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Erster Anhang.
Quellen der Franziskus-Forschung


I. Die Quellen zur Geschichte des Franz

Diesen Abschnitt habe ich unverändert, nur durch einige neuere literarische Angaben bereichert, stehen lassen, wie er in der ersten Auflage dieses Buches gegeben war, und füge gesondert in einem zweiten Kapitel die Kritik der neueren Quellenforschung hinzu.

Vier Lebensbeschreibungen des Franz von Assisi sind uns aus dem 13. Jahrhundert erhalten, und diese allein, die ersten drei noch von seinen Zeitgenossen geschrieben, dürfen die Grundlage einer historischen Betrachtung bilden, wenn auch vergleichend die Mitteilungen vor allem des Jordanus von Giano, dann einiger anderer Schriftsteller der Zeit, wie Jacobus de Voragine, Matthäus Paris, Jordanus, Vincentius von Beauvais, Jacobus de Vitriaco herzugezogen werden müssen. Erst seit kurzer Zeit ist die historische Kritik auch auf diesen Stoff angewandt worden, nachdem durch Jahrhunderte hindurch in zahllosen Biographien des Heiligen ohne Auswahl die älteren Angaben des 13. Jahrhunderts mit den an neuen Erfindungen und Legenden reichen Darstellungen der zwei folgenden Jahrhunderte vermischt worden waren und so ein buntes Ganzes entstanden war. Die erste kritische Sichtung des im Laufe der Zeit übermäßig angewachsenen Stoffes unternahm der gelehrte und sorgfältige Konstantin Suysken, als er in den Acta sanctorum (Antw. 1786. T. II. p. 683-798) drei der älteren Biographien neu publizierte und in seinem Kommentar insonderheit die Angaben in Waddings Annalen einer genauen Prüfung unterzog. Blieb seine Auffassung des Franziskus auch noch immer weit entfernt von der Würdigung der geschichtlichen Persönlichkeit, so gebührt ihm doch der Dank für die einsichtsvolle Verarbeitung und klärende Vergleichung der älteren Literatur. Ein weiterer Schritt konnte erst von protestantischer Seite geschehen, wie ihn denn Hase in seinem »Lebensbild des Franz von Assisi« (Leipzig 1856) tat. Dem hervorragenden Geschichtsschreiber der christlichen Kirche und Vorkämpfer freier protestantischer Forschung gelang es, mit kühner und sicherer Hand das dichte Netz unbewußter und willkürlicher Erdichtung zu zerreißen und der geschichtlichen Betrachtung den freien, ungehinderten Ausblick auf das inhaltsreiche Leben des merkwürdigen Mannes zu erschließen. In entscheidender Weise verstand er es, die Umbildung wirklicher Vorgänge zu wunderbaren Ereignissen in der fortschaffenden Einbildungskraft des Volkes und der die Absicht verratenden lehrhaften Anschauung der Franziskaner anschaulich darzulegen und aus der späteren Legende den eigentlichen Kern loszulösen. Unter seiner Polemik aber, so gerechtfertigt sie der katholischen Auffassung gegenüber war, hat doch der unschuldige Veranlasser derselben, Franz selbst, etwas zu leiden gehabt, hat dessen geistige und moralische Bedeutung nicht die volle Würdigung erhalten, – der große Mensch verschwand zuweilen hinter dem Gründer des Bettelmönchordens und behielt nicht immer die volle Sympathie seines Biographen für sich. Größere Gewißheit über einzelne Tatsachen des Lebens gewann dann Georg Voigt aus den Notizen der »Denkwürdigkeiten des Minoriten Jordanus von Giano«, die er 1870 in dem V. Bd. der Abhandl. der phil.-hist. Klasse der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zum ersten Male veröffentlichte, und Christofani aus den Urkunden seiner Heimatstadt Assisi, die er in den »Storie di Assisi« (II. Ausg. 1875. Assisi, Sensi) verwertete. In letzter Zeit erschien dann Ernest Renans geistvolle Studie in den »nouvelles Études d'histoire religieuse« (Paris, Lévy 1884) und die vortreffliche, kurze Biographie des Franz von Ruggero Bonghi (Città di Castello 1884), in der ein klares, übersichtliches, von allen konfessionellen Streitigkeiten absehendes Lebensbild entworfen wurde. Hier auch wurde, wenn auch in sehr beschränkter Weise, zum ersten Male die zweite Legende des Thomas von Celano verwertet, die, obgleich 1806 in Rom publiziert, früheren Schriftstellern entgangen war.

