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15.
Napoleon geht gegen die Hauptarmee vor

Montereau, Bar-sur-Aube

Blücher war nunmehr nach der Ansicht des französischen Kaisers abgetan. Dagegen trafen Nachrichten bei letzterem ein, daß die Hauptarmee der Verbündeten nun doch vormarschiert und der Kronprinz von Württemberg durch einen sehr schneidig ausgeführten Angriff Sens am 11. Februar erstürmt habe. Weiter erfuhr er, daß die leichten russischen Vortruppen Streifzüge schon bis südlich von Paris unternommen, die Verbindung zwischen Paris und Orleans unsicher gemacht und die Kosaken des Hetmans Graf Platow sogar Fontainebleau besetzt hätten. Napoleon beschloß daher, von der schlesischen Armee abzulassen und sich gegen Schwarzenberg zu wenden.

Dieser unterlag immer mehr dem Übergewicht des Fürsten Metternich und der Diplomaten im Gefolge seines Kaisers. Daher wurde seine Kriegführung von Tag zu Tag lauer, und nur dem Drängen Kaiser Alexanders war es zu danken, daß der Oberbefehlshaber der Hauptarmee wenigstens einzelne Korps gegen die Seine vorschob und den Marschällen Victor und Oudinot verschiedene Übergänge abnehmen ließ. Er bestimmte dazu die Korps von Wittgenstein, Wrede und das des Kronprinzen von Württemberg, also ein russisches, ein bayerisches und ein württembergisches. Seine Österreicher hielt er zurück.

Diese Korps drangen nun am 12. Februar gegen Bray und Nogent vor. Marschall Victor räumte Bray nach kurzem Gefechte. In Nogent aber hielt sich General Bourmont gegen Wittgensteins Russen mit vorzüglicher Tapferkeit. Erst als die Bayern unter Wrede eingriffen und den Kirchhof und die Häuser an der Brücke erstürmten, wichen die Franzosen nach vierzigstündigem Kampfe zurück.

Als die Bayern die Mitte der Brücke erreichten, gab es einen furchtbaren Schlag, Feuer sprühte nach allen Seiten, eine gewaltige Rauchwolke drang gegen den Himmel, aus der sich Balken, Körper, Waffen usw. lösten und im Bogen in die Seine zurückfielen – die Franzosen hatten im geeignetsten Augenblick die Brücke gesprengt. Damit war der Verfolgung ein Ziel gesetzt und der Vormarsch zwei Tage verzögert worden. Nachdem man die Übergänge wieder hergestellt, vollzogen die Korps aber doch ihren Übergang. Nur bei Courterelles vorwärts Bray gab es noch ein heftiges Gefecht zwischen den Bayern und dem durch anderthalb Divisionen Victors unterstützten Korps Oudinots. In der nächsten Nacht zogen sich die Franzosen zurück, und es folgten tags darauf die Bayern ihnen nach.

Während dieser Zeit trafen im Hauptquartier Schwarzenbergs die Nachrichten über die verschiedenen Niederlagen der schlesischen Armee ein. Das war Wasser auf die Mühle der dortigen Friedensapostel. Kaiser Franz, Metternich und alle die Diplomaten, dabei selbst der preußische Minister Graf Hardenberg, sogar General von Knesebeck, waren mehr wie je friedlich gesinnt. Kaiser Alexander und der sich fest an ihn anschließende König von Preußen brachten es aber zustande, daß man stehen blieb und sogar die Korps aus der zweiten und dritten Linie näher heranzog. Schließlich wurde Montereau von den Württembergern, Fontainebleau von Österreichern besetzt und der rechte Flügel nach Méry an der Seine verlegt. Die Hauptarmee war also auf etwa 120 Kilometer auseinander gerissen.

Das Vorgehen auf dem linken Flügel hatte aber doch das Zurückweichen der Marschälle Victor und Oudinot bis hinter die Yerres bewirkt. Deshalb schien Paris selbst jetzt ernstlich bedroht. Dies veranlaßte Napoleon, einerseits seinen Marsch gegen die Hauptarmee der Verbündeten zu beschleunigen, anderseits aber sich doch auf Verhandlungen einzulassen. Diese fanden bei Kaiser Franz, an den Napoleon als Schwiegersohn schrieb, zwar nicht volle Beachtung, allein sie wirkten doch auf die militärischen Maßnahmen des Hauptquartiers ein.

