Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18.
Die Schlacht von Paris. Napoleons Abdankung. Der Friedensschluß

Die Nacht war dunkel, leichtes Gewölk bedeckte den Himmel. Auf der geraden Straße von Trilport über den Höhenrücken, der Meaux vorliegt und die Marne zu dem großen südlichen Bogen bis Nanteuil zwingt, ritt eine Schar preußischer Reiter vorsichtig vorwärts. Die Pferde hatten heute schon etwa 60 Kilometer zurückgelegt, und statt im warmen Stalle oder wenigstens im sicheren Biwak zu rasten, mußten sie immer noch weiter durch die Nacht marschieren.

Plötzlich erflammte die ganze Gegend vor den überraschten Reitern und ihren erschrocken die Köpfe aufrichtenden Tieren in einem wahren Feuermeere, das halbkreisartig gegen den Himmel aufstieg.

»Welch eine gewaltige Explosion! Am Ende haben die Franzosen ihre gesamten Pulvervorräte in die Luft gesprengt, weil sie an jedem weiteren Widerstande verzweifeln! Schließlich ziehen wir morgen ohne jede Schwierigkeit in Paris ein!«

Ein herbeireitender Husar unterbrach das Gespräche der beiden Offiziere und meldete:

»Etwa 500 Schritt von hier vorwärts hält Herr General von Katzeler und will die Herrn Kommandeure sprechen.«

Bei dem von der Ordonnanz genannten General hatten sich schon einzelne Reiterführer versammelt, andere kamen, den Truppen vorsprengend, eilends herbei.

»Meine Herrn! Der Feind hat Meaux geräumt. Die große Explosion, die wir soeben gesehen, wird die Vernichtung des Pulvermagazins der Stadt gewesen sein. Wir rücken schleunig durch die Straßen durch, dringen weiter gegen Claye vor und werden in der Gegend von Bel Air biwakieren.« Nun fügte er Verhaltungsmaßregeln für die zu entsendenden Patrouillen bei und entließ die Offiziere wieder zu ihren Abteilungen.

Noch etwa zehn Kilometer legten die unermüdlichen Reiter in der Nacht zurück.

Am frühesten Morgen des anderen Tags, es war der 28. März, folgte ihnen die Infanterie. Mit einem der ersten Bataillone kam der alte Isegrim Yorck. Dem konnte nichts schnell genug gehen, er spornte zur Eile an. In rastlosem Zuge wälzte sich die schlesische Armee vorwärts gegen die feindliche Hauptstadt.

» Oh mon Dieu, Paris est perdu!« – Sie hatten recht, die guten Bürger von Meaux. Ihrem heiligen Paris ging es an den Kragen.

Wenige Stunden später krachten preußische Geschütze gegen die bei Claye aufgestellten 7000 Franzosen des Generals Compans.

Von einem Punkte des soeben eroberten Feldes aus erkannte man im Westen zwei hohe platt abgeschnittene gotische Türme.

»Was ist das?«

» La cathédrale de Notre Dame à Paris

»Leute, dort liegt Paris! Hurra!«

Und Hurra riefen die Musketiere und Husaren nach, und mit frischem Mute setzten sie sich trotz Müdigkeit und Hunger von neuem in Marsch gegen Paris, gegen das Ziel des ganzen Krieges, gegen die Stadt, in der allein der Friede geschlossen werden konnte.

Bei der Hauptarmee ließ man die beiden Armeekorps von Sacken und von Wrede bei Meaux und auf dem linken Marneufer stehen. Die übrigen Korps schoben sich aber am 29. über Claye heran und vereinigten sich nochmals eng mit der schlesischen Armee.

