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Eine Hochzeit.

Die beiden Schwestern saßen in dem Stübchen der älteren wieder beisammen. Sie hielten sich umarmt. Beide hatten geweint.

Jetzt erzählte Luise, und die Jüngere horchte mit ihrer ganzen Liebe zu der Schwester, mit ihrem ganzen Leben.

Die Nachtlampe beschien das schöne und traurige Schwesternpaar.

Was die Aeltere erzählte, das war Folgendes:

Der Müller Leuthold war nicht immer der wohlhabende Mann gewesen, der er jetzt war. Er hatte die Mühle am schwarzen Moor erst wenige Jahre vorher angekauft, als sein schlechter Knappe Brandstätter, nachdem er vielfach seinen Herrn bestohlen und beschädigt, mittelst Durchstechung des Moordammes ihm Mühle und Haus ganz und gar zerstörte. Der Müller mußte von vorn wieder anfangen und es wurde ihm schwer. Er hatte eine wohlhabende Schwester in Berlin, die Wittwe und ohne Kinder war. Sie kam dem Bruder zu Hülfe; auch dadurch, daß sie sein Kind, Luise, zu sich nahm. Die Eltern konnten um so ungestörter in Mühle und Wirthschaft arbeiten. Und tüchtig arbeiten mußten sie Beide, Mann und Frau, wenn sie wieder obenan kommen wollten.

Sie kamen wieder obenauf, freilich nur nach und nach.

Luise erhielt unterdeß bei der braven Tante, von der sie wie von einer Mutter geliebt wurde, die solide Erziehung des tüchtigen Berliner Bürgerstandes. Sie erhielt dazu, durch einen besonderen Umstand, eine mehr als gewöhnliche gesellige Bildung.

In dem Hause der Tante wohnte zur Miethe eine verwittwete Hauptmann von Bilau. Sie gehörte durch eigene Geburt, wie durch ihren verstorbenen Mann, dem ersten Adel des Landes an. Sie trug auch den ganzen Stolz des Adels in sich. Aber es ging ihr knapp. Sie war sogar arm. Ihr Mann war ein jüngerer Sohn gewesen, mußte in der Armee dienen und von seiner Familie wurde er mit einem geringen Kapital abgefunden. Das Kapital war aufgezehrt, als er nach langer Zeit in einem schlechten Avancement Hauptmann wurde und bald darauf in Folge eines Sturzes mit dem Pferde bei einem Manöver starb.

Seine Wittwe mußte mit ihrem Kinde von einer geringen Pension leben.

Sie hatte nur ein Kind, einen Knaben. Als er zwölf Jahre alt war, wurde er in das Kadettenhaus zu Berlin aufgenommen.

Die Mutter zog mit ihm nach Berlin, da sie sich von ihrem einzigen Kinde nicht ganz trennen konnte. Sie miethete ein Stübchen. So kam sie in das Haus der Frau Beier, der Tante Luisens.

Sie hatte in ihrer Armuth ihren adligen Stolz nicht verloren. Aber auch eine stolze Frau kann Gefälligkeiten annehmen, wenn sie aus einem guten freundlichen Herzen kommen. Die wohlhabende bürgerliche Wittwe erzeigte der armen adligen manche freundliche Gefälligkeit. Und auch eine stolze Frau kann dankbar sein. Die Frau von Bilau war dankbar, und bewies es besonders durch eine große Liebe und Sorgfalt für die Nichte der Frau Beier, für Luise Leuthold. Sie nahm sich des schönen, liebenswürdigen Kindes fast mütterlich an. Es mußte um sie sein; sie belehrte, unterrichtete, erzog es. Sie hatte selbst einen gebildeten Geist.

Das Verhältniß der adligen Dame zu der Tochter des Müllers hatte ein anderes zur Folge. Der Kadett Fritz, der Sohn der Frau von Bilau, durfte seine Mutter regelmäßig des Sonntags, dann und wann auch wohl in der Woche besuchen. Er sah Luise bei ihr. Sie war neun Jahre alt, schön, heiter, immer sanft. Er zählte zwölf Jahre, war hübsch, munter und wild. Sie fanden Gefallen an einander. Sie spielten zusammen. Warum kann nicht auch ein Kadett spielen, wenn er erst zwölf Jahre alt ist? Zumal mit einem schönen Mädchen? Sie waren unzertrennlich, so oft und so lange er bei seiner Mutter war. Sie spielten auch noch zusammen, als er vierzehn, als er fünfzehn Jahre alt war, und sie elf, zwölf. Es war, als wenn sie Einer ohne den Andern nicht mehr sein konnten.

Die Frau von Bilau sah es, sah es fast mit Sorgen

Da geschah etwas, was sie aller ihrer Sorgen überhob.

Der Stamm- und Erbherr der Familie Bilau starb am Nervenfieber, und das Fieber hatte vierzehn Tage später auch seine beiden einzigen Söhne hingerafft.

Fritz von Bilau, der Kadett, der arme Sohn der armen Hauptmannswittwe, war der nächste Agnat, war auf einmal der Herr der großen und reichen Bilau'schen Güter, und seine Mutter und natürliche Vormünderin wurde durch ihn, so lange sie lebte, zur reichsten Edeldame.

Sie bezog die Güter, die etwa eine Tagereise von der Residenz lagen.