Wenden wir uns nun zu einer vergleichenden Betrachtung der ältesten Quellen, so wird sich ergeben, daß man bisher die Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen, die doch von größter Wichtigkeit für ihre Benutzung und Kritik sind, nicht richtig erkannt hat.

Die älteste ist unzweifelhaft die sog. I. vita von Thomas von Celano, die, wie die Vorrede sagt, auf Befehl des Papstes Gregor IX. von einem geschrieben wurde, der viel »aus dem Munde des Franz selbst gehört«, anderes »von treuen und bewährten Zeugen« erfahren hat. Sie ist, wie schon von Suysken, dessen Publikation in den Acta SS. Oct. II. Bd. wir folgen, dann von allen späteren Biographen angenommen wird, zwischen 1228 und 1230 geschrieben, da sie wohl die im ersteren Jahre erfolgte Kanonisation, nicht aber die Übertragung des Leichnams in die neue Kirche S. Francesco (1230 erfolgt) enthält Neuere Ausgabe mit ital. Übersetzung von Amoni. Rom 1880.. Daß sie von Thomas von Celano geschrieben sei, beruht auf keinem alten authentischen Zeugnisse, sondern nur auf einer bei Wadding zuerst aufgestellten Vermutung, der aber die größte Wahrscheinlichkeit nicht abzusprechen ist Den verschiedenen Nachrichten zufolge hatte Thomas vier Legenden geschrieben, 1. kurz für den Chorgebrauch (wohl die nach Codex in Assisi bei Papini: Notizie sicure della morte di S. F. Foligno 1824. S. 239), 2. eine auf Befehl Gregors IX. (die man in der unsrigen erkennt), 3. eine auf Antrieb des Crescentius 1244 (nach Salimbene Chron. Parma 1857, p. 60, wie man annimmt: die sog. II. vita des Thomas), 4. eine auf Antrieb des Joannes Parmensis, der 1247 Generalminister wird.. Wenn Tholuck in den vermischten Schriften (Th. I. S. 110) sie dem Johannes oder Thomas von Ceperano, einem römischen Notar, zuweisen möchte, so ist dem zu entgegnen, daß wir bis jetzt noch vollständig im unklaren über die Existenz dieses Mannes sind. Zwar hat Voigt als Titel eines Buches bei Potthast (Bibl. Hist. p. 707): »speculum vitae S. Francisci, auctore Th. Ceperano ed. Bosquierius, Coloniae 1623, in 8°« gefunden, und die Angabe, daß dieser 1245 gelebt (a. a. O. S. 455). Doch bezweifelt schon Bonghi (S. 88) die Richtigkeit dieser Angabe, indem er darauf hinweist, daß Suysken (a. a. O. p. 550) offenbar dasselbe Werk unter anderm Titel angibt: Antiquitates Franciscanae seu speculum vitae beati Francisci et sociorum ejus, auctoribus FF. Fabiano et Hugelino et aliis minoritis D. Francisco coaevis. Bosquierius. 1623.« Hase, dem es selbst vorgekommen zu sein scheint, nennt es, ohne den Titel anzugeben, eine ›freie Überarbeitung‹ des älteren Spekulum. (S. 15. A.) Die Bollandisten wissen aus einer alten Chronik, daß jener Tommaso da Ceperano für Crescentius eine Legende geschrieben, und stimmen darin mit Wadding überein, fügen aber nach derselben Quelle hinzu, daß dieselbe von einem Fr. Francesco da Bessa ergänzt worden sei, während Wadding davon weiß, daß ein Bernardo da Bessa selbständig eine längere Legende geschrieben. Sei dem wie ihm sei, wir werden sehen, daß uns schwerlich irgendeine wichtige vita fehlt, daß die nicht erhaltenen Biographien wahrscheinlicherweise nichts anderes als Wiederholungen der dem Thomas von Celano zugeschriebenen gewesen. Auf eines aber ist schon hier aufmerksam zu machen, daß stilistisch ein entschiedener Unterschied zwischen der I. und II. vita des Thomas von Celano besteht, der Satzbau und die Ausdrucksweise in der ersteren ungemein einfach und klar, in der zweiten schwülstig und verworren ist, was aber wohl seine Erklärung darin finden mag, daß die I. Legende als reine Erzählung besonders für das Volk, die II. Legende als Charakteristik des Franz für die gebildeteren Kreise geschrieben war. Es ist sehr wahrscheinlich, wie Bonghi will, daß dieser Thomas von Celano einer von den gelehrten Leuten war, die nach der I. Legende in den Orden eintraten, als Franz von seiner Reise nach Spanien zurückkehrte.

