen hörte, so lange mit ihm gelebt haben. Man sah ihn recht selten außerhalb der Zelle, und wenn er einmal mit den Brüdern zusammen war, redete er stets von Gott. Er hatte niemals Latein gelernt, und nichtsdestoweniger sprach er so tief und so erhaben von Gott und von der Liebe Christi, daß seine Worte übernatürliche Worte zu sein schienen. Wie er nun einmal mit Bruder Jacopo von Massa in den Wald gegangen war, um von Gott zu reden, und süß von der Liebe Gottes sprach, verblieben sie die ganze Nacht in diesem Gespräche; und am Morgen schien es ihnen, als sei es nur eine kurze Spanne Zeit gewesen, wie es mir genannter Bruder Jacopo erzählt hat. Jenem Bruder Simon dünkten die lieblichen Erleuchtungen Gottes so anmutig und süß im Geiste, daß er oft, wenn er ihr Kommen spürte, sich aufs Bette legte. Denn des heiligen Geistes stille Lieblichkeit verlangte bei ihm nicht allein die Ruhe der Seele, sondern auch des Körpers; und bei solchen göttlichen Heimsuchungen wurde er oft zu Gott entzückt und ganz gefühllos gegen leibliche Dinge. Wie er nun einmal also zu Gott entzückt war und unempfindlich gegen die Welt und innen ganz von göttlicher Liebe brannte und außen nichts mit den leiblichen Gefühlen spürte, wollte ein Bruder erforschen und sehen, ob es wirklich so war, wie es schien, ging hin, nahm eine feurige Kohle und legte sie auf seinen bloßen Fuß. Und Bruder Simon fühlte nichts, auch ließ sie keine Spur ihm auf dem Fuße, obschon sie lange Zeit darauf liegen blieb, so lange, bis daß sie von selbst verglomm. Wenn genannter Bruder Simon sich zu Tische setzte, nahm er, bevor er zu leiblicher Speise griff, erst geistliche Kost zu sich und teilte sie aus, indem er von Gott redete.

Um seiner heiligen Rede willen bekehrte sich einst ein junger Mann aus San Severino, der als Laie ein höchst eitler und weltlicher Jüngling gewesen war; und er war edel an Blute und sehr zarten Körpers. Nachdem Bruder Simon diesen Jüngling in den Orden aufgenommen hatte, nahm er dessen weltliche Kleidung an sich; und jener blieb mit Bruder Simon, um von ihm in der Regel unterrichtet zu werden. Doch der Teufel, der jedes Gute zu verunstalten trachtete, reizte ihn mit seinem Stachel und mit so brennender Lust, zu sündigen, daß er auf keine Weise widerstehen konnte; und so ging er zu Bruder Simon und sprach zu ihm: »Gebt mir mein Kleid zurück, das ich aus der Welt mitgebracht habe, denn ich kann die Versuchung nicht mehr aushalten.« Und Bruder Simon, der großes Mitleid mit ihm hatte, sprach: »Setze dich, mein Sohn, ein wenig her zu mir.« Und er begann zu ihm von Gott zu sprechen auf eine Weise, daß jede Versuchung dahinschwand. Doch über kurz kam die Versuchung wieder, und er verlangte von neuem nach seinem Kleide, und Bruder Simon verscheuchte sie mit Reden über Gott. Und nachdem es mehrere Male also geschehen war, befiel ihn endlich eines Nachts jene Versuchung so heftig, stärker wie sonst, daß er um nichts in der Welt mehr standhalten konnte; und er ging zu Bruder Simon und verlangte von ihm endgültig sein weltliches Kleid zurück, weil er auf keinen Fall mehr dort bleiben könnte. Da hieß ihn Bruder Simon, wie er es zu tun pflegte, sich neben ihn setzen. Und während er von Gott sprach, senkte der Jüngling vor Schwermut und Trauer sein Haupt in Bruder Simons Schoß. Da hob Bruder Simon vor großem Mitleid, das er seinetwegen fühlte, die Augen gen Himmel und betete, und da er höchst andächtig Gott für ihn bat, ward er von Gott entzückt und erhört. Als er wieder zu sich kam, fühlte sich der Jüngling ganz von jener Versuchung befreit, wie wenn er sie nie verspürt hätte. So hatte sich auch die Glut der Versuchung in Glut des heiligen Geistes gewandelt, und, da er der brennenden Kohle, nämlich Bruder Simon, nahe gekommen war, entbrannte er ganz von der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Daher ging er, als man einst einen Übeltäter gefangen, der auf beiden Augen geblendet werden sollte, aus Mitleid mit ihm unentwegt zu dem Richter und fragte vor dem versammelten Rate unter vielen Tränen und mit ehrfürchtigen Bitten, ob man nicht ihn auf einem Auge blenden könnte und den Übeltäter auf dem andern, damit er nicht beider entbehren müßte. Als aber der Richter mitsamt dem Rate die große Liebesglut dieses Bruders sah, verschonten sie den einen wie den andern.

Als sich genannter Bruder Simon eines Tages im Walde befand und betete und große Freudigkeit des Trostes in seiner Seele spürte, begann eine Schar von Krähen ihn mit ihrem Krächzen zu belästigen. Darum befahl er ihnen in Jesu Christi Namen, davonzufliegen und nicht mehr wiederzukommen. Da flogen diese Vögel fort und wurden seitdem dort nie mehr gesehen noch gehört, auch nicht in dem ganzen umliegenden Lande. Und dieses Wunder ward ruchbar in dem ganzen Gebiete von Fermo, da sich jene Stätte befand.

 

XLII. Kapitel

Von den schönen Wundern, die Gott durch die heiligen Brüder Bruder Bentivoglia, Bruder Pietro von Monticello und Bruder Currado von Offida vollbrachte; und wie Bruder Bentivoglia in ganz kurzer Zeit einen Aussätzigen fünfzehn Meilen weit trug; und wie mit einem andern St. Michael redete, und zu einem andern die Jungfrau Maria kam und ihm ihren Sohn in die Arme legte

Die Ordensprovinz der Mark Ancona war vor alters, gleichwie der Himmel mit Sternen, so mit heiligen und des Beispiels würdigen Brüdern geziert. Diese haben gleich den Lichtern des Himmels den Orden St. Francisci geschmückt und erleuchtet und die Welt mit Beispielen und Lehren. Unter den andern befanden sich da fürnehmlich Bruder Lucido, der Alte, der da wahrhaft leuchtend war an Heiligkeit und von göttlicher Liebe glühend. Seine ruhmreiche Zunge, die der heilige Geist unterwies, erntete wunderbare Früchte beim Predigen.

Ein andrer war Bruder Bentivoglia von San Severino, von dem Bruder Masseo gesehen hat, daß er ein gutes Stück in die Luft gehoben wurde, indessen er im Walde betete. Dieses Wunders halber verließ der fromme Bruder Masseo, der damals Pfarrer war, seine Pfarre und ward ein Ordensbruder: Und er war von solcher Heiligkeit, daß er viele Wunder tat im Leben und im Tode, und sein Leichnam ruht in Murro.

Als genannter Bruder Bentivoglia einmal allein in Trave Bonanti wohnte, um eines Aussätzigen zu warten und ihn zu pflegen, gebot ihm sein Oberer, von da wegzugehen und nach einem andern Kloster zu ziehen, das fünfzehn Meilen von dort entfernt lag. Weil er aber jenen Aussätzigen nicht verlassen wollte, nahm er ihn in großem Eifer seiner Liebe und lud ihn auf seine Schultern und trug ihn in der Zeit von der Morgenröte bis zu dem Sonnenaufgange über diese ganze Strecke von fünfzehn Meilen hinweg bis nach dem Orte, dahin er gesandt war, und der Monte Sancino hieß. Und wäre er ein Adler gewesen, er hätte diese Bahn nicht in so kurzer Zeit durchfliegen können; und ob dieses göttlichen Zeichens erhob sich großes Staunen und große Bewunderung in jenem ganzen Lande.

Ein andrer war Bruder Pietro von Monticello, von dem Bruder Servodio von Urbino (der damals Guardian des alten Klosters von Ancona war) gesehen hat, daß er fünf oder sechs Ellen über die Erde körperlich emporgehoben wurde bis zu dem Fuße von dem Kruzifix der Kirche, davor er betete.

Einst, als dieser Bruder Pietro die Fasten St. Michaels, des Erzengels, mit großer Frömmigkeit einhielt und am letzten Tage dieser Fasten in der Kirche betete, hörte ein junger Bruder (der sich mit Fleiße unter dem Hochaltare verborgen hatte, um irgendein Werk seiner Heiligkeit zu schauen), wie er mit St. Michael, dem Erzengel, redete. Und die Worte, die sie sprachen, waren folgende: St. Michael sagte: »Bruder Pietro, du hast dich getreulich meinetwegen geplagt und hast deinen Leib auf mancherlei Arten betrübt; siehe, nun bin ich gekommen, dich zu trösten und, damit du dir eine Gnade erbittest, welche du willst; und ich werde sie dir von Gott erwirken.« Bruder Pietro entgegnete: »Heiliger Fürst der himmlischen Heerscharen und getreuer Eiferer der göttlichen Liebe und mitleidiger Beschützer der Seelen, ich bitte dich um diese Gnade: daß du mir von Gott die Vergebung meiner Sünden erlangtest.« Antwortete St. Michael: »Bitte um eine andre Gnade, denn diese werde ich dir leicht erwirken.« Und da Bruder Pietro nichts anderes verlangte, schloß der Erzengel: »Wegen der Treue und Ergebenheit, die du mir bezeugest, werde ich dir diese Gnade verschaffen, um die du bittest, und noch viele andre.« Und als ihr Gespräch, das eine gute Weile gedauert hatte, zu Ende war, verschwand der Erzengel und ließ ihn höchst getrost zurück.