Ihr Sohn blieb im Kadettenhause. Er sollte erst einige Jahre als Offizier die Welt kennen lernen, um dann seine Besitzungen zu übernehmen. Es war das so Sitte des preußischen Adels, und sie ist es vielfach noch.

Er lebte als reicher Stammherr jetzt nun besser im Kadettenhause – freilich noch mehr wohl außer dem Kadettenhause.

In Einem hatte er sich nicht verändert. Die frühere Wohnung seiner Mutter, das Haus der Frau Beier, besuchte er nach wie vor jeden Sonntag, und Luise und er waren dann unzertrennlich, wie früher. Und sie war darüber sechszehn Jahre alt geworden, und er neunzehn. Und sie war zu einer der schönsten Jungfrauen aufgeblüht und er war ein bildhübscher Fähndrich und stand im Begriff, Offizier zu werden.

Seine ersten Epauletten mußte die Mutter sehen. Sie kam nach Berlin; hier sah sie noch mehr, und was sie sah, gab ihr zu der Freude und dem Stolze der Mutter einen tiefen Stich in das Herz.

Aber die reiche Frau hatte rechnen gelernt und die vornehme Dame rechnete mit dem ganzen Hochmuthe ihres Standes und mit einem Herzen, das nie weich gewesen, aber in Reichthum und Hochmuth härter und härter geworden war. Ihre Rechnung war freilich desto einfacher.

»Sie muß ihm aus den Augen, und mir deshalb unter den Augen bleiben«

Sie sprach mit der Frau Beier.

»Ihre Nichte ist ein hübsches Mädchen geworden.«

»Sie sieht ganz gut aus, gnädige Frau.«

»Der Vater soll Vermögen haben.«

»Mein Bruder hat, Gott sei Dank, wieder etwas erworben.«

»Da wird Luise eine gute Partie machen.«

»Ich hoffe, sie soll einen braven Mann bekommen.«

»Aber wissen Sie, Frau Beier, was ihr fehlt?«

»Das wäre, Euer Gnaden?«

»Sie leben in dem großen Berlin so zurückgezogen, daher sieht das Mädchen auch Niemanden; geben Sie sie mir mit; bei mir ist viele Gesellschaft, der benachbarte Adel, die Beamten auf meinen Gütern. Sie wissen, ich habe Luise immer gern gehabt. Sie soll die Wirthschaft bei mir lernen und zugleich wie eine Gesellschafterin in meinem Hause sein.«

Die einfache bürgerliche Frau war entzückt über die Ehre, die ihrer Nichte zu Theil werden sollte.

Luise träumte glückliche Träume von mütterlicher Liebe, die sie bei der Mutter Fritzens fand und noch mehr finden sollte. Und mußte zu der Mutter nicht auch oft der Sohn kommen?

Sie ging mit der Baronin nach Bilau.

Aber Fritz kam nicht dahin; von Fritz war auf Bilau gar nicht einmal die Rede; weder die Mutter sprach von ihm, noch ein Anderer. Außer ihr und der Mutter kannte ihn dort Niemand. Wenn die Mutter flüchtig des Sohnes erwähnte, so war es nur um mitzutheilen daß er avancirt sei, schon der so und so vielte Secondelieutenant, darauf Premierlieutenant, dann Regimentsadjutant, zuletzt, daß er sogar zum Rittmeister à la suite befördert sei. Er war reich und Stamm- und Erbherr; da hatte er eine rasche Carriere gemacht.

Allerdings waren vier volle Jahre darüber hingegangen

Luise unterdeß? Die Baronin hatte ihr Wort gehalten und hatte dem jungen Mädchen das täglich schöner, das zu einer selten gesehenen Schönheit wurde, immer ihre Liebe gezeigt, sie hatte es wie zum Hause gehörig behandelt. Aber die Liebe der Baronin von Bilau kam aus einem strengen Herzen und die Etikette in ihrem Hause war stets eine gemessene, die nie den Unterschied der Stände aus den Augen setzte. Dazu jene Rechnung.

Und die Frau von Bilau hatte weiter gerechnet, eigentlich ihre Rechnung abgeschlossen

Auf ihren großen Gütern hatte sie einen Oberförster, einen schönen gebildeten, gewandten jungen Mann von etwa dreißig Jahren, Brunner hieß er. Er gehörte zu ihren ersten Beamten mit dem Justiziarius, der den Titel eines königlichen Justizraths führte, dem Prediger, der zugleich Kreis-Superintendent war, und dem Rentmeister der Güter.

Er machte Luise den Hof, und bald war eine heftige Leidenschaft zu dem schönen, braven, liebenswürdigen Mädchen in seinem Herzen entbrannt.

Luise mußte ihn schätzen, achten. Sie konnte seine wachsende Neigung zu ihr ohne Unbehagen ansehen. Welches Mädchenherz freut sich nicht wenigstens im Stillen über die Zuneigung eines schönen, braven, in der Gesellschaft geachteten Mannes? Nur Liebe fühlte sie nicht zu ihm. Ihr Herz hatte vier Jahre lang alte Erinnerungen bewahrt, neben denen eine Liebe, eine – andere Liebe nicht aufkommen wollte.

Da wurde doch auf Schloß Bilau von dem jungen Baron in der Residenz gesprochen; nicht in Gegenwart der Baronin, auch nicht des Oberförsters Brunner, aber zufällig nicht selten in der der Mamsell Luise.