Da bei der Hauptarmee der Brückentrain nicht rechtzeitig vorgezogen war, um die Marne zu überschreiten, so mußte sie die von der schlesischen Armee geschlagenen Brücken benützen und da der Zar darauf bestand mit seinen Garden als Erster in Paris einzuziehen, so wurde die schlesische Armee nach rechts geschoben und erhielt den Befehl, sich auf die von Soissons nach Paris führende Straße zu setzen und hier gegen die Hauptstadt vorzurücken. Die Hauptarmee ging direkt an der Marne vorwärts. Durch das Rechtsschieben Blüchers hatte man einen ganzen Tag verloren. Nun war Eile nötig, denn von Wrede liefen Nachrichten über das Herannahen Napoleons ein. Deshalb wurde der Vormarsch gegen die Stadt selbst am 30. März ohne gründliche Vorbereitung angetreten. Bei der schlesischen Armee bildete das Korps von Langeron den rechten Flügel, das von Yorck die Mitte, jenes von Kleist den linken Flügel und die Infanterie des Wintzingerode'schen unter den Generalen Worontzow und Strogonow die Reserve. Die Hauptarmee hatte im Anschluß an die schlesische, also auf ihrem rechten Flügel, voraus das Korps Rajewski, dahinter die preußisch-russischen Garden unter Barclay und links in erster Linie die Württemberger, in zweiter das Korps von Gyulay entwickelt.

Die französische Hauptstadt war durch den plötzlichen Anmarsch der verbündeten Armeen im höchsten Maße überrascht worden. Die höchste Gewalt in der Stadt hatte Napoleons Bruder, König Joseph in Händen. Truppen waren nahezu keine vorhanden, denn man hatte die Depots schon gründlich geräumt, um die Verluste bei der Feldarmee zu ersetzen. Dagegen trafen sozusagen zur elften Stunde die beiden Marschälle Marmont und Mortier mit ihren, freilich zu Tode abgehetzten Truppen ein. Mit diesen verbanden sich noch die bei Claye den Preußen entkommenen Reste von Compans, sowie ungefähr 16 000 Nationalgarden, und damit hatte man etwa 40 000 Mann vor den Mauern der Stadt angesammelt. Innerhalb der letzteren befanden sich noch etwa 20 000 Rekruten und Nationalgardisten. Trotz dieser gegen die mit ungefähr 100 000 Mann anrückenden Verbündeten ganz bedeutenden Minderzahl an Streitern beschlossen die beiden Marschälle doch den Kampf aufzunehmen und bis zum äußersten durchzuführen. Sie teilten sich derartig in die Verteidigung, daß Marmont das Gelände im Osten, Mortier jenes im Nordosten von Paris besetzte.

Vom Kaiser wußte man nichts. Daher lastete alle Verantwortung auf König Joseph. Dieser hatte noch am 29. die Kaiserin Maria Luise nebst ihrem Sohne aus Paris entfernen und nach Rambouillet bringen lassen. Mit dieser Flucht der kaiserlichen Familie war Paris für Napoleon verloren, denn nun ging es im Innern der Stadt sofort bunt durcheinander her. Immer kühner traten die Anhänger der Bourbons hervor, und König Joseph besaß weder die Tatkraft, noch die Macht, zugleich gegen dieses Treiben im Innern und gegen den Feind von außen auftreten zu können.

Schon früh fünf Uhr begannen am 30. März die Plänkeleien der beiderseitigen Vortruppen. Kaiser Alexander drängte zum Angriff. General Rajewski wartete daher das Herankommen des linken Flügels, der Württemberger, gar nicht ab, sondern griff ohne weiteres den Marschall Marmont an. Dieser, durch Nationalgarden und zahlreiches Geschütz aus den Zeughäusern der Stadt verstärkt, stand mit seinem Korps auf der Hochebene zwischen Vincennes und dem Ourcq-Kanal. Nicht nur er selbst, sondern auch seine Truppen waren zum äußersten Widerstand entschlossen, denn sie hofften noch immer auf die rechtzeitige Ankunft des Kaisers und dann schließlich doch auf den Sieg.

Nun griff das Korps von Rajewski mit großem Eifer an. Die Russen stießen auf ernste Schwierigkeiten, weil die vielen feindlichen Geschütze mit guter Benützung des Geländes auf der bezeichneten Hochebene verteilt waren. Dennoch gelang die Ersteigung der Abhänge. Zur Erstürmung des Dorfes Romainville mußte jedoch schon eine Garde-Grenadier-Division herangezogen werden. Damit aber fiel der Ort in die Hände der Angreifer.