Zu der Zeit dieses heiligen Bruders Pietro lebte der heilige Bruder Currado von Offida, der sich mit jenem zusammen in dem Kloster von Forano, im Gebiete von Ancona, befand. Genannter Bruder Currado begab sich eines Tages in den Wald, um sich in das Anschauen Gottes zu vertiefen; und Bruder Pietro ging ihm heimlich nach, um zu sehen, was ihm dort begegnen würde. Bruder Currado fing nun zu beten an und die Jungfrau Maria höchst andächtig mit großer Ehrfurcht darum anzuflehen, ihm von ihrem gebenedeiten Sohne diese Gnade zu erwirken, daß er ein wenig von jener Süßigkeit verspüren dürfe, die St. Simeon an dem Tage der Darstellung erfuhr, als er Jesum, den gebenedeiten Erlöser, in den Armen hielt. Und als er dieses Gebet beendet hatte, erhörte ihn die erbarmende Jungfrau Maria: Siehe, da erschien ihm die Himmelskönigin, ihr gebenedeites Söhnlein auf den Armen, mit großer Klarheit des Lichtes; und sie trat nahe an Bruder Currado heran und legte ihm diesen ihren gebenedeiten Sohn in die Arme; und er nahm ihn in großer Andacht entgegen und, da er ihn umarmte und küßte und an die Brust drückte, schmolz er ganz dahin und verging in göttlicher Liebe und unsäglicher Freudigkeit des Trostes. Auch Bruder Pietro, der aus einem Verstecke alles sah, fühlte gleichfalls in seiner Seele große Süßigkeit und Labsal. Als aber die Jungfrau Maria von Bruder Currado wieder weggegangen war, kehrte Bruder Pietro in Eile zum Kloster zurück, damit er nicht von jenem gesehen würde. Hernach jedoch, als Bruder Currado ganz erfreut und glückselig zurückkam, sagte ihm Bruder Pietro: »O du Himmlischer, große Tröstung ist dir heute widerfahren.« Da sagte Bruder Currado: »Was ist das, was du da sagst, Bruder Pietro, und was weißt du davon, was mir widerfahren ist?« »Wohl weiß ich es, wohl weiß ich es,« sprach da Bruder Pietro, »wie die Jungfrau Maria mit ihrem gebenedeiten Sohne dich heimgesucht hat.« Da bat ihn Bruder Currado, der als ein wahrhaft Demütiger in der Gnade Gottes geheim zu bleiben wünschte, er möge es niemanden sagen. Und so groß ward seitdem die Liebe zwischen ihnen beiden, daß es schien, als wäre in ihnen ein Herz und eine Seele in allen Dingen.

Und wie jener Bruder Currado einmal in dem Kloster von Siruolo mit seinem Gebete ein besessenes Weib erlöst, nachdem er eine ganze Nacht für sie gefleht hatte, machte er sich des Morgens, als ihre Mutter hinzukam, fort, um nicht von dem Volke entdeckt und geehrt zu werden.

 

XLIII. Kapitel

Wie Bruder Currado von Offida einen jungen Bruder bekehrte, der sich den andern Brüdern lästig machte. Und wie dieser junge Bruder, da er gestorben war, genanntem Bruder Currado erschien und ihn bat, daß er für ihn beten möchte; und wie ihn jener durch sein Gebet aus der furchtbaren Pein des Fegefeuers erlöste

Jener Bruder Currado von Offida, der wunderbare Eiferer der Armut nach dem Evangelio und der Regel St. Francisci, führte ein so gottesfürchtiges Leben und war von solchem Verdienste vor Gott, daß ihn der gebenedeite Christ im Leben und im Tode durch viele Wunder ehrte.

Unter anderm, als er einmal nach dem Kloster von Offida kam, wo er damals noch fremd war, baten ihn die Brüder um Gottes Liebe und Barmherzigkeit willen, einen jungen Bruder zu vermahnen, der sich in diesem Kloster befand und sich so kindisch und ungebärdig und lose trug, daß er die Alten und die Jungen dieser Gemeinschaft im Gottesdienste störte und sich an die andern Vorschriften der Regel gar nicht oder nur wenig kehrte. Daher nahm Bruder Currado aus Mitleid zu diesem Jüngling und um der Bitten der Brüder willen ihn beiseite, und in der Inbrunst der Liebe redete er zu ihm so nachdrückliche und fromme Worte der Belehrung, daß dieser mit Hilfe der göttlichen Gnade plötzlich aus einem Kinde ein Alter an Sitten wurde und so gehorsam und gütig und sorgsam und fromm und dabei so friedfertig und dienstbeflissen und so eifrig zu allem, das tugendsam ist, daß, wie zuvor das ganze Kloster von ihm belästigt wurde, so nun alle an ihm ihre Freude und Zufriedenheit fanden und ihn sehr liebten.

Hernach, da es Gott so gefiel, geschah es, daß jener Jüngling starb; darüber waren die Brüder traurig. Und wenige Tage nach seinem Tode erschien seine Seele dem Bruder Currado, der andächtig vor dem Altare jenes Klosters betete, und grüßte ihn ehrerbietig wie einen Vater. Und Bruder Currado fragte: »Wer bist du?« Jener antwortete und sprach: »Ich bin die Seele jenes jungen Bruders, der in diesen Tagen starb.« Und Bruder Currado sagte: »O du mein lieber Sohn, wie steht es um dich?« Da antwortete jener: »Kraft Gottes Gnade und eurer Lehre gut; denn ich bin nicht verdammt. Doch um gewisser meiner Sünden willen, von denen ich nicht Zeit fand mich genügend zu reinigen, erdulde ich die größte Pein in dem Fegefeuer; aber ich bitte dich, Vater, daß, wie du mir mit deinem Erbarmen halfest, da ich noch lebte, so du mir in meiner Pein helfen mögest, indem du für mich einige Paternoster sprichst. Denn dein Gebet ist sehr genehm vor dem Angesichte Gottes.« Da willigte Bruder Currado gütig in seine Bitten ein, und als er für ihn zum ersten Male ein Paternoster mit dem Requiem aeternam hergesagt hatte, sprach die Seele: »O du mein lieber Vater, wie das gut tut! wieviel Kühlung fühle ich! Nun bitte ich dich, daß du es noch ein andermal sprechest.« Und Bruder Currado tat es, und wie er es hergesagt hatte, sprach die Seele: »Heiliger Vater, wenn du für mich betest, fühle ich, daß mir leicht wird; darum bitte ich dich, daß du nicht aufhören mögest, für mich zu beten.« Als da Bruder Currado sah, daß jener Seele mit seinen Gebeten so sehr geholfen wurde, sprach er für sie hundert Paternoster; und da er sie hergesagt hatte, sprach jene Seele: »Ich danke dir, liebster Vater, im Namen Gottes und für die Liebe, die du mir erwiesen hast. Denn durch dein Gebet bin ich von aller Pein befreit und gehe jetzt nach dem Himmelreich.« Und nachdem die Seele das gesagt hatte, verschwand sie.

Darauf erzählte Bruder Currado diese ganze Erscheinung den Brüdern in rechter Folge, um ihnen Freudigkeit und Stärkung zu geben.

 

XLIV. Kapitel

Wie dem Bruder Pietro die Mutter Christi und St. Johannes, der Evangelist, erschienen und ihm sagten, wer von ihnen beiden am meisten an Christi Passion gelitten habe

Also ging die Seele jenes Jünglings durch Bruder Currados Verdienst in das Paradies.

Zu der Zeit, da in dem Gaue von Ancona, im Kloster Forano, Bruder Currado und der schon genannte Bruder Pietro wohnten, die zwei leuchtende Sterne in der Ordensprovinz der Mark waren und zwei himmlische Menschen, weil unter ihnen so große Liebe und Innigkeit bestand, daß sie wie ein Herz und eine Seele schienen, machten sie miteinander solches ab: daß sie jede Tröstung, so Gottes Barmherzigkeit ihnen widerfahren ließ, einer dem andern in Liebe mitteilen sollten.

Nachdem sie dieses abgemacht hatten, geschah es, daß Bruder Pietro eines Tages betete und höchst andächtig über das Leiden Christi nachsann und über das Bild, so die allerheiligste Mutter Christi und den Evangelisten Johannes – den Jünger, den er lieb hatte – und St. Franciscum an dem Fuße des Kreuzes darstellte, weil sie durch geistigen Schmerz mit Christo gekreuzigt waren. Da überkam ihn der Wunsch, zu erfahren, wer von den dreien am meisten an Christi Passion gelitten habe, die Mutter, die ihn gebar, der Jünger, der an seiner Brust geschlafen Die Vorstellung, daß St. Johannes bei dem letzten Abendmahle des Herrn an seiner Brust schlief, war dem ganzen Mittelalter gemein, bis daß die Kenntnis der antiken Sitte, bei Tische zu liegen, größere Verbreitung fand. In der bildenden Kunst ist Lionardo der erste, der Johannes nicht an Christi Brust schlafen läßt, wie es früher geschah, z. B. in Andrea del Castagnos überwältigendem Fresko zu Sant'Apollonia in Florenz., oder St. Franciscus, der mit Christo gekreuzigt worden. Da er in dieses fromme Sinnen vertieft war, erschien ihm die Jungfrau Maria mit St. Johannes, dem Evangelisten, und mit St. Francisco, gekleidet in die edlen Gewänder seliger Herrlichkeit; doch es schien ihm, als wäre St. Franciscus mit einem schöneren Gewande bekleidet als St. Johannes. Und da Bruder Pietro ganz entsetzt über diese Erscheinung dastand, ermutigte ihn St. Johannes und sprach: »Fürchte dich nicht, lieber Bruder, da wir gekommen sind, dir Licht in deinem Zweifel zu bringen. Wisse denn, daß die Mutter Christi und ich über alle Kreatur an Christi Passion gelitten haben; doch nach uns hat St. Franciscus größern Schmerz davon gehabt als irgendein andrer, und darum siehst du ihn in solcher Herrlichkeit.« Und Bruder Pietro fragt ihn: »Heiligster Apostel Christi, warum scheint St. Francisci Gewand schöner zu sein als das deinige?« Antwortet St. Johannes: »Das ist der Grund: weil er, da er noch auf Erden war, niedrigeres Gewand trug als ich.«

Nach diesen Worten reichte St. Johannes Bruder Pietro ein Gewand der Herrlichkeit, das er in der Hand trug, und sagte ihm: »Nimm dieses Gewand, das ich mitgebracht habe, um es dir zu geben.« Doch, da St. Johannes ihn mit diesem Gewande bekleiden wollte, fiel Bruder Pietro entsetzt zur Erde und hub an zu schreien: »Bruder Currado, liebster Bruder Currado, hilf mir schnell; komm, wunderbare Dinge zu schauen.« Und bei diesen heiligen Worten wich die Erscheinung.