Napoleon war am 16. Februar in Guignes auf dem südlichen Ufer der Yerres angekommen. Obwohl er die Marschälle Mortier und Marmont mit ihren Korps sowie die Reiterei von Grouchy gegen die schlesische Armee stehen ließ, hatte er doch unter den Führern Ney, Victor, Oudinot, Macdonald, Nansouty, Milhaud und Kellermann mit wunderbarer Schnelligkeit eine Armee von 50 000 Mann Infanterie und 15 000 Reiter um sich versammelt. Am 17. Februar marschierte er, zunächst gegen Nangis. Vor dieser Stadt standen russische Vortruppen und zwar nur 2000 Mann zu Fuß und 1500 Berittene unter Graf Pahlen. Dieser zog sich angesichts der gegen ihn vorgehenden Massen auf Nangis zurück. Dort hoffte er durch seinen Korpsgeneral Fürst Wittgenstein Unterstützung zu erhalten. Der war aber auf Befehl Schwarzenbergs nach Provins zurückmarschiert. Bis dorthin, weitere 25 Kilometer, sollte sich Graf Pahlen ebenfalls zurückwenden. Napoleon hatte aber seine Schwäche erkannt, ließ ihn von starken Kavalleriemassen umgehen und angreifen. Es entstand ein wütendes Handgemenge, dem 1600 russische Infanteristen und 500 Reiter erlagen. Ferner fielen 9 Geschütze in die Hände der Franzosen.

Napoleon zog in Nangis ein. Nun schickte er seine Armee in drei Richtungen gegen Montereau, Bray und Provins vor, um zu erfahren, wo eigentlich die Massen der Verbündeten ständen. Einem energischen Feinde gegenüber hätte sich eine solche Zersplitterung sehr gerächt. Gegen Schwarzenberg aber konnte er sich alles erlauben.

Noch am 17. Februar beschloß Napoleon, die Verbündeten zunächst weiter von Paris abzudrängen. Deshalb sandte er schon am 18. früh den Marschall Victor gegen Montereau, wo seit 15. Februar der Kronprinz von Württemberg stand. Letzterer war der festen Ansicht, daß Schwarzenberg über Montereau und Fontainebleau auf Paris dringen wolle. Deshalb, und in der Erwartung, doch bald unterstützt zu werden, stellte er sich vor der Seine-Brücke auf der Hochebene von Surville auf. Er hatte auf dem nördlichen Ufer etwa 10 000 Mann zur Verfügung. 3000 standen als Reserve auf dem südlichen. Etwa um 9 Uhr früh kam ein Reiter daher gesprengt, jagte der Front der Infanterie-Brigade Stockmeyer entlang und rief seinen Kameraden vom Fußvolke zu: »Se komme!«

»Sind's viel?«

»Saumäßig viel!«

»Dees ischt all's oins. Wir lasse koi Mäusle durch. Wir wolle dene Franzose scho zeige, waas wir von ihrem Kaiser g'lernt habe.«

Und wirklich diese Württemberger bestanden die Probe sehr gut.

Die Franzosen wandten sich zuerst gegen den rechten Flügel des Kronprinzen. Durch das Feuer der hier in Weinbergen eingenisteten württembergischen Infanterie und das Eingreifen einer Batterie vom südlichen Seineufer her wurde der erste französische Angriff glänzend abgewiesen. Nun griffen die beiden Divisionen Duhesme und Château die tapferen Verteidiger in der Front an. Alle Anstrengungen der Franzosen waren vergebens; es schien, als ob wirklich »koi Mäusle« durchkommen sollte. Nun versuchte es der französische Reitergeneral Pajol mit seinen Schwadronen gegen den linken württembergischen Flügel. Er wurde abgewiesen.

So hatte der heiße Kampf bis 1 Uhr gedauert. Jetzt traf bei den Angreifern das Korps Gérard und zugleich der Befehl der Absetzung des bis jetzt noch kommandierenden Marschalls Victor ein. General Gérard übernahm die Leitung der Schlacht. Man kann sich denken, welche Mühe sich derselbe gab, um das besondere Vertrauen des Kaisers zu rechtfertigen. Allein alle Anstrengung war vergebens. Sämtliche Angriffe der Franzosen scheiterten an der zähen Ausdauer der Württemberger, welche keinen Fuß breit wichen. Plötzlich hörte man bei den Franzosen weithin klingenden Jubel. Der Kaiser war mit seinen Garden eingetroffen. Nun kam in die Bewegungen der Angreifer ein ganz anderes Leben. Es war geradezu staunenswert zu sehen, mit welcher Begeisterung, mit welchem Vertrauen diese französischen Soldaten jetzt wieder an Napoleon hingen.