Der junge Adel, besonders die jungen Offiziere in der frommen Residenz Berlin hatten gerade damals angefangen ein etwas wildes, wüstes Leben zu führen. Sie scheueten sich selbst öffentlicher Rohheiten und Excesse nicht. Der »Hofjäger«, die »Zelten«, die »Opernbälle«, manche andere Orte und Gelegenheiten wußten viel davon zu erzählen.

Auf Schloß Bilau erzählte man es wieder, und daß der junge Herr bei den Geschichten eine Hauptrolle spiele, zu den Anführern der wüsten rohen Gesellschaft gerechnet werde.

Und, daß auch Luise das Alles hören mußte, mochte wohl mit zu der Rechnung der Frau von Bilau gehören. Die Thatsache aber war wahr.

Luise hatte an ihre Tante nach Berlin geschrieben, und die alte Frau antwortete ihr:

Es ist Alles so, mein Kind, wie sie es Dir erzählt haben. Es ist noch schlimmer. Die jungen Herren treiben es gar zu arg, und wo sie zu finden sind, da mag kein ordentlicher Bürger mit Frau oder Töchtern mehr hingehen. Der Herr von Bilau soll leider einer der schlimmsten unter ihnen sein. Ich habe ihn seit drei Jahren gar nicht mehr gesehen. Ach, wenn ich bedenke, wie gut und ordentlich er früher war! Aber böse Beispiele verderben gute Sitten. –

Das brachte wohl heftiges Weh in das Herz des armen Mädchens. Aber auch der heftigste Schmerz läßt nach, und in einem Mädchenherzen, das durch Rohheit verletzt wird, erwacht leicht ein gewisser Trotz, der selbst einen moralischen Grund hat. Luise hatte den Freund, den Geliebten ihrer Jugend seit vier Jahren nicht gesehen. Dagegen sah sie den liebenswürdigen, allgemein geachteten Oberförster täglich. Um so eher erschien ihr jener als ihrer Liebe nicht mehr würdig und um so leichter erwarb sich dieser ihre Zuneigung und darauf ihre Hand.

Die Baronin von Bilau hatte ihren Zweck erreicht.

Sie war glücklich und übernahm die Ausstattung der Braut. Im Schlosse Bilau wurde die Hochzeit gefeiert. Und zu der Hochzeit durfte dann auch ihr Sohn Fritz endlich nach Hause kommen; er sah ja nur die schöne, freilich die fast wunderbar schöne Frau eines Andern und – er hatte an der Spitze jener wilden und wüsten Herren in der Residenz gestanden, er gehörte noch zu den ersten unter ihnen.

Die Hochzeit wurde an einem schönen Junitage gefeiert. Die Baronin hatte viele Gäste dazu geladen: ihre näheren Bekannten unter dem Adel der Umgegend: ihre sämmtlichen Beamten; die Verwandten des Bräutigams und der Braut. Auch die Eltern der Braut waren erschienen, der stattliche Müller Leuthold und ihre Mutter, eine feine, stille und blasse Frau, die seit dem Verluste ihres Knaben durch jenes entsetzliche Verbrechen nie ihre frische Farbe und ihre frühere Munterkeit hatte wieder erlangen können. Die Tante aus der Residenz, die Frau Beier, mußte fehlen; sie war durch Kränklichkeit zurück gehalten.

Die Trauung war des Mittags ein Uhr in der Kirche des Dorfes vollzogen. Um zwei Uhr war große Tafel im Schlosse; sie dauerte bis zum Abende.

Dann wurde getanzt, in einem in dem Schloßpark gelegenen großen Pavillon, den die Baronin zum Tanzsaale hatte herrichten lassen.

Der Tag war ein Freudentag; er blieb es bis zum späten Abend.

Nur die Baronin war zuweilen unruhig. Ihr Sohn, den sie eingeladen, der versprochen hatte, zu kommen, war weder zur Trauung, noch zur Tafel, noch auch im Laufe des Nachmittags erschienen. Selbst als der Tanz begann, war er noch nicht da. Indeß, die Mutter konnte sich beruhigen. Ein Offizier kann allerlei Abhaltungen haben in und außer dem Dienste. Wenn ihm ein Unfall zugestoßen sei, so hätte sie sicher Nachricht erhalten. Endlich, wenn er auch gar nicht erschiene, so zeigte das ja nur, wie sehr gleichgültig ihm die junge Frau geworden war, für die er früher jene ihr bedenkliche, selbst gefährliche Zuneigung empfunden hatte. Sie hoffte gleichwohl noch immer, daß er erscheinen werde. Sie sprach darüber mit ihren Gästen und diese hofften mit ihr, den jungen Offizier, den reichen Gutsherrn zu sehen, den die Wenigsten kannten und von dem die Meisten so Vieles gehört hatten, Gutes und noch mehr Böses.

Die Braut, die junge Frau vielmehr, war glücklich. Sie mit ihrem jungen Gatten. Es war auch eine Freude, das schöne Paar zu sehen, wie ihre Augen, ihre Hände, ihre Herzen sich suchten und fanden. Hatte Luise den Bräutigam nicht eigentlich geliebt, dem heute ihr angetrauten Gatten schien ihr Herz eine wie plötzlich entstandene zärtlichere Neigung entgegen zu tragen. So flogen sie, das schönste und glücklichste Paar im Saale, auch in den Reihen der Tanzenden dahin.