Als dann Bruder Currado kam, erzählte er ihm jegliches der Reihe nach; und sie dankten Gott.

 

XLV. Kapitel

Von der Bekehrung und dem Leben und den Wundern und dem Tode des heiligen Bruders Giovanni von Penna

Als Bruder Giovanni von Penna noch ein Knabe war und Laie in der Ordensprovinz der Mark, erschien ihm eines Nachts ein wunderschönes Kind, rief ihn und sprach: »Giovanni, gehe nach St. Stefano, wo einer meiner Ordensbrüder predigt. Glaube seiner Lehre und merke auf seine Worte, denn ich habe ihn hergesandt. Danach mußt du eine große Reise machen, und dann wirst du zu mir kommen.« Hierauf erhob sich jener sofort und spürte eine große Wandlung in seiner Seele.

Als er nach St. Stefano kam, fand er eine große Anzahl Männer und Frauen, die dort standen, um die Predigt zu hören; und derjenige, so dort predigen sollte, war ein Bruder, namens Bruder Filippo, der einer der ersten Brüder war, die nach der Mark Ancona kamen; – und noch waren wenige Klöster in der Mark gegründet. Jener Bruder Filippo steigt nun hinauf zu predigen und predigte höchst gottesfürchtig, nicht mit Worten menschlicher Weisheit, sondern kraft des Geistes Christi, indem er das Reich des ewigen Lebens verkündete.

Und als die Predigt beendet war, ging jener Knabe zu Bruder Filippo und sagte ihm: »Vater, gefiele es Euch, mich in den Orden aufzunehmen, so würde ich gern Buße tun und unserm Herrn Jesu Christo dienen.« Da Bruder Filippo in jenem Knaben eine wunderbare Unschuld sah und erkannte und seine Bereitschaft, Gott zu dienen, sprach er zu ihm: »Du wirst an dem und dem Tage zu mir nach Recanati kommen, und ich werde dich aufnehmen lassen.« An diesem Tage sollte nämlich das Provinzialkapitel stattfinden.

Nun dachte der Knabe, der sehr rein war, daß dieses die große Wanderung sei, die er zurücklegen müsse der Offenbarung gemäß, so ihm zuteil geworden, und daß er dann in das Paradies gehen sollte. Und also, glaubte er, würde es kommen, sobald er in den Orden aufgenommen wäre. Er ging also hin und ward aufgenommen.

Als er aber sah, daß seine Gedanken sich noch nicht erfüllten und des Ordens Minister im Kapitel ansagte, daß er jedem, der um des heiligen Gehorsams willen nach der Provence ziehen wolle, gern Urlaub geben würde, da überkam ihn großes Verlangen, hinzugehen, weil er in seinem Herzen dachte, daß dieses die große Reise sei, die er machen sollte, bevor er in das Paradies einging. Da er sich jedoch dieses zu sagen schämte, vertraute er es dem genannten Bruder Filippo, der ihn in den Orden hatte aufnehmen lassen, und bat ihn liebevoll, er möge ihm die Gnade erwirken, nach der Provence zu reisen. Als da Bruder Filippo seine Reinheit sah und seine heilige Absicht, verschaffte er ihm jene Erlaubnis. So trat denn Bruder Giovanni mit großen Freuden seine Wanderung an und meinte, in das Paradies einzugehen, wenn er sie beendet haben würde.

Doch, wie es Gott gefiel, blieb er in dieser Provinz fünfundzwanzig Jahre, voll jenes Sehnens und Wartens, indessen er in größter Ehrbarkeit und Heiligkeit und als ein Beispiel lebte und stets an Tugend und Gnade vor Gott und den Menschen zunahm; und er wurde sehr geliebt von den Brüdern und von den Laien.

Und als eines Tages Bruder Giovanni andächtig betete und weinte und klagte, daß sein Verlangen sich nicht erfülle, und daß seine Pilgerschaft in diesem Leben allzu lange währe, erschien ihm der gebenedeite Christ, bei dessen Anblick seine Seele ganz gelöst wurde, und sprach zu ihm: »Mein Sohn, Bruder Giovanni! Erbitte dir von mir, was du willst!« Und er antwortete: »Mein Herr, ich weiß nicht, was ich mir andres von dir erbitten sollte, als dich selbst; denn ich begehre nach nichts anderm; doch bloß um dieses bitte ich dich, daß du mir alle meine Sünden vergebest und mir die Gnade gebest, dich noch einmal zu sehen, wenn ich einst noch mehr deiner bedürfen werde.« Da sprach Jesus: »Dein Gebet ist erhört!« und nach diesen Worten verschwand er, und Bruder Giovanni blieb ganz getrost zurück.

Endlich, als die Brüder in der Mark den Ruf seiner Heiligkeit vernommen hatten, redeten sie so lange auf den Ordensgeneral ein, bis daß er ihm den Befehl sandte, in die Mark zurückzukehren. Wie er dieses Gebot empfing, machte er sich heiter auf den Weg, denn er dachte, nach Christi Versprechen in den Himmel zu gehen, wenn er diese Wanderung zurückgelegt haben würde. Doch, als er wieder in die Provinz der Mark gekommen, lebte er dort dreißig Jahre und wurde von keinem seiner Sippe erkannt. Und jeglichen Tag harrte er auf das Erbarmen Gottes, daß er ihm seine Verheißung erfüllen möchte. In dieser Zeit verwaltete er mehrere Male das Amt eines Guardians mit großer Verständigkeit, und Gott wirkte durch ihn viele Wunder.

Unter den andern Gaben, die er von Gott empfangen hatte, besaß er den Geist des Prophezeiens. Wie er nun einst aus dem Kloster gegangen war, wurde einer seiner Novizen von dem Teufel angefochten und so sehr versucht, daß er der Versuchung nachgab und bei sich beschloß, aus dem Orden zu treten, sobald Bruder Giovanni von haußen zurückgekehrt sein werde. Da Bruder Giovanni diese seine Versuchung und sein Vorhaben durch den Geist der Prophezeiung erkannte, kehrte er sofort heim und ruft jenen Novizen zu sich und sagt ihm, er wünsche, daß er beichten solle; doch, bevor er ihm seine Beichte abnahm, erzählte er ihm seine ganze Versuchung in rechter Folge, wie Gott sie ihm offenbart hatte, und schloß: »Mein Sohn, da du auf mich gewartet hast und nicht ohne meinen Segen fortgehen wolltest, hat Gott dir diese Gnade gewährt, daß du niemals aus dem Orden treten wirst und in dem Orden mit der Gnade Gottes sterben.« Da ward jener Novize im guten Willen bestärkt, und da er in dem Orden blieb, wurde er ein heiliger Bruder. Und alle diese Geschichten erzählte mir Bruder Ugolino.

Jener Bruder Giovanni, der von heiterem und ruhigem Gemüte war, sprach nur selten und war ein Mann des Gebetes und von großer Andacht, und besonders kehrte er nach den Metten niemals in die Zelle zurück, sondern blieb in der Kirche und betete, bis daß es tagte. Und wie er eines Nachts nach den Metten betete, erschien ihm der Engel Gottes und sprach zu ihm: »Bruder Giovanni! Beendet ist jetzt deine Wanderung, darauf du so lange gewartet hast. Darum verkünde ich dir in Gottes Namen, daß du dir die Gnade, die du willst, erbittest; auch künde ich dir, daß du nach deinem Belieben darunter wählen magst; entweder einen Tag in dem Fegefeuer oder sieben Tage Pein auf dieser Welt!« Und da Bruder Giovanni lieber die sieben Tage Pein auf dieser Welt sich wählte, erkrankte er alsbald an verschiedenen Krankheiten: So befiel ihn ein heftiges Fieber und die Gicht in den Händen und Füßen und Schmerzen in den Seiten und viele andre Schmerzen. Was ihm aber schlimmer tat, war, daß ein Teufel vor ihm stand und in der Hand ein großes Blatt hielt, darauf alle Sünden geschrieben waren, die er je getan oder gedacht hatte; und er sagte ihm: »Um dieser Sünden willen, so du mit den Gedanken und mit der Zunge und mit der Tat begangen hast, bist du in die Tiefe der Hölle verdammt.« Er aber erinnerte sich keines einzigen Guten, das er getan, auch nicht daran, daß er in dem Orden war, oder daß er jemals darinnen gewesen sei, sondern er wähnte, also verdammt zu sein, wie es der Teufel ihm sagte. Als man ihn daher fragte, wie es ihm ginge, entgegenete er: »Schlecht, denn ich bin verdammt!«