Kaum hatte Napoleon sich über die augenblickliche Lage der Dinge orientiert, so befahl er einen allgemeinen Sturm. Eine mehr als dreifache Übermacht rückte gegen die tapferen Württemberger an. Deren Kronprinz erkannte die Größe der seinem Korps drohenden Gefahr und ordnete sofort den Rückzug an. Er schickte auch unverzüglich die Reiter und Geschütze im Trabe über die Brücke. Dann sollten der linke Flügel und die Mitte unter dem Schutze der rechten Flügelbrigade abziehen und zuletzt diese selbst folgen. Kaum hatte aber General Pajol den Abzug der Kavallerie und Artillerie bemerkt, so warf er sich auf den linken Flügel der Infanterie, durchbrach ihn und brachte dadurch den ganzen Rückzug in Unordnung. In diesem Augenblick griff die gesamte Schlachtlinie der Franzosen von neuem an. Nun stürzte alles über den steilen Bergabhang nach der Brücke. Dort kamen Freund und Feind, durcheinander gedrängt, zugleich an. Die ganze Masse schob sich nach der Brücke und auf dieselbe. Der Kronprinz selbst war, von Feinden umringt, in größter Gefahr, abgeschnitten und gefangen zu werden. Endlich auf dem südlichen Ufer angekommen, erkannte er, daß noch ein beträchtlicher Teil seiner Infanterie sich jenseits in größter Gefahr befand.

»Prinz Hohenlohe, schicken Sie ein Regiment Ihrer Brigade über die Brücke vor, um die Vorstadt auf dem rechten Ufer vom Feinde zu säubern, damit unsere Truppen, die noch jenseits sind, sich hierher zurückziehen können!«

Schneidig drangen diese Württemberger vor. Allein Napoleon hatte auf den Höhenrand des rechten Ufers zwei seiner Gardebatterien geleitet, die ein wahrhaft vernichtendes Feuer auf die anstürmenden Schwaben eröffneten. Auch die Brigade Prinz Hohenlohe-Kirchberg mußte weichen. Jetzt stürmten die Franzosen unter dem Schutze ihrer Kanonen über die Brücke und eroberten trotz des zähen Widerstandes der Württemberger bald die ganze Stadt. Darüber hinaus kamen sie aber nicht. Die schwäbische Reiterbrigade Jett warf sofort alle Feinde über den Haufen, welche es versuchten, aus Montereau herauszudringen, um den auf Bray gerichteten Rückzug ihres Korps zu belästigen. Noch in der Nacht erreichte dasselbe Bray. Dort hatte Wrede mit seinen Bayern alle Versuche Macdonalds, sich des Seineüberganges zu bemächtigen, glänzend abgewiesen, so daß die Württemberger hier Aufnahme fanden und sich hinter den Bayern sammeln konnten. Die Schlacht bei Montereau hatte dem Korps des Kronprinzen von Württemberg aber 4000 Mann und 10 Geschütze gekostet.

Zu einer ordentlichen Ausnützung des Sieges seitens der Franzosen kam es nicht, weil Napoleon trotz seines Erfolges nicht genug Kräfte bei Montereau zusammen hatte, um sich nun auf die Hauptarmee Schwarzenbergs werfen zu können. Immerhin hatte Napoleon auch jetzt wieder zwei glänzende Siege über Graf Pahlen und die Württemberger erfochten und dadurch das Oberkommando der feindlichen Hauptarmee eingeschüchtert. Natürlich war das erste Wort Schwarzenbergs, als er den Ausgang des Kampfes bei Montereau vernahm: »Rückzug nach Troyes«, obgleich die Hauptarmee ihrem Gegner immer noch bedeutend überlegen blieb, sobald man sie nur vereinigen wollte. Dies wäre ganz gut nach vorwärts möglich gewesen. Allein zu einem solchen Entschluß konnte sich der Oberbefehlshaber nicht aufraffen. Es wurde deshalb bei Blücher angefragt, ob er am 22. oder 23. Februar mit 30 000 Mann bei Méry an der Seine eintreffen könne; dann sei man entschlossen, sich mit Napoleon zu messen. Zur größten Überraschung des ganzen Hauptquartieres kam von Blücher folgende Antwort an: »Ich werde mit 53 000 Mann und 300 Kanonen am 21. Februar bei Méry zur Schlacht bereit sein.«

Bei der schlesischen Armee war den Niederlagen der vergangenen Tage eine rastlose Tätigkeit gefolgt. Man hatte sich nach Châlons zurückgezogen, dort die ganze Armee vereinigt und nun Tag und Nacht an der Neubildung der Abteilungen gearbeitet.