Der junge Baron wurde erwartet, die junge Frau konnte ihn mit Ruhe in ihrem Herzen erwarten.

Es war zehn Uhr Abends. In dem Tanzsaale entstand eine Bewegung.

»Der junge Herr ist so eben angekommen,« hieß es. »Der Herr Rittmeister! Der gnädige Herr!«

Er war der rechte Gutsherr hier. Er war als solcher noch nie hier gewesen.

Die Thür des Saales wurde von einem Bedienten weit aufgerissen.

Der Tanz hörte auf.

Die Baronin hatte sich in der Mitte des Saales aufgestellt, ihn zu empfangen. Neben ihr stand das Brautpaar; auf der andern Seite der eingeladene Adel; hinter ihr die Beamten. Die andern Gäste waren gespannte Zuschauer.

Der junge Baron trat in den Saal.

Er war ein bildschöner Mann, er wäre es auch ohne die reiche, knappe Uniform der Rittmeister der Garde-Dragoner gewesen. Das wilde Leben hatte in diesen kräftigen Körper, in dieses blühende Gesicht keine Spuren eingraben können .

Er umarmte die Mutter und sie küßte ihn zärtlich und stolz.

Er begrüßte das Brautpaar, auch die – Braut, die junge, jungfräuliche Braut.

Seine Augen und sein Gesicht erglühten.

Das war eine vollendete Schönheit. Was war seine Mannesschönheit gegen diesen Wuchs, gegen diesen Nacken gegen dieses so edel geschnittene, von der zartesten Anmuth übergossene Antlitz?

Sein erglühendes Auge fiel wie plötzlich drohend auf den Bräutigam an ihrer Seite.

Er sah einen schönen, sehr schönen Mann.

»Aber – Du? Du sollst sie besitzen?« rief sein drohender Blick.

Sie war dennoch erbleicht, als sie ihn wieder sah, ihn, den schöneren den hohen Mann, der der Geliebte ihrer ersten Jugend gewesen war. Nur auf eine Secunde war die Farbe aus ihrem Gesichte entwichen.

Er hatte es gleichwohl bemerkt und sein Auge blitzte noch einmal auf, diesmal triumphirend.

Er mußte weiter begrüßen, aber es geschah kalt, ruhig glatt. Nicht umsonst war er der Führer jener adligen Jugend der Residenz.

Der Tanz hatte wieder begonnen, das Brautpaar tanzte zusammen.

Die junge Frau, als wenn sie sich hätte strafen wollen für jenes plötzliche Erblassen und dessen Grund, den tiefen Stich, der ihr wohl unwillkürlich durch das Herz gefahren war – sie hatte sich inniger an den Mann ihrer Wahl und ihrer Pflicht und auch ihres Herzens angeschlossen. Mit herzlicher Liebe sah sie zu ihm auf, und der Oberförster strahlte in seinem Glück. Jene Blicke des jungen Barons, seines Gutsherrn, hatte er nicht gesehen, weder den drohenden noch den triumphirenden. Er hatte in seinem Glücke auch ferner auf ihn nicht geachtet. Die Braut wollte wohl nur ihren Bräutigam sehen.

Der Baron beobachtete sie Beide darum nicht weniger, und eine wilde Gluth ergriff und erfüllte mehr und mehr sein ganzes Wesen.

Er konnte sie nur mit Mühe verbergen, aber er konnte es. Er war zu dem Paare heran getreten.

»Darf ich um den nächsten Tanz bitten, schöne, junge Frau?« hatte er leicht scherzend gebeten »Es ist lange Zeit her, daß wir nicht zusammen getanzt haben.«

Sie hatte ihm den Tanz bewilligt.

Es war natürlich, daß der Gutsherr mit der Braut tanzte, auch wenn sie nicht frühere Bekannte gewesen wären.

Der junge Gatte hatte sich geschmeichelt gefühlt.

Der Gutsherr stand mit der Braut oben an in der Reihe, den nächsten Tanz mit ihr beginnend.

Es war doch ein schöneres Paar, als das Brautpaar. Der junge Offizier war schöner als der Bräutigam, und welcher Adel in seiner Haltung, welche Gewandtheit und Vornehmheit in allen seinen Bewegungen. Er war schöner, und seine Schönheit hob die seiner Tänzerin.

Und diese feine Taille hielt sein Arm umschlungen; diesen Nacken berührte seine Hand; dieser Busen klopfte an seiner Brust; diese Rosenwangen, diese Lippen. –

Der Baron erblaßte, er jetzt, vor einem Gedanken, vor einem entsetzlichen Gedanken, der auf einmal in ihm aufgestiegen war. Dunkle Gluth überzog dann sein Gesicht, und seine Augen glühten wild. Dann war er ruhig, und der entsetzliche Gedanke erschreckte ihn nicht mehr.

Er war schnell zum Vorsatze, zum ausgearbeiteten Plane in ihm geworden

»Madame, ich habe Ihnen etwas mitzutheilen.«

»Sie mir, Herr Baron?«

»Es ist etwas Ernstes, Wichtiges; aber kein Mensch darf es nur ahnen.«

»Aber was ist es?«

»Darum lassen Sie uns vor allen Dingen den Tanz nicht unterbrechen und nehmen wir die gleichgültigsten oder vergnügtesten Mienen von der Welt an. Wer uns sieht, muß nur plaudernde Tänzer in uns sehen.«

»Herr Baron, Sie erschrecken mich.«

»Ah, sehen Sie? Sie würden die Herrschaft über sich verlieren. Ich muß es Ihnen an einem andern Orte sagen. Aber es ist dringend, Sie müssen es in der nächsten Stunde wissen.«

Je weniger er, nach seinen Worten sie hatte erschrecken wollen, desto erschrockener war sie.