Die I. vita nun, die von allen den größten Anspruch auf Glaubwürdigkeit hat, fand eine fast getreue Nachfolge in einer anonymen Legende, die Suysken in einem Codex eines Isaak Vossius gefunden und in seinem Kommentar mit verwendet hat. Dieselbe ist nach 1230 geschrieben, da sie die Übertragung des Leichnams enthält, hat aber nur für diesen einen Punkt originale Bedeutung. Ebenso ist das lateinische Carmen, das Cristofani nach einem Codex in Assisi publiziert hat (II più antico poema della vita di S. F. d'Assisi. Prato 1882), nichts als eine Versifizierung der I. vita. Wenn er annimmt, es sei vor 1230 entstanden, so muß ich ihm mit Bonghi widersprechen, da es ganz zweifellos ist, daß der Dichter, nur verschwindend weniges Neues hinzufügend, sich eben ganz an Thomas hält und so mit demselben Zeitpunkt wie dieser abschließt. Auch die Dedikation an Gregor IX. kann, jener vita nachgebildet, nicht bestimmend für die zeitliche Fixierung sein. Dagegen scheint es mir sehr beachtenswert, daß, wenn auch, wie Cristofani bemerkt, Elias öfters mit Verehrung genannt wird, doch dies so überaus wichtige, demselben vom sterbenden Franz erteilte Segnung weggelassen ist, was offenbar ebensowenig zufällig ist, wie in der späteren vita. Der Dichter schrieb also schon zu einer Zeit, in der des Elias Abfall vom Orden bereits sich vollzogen, also sicher nach 1239, in welchem Jahre er abgesetzt worden ist. Ob jener Frate Giovanni da Kant, der 1243 ein ehemals in der Bibliothek von S. Croce befindliches Gedicht »de mysteriis rerum quae fiunt in Ecclesia« verfaßte und 1256 als Kaplan Alexanders IV. diesem ein Gedicht über das Leben der Chiara widmete, das seinerseits, wie Cristofani sagt, in hohem Grade mit der Legende der Heiligen übereinstimmt, auch Verfasser unseres Poems ist, scheint mir mit Cristofani sehr wahrscheinlich, wenn auch noch nicht erwiesen. Auch Bonghi, der Zweifel daran zu haben scheint, sieht einen Ausländer in ihm Von 1230 an ist er Provinzialminister von Sachsen, kleidet 1234 die h. Agnes von Böhmen zur Äbtissin ihres Klosters ein, sammelt 1246 Subsidien für die Kirche in England und ist 1256 Kaplan Alexanders IV. – Vgl. unten im folgenden Kapitel S. 626 die neue über den Verf. Henricus Pisanus aufgestellte Hypothese.. Da aber er nur das von Thomas schon Gesagte wiederholt, kommt er für die Forschung so gut wie gar nicht in Betracht.

Einen neuen Anstoß erhielt die Lebensschilderung Franzens durch den Generalminister Crescentius, der 1244 auf dem Generalkapitel zu Genua verschiedene Jünger des Heiligen aufforderte, neues Material für Biographien zu sammeln. Auf diesen Antrieb hin erschien die sog. II. vita des Thomas von Celano, als »Memoriale in Desiderio Animae de gestis et verbis sanctissimi patris nostri Francisci«, die bis 1246 vollendet gewesen sein muß, da sie von den gleich zu erwähnenden »tres socii« benutzt wird. Sie ward zum ersten Male 1806 in Rom, dann, was auch Bonghi entgangen, vom Canonico Amoni 1880 mit italienischer Übersetzung publi ziert. Zu gleicher Zeit, nur etwas später, an den III. Id. des August 1246 in Greccio vollendeten die drei Jünger des Franz: Fr. Leone, Fr. Rufino und Fr. Angelo ihre » Legenda«, die zuerst von den Bollandisten (Acta SS. Oct. II. S. 725), dann 1831 in Pesaro (Nobili), 1856 in Recanati (Morici, ital. Übers.), 1880 mit einer alten ital. Übersetzung vom Canonico Amoni publiziert wurde Neuerdings 1898 von Faloci Pulignani in Foligno. – In den Acta SS. lautet das Datum 1247; doch ist, wie schon Wadding nachgewiesen, 1246 richtiger, da Crescentius 1247 stirbt. In des Amoni Ausgabe ist im lateinischen Text 1246 offenbar durch Druckfehler in 1266, im italienischen in 1226 verwandelt..