Jetzt hinunter in das Tal und vor gegen Pantin!

Die Division Helfreich eroberte zwar Pantin, aber in ihrer Front und in ihrer linken Flanke schlugen die Granaten und Kartätschen des Verteidigers mit vernichtender Sicherheit ein, und es war vorauszusehen, daß der nächste Gegenstoß der Franzosen die Garde-Grenadiere zurückwerfen mußte. Da warf sich die preußische Garde-Infanterie-Brigade, die seit Bautzen immer in Reserve gehalten wurde, auf eigenen Entschluß ihres Führers, des Obersten von Alvensleben, mit größter Entschlossenheit in den schon sehr bedenklichen Kampf um Pantin. Mit ihrer Hilfe gelang es, die Franzosen, die sich verzweifelt wehrten, zurückzudrängen. Die Brigade verlor ein Drittel, die vordersten Bataillone die Hälfte ihrer Mannschaften, das Füsilier-Bataillon Ersten Garde-Regiments alle Offiziere bis auf einen!

Während dieser heißen Kämpfe um und vorwärts Pantin ging das erbitterte Ringen der Russen Rajewskis auf der Hochebene von Romainville ununterbrochen weiter. Nach und nach hatten auf dem linken Flügel auch die Württemberger tapfer in das Gefecht eingegriffen und eroberten hier sechzehn Geschütze.

Unterdessen stand die schlesische Armee an der Straße von Soissons bereit und wartete auf die letzte Weisung zum Vorgehen. Der alte Marschall »Vorwärts« hatte sich trotz Krankheit und Schmerzen auf das Pferd gesetzt. Den letzten Sturm auf das »verdammte Babel« wollte er nach alter Weise persönlich kommandieren. Freilich konnte er nicht lange aushalten, sondern mußte wieder aus dem Sattel und in seinen Wagen steigen und von neuem seinen grünseidenen Damenhut zum Schutze gegen das grelle Licht aufsetzen.

So aber leitete er doch die Bewegungen, denn lieber wäre er gestorben, als sich heute in Untätigkeit zu schonen. Er sowohl wie all seine Truppen vergingen fast vor Ungeduld, als sie in ihrer linken Flanke den Kanonendonner hörten und noch keinen Angriffsbefehl erhielten.

Endlich traf der so heiß ersehnte Befehl ein. »Hurra!« brauste es durch die ganze Armee und dann marschierten die Korps vorwärts gegen Paris, zur letzten entscheidenden Schlacht, zum letzten ihrer zahlreichen ruhmvollen Siege.

Über die Ebene von St. Denis griffen die Regimenter an. Yorck und Kleist nahmen die Richtung gegen Pantin und rechts davon, Langeron auf den sich über die ganze Umgegend erhebenden Montmartre. Deutlich erkannte der hier befehlende französische General Curial die durch diesen Angriff drohende Gefahr und beschloß sie durch einen Gegenstoß abzuwenden. Er brach mit Infanterie und Reiterei aus La Villette vor. Gegen seine Kavallerieregimenter gingen die schwarzen Husaren mit den Totenköpfen an den Bärenmützen unter Oberstleutnant Stößel vor. Ihnen folgten die brandenburgischen Husaren des Oberstleutnants von Sohr. Schnell waren die feindlichen Reiter geworfen. Nun ging's über die Infanteristen. Wurden umgeritten, erschlagen oder gefangen. Dort sind Geschütze! Drauf, drauf! Bald waren 14 derselben erobert. Weiter den fliehenden Massen nach bis hinein in die engen Straßen der Vorstadt.