»Wen betrifft es?« fragte sie zitternd.

»Sie, Ihr Glück!«

»Und weiter?«

»Luise, ich besaß einst Ihre Freundschaft, Ihr Vertrauen.«

»Um Gotteswillen, was ist es?«

»Können Sie noch Ihren Freund in mir sehen? Können Sie mir noch Ihr Vertrauen schenken?«

»Ich beschwöre Sie, Herr Baron, was haben Sie mir zu sagen? Was ist es?«

»Es betrifft das Glück Ihres Lebens.«

»Und noch in der nächsten Stunde muß ich es wissen?«

»Ja.«

»Es betrifft meinen Mann!«

»Luise, haben Sie Vertrauen zu mir?«

»Es betrifft meinen Mann? Ich beschwöre Sie.«

»Ja, es betrifft ihn. Und ich muß es Ihnen sagen, noch heute Abend. Aber es kann hier nicht geschehen. Sie sind schon jetzt leichenblaß geworden. Kann ich Sie im Park sprechen?«

»Draußen im Park?«

»In einer halben Stunde.«

»Mein Gott!«

»Sie müssen allein und ohne Aufsehen den Pavillon verlassen; hinten rechts am Schwanenweiher werde ich auf Sie warten. Ich kenne Park und Weiher noch aus meinen Knabenjahren. Hinter dem Weiher ist ein Boskett, dort werden wir ungestört sein. – Sie antworten mir nicht, Luise?«

»Darf mich Niemand begleiten?« fragte sie zögernd. »Nicht meine Mutter, mein Vater?«

»Ach, Luise, Sie vertrauen mir nicht. Dann habe ich kein Wort zu Ihnen gesprochen; denn was ich Ihnen sagen könnte, setzt das unbedingte Vertrauen in einen treuen Freund voraus. Darf ich Sie zu Ihrem Platze zurück führen?«

Die arme Frau war auf den Tod geängstigt.

»Es betrifft meinen Mann?« wiederholte sie.

»Ja, Madame.«

»Und ich muß es erfahren?«

»Das Glück Ihres Lebens hängt davon ab.«

»Und heute noch, in dieser Stunde muß ich es wissen?«

»Sonst wäre es zu spät.«

»O mein Gott! – Ich komme Herr Baron; ich vertraue Ihnen.«

»Ah! Sie dürfen es. In einer halben Stunde; folgen Sie mir nicht früher. Nicht der leiseste Verdacht darf gegen Sie aufkommen, daß Sie sich mit mir entfernt heben könnten; ich werde deshalb den Saal schon jetzt gleich verlassen und von meiner Mutter unter dem lauten Vorwande mich verabschieden, daß ich von der Reise ermüdet sei und ein paar Stündchen auszuruhen wünschte.«

»Es sei,« sagte sie.

Sie war in ihrem Herzen für die Rücksicht dankbar, die er selbst auf ihren Ruf nahm.

Er führte sie auf ihren Platz zurück. Darauf verabschiedete er sich von seiner Mutter leichthin und verließ etwas angegriffen den Saal.

Die Braut hatte sich gesammelt; sie tanzte weiter; auch mit ihrem jungen Gatten. Sie war nur etwas zerstreuter, träumerischer, was man natürlich fand.

Pünktlich nach einer halben Stunde verließ sie den Saal, den Augenblick wahrnehmend, da Alles tanzte. Ihr Bräutigam hatte sich ungefähr fünf Minuten vorher entfernt. So achtete man um so weniger auf sie, kein einziger der Anwesenden hatte ihr Fortgehen bemerkt.

Sie trug das schneeweiße seidene Brautkleid, in dem sie getraut war, und über dasselbe hatte sie einen gegen die Nachtluft schützenden Shawl geworfen. Ihr schönes, reiches, glänzend schwarzes Haar schmückte noch der bräutliche Myrthenkranz.

So trat sie aus dem Pavillon in den Park.

Von dem Pavillon zum Schlosse führte eine Allee, die festlich und hell durch farbige Lampen erleuchtet war. Nach allen andern Seiten des Pavillons war es dunkel; in der tiefsten Finsterniß lag auch weiterhin, so weit das Auge reichte, der ganze Park da.

Die junge Frau war unmittelbar aus der Thür des Pavillons seitab in das Dunkel getreten, Niemand hatte sie gesehen, denn es war menschenleer draußen.

Dies beruhigte sie. Es setzte sie gleich darauf wieder in eine Unruhe, die ihr selbst unerklärlich war.

Sie mußte in die dichte Finsterniß des Parks hinein gehen, ganz allein. Sie mußte, denn es galt ihr Glück, ihren Mann. Und es war ja ein Freund, zu dem sie sich begab. Der Freund ihrer Kindheit, ihrer Jugend, den sie geliebt, der sie wieder geliebt hatte, der ein Edelmann, der ihr Herr, ihr natürlicher Beschützer war. Er war in neuerer Zeit wild, wüst geworden. Wo er anzutreffen war, ließ sich kein ehrbarer Bürger mit Frau oder Tochter sehen. Aber, wenn sie auch daran dachte, sie mußte zu ihm; es galt ihr Glück, ihren Mann.