Endlich 1261 schrieb Bonaventura auf Bitten des Generalkapitals zu Narbonne im J. 1260 seine »vita«, die fortan als die eigentlich klassische zahlreiche Ausgaben erlebt hat.

Wie verhalten sich nun diese vier Lebensbeschreibungen zu einander? Es lag wohl in dem Stoffe selbst, daß schon der erste Biograph, statt eine zusammenhängende historische Schilderung des Lebensganges zu geben, diesen zusammenhängend eigentlich nur bis zu des Franz Rückkehr von Rom, wo er von Innocenz die Erlaubnis zu predigen erhalten, erzählt. Dann kommt er auf die Wesenseigentümlichkeiten des Heiligen zu sprechen und ordnet die äußeren Begebenheiten des aus jenen gewonnenen größeren Gesichtspunkten unter, bis er mit der Schilderung der Stigmatisation im II. Buche wieder den historischen Faden aufnimmt und nun bis zum Tode und zur Kanonisation des Franz fortspinnt. Dann zählt er die nach dem Ableben erfolgten Wunder auf. Seine Schreibweise ist einfach natürlich.

Die II. Legende soll ein Nachtrag sein. Sie vermeidet es, irgend etwas in der ersten Gesagtes zu wiederholen und bringt durchweg Neues, und zwar im ersten kürzeren Teile zur Bekehrungsgeschichte des Franz, im II. und III. Teile zu einer durch zahlreiche kleine Geschichten illustrierten eingehenderen Würdigung der hervorragenden Tugenden desselben. Da handelt es sich zunächst um die Gaben der Weissagung (der ganze II. Teil), dann um die Armut (III, Kap. 1–28), die Mildtätigkeit (III, 29–37), das Beten (III, 38–44), sein Verhältnis zur H. Schrift (III, 45–48), die Art und Wirkung seiner Predigt (III, 49–54), sein Verhältnis zu den Frauen (III, 55–56), seine Standhaftigkeit gegenüber Versuchungen (III, 57–64), die Fröhlichkeit seines Geistes (III, 65 bis 70), seinen Abscheu vor Heuchelei und Hochmut (III, 70–73), seine Demut (III, 74–87), seinen Gehorsam (III, 88–94), seine Abneigung vor Müßiggang (95–98), seine Anschauung vom Priestertum (99–100), seine Liebe zur Natur (101–107), seine Liebe zu den Menschen (108–115), zu seinem Orden (116–124), seine Verehrung für Christus, Maria, Engel und Heilige (125–131), die Auffassung der Mönchsregel (132–136). Daran schließt sich endlich die Erzählung von seinem Ende und ein im Namen der Genossen ausgesprochenes Gebet. In demselben heißt es: »Supplicamus etiam toto cordis affectu, benignissime pater pro illo filio tuo, qui nunc et olim devotus tua scripsit praeconia.« Daraus geht hervor, daß auch jene erste Legende von demselben, also wohl sicher von Thomas von Celano stammt. Aus einer Stelle des Vorworts aber, die so lautet: »Continet in primis hoc opusculum quaedam conversionis facta mirifica, quae in legendis dudum de ipso confectis non fuerunt apposita, quoniam ad auctoris notitiam minime pervenerunt«, läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß die früheren Legenden, vermutlich jene I. vita und die kürzere für den Chorgebrauch, von einem Autor, d. h. Thomas von Celano waren, zugleich aber, daß die »legenda trium sociorum« noch nicht existierte.

Auch ein Vergleich der letzteren mit der II. vita ergibt mit Sicherheit, daß die Tres socii später schreiben, da sie alle jene neuen Fakta der Bekehrungsgeschichte der II. Legende, zum Teil im Wortlaute anklingend, meist ausführlicher und in einem feiner verarbeiteten Zusammenhang wiederbringen, ihrerseits aber vieles hinzufügen, was Thomas nicht hat. Dabei gehen sie von einem etwas anderen Standpunkte aus, indem sie absichtlich, wie in der Vorrede betont wird Non contenti narrare solum miracula, quae sanctitatem nin faciunt sed ostendunt, sed etiam secretae conversationis ejus insignia., weniger Gewicht auf die Wunder legen, als auf die pragmatische Verknüpfung der Umstände und Begebenheiten in der Bekehrungsgeschichte, die demnach auch den größten Teil ihres Buches einnimmt und eine geschichtliche Verarbeitung der Berichte der I. und II. Legende sowie einiger neuer Tatsachen bringt. Dabei zeigen sie sich wohl unterrichtet über die Ordensangelegenheiten, über die Bestätigung der Regel durch Honorius III., über die Aussendung der Minister, des Generalkapitels von 1219. Ihre Berichte beruhen zum Teil nach ihrer eigenen Angabe auf Mitteilungen der Brüder Philippus, Illuminatus de Reate, Masseus de Marignano und Johannes, der indirekt durch Fr. Aegidius manches von Franz erfahren.