Jetzt zog der alte Yorck den Säbel, deutete auf die Mauern der Vorstadt La Villette und ließ das Signal »Avancieren« geben. Die Division Prinz Wilhelm nahm diese, Horn La Chapelle, Kleist stürmte gegen die Kuppe der fünf Mühlen und Langeron gegen den Montmartre. Zugleich rückten die Garden von neuem gegen die Barriere vorwärts Pantin an. Alles war in bestem Zuge, überall wich der Feind teilweise schon zurück, da sprengten Adjutanten Tücher schwenkend herbei und meldeten, es stehe der Abschluß eines Waffenstillstandes bevor. Die Russen unter Langeron kümmerten sich nicht darum, sondern stürmten weiter. Sie mußten den Montmartre erobern und sie taten es.

Jetzt erst, gegen sechs Uhr, hörte das Feuer auf. Die Unterhandlungen begannen. Während derselben rastete der alte Feldmarschall Blücher aber keine Minute. Er selbst begab sich mit seinem Stabe auf den Montmartre. »Gott straf mir! Ich möchte lieber meine Geschütze als mein Perspektiv auf das Nest richten«, meinte der Marschall und sorgte, daß er dies könnte, wenn sich die Verhandlungen zerschlagen sollten. Bald krönten 84 Kanonen der Verbündeten den die ganze Stadt beherrschenden Berg.

Es kam aber zu keinem Kampfe mehr. Die Marschälle Marmont und Mortier erkannten die Unmöglichkeit eines weiteren Widerstandes und fügten sich schließlich dem Verlangen der Verbündeten. Noch in der Nacht mußten sie mit dem Reste ihrer Truppen die Stadt räumen, die sie bis zuletzt so wacker verteidigt hatten.

Die tapferen Angreifer empfanden die ganze Wonne des Sieges. Da lag Paris gedemütigt vor ihnen, jenes Paris, auf dessen Stimme seit zweiundzwanzig Jahren das gebeugte Europa gehört, von dem sich die französische Herrschaft fast über den ganzen Weltteil ausgebreitet hatte. Sie hatten die gewaltige Stadt bezwungen, sie, die Sieger von Brienne, la Rothière, Laon, Arcis und heute von Pantin, Romainville und vom Montmartre.

Der Erfolg des vergangenen Tages erwies sich als sehr bedeutend. 70 Kanonen hatten die Russen, 40 die Preußen, 16 die Württemberger erobert. Aber an 8000 tote und verwundete Russen, Preußen und Württemberger lagen auf der Wahlstatt. Nun dafür hoffte man auch bestimmt, daß der Krieg zu Ende sei und die baldige Heimkehr bevorstehe.

Man hatte sich nicht getäuscht. Mit der Einnahme der Hauptstadt versiegte die letzte Quelle, aus der Napoleon Kräfte zur Fortsetzung des Kampfes schöpfen konnte.

Am 31. März fand der feierliche Einzug der Verbündeten in Paris statt. Es geschah in ganz anderer Weise, als ihn sich der greise Marschall »Vorwärts« gedacht. Man wollte die Bevölkerung durch milde Behandlung gewinnen, sich als die Befreier vom Joche der napoleonischen Dynastie darstellen und der Welt das Beispiel von außerordentlicher Großmut der Sieger geben. Die eigentliche Seele dieser Auffassung war Kaiser Alexander. Er floß über von Milde und Freundlichkeit gegen die Pariser. Zum Einzuge, bei dem der russische Kaiser zwischen dem König von Preußen und Schwarzenberg – letzterer als Vertreter des noch nicht eingetroffenen Kaisers Franz – ritt, hatte man nur die russischen und preußischen Gardetruppen, die österreichischen Grenadiere und zwei württembergische Bataillone bestimmt. Die übrigen waren noch im freien Felde nötig. So hieß es wenigstens. Viele meinten, man habe sie in ihren schmutzigen zerfetzten Felduniformen nicht für gut genug gehalten, sie den Parisern zu zeigen.

Der Einzug selbst gestaltete sich infolge des entgegenkommenden Verhaltens Kaiser Alexanders sowie der Rührigkeit der Napoleon feindlichen Royalisten, ferner wegen der Charakterlosigkeit der damaligen vornehmen Welt von Paris wirklich zu einem wahren Triumphzug der fremden Sieger.