Sie ging in die Finsterniß des Parks, fester in ihren Shawl sich wickelnd, ging sie entschlossen rasch voran.

Ein gewundener Weg durch ein Boskett führte sie auf einen freien Platz. Da lag schon der Schwanenweiher vor ihr. Er hatte eine Breite von hundert, eine Länge von hundertundfünfzig Schritten. Sie stand vor der Breite, drüben am andern Ufer rechts, wartete der Baron auf sie. –

Es herrschte in der dichten Finsterniß die tiefste Stille um sie her. Kein lebendes Geschöpf begegnete ihr, kein Laut wurde von ihr vernommen.

Sie ging muthig voran, erreichte das jenseitige Ufer des Weihers und stand vor dem Boskett, das dort vorsprang.

»Sie sind es, Luise?« flüsterte eine Stimme neben ihr.

Es war der Baron.

»Ich bin Ihnen gefolgt.«

»Sprechen Sie leise. Ich hörte vor einigen Minuten Menschen. Sie können zurück kehren. Gehen wir um der Sicherheit willen lieber in das Boskett hinein. Darf ich um Ihren Arm bitten?«

Er sprach Zutrauen erweckend, und bot ihr fast ehrerbietig seinen Arm; sie nahm denselben an und folgte ihm, wohin er sie führte.

Er führte sie durch das Boskett.

»Wohin gehen wir?« fragte sie doch. «

»Wir werden gleich in völliger Sicherheit vor jedem lauschenden Ohr sein.«

»Wären wir es nicht schon hier?«

»Noch wenige Schritte!«

Weiter gehend, standen sie an einem Fahrwege, der durch den Park und aus dem Park in die weit hinter diesem sich ausdehnenden Gutswaldungen führte.

Zehn Schritte von ihnen schien zwischen den Bäumen, die den Weg einfaßten, sich etwas zu bewegen.

»Was war da?« fragte die geängstigte Frau.

»Nichts.«

Ein Pferdehuf scharrte.

»Um Gotteswillen!«

Sie wollte sich von seinem Arme losreißen.

»Luise!« rief der Baron und hielt sie fest.

»Lassen Sie mich los!«

»Luise, ich liebe Sie, ich bete Sie an«

»Lassen Sie mich los! Elender! Hülfe!«

Sie konnte das Wort nicht zum zweiten Male rufen; er hatte sie mit seinen kräftigen Armen umfaßt, hielt ihr den Mund zu, hob sie auf und trug sie fort.

Zehn Schritte von ihm hielt ein Wagen, dessen Schlag offen stand.

Er trug sie in den Wagen und zu ihr hinein springend, rief er dem Kutscher, der auf dem Bocke saß, zu: »fort!« und schlug die Wagenthür zu.

Der Wagen flog durch die dunkle Nacht in den Wald hinein.

An einzelnen einsamen verborgenen Stellen des Waldes befanden sich kleine Einsiedeleien. Der vorige Besitzer von Bilau hatte sich gern darin aufgehalten, auf der Jagd, bei anderen Gelegenheiten. Sie standen unbewohnt, aber immer bereit, Bewohner aufzunehmen. – –

In dem Pavillon des Schloßparks war man munter und fröhlich geblieben. Der Oberförster hatte den Saal fünf Minuten vor seiner jungen Frau verlassen.

Nach einer halben Stunde kehrte er zurück. Er hatte in seiner Wohnung, die in der Nähe des Schlosses lag, selbst nachsehen wollen, ob zu dem Empfange der Gattin Alles festlich bereitet sei. Er hatte seine Freude an den Anordnungen gehabt, den Laubgewinden über der Hausthür, dem Blumenschmuck im Vorhause, den frischen Rosen in den Stuben; er hatte verbessert, neu geordnet; war glücklich.

Mit seinem Glücke im Herzen und im Gesichte trat er in den Saal ein; seine Augen suchten die Braut, ihr sein Glück mitzutheilen. Sie war nicht da. Er suchte sie im ganzen Saale, in den Nebenzimmern, sie war nirgends. Er fragte nach ihr, bei den näheren Bekannten, dann bei Jedermann. Niemand wußte von ihr. Keiner hatte sie den Saal verlassen sehen.

»Wir meinten, sie müsse mit Ihnen gegangen sein.« Das war die Antwort, die er von allen Seiten erhielt.

Er wurde unruhig. Eine halbe Stunde war er fort gewesen; seit so langer Zeit war auch sie fort. Wohin konnte sie gegangen sein? wo konnte sie so lange verweilen?

»Im Schlosse,« suchte er sich zu beruhigen, »von ihrem Stübchen, das sie vier Jahre bewohnt hat, das sie jetzt verlassen muß, wird sie Abschied nehmen. Sie kann sich nicht sogleich von ihm trennen.«

Er wartete.

Es verging eine halbe Stande, sie kam noch immer nicht wieder, und nun war sie schon seit einer ganzen Stunde fort.

Er ging zum Schlosse. Auch dort hatte Niemand sie gesehen. Er ließ durch ein Dienstmädchen sich zu ihrer Stube führen. Die Stube war verschlossen. Er klopfte an die Thür. Er erhielt keine Antwort.