Bonaventura endlich faßte, was bei der geringen Berücksichtigung der II. Legende bisher nicht erkannt worden, die drei erwähnten Biographien zusammen und baute aus ihnen die seinige auf. Ein ins einzelne gehender Vergleich beweist, wie genau, zum großen Teile wörtlich, er sich an die II. Legende gehalten, deren Erzählungen er nur in einen anderen Zusammenhang bringt. Mit größter Kunstfertigkeit hat er alle zusammengewebt, so daß es den Anschein hat, als hätte er frei geschaffen und komponiert, während er doch im wesentlichen überall selbst in allgemeinen Betrachtungen nur die älteren Ideen und Worte wiederholt. Dabei ist es denn höchst interessant, zu sehen, wie, abgesehen von den Wundern, die Thomas als solche selbst schon bringt, auch die bei jenem noch einfachen Begebenheiten in wunderbare verwandelt werden, wie alles und jedes eine Vorbedeutung, einen geheimen Sinn, eine wunderbare Beziehung zu anderen Dingen erhält, worauf wir oben oft im einzelnen zu sprechen gekommen sind. Verwundern könnte es, daß Bonaventura nirgends seine doch so gründlich ausgenutzten Quellen zitiert hat und sich begnügt, nur auf seinen Verkehr mit Zeitgenossen des Franz in Assisi hinzuweisen, doch muß man bedenken, daß jene älteren Viten wohlbekannt waren und ihre Ausnutzung ganz selbstverständlich erscheinen mußte. Was Bonaventura neu hinzubringt, ist vergleichsweise wenig, verdient aber hier kurz aufgezählt zu werden, da eine Kritik darauf Rücksicht zu nehmen hat:

Kap. I. 6. Die Kreuzerscheinung, die Franz vor seiner eigentlichen Bekehrung zuteil wird, angeblich von ihm selbst vor seinem Tode mitgeteilt.

Kap. II. 4. Wie der Bischof ihm nach der Lossagung vom Vater das kreuzförmige Gewand übergibt.

Kap. II. 5. Wie er von Rom heimkehrend durch den Kuß einen Aussätzigen heilt.

Kap. III. 4. Die Erweiterung der Vision des Silvester. Da flüchtet vor dem Anblick des Franz, aus dessen Mund ein riesiges Kreuz ausgeht, ein Drache.

Kap. III. 7. Der Traum des Papstes Innocenz von der wachsenden Palme.

Kap. IV. 7. Das Mitleid, das ein Sarazene über zwei Brüder empfindet.

Kap. IV. 8. Wie Franz den Kreuzträger Moricus in Assisi durch das Öl einer geweihten Lanze heilt.

Kap. IV. 9. Von der Vorliebe des Franz für das Zeichen des Tau.

Kap. IV. 10. Von der wunderbaren Speisung der 5000 zum Kapitel versammelten Brüder.

Kap. IV. 11. Wie er die von Elias verlorene Regel nochmals schreibt.

Kap. V. 10. Wie ihm, in den Sümpfen bei Padua irrend, in der Nacht der Weg durch himmlisches Licht erhellt wird.

Kap. VII. 10. Wie er bei Reate, einen Arzt zu belohnen, in wunderbarer Weise dessen zerfallenes Haus herstellt.

Kap. VIII. 5. Wie ihm einst bei Siena eine Herde Schafe zuläuft.

Kap. VIII. 6. Wie das Schaf, das er bei sich hielt, die Messe mitfeierte.

Kap. VIII. 8. Wie er in den venezianischen Sümpfen Vögel schweigen macht.

Kap. VIII. 11. Wie ihn die Vögel begrüßen, als er auf dem Berge Alvernia anlangt.

Kap. IX. 2. Sein Fasten zu Ehren des Petrus und Paulus.

Kap. IX. 6. 7. Wie der Sultan befohlen, jeden Christen zu enthaupten. Auch wird hier zuerst erwähnt, daß der ihn nach Ägypten begleitende Bruder Illuminatus war. Ferner ist die Erzählung von der Feuerprobe neu.

Kap. X. 3. Wie die Brüder ihn in Kreuzesform über die Erde erhoben sehen.