Jubelnd umringten die Damen der französischen Aristokratie den Gewaltherrn des russischen Reiches und küßten ihm die Hände, die Uniform, sogar seine Stiefel und sein Pferd.

Ein Offizier des Gefolges, Oberst Löwenstern, schlug einer dieser Schönen vor, sich zu ihm auf den Sattel zu setzen. Sie tat es sofort, und bald hatten die meisten russischen Offiziere solche Damen bei sich auf den Pferden oder überließen denselben ihren Platz im Sattel. Der Zar lächelte dazu und zeigte scherzend dem König von Preußen diese Gefangennahme seiner Kriegsleute durch die französischen Damen.

Zu solchem entwürdigenden Treiben paßten der alte Yorck, Gneisenau und die übrigen preußischen Generale freilich nicht. Gut, daß Blücher wegen seines Augenleidens verhindert war, am Einzuge teilzunehmen. Er hätte dieses Verhalten russischer höherer Offiziere vielleicht einer lauten scharfen Kritik unterzogen.

Mit großer Rührigkeit ging man sofort nach dem Einzuge der Verbündeten an die Absetzung Napoleons und die Wiederaufrichtung des Bourbonenthrones. Die Seele aller darauf bezüglichen Schritte war der große Ränkeschmied Talleyrand, früherer Minister des Auswärtigen, der 1809 bei Napoleon in Ungnade gefallen war. In seinem Palais stieg Kaiser Alexander ab, und hier wurden die Beratungen über das künftige Schicksal Frankreichs abgehalten. Talleyrand übernahm es, durch den Senat die Absetzung Napoleons aussprechen zu lassen. Von 142 Mitgliedern desselben erschienen allerdings nur 63, die – vergessend, wem sie alle ihre Ehren und Reichtümer allein verdankten – am Abend des 2. April den Beschluß faßten, den Kaiser zu entthronen, das Erbrecht der Familie Bonaparte abzuschaffen und das französische Volk und Heer des Treueids gegen dieselbe zu entbinden. Dieser Beschluß wurde begründet mit einem Sündenregister, welches dem Kaiser Satz für Satz schuld gab, was der Senat selbst teils vorgeschlagen, teils genehmigt hatte, und so in Wahrheit zu einer Anklageschrift gegen diese Körperschaft selbst wurde. Am 3.April traten die anwesenden Mitglieder des gesetzgebenden Körpers dem Senatsbeschlusse bei und schon am 6. April beschloß der Senat die Rückberufung der Bourbons auf den französischen Königsthron.

Vergessen war, welche Fülle von Macht und Ruhm der besiegte Kaiser dem Lande Frankreich geschaffen, vergessen, daß er Frankreich ein vorzügliches Gesetzbuch gegeben, eine blühende Lage der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Finanzen geschaffen, vergessen, daß er die Gleichheit vor dem Gesetz und anderes, was die Revolution nur dem Namen nach gegeben, erst wirklich zur Wahrheit gemacht hatte, alles vergessen, weil das Ganze aufgebaut war auf persönlichem Ehrgeiz, auf brutaler Herrschsucht, die das Gute überschatteten.

Zu spät, erst am 27. März, hatte Napoleon den Abmarsch der Verbündeten durchschaut. Er stand bei Vitry. Nun setzte er nach einem glücklichen Gefecht gegen die Reiter Wintzingerodes bei St. Dizier sofort die Armee gegen Paris in Marsch. Er selbst eilte mit Kurierpferden voraus nach Fontainebleau und leistete wieder geradezu Erstaunliches. Aber es war zu spät. Sein Geschick hatte sich entschieden. Noch donnerten am 30. März auf den Höhen bei Romainville die Kanonen, da eilte er, nur von Caulincourt und Flahaut begleitet, seiner Hauptstadt zu. Abends elf Uhr, zehn Kilometer von Paris entfernt, stieß er auf französische gegen Fontainebleau marschierende Reiterei. Der General Belliard führte sie. Er sprengte sofort zu seinem Kaiser. Der sprang aus dem Wagen und faßte in größter Erregung den General beim Arme:

»Die Armee? Wo ist sie?«

»Sie folgt mir, Sire.«

»Und der Feind?«

»An den Toren von Paris.«

»Wer hält die Stadt besetzt?«

»Niemand. Sie ist geräumt.«

»Geräumt? Und mein Sohn, meine Frau, meine Regierung, wo sind sie?«

»An der Loire, Sire.«

Damit wußte der Kaiser alles.