Wie das die Brüder sahen, schickten sie nach einem alten Bruder, der Bruder Matteo von Monte Rubbiano genannt und ein heiliger Mann war und ein großer Freund dieses Bruders Giovanni. Und als jener Bruder Matteo an dem siebenten Tage seiner Drangsal zu ihm kam, grüßte er ihn und fragte ihn, wie es ihm ginge. Er antwortete, daß es ihm schlecht ginge, weil er verdammt sei. Da sagte Bruder Matteo: »Erinnerst du dich denn nicht, daß du mir viele Male gebeichtet hast, und daß ich dich ganz von deinen Sünden losgesprochen habe? Erinnerst du dich auch nicht dessen, daß die Barmherzigkeit Gottes alle Sünden der Welt übersteigt, und daß Christus, unser gebenedeiter Erlöser, unermeßlichen Preis gezahlt hat, uns loszukaufen? Darum habe gute Hoffnung, denn gewiß bist du erlöst.« Und weil seiner Läuterung Frist vollendet war, schwand die Anfechtung bei diesen Worten, und es kam die Tröstung. Und in großer Heiterkeit sprach Bruder Giovanni zu Bruder Matteo: »Da du müde bist, und es spät an der Zeit ist, bitte ich dich, zur Ruhe zu gehen.« Doch Bruder Matteo wollte ihn nicht verlassen; endlich aber, auf seine dringenden Bitten, ging er fort und legte sich zur Ruhe.

Und Bruder Giovanni blieb allein mit dem Bruder, so ihm diente. Siehe, da kam Christus, der Gebenedeite, mit großem Glanze und überaus mächtiger Lieblichkeit an Wohlgeruche, wie er ihm versprochen hatte, ein andermal zu erscheinen, wenn jener seiner am meisten bedürfen sollte: Und er heilte ihn gänzlich von jeglicher seiner Krankheiten.

Da dankte Bruder Giovanni Gott mit gefalteten Händen, daß er seine große Wanderung des gegenwärtigen elenden Lebens mit einem guten Ende beschlossen hatte, und befahl sich den Händen Christi und übergab Gott seine Seele, indessen er aus diesem sterblichen Leben in das ewige Leben einging mit Christo, dem Gebenedeiten, den zu schauen er solange geharrt und ersehnt hatte. Und es ruht jener Bruder Giovanni in dem Kloster von Penna di San Giovanni.

 

XLVI. Kapitel

Wie Bruder Pacifico, da er betete, die Seele Bruder Umiles, seines Bruders, in den Himmel gehen sah

In der genannten Provinz der Mark befanden sich nach St. Francisci Tode zwei Brüder in dem Orden; der eine von ihnen hatte den Namen Bruder Umile und der andre den Namen Bruder Pacifico, und sie waren Männer von großer Heiligkeit und Vollkommenheit, und der eine von ihnen, nämlich Bruder Umile, lebte in dem Kloster von Soffiano und starb daselbst. Der andre aber lebte in einer andern Klostergemeinschaft, ziemlich weit von jenem.

Da es nun Gott so gefiel, wurde Bruder Pacifico, der eines Tages an einem abgelegenen Orte betete, entzückt und sah die Seele seines Bruders, des Bruders Umile, die zu derselben Stunde aus seinem Leibe wich, geradeswegs in den Himmel steigen, ohne irgendwie zurückgehalten oder behindert zu werden.

Nun geschah es, daß viele Jahre später dieser Bruder Pacifico, der da zurückblieb, in die Gemeinschaft des Klosters Soffiano versetzt wurde, woselbst sein Bruder gestorben war. Um diese Zeit vertauschten die Brüder auf Bitten der Herren von Bruforte jenes Kloster gegen ein andres. Dabei nahmen sie unter den andern Dingen auch die Gebeine der heiligen Brüder mit sich hinüber, die in jenem Kloster gestorben waren. Und als sie an das Grab Bruder Umiles kamen, nahm Bruder Pacifico, sein Bruder, dessen Gebeine und wusch sie mit gutem Wein: dann wickelte er sie in ein weißes Tuch und küßte sie voll großer Andacht und Verehrung und weinte. Darüber wunderten sich die andern Brüder und achteten das nicht für gutes Beispiel; denn, ob er gleich ein Mann von großer Heiligkeit war, schien es, als wenn er aus fleischlicher und weltlicher Liebe seinen Bruder beweinte, und daß er seinen Gebeinen größere Ehrfurcht bezeugte als denen der andern Brüder, die nicht von geringerer Heiligkeit als Bruder Umile gewesen waren und ebenso der Verehrung würdig wie jener. Als da Bruder Pacifico den schlimmen Verdacht der Brüder erkannte, stellte er sie demütiglich zufrieden und sagte ihnen: »Meine lieben Brüder, wundert euch des nicht, wenn ich an meines Bruders Gebeinen das getan habe, was ich nicht an denen der andern tat; denn gesegnet sei Gott! und nicht hat mich fleischliche Liebe getrieben, wie ihr glaubt. Sondern ich habe so getan, weil ich, da mein Bruder aus diesem Leben schied, seine Seele geradeswegs in den Himmel steigen sah, während ich an einem fernen und einsamen Orte betete; und ich bin des sicher, daß seine Gebeine heilig sind und sein müssen im Paradiese. Und hätte mir Gott wegen der andern Brüder ebensoviel Gewißheit gegeben, so hätte ich auch ihren Gebeinen dieselbe Verehrung erwiesen.«

Als da die Brüder seine heilige und fromme Absicht erkannten, wurden sie an ihm wohl erbaut und lobten Gott.

 

XLVII. Kapitel

Von jenem heiligen Bruder, dem die Mutter Christi, da er krank war, erschien und drei Büchsen Latwergen brachte

In genanntem Kloster zu Soffiano lebte vor alters ein Ordensbruder von solcher Heiligkeit und Gnade, daß er ganz göttlich zu sein schien und oft in Gott entzückt wurde. Wenn nun bisweilen dieser Bruder ganz zu Gott erhoben und in ihn vertieft war, zumal er fürnehmlich die Gnade der Beschaulichkeit hatte, kamen Vögel mannigfacher Art zu ihm und setzten sich ihm ganz zutraulich auf die Schultern, auf den Kopf und auf die Arme und die Hände und sangen wunderbar. Er war aber ein Einsamer und sprach selten; doch wenn man ihn nach etwas fragte, antwortete er so anmutig und weise, daß er eher ein Engel schien, denn ein Mensch. Und er pflog der größten Beschaulichkeit und des Gebetes; und die Brüder verehrten ihn sehr.

Als nun jener Bruder den Lauf seines tugendsamen Lebens nach Gottes Ratschluß endete, ward er todkrank, so daß er gar nichts zu sich nehmen konnte; und dabei verschmähte er jedes menschliche Heilmittel; seine ganze Zuversicht war aber in dem himmlischen Arzte, Jesu Christo, dem Gebenedeiten, und in seiner gebenedeiten Mutter: Und durch Gottes Gnade ward ihm der Lohn, von ihr erbarmungsvoll besucht und gepflegt zu werden.

Wie er nun einmal auf dem Bette lag und sich von ganzem Herzen und mit aller Andacht zum Sterben bereitete, da erschien ihm die glorreiche Jungfrau Maria, die Mutter Christi, mit einer großen Schar von Engeln und heiligen Jungfrauen in wunderbarem Glanze und trat an sein Bett; und da er sie ansah, faßte er großen Mut und Freudigkeit an der Seele wie an dem Leibe. Und er begann sie demütig anzuflehen, sie möge ihren geliebten Sohn bitten, daß er um seines Verdienstes willen ihn aus des elenden Fleisches Gefängnis erlöse. Und wie er also unter vielen Tränen fortbetete, antwortete ihm die Jungfrau Maria, indem sie ihn bei Namen rief, und sprach: »Habe keine Angst, mein Sohn, denn dein Gebet ist erhört; und ich bin gekommen, dich ein wenig zu stärken, bevor du aus diesem Leben scheidest.« Bei der Jungfrau Maria waren aber drei heilige Jungfrauen, die in den Händen drei Büchsen mit Latwergen trugen von unermeßlichem Wohlgeruch und Lieblichkeit. Da nahm die glorreiche Jungfrau und öffnete eine jener Büchsen, und das ganze Haus ward voller Duftes; und sie nahm mit einem Löffel von jener Latwerge und gab das dem Kranken. Sobald er aber davon gekostet hatte, fühlte der Kranke solche Stärkung und Süße, daß es ihm ward, als könnte seine Seele nicht im Leibe bleiben. Daher begann er zu sprechen: »Nicht mehr, o du heiligste Mutter und gebenedeite Jungfrau, o du gebenedeite Ärztin und Retterin des Menschengeschlechtes, nicht mehr! Denn ich kann solche Wonne nicht ertragen.« Aber dennoch reichte die mitleidige und gütige Mutter dem Kranken noch mehrmals von jener Latwerge und ließ ihn davon einnehmen und leerte so die ganze Büchse. Dann, als die erste Büchse geleert war, nahm die heilige Jungfrau die zweite und steckte den Löffel hinein, um ihm davon zu geben; doch jener sträubte sich dawider und sagte: »O du seligste Mutter Gottes, wenn meine Seele schon von der Stärke und Lieblichkeit der ersten Latwerge ganz dahingeschmolzen ist, wie sollte ich die zweite ertragen? Ich bitte dich, du über allen Heiligen und über allen Engeln Gebenedeite, mir nicht mehr davon geben zu wollen.« Doch die glorreiche Jungfrau Maria entgegnete: »Versuche nur, mein Sohn, ein wenig aus dieser zweiten Büchse.« Und sie gab ihm davon etwas und sprach: »Jetzt, mein Sohn, hast du so viel davon genommen, daß es genug sein mag. Fasse Mut, mein Sohn, denn bald werde ich nach dir kommen und dich in das Reich meines Sohnes führen, wonach du stets gesucht und getrachtet hast.« Als sie das gesagt hatte, nahm sie von ihm Abschied und verschwand. Und er blieb so getrost zurück und so gekräftigt von der Süßigkeit dieser Arznei, daß er noch mehrere Tage lebte, satt und ohne alle leibliche Speise.