Er rief durch die verschlossene Thür in die Stube hinein: »Luise, bist Du hier?« Er rief es wiederholt. Es kam keine Antwort. Nichts regte sich jenseits der Thür. Sie war auch nicht in ihrem Stübchen.

Wo konnte sie sein?

Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn.

Er eilte zu dem Pavillon, in den Tanzsaal zurück. Sie war noch immer nicht wieder da. Kein Mensch wußte von ihr.

Man sah seine Unruhe, seine Angst.

Sie theilten sich weiter mit, seinen Freunden den Eltern der Braut, der Baronin. Auch ihr.

Einen Augenblick erschrak sie. Dann rief sie ihren vertrauten Kammerdiener herbei.

»Sieh nach, ob mein Sohn in seinem Zimmer ist,« sagte sie leise zu ihm. »Sei diskret.«

Der alte Mann wußte schon, was sie meinte. Er wußte wohl viel.

Nach zehn Minuten kam er zurück. Sein Gesicht sagte nichts, seine Lippen hatten desto mehr in das Ohr seiner Gebieterin zu flüstern.

»Der Herr Baron ist nicht da. Er ist nur einen Augenblick dort gewesen, seinen Mantel zu holen. Mit diesem ist er in den Park gegangen Aber gleichzeitig hat sein Kutscher, den er von Berlin mitgebracht, anspannen und fortfahren müssen.«

»Wohin?« fragte die Baronin

»Das weiß man nicht.«

»Wann ist das gewesen?«

»Vor stark einer Stunde.«

»Du schweigst!«

Sie war von Neuem erschrocken, heftiger als das erste Mal; aber sie wußte sich zu fassen. Es war ein Unglück geschehen; sie konnte nicht mehr daran zweifeln und zweifelte nicht mehr daran. Es war ein schweres Unglück. Aber sie war die Frau, die sich auch in ein schweres Unglück finden konnte, zumal wenn es mehr Andere als sie betraf.

»Die Sache muß nur mit Anstand und ohne Eclat wieder gut gemacht werden. Und dazu wird sich ja Rath finden.«

Sie trat zu der Mutter der Braut.

Der Tanz hatte aufgehört, die Musik im Saal schwieg. Die meisten Gäste hatten sich zerstreut. Man durchsuchte, der Bräutigam und der Vater der Braut an der Spitze, mit Fackeln und Laternen den Park. Wo anders konnte man sich die Verlorne denken, wenn sie nicht im Pavillon und im Schlosse war?

Die Frau Leuthold, die blasse, kränkliche Frau, konnte in ihrer Angst sich kaum aufrecht halten.

Die Baronin tröstete sie herablassend.

»Will Sie nicht in Ihr Stübchen gehen, liebe Frau, das im Schlosse für Sie hergerichtet ist? Sie ist angegriffen. Sie wird dort schlafen und sich erholen. Ihre Tochter findet sich unterdeß wieder.«

»Wie könnte ich schlafen, gnädige Frau Baronin?«

»Aber Sie kann dort mit mehr Ruhe die Rückkehr Ihrer Tochter oder Nachrichten von ihr erwarten.«

Das war richtig, und die Frau sah es ein.

Sie ließ sich durch einen Bedienten zum Schlosse führen.

Der Baronin war ein Stein vom Herzen gefallen Aber noch Manches drückte sie.

Wohin hatte ihr Sohn die Verlorne, die Gattin eines Andern entführt? Wie war dem ersten Sturme über die Nachricht von der Entführung zu begegnen? Das Weitere alsdann machte ihr freilich geringere Sorge. Und jenes – sie mußte es vor der Hand mit Ruhe abwarten.

Ihrem Kammerdiener den Befehl hinterlassend, sie sofort zu benachrichtigen wenn etwas vorfalle, begab sie sich ebenfalls in ihr Schlafgemach. Ob sie schlafen konnte? Vielleicht –

Im Park hatte man vergeblich gesucht, auch in dessen näherer Umgebung, aber nicht die geringste Spur war aufgefunden. Die Suchenden waren zurück gekehrt.

Mitternacht war vorbei. Drei Stunden waren vorüber seit dem Verschwinden der Braut. Die Gäste hatten sich erschrocken von dem gestörten Feste längst nach Hause begeben, um so erschrockener, je räthselhafter ihnen das Ereigniß war, je weniger sie nur eine Ahnung von dem hatten, was geschehen sein könne.

Der junge Baron? Einige dachten wohl an ihn. Aber man hatte nichts gesehen, und keiner sprach aus, was er dachte.

Der Gatte und der Vater der Vermißten waren nicht zurück gekehrt.

Sie suchten noch, im Parke, an den Weihern in weiterer Entfernung.

Es war zwei Uhr Morgens geworden, der Tag begann zu grauen.

Der alte Kammerdiener weckte die Baronin.

»Gnädige Frau, sie ist wieder da.«

»Wo?«

»Ihr Vater, der sie gefunden haben muß, kommt so eben mit ihr an und bringt sie zu ihrer Mutter.«

»Und mein Sohn?«

»Der Kutscher ist vor einigen Minuten mit den bloßen Pferden zurück gekommen Der Herr Baron sind mit Extrapost nach Berlin gereist.«

»Gut.« –

Die Frau Leuthold lag in dem Stübchen im Schlosse. Angekleidet hatte sie sich auf das Bett gelegt. Sie hatte nicht geschlafen, sie brauchte man nicht zu wecken.