Kap. XI. 4. Die Geschichte vom Edlen von Celano.

Kap. XI. 7. Wie er die Gedanken eines zweifelnden Freundes errät.

Kap. XII. 2. Wie er von Silvester und Chiara bewogen wird, zu predigen.

Kap. XII. 5. Wie ein Scholar in Paris eine Schwalbe schweigen macht im Namen des Franz.

Kap. XII. 6. Wie er bei Gaëta vom Schiffe predigt.

Kap. XII. 7. Wie er vor Honorius predigen soll und seine Predigt ganz vergessen hat.

Kap. XII. 10. Heilung des Knaben in Reate.

Kap. XII. 11. Heilung des Knaben in Orte.

Kap. XII. 13. Heilung des Mädchens in Bevagna.

Kap. XII. 15. Heilung des Knaben in Bologna.

Kap. XII. 17. Heilung des Besessenen in Città di Castello.

Kap. XIII. 4. Wie er dem Bruder Illuminatus das Wunder der Stigmatisation erzählt.

Kap. XIII. 6. Wie durch das Blut seiner Wunden im Gebiete von Reate die Tiere geheilt wurden.

Kap. XIII. 7. Wie das schlimme Wetter in der Gegend von Alverina nach der Stigmatisation aufhört.

Kap. XIII. 8. Wie er durch seine Berührung einem halberfrorenen Bauern die Wärme wiedergibt.

Kap. XIV. 2. Wie er in der Krankheit die Versuchung eines Bruders abweist.

Kap. XIV. 7. Wie die Schwalben seinen Tod feiern.

Kap. XV. 4. Die Bekehrung des Hieronymus.

Kap. XV. 5. Die Beisetzung in S. Giorgio.

Kap. XVI. 2. Die Vision Gregors IX., sowie einige Wunder.

Zweierlei ergibt sich hieraus: daß Bonaventura besonders reichlich Nachrichten aus Reate erhielt und dann, daß er direkt oder indirekt mancherlei vom Fra Illuminatus gehört. In der allgemeinen Anlage hält er sich an das Vorbild der I. Legende und der Tres socii und erzählt historisch zusammenhängend das Leben nur bis zu Franz' Rückkehr von Rom und Niederlassung bei S. Maria degli Angeli. Dann faßt er das übrige, wie die I. und II. Legende, unter allgemeine Gesichtspunkte zusammen, indem er von der Strenge seines Lebens, seiner Demut, seinem Gehorsam, seiner Armut, seiner Liebe zur Natur und den Menschen wie zu Gott, seiner Freudigkeit für den Herrn zu leiden, von der Art und Wirkung seines Gebetes, der Kenntnis der Heiligen Schrift und der Gabe der Prophezeiung, von seiner Predigt und Wunderkraft spricht, woran sich schließlich die Erzählung der Stigmatisation, seiner letzten Tage, seiner Kanonisation und Übertragung und, wie in der I. Legende, die Aufzählung der nach dem Tode bewirkten Wunder schließt. Die poetische Anschauungsart, die lebendige bildliche Darstellung, die bilderreiche Sprache machen das Ganze zu einem wohllautenden, von innigster Empfindung durchglühten Gedichte. Das Wichtigste, was der Vergleich mit den früheren Viten ergibt, ist dies, daß Bonaventura das, was er neu bringt, tatsächlich selbst hinzufügt, nicht etwa irgendeiner unbekannten älteren vita entlehnt, und daraus wiederum ist man berechtigt zu schließen, daß der wesentliche Inhalt der Legendenschreibung vor ihm in den drei älteren Biographien zu finden ist. Mag es demnach auch noch andere Viten von jenem Thomas(?) de Ceperano oder Bernardo di Bessa gegeben haben, so wird in ihnen schwerlich viel anderes enthalten gewesen sein, als wir aus den drei älteren Legenden wissen, sonst hätte es Bonaventura sicher mit verwertet.

Daß dieser aber mit Vorsicht von der Forschung zu benutzen, das Hauptgewicht derselben auf die erste Legende des Thomas zu verlegen ist, ergibt sich aus dem Gesagten von selbst.

