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Ein Fremder.

Und jetzt, Luise? Die entsetzliche Frau war bei Dir!«

»Sie war bei mir und verlangte von mir, daß ich den König um die Begnadigung ihres Sohnes bitten solle. Unter dieser Bedingung habe der König sie versprochen.«

»Und Du? Auch Du hast sie zurück gewiesen?«

»Konnte ich anders?«

»Nein, Du konntest nicht. Ich habe einige Mal gelauscht. Verzeihe es mir. Sie bot Dir wieder Geld!«

»Sie boten wieder Geld!«

»Aber sie sprach auch noch andere Worte, und darauf hörte ich Dich weinen so bitterlich, es schnitt mir in das Herz.«

Die unglückliche Frau konnte auch der Schwester nicht antworten.

»Arme Luise! Du hast ihn geliebt, und wen man einmal liebt – O, ich könnte Stephan nie vergessen. Und noch siebenzehn Jahre muß er in dem schrecklichen Spandau sitzen! Aber Du konntest doch nicht anders. Nein, Du konntest nicht, wenn sie Dir auch nicht wieder das Geld angeboten hätten.«

Die mitleidige Schwester weinte mit der unglücklichen.

Sie wurden durch ein lautes Pochen an die Hausthür aufgeschreckt.

»Was mag das wieder sein?« sagte die jüngere Schwester. »Der schreckliche Abend ist auch so unruhig. Der Vater und Stephan haben etwas. Vorhin sah ich sie mit der Laterne aus dem Hause gehen. Sie blieben lange fort. Stephan sagte mir nachher nur, sie seien am Damm gewesen, ob da Alles in Ordnung sei. Er sah dennoch so besorgt aus. – Jetzt höre ich fremde Männerstimmen, die mit dem Vater sprechen.«

Sie war in die Thür des Stübchens getreten, um nach unten zu horchen. Sie war neugierig, das siebenzehnjährige Kind. Sie trat aus der Thür hinaus und ging die Treppe hinunter; doch kam sie zu spät, um zu hören, was vorging. Die Hausthür wurde gerade wieder zugemacht und ihr Vater kehrte in die Wohnstube zurück.

Aber sie hatte auch einen andern Schritt gehört, als den ihres Vaters, und ein Anderer hatte den ihrigen gehört. Die Liebe hat ein scharfes Ohr.

Auf der Mitte der Treppe stand sie mit dem hübschen Knappen Stephan zusammen.

Der Bursch schien freilich Eile zu haben in mancherlei.

»Einen Kuß, Charlottchen.«

»Oho, nicht so hastig, mein Freund.«

»Ich habe nicht viel Zeit.«

»So? Und was habt Ihr denn vor?«

»Nichts, nichts.«

»Und doch so eilig?«

»Ich kann es Dir nicht sagen«

»Aber ich will es wissen.«

»Ich muß nur mit Deinem Vater irgendwo hin.«

»Und wohin?«

»Nur zum Damme.«

»Zum Damme? Schon zum zweiten Male? Und so eilig? Was giebt es denn da?«

»Nichts, mein Kind. Gottlob nichts. Aber bei solchem Wetter kann man nicht vorsichtig genug sein.«

»Und was war da unten an der Thür?«

Der Knappe wurde verlegener. Die Kleine wurde desto neugieriger.

Eine volle Neugierde erhält das halbe Geständniß; die der Liebe beinahe das ganze.

»Zwei Reiter,« konnte der Knappe nicht leugnen.

»Was für Reiter?«

»Es waren Gensdarmen.«

»Was wollen sie?«

»Sie suchten Jemanden.«

»Wen konnten sie bei uns suchen?«

»Einen Menschen der –«

»Nun was zögerst Du?«

»Der aus Spandau entwichen sei.«

»Mein Gott –! aus der Festung?«

»Es muß doch wohl. Spandau ist ja eine Festung.«

»Nannten sie seinen Namen?«

»Nein.«

»Sagten sie auch sonst nichts von ihm? Beschrieben sie ihn nicht?«

»Sie sagten nur, daß sie einen Menschen suchten, der aus Spandau entflohen sei, und fragten, ob wir keinen verdächtigen Menschen gesehen hätten.«

Der Knappe konnte das mit voller Wahrheit sagen. Charlotte war dennoch mißtrauisch.