Und einige Tage hernach, indessen er heiter mit den Brüdern redete, verschied er mit großem Jubel und Freudigkeit aus diesem elenden Leben.

 

XLVIII. Kapitel

Wie Bruder Jacopo von Massa in einem Gesichte alle Ordensbrüder der Welt in Gestalt eines Baumes sah und die Verdienste und die Fehler eines jeden von ihnen erkannte

Bruder Jacopo von Massa, dem Gott das Tor seiner Geheimnisse öffnete und vollkommenes Wissen und Verstehen der Heiligen Schrift und der Dinge der Zukunft gab, war von solcher Heiligkeit, daß Bruder Egidio und Bruder Marco von Montino und Bruder Ginepro und Bruder Lucido von ihm gesagt haben, sie kennten niemanden auf Erden, der bei Gott angesehener sei als dieser Bruder Jacopo. Ich habe sehr begehrt, ihn zu sehen: Denn als ich Bruder Giovanni, den Genossen des genannten Bruders Egidio, darum bat, mir einige geistige Dinge zu erklären, sagte er mir: »Willst du gut über das geistige Leben unterrichtet werden, so siehe zu, daß du mit Bruder Jacopo von Massa reden kannst. Denn Bruder Egidio wollte von ihm lernen, und seinen Worten konnte man nichts abziehen noch zusetzen; denn sein Geist hat die Geheimnisse des Himmels durchwandert, und seine Worte sind Worte des heiligen Geistes, und es ist kein Mann auf Erden, den ich also zu sehen begehre.«

Dieser Bruder Jacopo wurde zu Beginn der Zeit, da Bruder Giovanni von Penna Ordensminister war, beim Beten in Gott entzückt und verblieb drei Tage lang also in dieser Verzückung außerhalb jedes leiblichen Empfindens; und er blieb so gefühllos, daß die Brüder fürchteten, er wäre gestorben. Und in dieser Verzückung ward ihm von Gott das offenbart, was mit unserm Orden werden und geschehen sollte. Wie ich das vernahm, wuchs darum nur noch mehr mein Wunsch, ihn zu hören und mit ihm zu reden.

Und da es Gott so gefiel, daß ich Gelegenheit fand, mit ihm zu sprechen, bat ich ihn folgendermaßen: »Wenn das wahr ist, was ich von dir habe sagen hören, so bitte ich dich, es nicht vor mir geheimzuhalten. Ich hörte, daß, wie du drei Tage lang fast wie ein Toter dalagst, Gott dir unter andern Dingen eröffnete, was mit diesem, unserm Orden geschehen sollte. Und das habe ich von Bruder Matteo sagen hören, dem Minister der Mark, dem du das um des heiligen Gehorsams willen kundtatest.« Da gab mir Bruder Jacopo in großer Demut zu, daß, was Bruder Matteo gesagt hatte, wahr sei. Was er aber gesagt hatte, nämlich Bruder Matteo, der Ordensminister der Mark, ist folgendes:

»Ich weiß einen Bruder, welchem Gott das eröffnet hat, was mit unserm Orden geschehen soll. Denn Bruder Jacopo von Massa teilte mir mit und hat mir gesagt, daß er nach vielen Dingen, so Gott ihm über den Stand der kämpfenden Kirche offenbarte, in einem Gesichte einen schönen und sehr großen Baum sah, dessen Wurzel von Golde war; seine Früchte waren Menschen, und alle waren Ordensbrüder; seine Hauptäste waren aber an Zahl den Provinzen des Ordens gleich, und jeder Ast trug so viele Brüder, als es ihrer in der Provinz gab, so in diesem Aste dargestellt wurde. Und da erfuhr er die Zahl aller Brüder des Ordens und einer jeden Provinz und auch ihre Namen und das Alter und die Art und die hohen Ämter und Würden und Gaben aller und ihre Sünden. Und er sah Bruder Giovanni von Parma auf der höchsten Spitze des mittelsten Astes von jenem Baume; aber an den Enden der Zweige, die da rings um jenen mittelsten Ast von ihm ausgingen, waren die Minister aller Provinzen. Danach sah er Christum sitzen auf einem großen, leuchtenden Throne, zu welchem Christus St. Franciscum rief. Und er gab ihm einen Kelch voller Lebensgeistes und sandte ihn aus und sprach: »Gehe hin, suche deine Brüder heim und gib ihnen zu trinken aus diesem Kelche des Lebensgeistes; denn der Geist Satans wird sich gegen sie erheben und wird sie schütteln, und viele von ihnen werden fallen und nicht aufstehen.« Und Christus gab St. Francisco zwei Engel mit, die ihn geleiten sollten. So kam denn St. Franciscus, seinen Brüdern den Kelch des Lebens zu reichen.

Und er begann damit, ihn Bruder Giovanni von Parma zu reichen, der ihn ergriff und ganz austrank in Eile und mit Andacht; und alsbald wurde er ganz licht wie die Sonne. Nach ihm reichte ihn St. Franciscus allen andern; aber wenige waren darunter, die ihn mit schuldiger Ehrfurcht und Andacht entgegennahmen und ganz austranken. Diejenigen, so ihn mit Andacht entgegennahmen und ganz austranken, wurden alsbald wie die Sonne leuchtend; und diejenigen, so ihn ganz verschütteten und ihn nicht mit Andacht tranken, wurden schwarz und finster und mißgestaltet und scheußlich anzusehen; diejenigen, so einen Teil austranken und einen Teil verschütteten, wurden zu einem Teile licht und zu einem Teile finster, je nach der Menge, die sie getrunken oder verschüttet hatten. Aber vor allen andern leuchtete genannter Bruder Giovanni; denn er hatte vollkommener den Kelch des Lebens ausgetrunken und dadurch tiefer in den Abgrund des endlosen göttlichen Lichtes geschaut. Und darinnen hatte er das Ungemach und den Sturm erkannt, der sich gegen diesen Baum erheben sollte und seine Zweige schütteln und brechen. Darum verließ jener Bruder Giovanni seinen Platz auf dem Wipfel des Baumes, da er sich befand, und indem er tiefer denn alle Äste hinabstieg, verbarg er sich in dem Stamme, wo er am dicksten war, und blieb dort ganz in Gedanken.

Ein Bruder aber, der zu einem Teile von dem Kelche getrunken hatte und ihn zum andern Teile verschüttet, stieg an jenem Zweige empor und auf jenen Platz, daher Bruder Giovanni herabgestiegen war. Und als er droben anlangte, wurden ihm die Nägel an den Händen von spitzem Eisen und schneidend gleich Schermessern. Und er hob sich von jenem Platze, da er hinaufgestiegen war, und voller Wut und Ungestüm wollte er sich auf jenen Bruder Giovanni stürzen, auf daß er ihm ein Leides täte. Doch wie das Bruder Giovanni sah, schrie er laut und befahl sich Christo, der auf dem Throne saß; und da er also schrie, rief Christus St. Franciscum und gab ihm einen scharfen Feuerstein und sagte ihm: »Gehe hin mit diesem Steine und beschneide die Krallen jenes Bruders, mit denen er Bruder Giovanni kratzen will, daß er ihm kein Leides zu tun vermöge.« Da kam St. Franciscus und tat, wie Christus ihm geboten hatte.

Danach kam eine Windsbraut und schüttelte den Baum so gewaltig, daß die Brüder von ihm zur Erde fielen; und zu allererst fielen alle die, so den ganzen Kelch des Lebensgeistes verschüttet hatten, und wurden von den Teufeln nach finsteren und peinvollen Stätten geschleppt. Doch Bruder Giovanni mitsamt den andern, so den ganzen Kelch getrunken hatten, wurden von den Engeln nach den Stätten des Lebens und des ewigen Lichtes und des seligen Glanzes getragen.

Und genannter Bruder Jacopo, der das Gesicht schaute, begriff und verstand ganz genau und deutlich, was er sah und in Klarheit, was den Namen und die Art und den Stand eines jeden anging.

Doch jenes Wetter, das wider den Baum gewütet hatte, war so mächtig gewesen, daß er niederfiel, und der Wind ihn davontrug. Alsbald aber, da der Sturm sich gelegt, erhob sich aus dieses Baumes Wurzel, so golden war, ein andrer Baum, der ganz von Golde war und der goldige Blätter und Blüten und Früchte trug.

Von jenem Baume und der Weite seiner Krone, seiner Tiefe, Schönheit und seinem Duft und seiner Kraft ist es besser zu schweigen, als heuer davon zu reden.

 

XLIX. Kapitel

Wie Christus dem Bruder Giovanni von La Vernia erschien

Unter den andern weisen und heiligen Brüdern, den Söhnen St. Francisci, die da, wie Salomo sagt, der Ruhm des Vaters sind, lebte zu unsern Zeiten und in der genannten Provinz der Mark der ehrwürdige und heilige Bruder Giovanni von Fermo, welcher, da er lange Zeit in dem heiligen Kloster von La Vernia wohnte und dort aus diesem Leben geschieden ist, nur Bruder Giovanni von La Vernia genannt wurde. Auch war er ein Mann von ausgezeichnetem Lebenswandel und großer Heiligkeit.