Wie aber von Bonaventura die ältere zeitgenössische Biographie des Franz, so ward wiederum seine vita in den folgenden zwei Jahrhunderten mannigfach umgewandelt durch Männer, für die es sich gar nicht mehr um das Historische, sondern rein um das Wunderleben eines durch die Zeit immer mehr dem menschlichen Treiben entrückten Heiligen handelte. Da entstanden zunächst im 14. Jahrhunderte jene reizvollen »fioretti di San Francesco Erste Ausgabe Vicenza 1476. 4, der zahlreiche andere namentlich in Venedig bald folgen. Ich benutze die Ausgabe Florenz (Tartini) 1718. Verschiedene neuere Ausgaben. Lat. Ausgabe: Floretum S. Francisci. Ed. Sabatier, Paris.«, die in einfacher volkstümlicher Sprache, vielleicht beredter als alles andere, durch Jahrhunderte hindurch dem Volke von dem geliebten Manne erzählen, der es so gut mit allen gemeint – in denen dessen Geist vielleicht wahrhaftiger und lebendiger fortgelebt hat, als in allen anderen Zeugnissen. Dann schrieb in schroffem Gegensatze zu diesem lieblichen Buche Bartholomäus seine gekünstelten »Conformitates b. Ser. Patris Francisci ad vitam Jesu Christi 1399 vom Generalkapitel genehmigt. Erste Ausgabe ohne Jahreszahl in Venedig. Dann Mailand 1510 (Gotardus Ponticus). Ferner von Mapellus hsg. 1513 Mailand, – die von mir benutzte. Endlich von Bucchius 1590, Bologna.«, die, von der gewiß berechtigten Anschauung der großen Verwandtschaft zwischen Christus und Franziskus ausgehend, in spitzfindigster, dürrster Weise die Ähnlichkeit auch in dem Lebenslauf beider erzwingen. Mit Recht empörte sich dagegen der jugendlich kräftige lutherische Protestantismus, und Luther selbst schrieb die Vorrede zu dem Büchlein: »Der Barfuser Münche Eulenspiegel und Alcoran Erste von mir benutzte Ausgabe: Hans Lufft, Wittenberg 1542, 4. – Freie Übertragung von Capella, Frankfurt 1542. – Abdruck: Deventer 1651. – Ferner die bei Hase angegebenen französischen Fortbildungen: L'Alcoran des Cordeliers. Genf 1556, 1560, 1578, 1589. – Geschrieben von Erasmus Alberus.«, in dem die Behauptungen des Bartholomäus mit meist sehr kurzen, aber nicht sehr zartfühlenden Anmerkungen versehen sind, und der Teufel bei weitem mehr, als der liebe Gott sich mit Franz zu tun macht Dagegen wieder Sedulius: Apologeticus adv. Alcoranum Franciscanorum, Antwerpen 1607.. – Eine ähnliche Erbitterung atmet ein anderes, wenig bekanntes Büchlein, das zuerst 1701 in Amsterdam als »Les avantures de la Madona et de François d'Assisi«, dann öfters 1707, 1745, 1750, endlich 1882 neu erschien unter dem Titel: »Les aventures galantes de la Madone avec ses dévots suivies de celles de François d'Assisi par J. B. Renoult. Paris.« Darin wird mit dem tiefsten Hasse gegen das Papsttum die Verehrung der »römischen« Madonna, dann ohne jedes Gefühl von Schonung und Gerechtigkeit der Glaube an den heiligen Franz, dessen Stigmatisation und den Portiunculaablaß gegeißelt. – Erst dem 15. Jahrhundert scheint das »Speculum vitae B. Francisci et sociorum ejus Erste Ausgabe Venedig 1504 (Simon de Luere). Abdruck: Metis 1590. – Freie Überarbeitungen nach Hase: Spoelberch, Antwerpen 1620 und die erwähnte von Bosquierius, Köln 1623. – S. Näheres hierüber im folgenden Kapitel.« anzugehören, das noch bis auf die jüngsten Zeiten eine unberechtigte Rolle in den Biographien spielt, obgleich ich darauf hinweisen möchte, daß manches, von dem man bisher annahm, es erscheine erst hier, doch auf die II. Legende des Thomas zurückgeht.