Er sandte Caulincourt zu Kaiser Alexander. Hoffnungslos! Der Armee befahl er, bei Essonne aufzumarschieren. Dort kamen, aber erst am 2. April, und zwar nach unsäglichen Anstrengungen, die Trümmer der mit ihm bis Vitry marschierten Korps an. Sie hatten 20 000 Mann unterwegs liegen lassen. Jetzt standen hier 53 000 Mann. Noch waren sie keineswegs entmutigt und verzweifelt. Der Kaiser selbst teilte ihnen die Vorgänge in Paris mit. Da schwuren sie, mit ihm zu siegen oder zu sterben und verlangten begeistert, gegen Paris geführt zu werden. Ermattung, Strapazen und Wunden hatte man vergessen. Dies war die Gesinnung zahlreicher Generale und fast aller Offiziere und Soldaten.

Anders dachten die Marschälle. Sie glaubten nicht mehr an eine Möglichkeit des Erfolges. Sie waren kriegsmüde und verzweifelten an dem Sterne des abgesetzten Kaisers. Am schmählichsten benahm sich Marmont, der sein Korps von Fresnes nach Versailles führte. Die Armee glaubte, sie sollte gegen die rechte Flanke des Feindes verwendet werden. Als sie erkannte, wie sehr man sie betrogen, war eine Rückkehr nicht mehr möglich.

Das war aber nicht alles. Auch die von Napoleon so hoch erhobenen Marschälle verließen ihn in der entscheidenden Stunde. Es befanden sich bei ihm in Fontainebleau Berthier, der Fürst von Neufchatel und Vice-Connetable von Frankreich, Ney, der Prinz von der Moskwa und Herzog von Elchingen, Lefebvre, der Herzog von Danzig, Oudinot, der Herzog von Reggio, endlich Macdonald, der Herzog von Tarent. Diese hatten Kenntnis von den Beschlüssen des Senats und erwogen seit den Morgenstunden des 3. April, wie man dem Kaiser die Notwendigkeit der Abdankung beibringen könne. Der Kaiser hatte für diesen Tag den Vormarsch gegen Paris befohlen, und hielt vor dem Aufbruch eine Heerschau zwischen Fontainebleau und Corbeil ab, wo ihn die Korps mit so begeisterten Zurufen empfingen, wie kaum je in seinen besten Zeiten. Nach der Parade folgten ihm die Marschälle in seine Gemächer. Macdonald trug ein offenes Schreiben in der Hand, den Brief eines Senators, der ihm den Absetzbeschluß vom 2. und die Erklärung der Verbündeten mitgeteilt hatte, daß sie weder mit Napoleon noch mit einem Mitglied seiner Familie mehr unterhandeln wollten.

»Kann der Brief vorgelesen werden, Herr Marschall?«

»Ja, Sire!«

Ein Kabinettsekretär nahm den Brief und verlas ihn; der Kaiser verzog keine Miene.