Als dieser Bruder Giovanni noch ein Knabe war und Laie, sehnte er sich von ganzem Herzen nach dem Wege der Buße, die Leib und Seele rein hält; daher begann er, als er noch ein recht kleines Kind war, einen stachelichten Panzer zu tragen und den Eisenring auf seinem Fleische und große Enthaltsamkeit zu üben. Und besonders, als er bei den Domherren von St. Pietro zu Fermo weilte, die ein glänzendes Dasein führten, floh er die Freuden des Lebens und kasteite seinen Leib mit großer Strenge in der Enthaltsamkeit. Doch, da seine Kameraden dem sehr abgeneigt waren und ihm den Panzer wegnahmen und auf verschiedene Weise seiner Enthaltsamkeit Hindernisse in den Weg legten, gedachte er auf Gottes Eingebung, die Welt zu verlassen und, die sie lieb hatten, und sich ganz den Armen des Gekreuzigten hinzugeben im Gewande des gekreuzigten St. Franciscus; und also tat er.

Da er noch so jung in den Orden trat, und man ihn der Obhut eines Meisters anvertraute, wurde er so geistlich und so fromm, daß, wenn er bisweilen jenen Meister von Gott reden hörte, sein Herz wie Wachs dahinschmolz, das dem Feuer nahe kommt. Und so weich machte ihn die Gnade und ließ ihn so warm werden in der Liebe Gottes, daß er aufstand, weil er nicht auf der Stelle bleiben und solche Lieblichkeit nicht ertragen konnte; und wie trunken vom Geiste lief er dann entweder durch den Garten oder durch den Wald oder durch die Kirche, je nachdem, wohin ihn des Geistes Macht und Flamme trieb.

Hernach, mit der Zeit, ließ die göttliche Gnade jenen engelgleichen Mann beständig an Kraft und an himmlischen Gaben zunehmen und an Erhebungen und Verzückungen zu Gott, so daß ihm bisweilen der Sinn zu dem Glanze der Cherubim erhoben wurde, bisweilen zu den Freuden der Seligen, bisweilen aber zu den liebreichen und über alles gehenden Umarmungen Christi.

Und fürnehmlich und über alle Maßen entzündete einst sein Herz die Flamme der göttlichen Liebe. Und wohl drei Jahre brannte in ihm jene Flamme fort, in welcher Zeit er wundersame Tröstungen und göttliche Heimsuchungen erfuhr und oft zu Gott entzückt wurde; kurz, er schien in jener Zeit ganz in Flammen zu stehen und von der Liebe Christi entzündet zu sein. Und dieses geschah auf dem heiligen Berge La Vernia.

Da jedoch Gott unendliche Sorge um seine Kinder trägt, indem er ihnen nach Zeiten bald Trost, bald Drangsal spendet, bald Glück, bald Ungemach, je nachdem er sieht, ob sie Not haben sich demütig zu halten, oder um ihr Sehnen nach den himmlischen Dingen mehr noch anzufachen, gefiel es der Güte Gottes, nach den drei Jahren diesen Strahl und diese Flamme der göttlichen Liebe von Bruder Giovanni hinwegzunehmen; und so ward er jedes geistlichen Trostes beraubt.

Also blieb Bruder Giovanni ohne Licht und ohne Liebe Gottes zurück und ganz trostlos und betrübt voller Schmerzes; darum wandelte er ganz in Ängsten durch den Wald und redete hierhin und dorthin und rief mit Worten und Weinen und mit Seufzern nach dem geliebten Bräutigam seiner Seele, der sich vor ihm verborgen hatte und von ihm gegangen war und ohne dessen Nähe seine Seele weder Ruhe fand noch Frieden. Aber an keinem Orte, auf keine Weise vermochte er den süßen Jesus wiederzufinden, auch nicht die süßen geistlichen Freuden der Liebe Christi wieder zu schmecken, wie er sonst gewohnt war. Und jene Drangsal währte ihm viele Tage lang, und in diesen Tagen ließ er nicht ab von beständigem Weinen und Seufzen und Bitten zu Gott, daß er um seines Mitleides willen ihm seiner Seele geliebten Bräutigam wiedergeben möge.

Endlich, da es Gott genug bedünkte, sein Dulden geprüft und sein Sehnen entfacht zu haben, eines Tages, setzte sich Bruder Giovanni, der durch jenen Wald so traurig und bekümmert dahinwandelte, müde nieder; und er lehnte sich an eine Buche und blieb so, das Antlitz in Tränen gebadet, und blickte gen Himmel. Siehe da, plötzlich erschien Christus ganz nahe von ihm auf dem Pfade, daher jener Bruder Giovanni gekommen war; doch er sprach kein Wort. Wie ihn Bruder Giovanni erblickte und wohl erkannte, daß es Christus war, warf er sich gleich vor ihm nieder und bat ihn mit unermeßlichem Weinen recht demütiglich und sprach: »Hilf mir, mein Herr, da ich ohne dich, du mein süßer Erlöser, in Finsternis bin und weine; ohne dich, du sanftmütiges Lamm, stehe ich in Angst, in Pein, in Furcht; ohne dich, du Sohn des allerhöchsten Gottes, stehe ich in Wirrsalen und Schmach; ohne dich bin ich jeglichen Gutes beraubt und blind, denn du bist Jesus Christus, das wahre Licht der Seelen; ohne dich bin ich verdammt und verloren, denn du bist der Seelen Leben und das Leben der Leben; ohne dich bin ich unfruchtbar und dürr, denn du bist der Quell jeder Gabe und jeder Gnade; ohne dich bin ich ganz ohne Trost, denn du bist Jesus, unsre Erlösung, unsre Liebe, unser Sehnen, Brot, das da stärkt, und Wein, so der Engel Herzen erfreut und aller Heiliger Herzen; erleuchte mich Meister, reich an Gnaden, und Hirte, reich an Mitleid, denn ich bin dein Schaf, ob ich auch gleich unwürdig bin.«

Damit jedoch der Heiligen Sehnen, das Gott zu stillen zögert, noch zu größerer Liebe und Verdienste entfacht werde, geht der gebenedeite Christ vorüber, ohne ihn zu erhören und ohne ihm ein Wort zu sagen, und schreitet weiter auf jenem Fußpfade.

Da erhebt sich Bruder Giovanni und läuft ihm nach und wirft sich wieder ihm zu Füßen und hält ihn mit heiligem Drängen zurück und bittet ihn mit Tränen der Hingabe: »O süßester Jesus Christus, hab Erbarmen mit mir, der ich in Drangsal bin; erhöre mich um der Fülle willen deiner Barmherzigkeit und um der Wahrheit willen deines Heiles; und gib mir die Freude deines Angesichtes wieder und deines mitleidigen Blickes. Denn deiner Barmherzigkeit ist die ganze Erde voll.«

Und immer geht Christus weiter und spricht zu ihm kein Wort und gibt ihm keinen Trost; und er tut wie die Mutter mit dem Kinde, wenn sie es nach der Puppe verlangen und es weinend hinter sich herlaufen läßt, damit es sie hernach mit um so größeren Freuden ergreife.

So folgt denn Bruder Giovanni mit noch größerem Eifer und Sehnen Christo, und da er ihn eingeholt hatte, wandte sich Christus, der Gebenedeite, zu ihm und sah ihn an mit heiterm Angesichte voller Gnade; und er öffnete seine heiligen, erbarmenden Arme und umfaßte ihn sanft, und Bruder Giovanni sah, daß, wie er die Arme auftat, aus des Erlösers geheiligter Brust leuchtende Strahlen ausgingen, die den ganzen Wald erhellten, ihm aber den Leib und die Seele.

Da kniete Bruder Giovanni zu Christi Füßen nieder. Und Jesus, der Gebenedeite, reichte ihm, wie der Magdalena, gütig den Fuß zum Kusse. Und Bruder Giovanni erfaßte ihn voll tiefster Ehrfurcht und netzte ihn mit so vielen Tränen, daß er in Wahrheit einer andern Magdalena glich; und er sprach voll Ergebenheit: »Ich bitte dich, mein Herr, daß du nicht meine Sünden ansiehest, sondern durch deine heilige Passion und das Vergießen deines teuren und heiligen Blutes meine Seele zur Gnade deiner Liebe erweckest. Denn das ist ja dein Gebot, daß wir dich lieb haben von ganzem Herzen und von ganzem Vermögen; und dieses kann niemand erfüllen ohne deine Hilfe. Hilf mir also, du geliebter Sohn Gottes, daß ich dich von ganzem Herzen lieb habe und mit all meinen Kräften.«

Da Bruder Giovanni mit diesen Reden also zu Christi Füßen lag, ward er von ihm erhört, und seine frühere Gnade ward ihm wiedergegeben, nämlich die Flamme der göttlichen Liebe; und er fühlte sich ganz getrost und erneut. Und wie er spürte, daß die Gabe der göttlichen Gnade wieder bei ihm war, hub er an, Christo, dem Gebenedeiten, zu danken und ihm in Ehrfurcht die Füße zu küssen. Als er sich dann erhob, um Christo in das Antlitz zu schauen, streckte Christus ihm seine heiligen Hände entgegen und reichte sie ihm zum Kusse; und als sie Bruder Giovanni geküßt hatte, lehnte und schmiegte er sich an Jesu Brust und umarmte und küßte ihn; desgleichen umarmte und küßte ihn Christus. Und bei dieser Umarmung und bei diesem Kusse spürte Bruder Giovanni so viel göttlichen Wohlgeruches, daß der Zauber aller Düfte und alle duftenden Dinge der Welt zusammen ein Gestank vor diesem Wohlgeruche geschienen hätten; darinnen nun wurde Bruder Giovanni entzückt und getröstet und erleuchtet. Und er spürte jenen Wohlgeruch noch viele Monate lang in seiner Seele.