Bald entstehen auch die ersten Chroniken des Ordens, so zuerst die »Chronica viginti quattuor generalium ordinis S. F. S. jetzt in den Analecta Francescana III, 328 ff.«, die vermutlich noch im 14. Jahrhundert geschrieben wurde, dann die noch nicht veröffentlichte, von Wadding und Suysken im Manuskript benutzte des Marianus Florentinus, die bis 1486 reicht, dann die »Seraphica historia« des Petrus Rodulphus vom Jahre 1586 Historiarum Seraphicae religionis libri III a F. Petro Rodulphio Tossinianensi Con. Fran. Venetiis apud Franciscum de Franciscis Senensem 1586. Ich fand das seltene Buch in der Wiener Hofbibliothek., des Marco da Lisboa Chronik aus der Mitte des 16. Jahrhunderts in spanischer Sprache Marcus de Lisboa: Las tres partes de las Chronicas antiquas de la Orden di S. Fr. Salamanca 1626. – Daça: Quarta parte de la Chronica General<sup>s</sup> de n. P. S. F. Valladolid 1611. – Deutsche Übers. durch Kurtz, München 1620., des Franziskus Gonzaga »opus de origine Seraphicae religionis Franciscanae« (Venedig 1603), in der eine Besprechung aller der Klöster der Minoriten sich findet. Weiter das große Annalenwerk des Lukas Wadding, das 1625 in Lugdunum in acht Bänden, dann von J. M. Fonseca herausgegeben in zweiter Auflage in 18 Bänden 1731 in Rom erschien. Ferner des Fortunatus Hueber: »Menologium«, München 1698, des Sedulius »Historia seraphica B. P. Francisci, Antwerpen« aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts und desselben »Imagines«.

Daneben entstehen in der Folgezeit dann eine ganze Anzahl von Biographien, an deren Spitze ein Gedicht in Hexametern zu erwähnen ist: »Seraphicae in divi Francisci vitam Christiano Carmine editae, Cracoviae 1594«, das ähnlich wie jenes ältere im Stile der Aeneis anhebt:

Inclyta magnanimi canimus ducis acta Minorum.

Die umfassendste Lebensbeschreibung bringt zuerst Candide Chalippe: La vie de S. François, Paris 1728, die 1837 in einer Übersetzung in Rom neu erschien. Später des Papini: Storia di S. Francesco. Foligno 1825.

Fast zu gleicher Zeit erschienen die Bücher des Chavin de Malan: Histoire de S. François, Paris 1841 und des Vogt: H. Franz, Tübingen 1840, von denen das erstere, besonders verbreitet, 1879 in einer italienischen Übersetzung von Cesare Guasti erschienen ist, die mannigfacher Verbesserungen wegen vorzuziehen ist. Daneben verdienen noch Delécluze: St. Grégoire VII., St. François et Thomas d'Aquin, Paris, Labitte, 1844; F. Prudenzano: Francesco d'Assisi e il suo secolo, Napoli 1858 (IV. von mir benutzte Ausgabe 1882), das der Darstellung der Zeit und des Einflusses, den Franz auf die Kultur, Politik und geistige Entwicklung derselben gehabt, gewidmet ist, des L. Palomes: Storia di S. Francesco, Palermo 1874 und des Panfilo da Magliano: Storia compendiosa di S. Francesco e de' Francescani, Rom 1874–76.

Zu berücksichtigen sind auch die verschiedenartigen Aufsätze der von 1878–82 in fünf Bänden erschienenen Zeitschrift: Il settimo centenario della nascità di S. F. Assisi, Sensi. Alle die zuletzt erwähnten Biographien, vom katholischen Standpunkte geschrieben, sind in den Augen des Forschers mehr Erbauungsbücher, als Geschichtswerke, so viel Gutes und Treffliches sie enthalten mögen. Natürlich ist mit den angegebenen Werken die ausgedehnte Franziskanerliteratur bei weitem nicht erschöpft, doch kommen sie allein im wesentlichen in Betracht Wer sich über die sonstige Literatur unterrichten will, mag sich an Marcellinos da Civezza: Saggio di Bibliografia, Prato 1879 wenden. Auch in der ital. Ausgabe von Chavin eine ausführlichere, wenn auch nicht komplette Zusammenstellung..

Die Werke des h. Franz, d. h. eine wenig Raum in Anspruch nehmende Zusammenstellung seiner Regel, der Briefe, Poesien, des Testamentes und kürzerer Aussprüche, sind öfters publiziert worden: am besten von de la Haye, Paris (Rouillard 1641, dasselbe Lyon 1653, Abdruck Pedeponti 1739, den ich benutze), von Der Burg, Köln 1849 und zuletzt vom Collegium Bonaventurae, Quaracchi 1904 Ältere Ausgaben: 1624 Salamanca, 1623 Antwerpen (Platin, durch Lukas Wadding), ferner andere in Mailand und Alexandria. Die Kritik der Opuscula hat neuerdings Walter Goetz am eingehendsten gegeben. Vgl. den folgenden Abschnitt..

Der Geschichtschreiber des Franz aber hat in erster Linie die I. Legende des Thomas, in zweiter die spätere vita desselben und die der Tres socii, in dritter des Bonaventura Werk zu berücksichtigen.

 


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