»Morgen werden wir Rechenschaft haben für das alles. Ich zähle auf Sie, meine Herren!« war die einzige Antwort des Kaisers, als der Brief verlesen war. Aber die Marschälle erklärten dem Kaiser, daß sie nicht mitziehen würden. Marschall Ney übernahm es, dem trotz der Maske der Ruhe im Innern seiner Seele gebrochenen Kaiser die Abdankungserklärung abzugewinnen, und zwar zunächst eine bedingte, indem sich letzterer bereit erklärte, zugunsten seines Sohnes unter Regentschaft der Kaiserin zurückzutreten. Aber als der Kaiser den Abfall Marmonts erfahren hatte, welcher ihn aufs tiefste erregte, und damit die völlige Unmöglichkeit erkannte, dem Geschicke weiter zu trotzen, da erklärte er sich auch bereit, unbedingt für sich und seine Familie dem Thron zu entsagen. »Ich habe das Glück Frankreichs gewollt. Ich habe mich geirrt,« das waren die Worte, mit denen der Kaiser am 11. April 1814 die Entsagungsurkunde unterschrieb. Schon am 12. April hielt Graf Artois, der Bruder des noch in England weilenden Ludwig XVIII., seinen Einzug in Paris.

Die Verbündeten hatten Napoleon, und zwar seiner eigenen Wahl gemäß, dagegen unter dem entschiedenen Widerspruch Metternichs, welcher prophezeite, man nötige ihn, seinen Namen unter einen Vertrag zu setzen, der »uns in weniger als zwei Jahren wieder auf das Schlachtfeld rufen wird«, die kleine Insel Elba als souveränes Land überlassen und ihm eine jährliche Einnahme von zwei Millionen zuerkannt. Am 20. April reiste er in Begleitung eines russischen, preußischen, österreichischen und englischen Beauftragten dorthin ab. Ehe er in den Wagen stieg, hielt er jene Abschiedsrede im Hofe des Schlosses, die, unter dem Namen » Les Adieux de Fontainebleau« durch die Kunst verherrlicht, noch lange Jahre alt und jung in Frankreich begeisterte.

Nachdem der Kaiser Napoleon beseitigt war, vollzogen sich die den Frieden einleitenden Verhandlungen verhältnismäßig sehr rasch. Die Verbündeten erklärten wiederholt, sie hätten nicht gegen das französische Volk, sondern nur gegen den einen Mann, nämlich Bonaparte, Krieg geführt. Kaiser Alexander und Metternich überboten sich in Liebenswürdigkeiten gegen das besiegte Frankreich. Zunächst wurde am 23. April der Waffenstillstandsvertrag abgeschlossen, worin sich Frankreich lediglich verpflichtete, diejenigen Plätze zu räumen, die seine Truppen noch außerhalb der Landesgrenze von 1792 besetzt hatten, und am 30. Mai folgte der Abschluß eines Friedens, welcher von Deutschland u. a. Saarlouis und Landau, von Belgien das Viereck zwischen Maubeuge und Givet, von der Schweiz einige Stücke vom Lande Gex bei Genf und von Savoyen Chambéry und Annecy zugunsten des besiegten Landes abtrennte! Von einer Frankreich auferlegten Kriegssteuer war nicht nur nicht die Rede, sondern Kaiser Alexander und Metternich gingen in ihrer Großmut auf Kosten ihrer Verbündeten so weit, eine bare Forderung von 170 Millionen Francs, welche Preußen »für rückständige Bezahlung von Leistungen und Aufwendungen«, die es für Frankreich in den Jahren von 1807 bis 1812 gemacht hatte, einreichte, einfach herzuschenken, mit anderen Worten: das gute Recht des an dem siegreichen Ausgang des Feldzugs verdientesten Bundesgenossen aufzuopfern. Ja, damit noch nicht genug, man ließ den Franzosen, aus Besorgnis, ihren Stolz zu beleidigen und in ihnen Reuegefühle über die Absetzung ihres Kaisers zu erwecken, die von ihnen aus allen Ländern nach Paris geschleppten Kunstschätze. Mit äußerster Mühe gelang es den preußischen Diplomaten die Viktoria vom Brandenburger Tor in Berlin, den Degen Friedrich des Großen aus Potsdam zurück zu erhalten. Hatte man schon die französische Hauptstadt nur eben mit so vielen Truppen besetzt, als notwendig waren, um dort die Ruhe aufrecht zu halten, so beeilte man sich nun nach dem Friedensschluß so viel als möglich, dieselben zurückzuziehen, und in kurzem war der geheiligte Boden von Frankreich von den Truppen der verbündeten Sieger völlig geräumt.