Fortan gingen aus seinem Munde, der aus dem Quelle göttlicher Weisheit in der heiligen Brust des Erlösers seinen Durst gestillt hatte, wunderbare und himmlische Worte, so die Herzen verwandelten, daß er eines jeden Seele gewann, der ihm zuhörte. Und auf dem Pfad im Walde, da die gebenedeiten Füße Christi geweilt hatten, spürte Bruder Giovanni noch eine geraume Weile später jenen Duft und sah stets jenen Glanz, wenn er noch lange Zeit hernach dort wandelte.

Als Bruder Giovanni nach dieser Verzückung zu sich gekommen und die körperliche Erscheinung Christi verschwunden war, blieb er in der Seele also erleuchtet und in den Abgrund seiner Göttlichkeit versenkt, daß er, ob er gleich nicht durch Menschenfleiß gelehrt war, dennoch wunderbar die feinsten und hohen Fragen über die göttliche Dreieinigkeit löste und deutete und die tiefsten Geheimnisse der Heiligen Schrift. Und oftmals hernach, da er vor dem Papste und vor den Kardinälen sprach und vor Königen und Baronen und Magistern und Doktoren, setzte er sie alle in großes Staunen mit den erhabenen Worten und tiefen Sprüchen, die er redete.

 

L. Kapitel

Wie Bruder Giovanni von La Vernia, da er am Tage Allerseelen die Messe las, viele Seelen wahrnahm, die aus dem Fegefeuer erlöst wurden

Als genannter Bruder Giovanni einmal am Tage nach Allerheiligen für die Seelen der Verstorbenen die Messe las, wie es die Kirche gebietet, verrichtete er dieses hochheilige Geheimnis (um dessen Kraft willen der Verstorbenen Seelen danach vor allem andern Guten begehren, das man ihnen erweisen kann) mit solcher Inbrunst der Liebe und so viel erbarmendem Mitleide, daß es schien, als verginge er ganz von der Süße seines Mitleides und vor brüderlicher Liebe. Wie er nun bei dieser Messe den Leib Christi andächtig emporhob und ihn Gott, dem Vater, darbrachte und ihn bat, daß er um der Liebe willen seines gebenedeiten Sohnes Jesu Christi, der die Seelen loszukaufen, an das Kreuz geschlagen worden, der Verstorbenen Seelen von der Pein des Fegefeuers befreien möchte, sintemalen er sie erschaffen und erlöst habe, da sah er alsbald schier zahllose Seelen aus dem Fegefeuer gehen, wie wenn unzählige Funken aus einem brennenden Ofen hervorsprühten. Und er sah sie gen Himmel steigen durch das Verdienst von Christi Leiden, der alle Tage für die Lebenden und für die Toten in der heiligen Hostie geopfert wird, so da würdig ist aller Verehrung in saecula saeculorum.

 

LI. Kapitel

Von dem heiligen Bruder Jacopo von Fallerone; und wie er nach seinem Tode Bruder Giovanni von La Vernia erschien

Zu der Zeit, da Bruder Jacopo von Fallerone, ein Mann von großer Heiligkeit, schwer krank in dem Kloster von Molliano im Gaue von Fermo lag, hörte Bruder Giovanni von La Vernia, der damals im Kloster zu Massa wohnte, von seiner Krankheit, und da er ihn als seinen geliebten Vater liebte, begann er für ihn zu beten und flehte in Andacht still bei sich zu Gott, er möge jenem Bruder Jacopo Gesundheit des Leibes geben, sollte das zum Besten seiner Seele dienen. Da er so in Andacht betete, ward er entzückt und sah in der Luft ein großes Heer von Engeln und Heiligen über seiner Zelle, die im Walde stand, und solchen Schein, daß das ganze Land ringsumher erhellt wurde; und unter diesen Engeln sah er den kranken Bruder Jacopo, für den er betete, in leuchtenden Kleidern und lauter Glanze dastehen. Er sah auch unter ihnen den seligen Vater, St. Franciscum, geschmückt mit den heiligen Wundmalen Christi und mit viel Herrlichkeit; er sah auch und erkannte den heiligen Bruder Lucido und Bruder Matteo, den Alten von Monte Rubbiano, und noch mehr andre Brüder, die er in diesem Leben nie gesehen noch gekannt hatte.

Und da Bruder Giovanni selbstverständlich mit großem Entzücken jene selige Schar der Heiligen betrachtete, wurde ihm die Rettung der Seele jenes kranken Bruders ganz gewiß offenbart, und daß er an dieser Krankheit sterben sollte: doch nicht gleich nach seinem Tode sollte er in das Paradies gehen, sondern er mußte sich noch ein wenig in dem Fegefeuer läutern.

Über diese Offenbarung freute sich Bruder Giovanni dermaßen um der Rettung der Seele willen, daß er über den Tod des Leibes nicht im geringsten betrübt war; sondern voll großer Süßigkeit des Geistes rief er den Namen jenes vor sich hin und sagte: »Bruder Jacopo, du mein süßer Vater, Bruder Jacopo, du mein süßer Bruder, Bruder Jacopo, treuester Knecht und Freund Gottes, Bruder Jacopo, Geselle der Engel und Genosse der Seligen!« Und in dieser Gewißheit und Freudigkeit kam er wieder zu sich.

Alsbald brach er von dem Kloster auf und ging nach Molliano, jenen Bruder Jacopo zu besuchen. Wie er ihn nun so schlimm fand, daß er kaum sprechen konnte, kündete er ihm den Tod seines Leibes und die Rettung und Herrlichkeit seiner Seele nach der Gewißheit, die ihm durch göttliche Offenbarung zuteil geworden war. Daher nahm ihn Bruder Jacopo hocherfreuten Sinnes und Angesichtes und in großer Glückseligkeit auf und mit freundlichem Lächeln und dankte ihm für die gute Nachricht, die er mitbrachte, und empfahl sich ihm voller Ehrfurcht.

Da bat ihn Bruder Giovanni in Liebe, er möchte nach seinem Tode zu ihm kommen und ihm von seinem Zustande erzählen. Bruder Jacopo versprach ihm das, falls es Gott so gefallen sollte. Nach diesen Worten, da die Stunde seiner Wanderung nahte, begann Bruder Jacopo voller Andacht jenen Vers des Psalmens herzusagen: »In pace in idipsum dormiam et requiescam« Psalm IV Vers 9 (Vulgata)., was da bedeutet: »In Frieden werde ich in das ewige Leben einschlafen und ruhen.« Und als er diesen Vers gesprochen hatte, schied er freundlichen und heitern Angesichts aus diesem Leben.

Nachdem er begraben war, kehrte Bruder Giovanni nach dem Kloster von Massa zurück und harrte auf die Erfüllung von Bruder Jacopos Versprechen, daß er nämlich an dem Tage, den er genannt hatte, zu ihm kommen sollte.

Doch als er an jenem Tage betete, erschien ihm Christus mit einem großen Gefolge von Engeln und Heiligen, doch Bruder Jacopo war unter ihnen nicht. Darob wunderte sich Bruder Giovanni sehr und befahl ihn ehrfürchtig Christo. Dann, am folgenden Tage, da Bruder Giovanni im Walde betete, erschien ihm Bruder Jacopo, von den Engeln begleitet, ganz strahlend und heiter, und Bruder Giovanni sprach zu ihm: »Liebster Vater, warum bist du nicht zu mir an dem Tage gekommen, wie du es versprochen hattest?« Antwortete Bruder Jacopo: »Weil ich noch einiger Läuterung bedurfte. Aber zu derselbigen Stunde, da Christus dir erschien, und du mich ihm befahlst, hat dich Christus erhört und mich von aller Pein erlöst. Und dann bin ich Bruder Jacopo von Massa erschienen, dem heiligen Laienbruder: er bediente gerade die Messe und sah, wie die gewandelte Hostie, da sie der Priester emporhob, die Gestalt eines wunderschönen, lebenden Kindleins annahm; und ich sagte ihm: Heute gehe ich mit diesem Kindlein nach dem Reiche des ewigen Lebens, dahin niemand ohne jenes einzugehen vermag.«

Nach diesen Worten verschwand Bruder Jacopo; und er ging gen Himmel mit jener ganzen seligen Schar der Engel. Und Bruder Giovanni blieb sehr getröstet zurück.

Es starb aber genannter Bruder Jacopo von Fallerone im Monat Juli am Vorabende des Tages St. Jacobi, des Apostels, im genannten Kloster von Molliano, wo Gott um seiner Verdienste willen viele Wunder nach seinem Tode vollbrachte.

 

LII. Kapitel

Von dem Gesichte des Bruders Giovanni von La Vernia, da er die ganze Ordnung der Heiligen Dreieinigkeit erkannte

Weil genannter Bruder Giovanni von La Vernia aller weltlichen und zeitlichen Lust und Freude vollkommen entsagt hatte und sein ganzes Wohlgefallen und seine ganze Zuversicht in Gott suchte, ließ ihm Gottes Güte wunderbare Tröstungen und Offenbarungen zuteil werden, besonders an den Festen Christi.