»Du verschweigst mir etwas.«

»Gewiß nicht.«

»Warum sähest Du denn so ängstlich aus?«

»Ich sehe nicht ängstlich aus.«

»Und warum wären die Gensdarmen gerade hierher gekommen?«

»Sie sagten freilich, sie hätten Grund zu vermuthen, daß der Entsprungene sich hierher gewendet habe.«

»Ah, siehst Du?«

»Aber den Grund selbst gaben sie nicht an. Dagegen sagten sie auch, die Gensdarmerie sei im ganzen Lande auf den Beinen nach dem Menschen.«

Das Mädchen zitterte unwillkürlich. Gensdarmen, die einem armen, von der Festung Entflohenen nachsetzen – der Gedanke hat für jeden Menschen etwas Unheimliches.

Sie hatte ihn zudem mit einer bestimmten Persönlichkeit in Verbindung gebracht, bringen müssen, ohne alle äußere Veranlassung, und doch aus so nahe liegenden psychologischen Gründen. Und der Mann, an den sie dachte, sollte noch viele Jahre auf der Festung sitzen. Und ihre Schwester hatte ihn geliebt. Und liebte sie ihn nicht noch? Und jetzt war er frei, frei, um wieder eingefangen zu werden?

»Der arme Mensch!« rief sie aus.

»Der arme Mensch?« fragte entsetzt der Knappe, der an den gefährlichen Verbrecher Brandstätter und dessen Rache dachte.

»O gewiß, Stephan, und wenn Du ihn sehen solltest, verrathe ihn nicht, liefere ihn nicht an die Gensdarmen aus.«

»Aber Charlotte, was hast Du mit dem Menschen?« wollte der Knappe fragen.

»Stephan!« rief von unten die Stimme des Müllers.

Die Liebenden flogen aus einander.

»Sage dem Vater nichts,« konnte sie nur noch flüstern.

»Hier, Meister!« rief der Knappe.

»Was machst Du da oben?«

»O, nichts –«

»Na, komm nur. Es ist gleich zehn Uhr; wir müssen noch einmal zum Damme!«

»Ich komme, Meister.«

Charlotte war auf der Treppe stehen geblieben, um vom Vater nicht gehört zu werden und selbst zu horchen. Die Bewegung des Abends war ihr doch eine ungewöhnliche, was sie hörte, sollte sie indeß nur noch neugieriger machen, ohne ihr Licht zu bringen.

Der Vater war in die Stube zurück gekehrt.

Stephan hatte sich in die Küche begeben, die unten hinter der Stube lag. Alsbald kam er mit einer Laterne zurück, die er dort angezündet hatte.

»Ich bin fertig Meister,« sagte er in die Stube hinein.

Der Müller kam aus der Stube, Beide gingen dann nach der Hausthür. –

In demselben Augenblicke, in dem der Müller die Thür öffnete, rief er halblaut:

»Was ist denn das?«

Unmittelbar darauf lief Jemand eilig fort, vom Hause her nach dem Damme hin. Er mußte am Hause gestanden haben, der Müller mußte beim Oeffnen der Thür fast unmittelbar auf ihn gestoßen sein.

»Der Brandstätter?« rief der Müller, und er rannte dem fortlaufenden Menschen nach.

»Der Brandstätter?« rief auch das horchende Mädchen und es überlief sie eiskalt. Sie kannte den Mann, sie kannte das frühere Verbrechen, sie theilte längst die Furcht vor der Rache des Menschen, wenn er einmal wiederkehre.

Und der rachsüchtige Verbrecher war der Entflohene aus Spandau.

Und dem gefährlichen Menschen setzte ihr Vater nach, allein, in die dunkle, stürmische Nacht.

»Warum bleibt Stephan zurück?«

»Stephan!« wollte sie rufen. Da hörte sie wieder etwas Anderes.

Ein flüchtiger, eiliger Schritt nahete sich dem Hause, von der anderen Seite, aus der Schlucht in dem Mühlenwege.

Ihn mußte auch der Knappe gehört haben, er mußte durch ihn aufgehalten sein.

Aber auf einmal war der Schritt verschwunden. Er war nicht heran gekommen.