Alles dieses war nun gar nicht nach dem Sinne des alten Marschalls Blücher. Ihm erschien mit Recht die Frankreich, das seit mehr als 150 Jahren Deutschland mit Füßen getreten hatte, gezeigte Schonung als heillose Schwäche, auch wollte er, wie jeder klar sehende Mann, nichts von der Wiedereinsetzung der unfähigen, entnervten Bourbons wissen, und er hätte gerne seine braven Soldaten auf Kosten der Franzosen für die durchgemachten Strapazen etwas entschädigt. Allein es herrschte wieder Friedensluft und höfischer Ton. Da war so ein richtiges Blücher'sches Gewitter nicht mehr angezeigt. Zudem fühlte er sich jetzt, wo der Kanonendonner schwieg, nicht mehr recht am Platze, denn, wie er meinte, es behaupteten wieder die »Diplomatiker« das Feld. So legte er denn zu seiner Schonung am 2. April sein Kommando nieder. – Er blieb noch einige Zeit in Paris, rauchte und spielte nach seiner Art im Palais royal, im Salon des Etrangers oder in der Restauration von Very und ließ sich das Begaffen ganzer Scharen von Neugierigen geduldig gefallen, weil er doch nichts dagegen machen konnte. Eine interessante neue Bekanntschaft machte er aber in Paris, Wellington. Schon in Bälde sollte dies der Welt sehr zu gute kommen.

Am 3. Juni wurde Blücher zum Fürsten von Wahlstatt erhoben, und auch an Gnadenbeweisen und Ehrenbezeugungen von den andern Mächten fehlte es ihm nicht.

Der Kaiser von Rußland, der König von Preußen und mit ihnen auch Blücher und Yorck folgten, noch ehe sie nach der Heimat zurückkehrten, einer gastlichen Einladung nach England.

Sie wurden dort mit Beifall und Ehren so überhäuft, daß der zwar sehr von seiner Londoner Reise entzückte, aber auch sehr ermüdete Marschall »Vorwärts« nach der Rückkehr auf das Festland meinte: »Lieber noch einen Feldzug, als noch so 'ne Fahrt nach England machen. Gott straf' mir!«

Nun ging es endlich in die Heimat zurück. Mit jubelnder Begeisterung wurden sowohl die Monarchen und die Feldherrn als die Truppen empfangen. Fühlte man sich in Deutschland doch jetzt erst vom Joche des fremden Eroberers vollständig befreit und vor seiner Wiederkehr gesichert. Man empfand in allen Schichten der Nation das Bewußtsein neuer Kraft und gab sich der Hoffnung hin, in Zukunft immer der Herr im eigenen Hause bleiben zu können.

Daß sich diese Erwartungen nicht in vollem Maße erfüllten, daran trugen wieder die »Diplomatiker« die Schuld. Sie schufen nämlich kein Deutsches Reich, sondern nur einen Bund von vielen souveränen Staaten.

Doch das gehört nicht zu einer Darstellung des Krieges von 1814.

In demselben war also Napoleon trotz seines Genies, trotz der unbestreitbaren Begeisterung der französischen Armee für seine Person und trotz der großen Tapferkeit seiner Offiziere und Mannschaften den Verbündeten vollständig erlegen. Der Sturz Napoleons wurde herbeigeführt durch das, trotz aller Meinungs- und Interessenverschiedenheiten, treue Zusammenhalten der Herrscher von Rußland, Österreich und Preußen. Die Verbündeten verdankten ihren Sieg nicht allein ihrer gewaltigen Übermacht, sondern auch der Tapferkeit, mit der sich sämtliche Verbündete schlugen, sobald sie nur an den Feind kamen. Tatkraft steckte aber außer in der russischen leichten Reiterei eigentlich hervorragend nur in den preußischen Korps. Durch den unablässigen Antrieb Blüchers wurde der Schlachtenmeister bezwungen.


 << zurück weiter >>