Als nun einmal die Weihnachtsfeier nahte, an der er mit Gewißheit von Gott eine Tröstung durch die süße Menschwerdung Christi hoffte, flößte ihm der heilige Geist so großes und so ungeheures Begehren und Sehnsucht in die Seele nach der Liebe Christi, kraft deren sich dieser erniedrigt hatte, unsre Menschengestalt anzunehmen, daß es ihm wahrlich so schien, wie wenn ihm die Seele aus dem Leibe genommen wäre und gleich einem Ofen glühe. Und da er solches Glühen nicht aushalten konnte, verging er schier vor Ängsten und schrie mit lauter Stimme; denn vor der Macht des heiligen Geistes und der allzu großen Glut der Liebe konnte er sich des Schreiens nicht erwehren. Und zu der Stunde, da ihn dieses ungeheure Glühen überkam, ward ihm zugleich damit eine so feste und gewisse Zuversicht seines Heiles, daß er überhaupt nicht glaubte, die Pein des Fegefeuers durchwandeln zu müssen, wenn er zu der Zeit gestorben wäre. Diese Liebesfülle währte ihm wohl an sechs Monate, ob er zwar nicht beständig so ungewöhnliche Glut empfand; sondern sie überkam ihn zu gewissen Tagesstunden. Zu jener Zeit erhielt er dann auch wunderbare Heimsuchungen und Tröstungen von Gott; und zu mehreren Malen ward er entzückt, wie es jener Bruder sah, der zuerst diese Geschichten aufgezeichnet hat.

Unter anderm wurde er in einer Nacht also zu Gott erhoben und entzückt, daß er in ihm, dem Schöpfer, alle erschaffenen Dinge des Himmels und der Erde sah und alle ihre Vollkommenheiten und wunderlichen Ordnungen und Stufen: Da erkannte er in Klarheit, wie jedes Ding vor seines Schöpfers Augen dastand, und wie Gott über aller Kreatur ist und in ihr und außer ihr und um sie. Dann begriff er auch einen Gott in drei Personen und drei Personen in einem Gotte und die endlose Liebe, die Gottes Sohn auf das Gebot des Vaters hatte Fleisch werden lassen. Schließlich erkannte er in diesem Gesichte, daß es keinen andern Weg gibt, da die Seele zu Gott gehen und das ewige Leben finden mag, wenn nicht durch Christum, den Gebenedeiten, so der Seelen Weg ist, ihre Wahrheit und Leben.

 

LIII. Kapitel

Wie Bruder Giovanni von La Vernia, da er die Messe las, für tot hinfiel

Jenem Bruder Giovanni widerfuhr im genannten Kloster von Molliano folgendes wundersame Geschehnis, wie es die Brüder erzählten, die dabei zugegen waren:

Als er in der ersten Nacht auf die Woche St. Laurentii und in der Woche der Himmelfahrt unsrer Frauen mit den andern Brüdern in der Kirche die Metten gebetet hatte, überkam ihn die Brunst der göttlichen Gnade, und er ging in den Garten, Christi Passion zu betrachten und sich in all seiner Frömmigkeit zur Feier der Messe zu bereiten, die er gerade am Morgen zu singen hatte. Und da er in die Betrachtung der Worte versunken war, damit der Leib Christi gewandelt wird, d. h. indem er Christi unermeßliche Liebe anschaute, durch die er uns nicht nur mit seinem kostbaren Blute hatte loskaufen wollen, sondern auch, indem er uns seinen ehrwürdigen Leib und Blut zur Speise der Seelen ließ, wuchs ihm die Liebe des süßen Jesus zu solcher Glut und solcher Wonne, daß es seine Seele schon nicht mehr aushalten konnte; so große Süßigkeit fühlte er; er schrie aber laut und wie trunken von Geiste vor sich hin und hörte nicht auf zu wiederholen: »Hoc est corpus meum.« Denn während er diese Worte sprach, war es ihm, als sehe er Christum, den Gebenedeiten, mit der Jungfrau Maria und einer Menge von Engeln; und er wurde hierbei von dem heiligen Geiste über alle tiefen und hohen Geheimnisse dieses allerhöchsten Sakramentes erleuchtet. Und da der Morgen graute, trat er in die Kirche voll jener Glut des Geistes und jenes Bangens und mit jenen Worten, indessen er glaubte, daß ihn niemand sehe noch höre. Aber im Chore betete gerade ein Bruder, der alles sah und hörte. Da jener aber wegen Fülle der göttlichen Gnade seiner nicht Herr werden konnte, schrie er mit lauter Stimme und schrie so lange weiter, bis es Zeit ward, die Messe zu lesen.

Dann ging er hin, sich für den Altar bereit zu machen, und wie er die Messe begonnen hatte, wuchs ihm, je mehr er weiter kam, desto mehr die Liebe Christi und jene Glut der Andacht, mit der ihm ein unaussprechliches Fühlen Gottes gegeben war, das er selbst nicht kannte, noch hernach mit der Zunge auszudrücken vermochte. Doch weil er darum fürchtete, daß jene Glut und jenes Fühlen Gottes allzumächtig würden, so daß er die Messe unterbrechen müßte, war er in großer Bestürzung und wußte nicht, was zu tun, die Messe weiterzulesen oder zu warten. Aber da ihm ein andres Mal ein Ähnliches begegnet war, und der Herr jene Glut so sehr gemäßigt hatte, daß er es nicht nötig gehabt, die Messe zu unterbrechen, und da er sichs zutraute, das zweitemal ebenso tun zu können, beschloß er in großem Zagen, die Messe weiterzulesen.

Als er aber zur Präfation unsrer Frauen kam, begann die göttliche Erleuchtung und der Liebe Gottes gnadenreiche Milde also zuzunehmen, daß er bei den Worten »qui pridie« solche Lieblichkeit und Süße kaum ertragen konnte.

Endlich, da er an der Konsekration angelangt war und die Worte über die Hostie schon zur Hälfte gesprochen hatte, nämlich »hoc est«, konnte er durchaus nicht mehr weiter, sondern er wiederholte immerzu dieselben Worte, nämlich »hoc est enim«. Und die Ursache, weshalb er nicht weiter konnte, war die, daß er die Gegenwart Christi samt vielen Engeln spürte und schaute und dessen Majestät nicht zu ertragen vermochte, und daß er sah, wie Christus nicht in die Hostie einging, und sie nicht eher sich in den Leib Christi wandelte, bis daß er die andre Hälfte der Worte sprach, nämlich: »Corpus meum«.

Indessen er sich nun also ängstigte und nicht weiter kam, drängten sich der Guardian und die andern Brüder und auch viele Laien, so in der Kirche waren, die Messe zu hören, an den Altar, und sie blieben erschrocken stehen, da sie Bruder Giovannis Gebärden sahen und betrachteten. Und viele von ihnen weinten in frommer Ergriffenheit.

Endlich, nach geraumer Weile, als es nämlich Gott so gefiel, sprach Bruder Giovanni auch die Worte »Corpus meum« mit lauter Stimme aus. Und alsbald verschwand die Gestalt des Brotes, und in der Hostie erschien Jesus Christus, der Gebenedeite, der Fleisch geworden und zur Herrlichkeit gegangen war. Und er wies ihm die Demut und die Liebe, so ihn in der Jungfrau Maria hatte Fleisch werden lassen und ihn jeden Tag in die Hand des Priesters gibt, wenn er die Hostie wandelt. Aus diesem Grunde wurde er nur noch mehr in der Süßigkeit des Betrachtens erhoben.

Wie er aber die Hostie und den geweihten Kelch emporgehoben, wurde er außer sich entzückt. Und weil seine Seele von dem Gefühle des Leibes frei geworden, sank sein Körper rücklings nieder; und wäre er nicht vom Guardian gestützt worden, der da hinter ihm stand, so wäre er zur Erde gefallen. Da liefen die Brüder hinzu und die Laien, so in der Kirche waren, Männer und Frauen, und er wurde für tot in die Sakristei gebracht; denn sein Körper war kalt und die Finger seiner Hände so zusammengekrampft, daß man sie kaum spreizen oder bewegen konnte. In diesem Zustande lag er also bewußtlos oder verzückt bis zu der dritten Stunde; und es war Sommer.

Und da ich, der ich hierbei zugegen war, sehr gern etwas darüber zu erfahren wünschte, was Gott an ihm getan hatte, suchte ich ihn, sobald er wieder zu sich gekommen, auf und bat ihn um der Liebe Gottes willen, er solle mir jegliches erzählen. Er aber erzählte mir alles der Reihe nach, da er großes Vertrauen zu mir hatte. Unter den andern Dingen, die er mir sagte, war es auch, daß, wie er den Leib und das Blut Christi vor sich betrachtete, sein Herz wie stark erhitztes Wachs zerfloß, und es ihm schien, als sei sein Fleisch ohne Knochen, derart, daß er weder die Arme, noch die Hände emporheben konnte, um das Zeichen des Kreuzes über der Hostie zu machen und über dem Kelche.

Auch sagte er mir, daß ihm Gott, bevor er Priester wurde, offenbart hatte, er würde bei der Messe ohnmächtig werden; da er aber schon viele Messen gelesen, und ihm solches niemals geschehen war, hatte er geglaubt, diese Offenbarung sei nicht von Gott gewesen. Und aber – etwa fünfzig Tage vor der Himmelfahrt unserer Frauen, da ihm dieses begegnet – hatte Gott ihm offenbart, daß ihm solches um die Zeit jenes Festes der Himmelfahrt widerfahren sollte. Da er sich jedoch hernach dieses Gesichtes nicht mehr entsann oder dieser Offenbarung, so unser Herr ihm hatte zuteil werden lassen, hatte er darauf weiter nicht achtgegeben. Amen.


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