Dagegen sprengte im Galopp ein Pferd heran, gleichfalls von der Schlucht her. Es hielt bei dem Knappen. Ein Säbel klirrte laut, als das Pferd plötzlich parirt wurde.

»Schon wieder ein Gensdarm!« mußte das Mädchen denken

»Ist hier in diesem Augenblicke Jemand vorbei gerannt?« fragte die Stimme des Reiters den Knappen «

»So eben«

»Wohin?«

»Dort links, am Damme hin, die Haide hinaus, der Meister setzt ihm schon nach!«

Der Reiter, es konnte nur ein Gensdarm sein, hatte schon wieder seinem Pferde die Sporen gegeben. Das Pferd flog im Galopp fort, in der Richtung hinter dem Müller und dem von ihm Verfolgten, den er für den Brandstätter gehalten hatte.

Der Knappe hatte noch immer mit der Laterne in der Thür gestanden. Dann verließ er sie und ging nach rechts, dorthin wo der flüchtige, eilige, nicht ganz heran gekommene Schritt sich verloren hatte.

»Was mag er wollen?« fragte sich das Mädchen.

Sie schwankte, ob sie ihm schützend, helfend nachgehen solle. Dem Vater war der Gensdarm zum Schutze nachgeeilt.

»Charlotte!« rief über ihr die Stimme der Schwester, »Charlotte, was war da? Ich hörte ein Pferd davon sprengen.«

»Die Arme!« sagte das Mädchen. »Sie würde sich todt ängstigen, wenn ich sie allein ließe. Der Stephan wird sich schon helfen, er hat Muth und Kraft. Aber was sage ich ihr?«

»Ich komme, Luise,« rief sie der Schwester zu. Darauf stieg sie die Treppe hinauf und kehrte zu der Schwester in das Stübchen zurück.

»Aber wie siehst Du aus, Charlotte? Du bist leichenblaß! Du zitterst! Was ist vorgefallen? Wer war da draußen?«

»Ein Gensdarm,« sagte das Mädchen, und sie suchte es mit den bebenden Lippen so gleichgültig wie möglich zu sagen.

»Ein Gensdarm? Und er hat Dir solchen Schreck eingejagt?«

»Er setzte Jemanden nach, das ängstigte mich.«

»Und wo ist der Vater?«

»Er war schon hinter dem Menschen hergerannt.«

»Hinter wem? Mädchen, was ist vorgefallen? Wem setzten sie nach? Hinter wem sind sie hergerannt?«

Den gefürchteten Namen Brandstätter wagte das Mädchen nicht auszusprechen

»Einem Gefangenen, der aus Spandau entflohen ist,« sagte sie.

Der Name Brandstätter hätte nicht mehr erschrecken können.

»Bilau! Fritz!« rief die auf den Tod erbleichende Frau.

Er lag ihr noch näher, als dem Mädchen, so viel, so viel näher. Wie hätte nicht auch sie zuerst nur an ihn denken sollen.

Das Mädchen wollte, mußte jetzt den Namen Brandstätter aussprechen. Indeß wurde sie daran gehindert.

Leise wurde an die Thür des Stübchens geklopft, unmittelbar darauf geöffnet.

Die Schwestern wollten erschrocken zurückfahren.

Der Knappe Stephan sah durch die Thür.

»Auf einen Augenblick, Jungfer Charlotte.«

Sie trat zu ihm hinaus.

»Was giebt's?

»Sprich leise, daß Deine Schwester es nicht hört.«

»Was giebt es denn?«

»Der Mensch, der aus Spandau entsprungen ist, ist hier.«

»Brandstätter?«

»Nicht der – ein Anderer.«

»Um Gotteswillen!«

»Er sieht elend genug aus; aber er hat doch so etwas Vornehmes.«

»Er ist es; nannte er seinen Namen?«

»Nein, er sagte nur, er müsse die Frau Brunner sprechen, jetzt gleich. Sein Leben hänge davon ab, die Gensdarmen seien von allen Seiten hinter ihm her. Ich habe ihn unten in die Stube geführt.«

»Er ist es. Meine arme Schwester! Der arme Mensch! Und der Vater ist noch nicht wieder da?«

»Er ist noch nicht zurück.«

»Was fange ich an? Wer giebt mir einen Rath? Wer steht mir bei?« –



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