Die Thür der kleinen Stube öffnete sich, ihr Mann trat ein, mit ihm die Tochter, die verlorene Tochter.

Der Müller war still, gebeugt, bleich zum Entsetzen.

Und die Tochter?

Als die Mutter ihr Kind sah – sie hatte sich auf dem Bette aufgerichtet – fiel sie ohnmächtig zurück.

»Sie stirbt,« rief der Müller.

»Möchte sie sterben« sagte die Tochter. »Besser, daß sie stirbt, als daß sie mich noch einmal sieht.«

Sie warf sich dennoch über die Ohnmächtige und umfing sie; aus ihren Augen stürzten Thränen. Als sie in die Stube trat, hatten die Augen trocken und heiß sie gebrannt.

»O Mutter, Mutter, könnte ich mit Dir sterben!«

Sie legte das heiße weinende Gesicht an das kalte, blasse der Sterbenden.

Der Oberförster Brunner, der Bräutigam, der Gatte, war in das Zimmer getreten. Er hatte gehört, daß sie wieder da sei.

Leise schritt er auf das Bett zu und faßte ihre Hand.

Sie sah auf; sie sah ihn; aber seine Hand von sich stoßend, verbarg sie ihr Gesicht vor ihm.

»Zurück!« rief sie, »rühre mich nicht an. – Du darfst es nicht. –Wir sind geschieden. Für immer.«

Die Mutter hatte die Augen aufgeschlagen.

»Lebst Du, mein Kind?« sagte sie.

»Um zu sterben Mutter. Ich bin eine Verlorne. Jener Elende –«

Die Mutter wußte Alles, der Blick ihres Mannes bestätigte es ihr.

Auch der Oberförster wußte es jetzt.

Noch einmal öffnete sich die Thür des Stübchens. Die Baronin trat ein.

Ihr Gesicht war ernst, finster, stolz, hart. Bei wichtigen Ereignissen des Lebens tritt die eigentliche Natur des Menschen klar und entschieden heraus.

Sie wußte längst, was geschehen war, und sie glaubte in ihrer Hand zu haben, was weiter geschehen müsse.

Sie ging zu dem Bette.

»Es ist eine unglückliche Begebenheit,« sagte sie, »aber sie läßt sich ja wieder gut machen«

Da trat der Müller vor sie.

»Wie wollten Sie das wieder gut machen, Frau Baronin?«

»Nun, wir werden kein Opfer scheuen – Wir sind reich.«

Die unglückliche Tochter fiel ohnmächtig neben der sterbenden Mutter nieder. – – –

Luise hatte mit ihrem Gatten sich nicht vereinigen können.

Sie kehrte mit ihren Eltern in das väterliche Haus, in die Mühle am schwarzen Moor zurück. Dort blieb sie für immer. Ihre Mutter mußten sie schon nach wenigen Wochen begraben; die kränkliche, schwache Frau hatte von dem furchtbaren Ereigniß sich nicht wieder erholen können. Die ältere Schwester wurde die Mutter und Erzieherin ihrer jüngeren Schwester, die zur Zeit jener Begebenheit ein Kind von dreizehn Jahren war.

Der Oberförster Brunner hatte seinen Dienst auf den Bilau'schen Gütern verlassen und war mit seinem Vermögen zu seinem Vater gezogen, einem Steuerbeamten in einer entfernten Provinz.

In der ersten Zeit hatte er seine Gattin wiederholt vielfach gebeten, zu ihm zurück zu kehren; schriftlich, denn alle seine Bitten und Versuche, sie mündlich zu sprechen, hatte sie zurück gewiesen. Sie blieb entschieden dabei, von ihm getrennt zu leben. Sie beschwor ihn, sich auch gerichtlich von ihr scheiden zu lassen. Er mußte zuletzt in jenem ihren Willen ehren. Aber zu einer Scheidung konnte er sich nicht entschließen.

Er kränkelte überdies. Auch er war von einem zu schweren Schlage getroffen. Nach vier Jahren war er gestorben.

Luise war Wittwe.

Und der Baron Bilau?

Die Sache war doch nicht mit Geld abzumachen gewesen, wie die Baronin gemeint hatte.

Zu jener Zeit galt in Preußen vor Allem das Recht, und das Recht fand strenge und gerechte Richter, und von oben her beugte man es nicht. –

Die Preußischen Richter sahen die unglückliche Begebenheit, von der die Frau von Bilau gesprochen hatte, als ein schweres Verbrechen an, und verurtheilten den Baron Fritz von Bilau zu einer zwanzigjährigen Festungsstrafe. Das Urtheil, von dem Kriegsgerichte erlassen mußte, da der Verurtheilte Offizier war, von dem Könige bestätigt werden. Der König bestätigte es mit dem Bedauern, daß es nicht strenger ausgefallen sei.

Der Verurtheilte mußte seine Strafe in der Festung Spandau antreten.

Seine Mutter, seine andern Verwandten, seine Freunde und Gönner verwendeten sich zu wiederholten Malen für ihn beim Könige und baten um seine Begnadigung. Der König wies jedesmal strenge die Bittenden ab.

Das war es, was die unglückliche Frau an jenem Abende ihrer Schwester Charlotte erzählte.



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