Man mußte beim Yorckschen Korps aus 19 Linienbataillonen 12 und aus 18 Landwehrbataillonen 4 formieren. Jedes der preußischen Korps zog seine 4 gemischten Brigaden in je 2 schwache Divisionen zusammen und zwar bei Yorck unter Horn und Prinz Wilhelm, bei Kleist unter Pirch II. und Klüx. Allein es trafen auch einige Verstärkungen ein.

Bei den Russen stand es besser. Schon am 18. Februar kamen für diese 10 000 Mann Ersatztruppen unter den Generalen von Rudzewisch und von Korff an. Dadurch waren ihre Korps fast wieder vollzählig geworden.

Kaum war durch die rastlose Tätigkeit Blüchers und seines Stabes die Schlagfertigkeit der Truppen wiederhergestellt, als auch von neuem anmarschiert wurde. Am 19. erreichte die ganze Armee Arcis-sur-Aube. Dort mußte man biwakieren. Das war in der bitterkalten Nacht keine Kleinigkeit, umsomehr als es in der baum- und strauchlosen Kreideebene der Champagne pouilleuse kaum Holz zum Kochen, viel weniger für wärmende Lagerfeuer gab. Da half denn nichts, da mußten die Dörfer und Höfe, d. h. deren Holzgebälke daran glauben. Ruhig saß gegen Abend der alte Isegrimm in seiner bescheidenen Stube, in der er einquartiert war, und studierte in verschiedenen Karten herum. Plötzlich richtete er sich auf und rief eine Ordonnanz: »Geh' einmal hinaus und befehle in meinem Namen, das Geklopfe und Gehämmer habe aufzuhören.« Der Mann verschwand. Es wurde ruhig. Bald darauf fing es aber wieder an. Ergrimmt nahm er sein Licht, ging hinaus und wollte den Leuten – er meinte es seien die Einwohner – tüchtig den Marsch machen. Fast wäre ihm aber vor Überraschung das Licht aus der Hand gefallen. Statt auf die gegenüberliegende Wand des Nebenzimmers blickte er nämlich auf das freie Feld und auf das Biwak seines Korps. Die Wand war verschwunden. Als er sich weiter umsah, bemerkte er, daß verschiedene vorher hier gestandene Häuser ganz in sich zusammengefallen waren. Man hatte sie der Tragbalken beraubt. Anfangs wollte der Alte losdonnern. Als ihn aber der eisige Wind belehrte, daß es ohne Feuer auf freiem Felde doch recht erbärmlich kalt war, wurde er milder gestimmt. Er beschränkte sich darauf, Posten aufstellen zu lassen, damit ihm nicht noch das Dach und die Wände seiner eigenen Schlafstube geholt würden und ließ im übrigen die Leute gewähren.

Am 20. Februar wurde die Aube überschritten, am 21. Februar traf die ganze schlesische Armee bei Méry ein und marschierte daselbst in Bereitschaftsstellung auf. Man traute bei der Hauptarmee kaum seinen Augen und Ohren. Dann aber hieß es allgemein: »Wahrhaftig, er hat Wort gehalten, der alte Blücher. Er ist da und seine ganze Armee mit ihm und zwar im besten Zustande. Hoch der alte Blücher!« Alle Welt erwartete jetzt eine große siegreiche, den ganzen Feldzug beendende Schlacht. Hatte man ja doch nunmehr etwa 160 000 Mann beisammen, denen Napoleon im höchsten Falle 65 000 Mann entgegenstellen konnte. Man durfte nur vorrücken, um den Gegner einfach zu erdrücken.

Blücher wartete am 21. Februar sehnsüchtig auf den Befehl zum Überschreiten der Seine und zur Angriffsschlacht für den folgenden Tag. Statt dessen traf nachmittags aus Troyes der Befehl zur vorläufigen Verteidigung und dem späteren Rückzug ein.

Kann man es dem alten Marschall Vorwärts verargen, daß er bei solcher Nachricht wie ein echter alter Husar losfluchte und losdonnerte? Nur gut, daß Schwarzenberg, Metternich, Hardenberg, Knesebeck und all' die »Diplomatiker« nicht hörten, mit welchen Kraftausdrücken er sie benannte. Das genügte dem Alten aber nicht. Am nächsten Morgen schickte er den Oberst Grolmann in das Hauptquartier zu Schwarzenberg, um eine Abänderung der Befehle zu erwirken. War dies nicht möglich, so sollte der Oberst insgeheim dem Kaiser Alexander melden, daß er, Blücher, keineswegs gesonnen sei, sich dem Rückzuge der Hauptarmee anzuschließen, sondern aufs neue nach Norden abschwenken wolle, um Napoleon wieder von der Hauptarmee abzulenken und dieser den Vormarsch gegen Paris freizumachen. Die einzige Bedingung sei, daß man ihn ermächtige, das auf dem Marsch von Holland befindliche, nunmehr bei Reims stehende Korps Wintzingerode, sowie das gegen Laon marschierende Korps Bülow an sich zu ziehen.

Der Alte unternahm in seinem Grimm einstweilen eine Erkundung des Feindes und erhielt bei dieser Gelegenheit einen Schuß, der ihm den Stiefel zerriß.

»Schlimm genug, Gott straf mir«, meinte er. »Wir haben ja mehr Doktoren als Schuster bei uns.«

Am Nachmittag des 22. Februar kam Oberst Grolmann aus Méry zurück und meldete: »Von einer Schlacht ist keine Rede; der Rückzug ist beschlossen und eingeleitet. Die allgemeine Disposition desselben gilt auch für die schlesische Armee. – Seine Majestät der Zar dagegen ist mit dem Vorschlage Euer Exzellenz einverstanden und versprach, daß Euer Exzellenz die Ermächtigung erhalten sollten, die beiden gewünschten Korps heranzuziehen.«

Jetzt war es Blücher ganz einerlei, was aus Schwarzenberg werden sollte, wenn nur er vorrücken dürfe. Aufmerksam gemacht, daß man um die bestimmte Genehmigung des Planes doch noch schriftlich einkommen müsse, setzte er sich in der Freude seines Herzens sofort selbst hin und schrieb nachstehenden, durch den gesunden Kern so wichtigen, durch die Schreibfehler aber so originellen Brief an den Zaren:

»Der Obrist Grolmann bringt mich die nachricht daß die hauphtarmee eine Rückgengige bewegung machen wird, ich hallte mich verpflichtet, Ewr. Kaiserlg. Magistet die unvermeidligen, nachtheilligen vollgen davon, aller untertänigst vor zu stellen. 1) Die gantze Francösische Nation tritt unter den waffen, der theill so sich vor der guten sache geeußert ist unglücklig. 2) unsre Siegreiche armee wird muthloß. 3) wihr gehen durch rückgengige Bewegungen in gegenden, wo unsere truppen, durch mangell leiden werden, die einwohner werden durch den verlust des Letzten waß sie noch haben zur verzweifflung gebracht. 4) der Kaiser von Frankhreich wird sich von seiner bestürtzung worin er durch unser vordringen erholen, und seine nation wider vor sich gewinnen. Ewr. Kaiserligen majestet danke ich aller untertänigst daß sie mich eine offensive zu beginnen erlaubt haben, ich darff mich alles guhte da von versprechen, wenn sie Gnedigst zu bestimmen geruhen daß die Generalle von Winzingerode u. v. Bülow meiner auforderung gnügen müssen, in dieser verbintung werde ich auf Paris vordringen, ich Scheue so wenig Keißer Napoleon wie seine marschälle wenn sie mich entgegen träten.«

Mit diesem Schreiben begab sich Oberst Grolmann wieder in das Hauptquartier und kehrte noch am 23. abends mit der Meldung zurück: »Alles genehmigt.«

Diesen Jubel in der ganzen schlesischen Armee! Der alte Blücher strahlte.

Der Abmarsch der schlesischen Armee über die Aube und gegen Sezanne geschah so schnell und so heimlich, daß die Franzosen gar nichts davon merkten. Napoleon hatte noch längere Zeit keine Ahnung, welche Wetterwolke sich da in seiner linken Flanke zusammenzog und drohend gegen Paris aufstieg.

Schwarzenbergs Entscheid ist geradezu unbegreiflich. Der Oberbefehlshaber der Hauptarmee zog seine Korps weiter hinter Troyes zurück und erwartete, was ein Unterfeldherr durch eine Offensive gegen die feindliche Hauptstadt erreichen würde. Unterdessen verlegte man sich auf Unterhandlungen und zog sich, als Napoleon gegen Troyes vorrückte, mit der ganzen Armee hinter Méry.

Nun gab es im Hauptquartier wieder verschiedene scharfe Szenen. Schließlich beendete der Zar den Streit durch die gegenüber dem Lord Castlereagh gesprochenen Worte: »Ich schließe nicht Frieden, solange Napoleon auf dem Throne sitzt.«

König Friedrich Wilhelm aber schrieb mit vollem Recht an Blücher: »Der Ausgang des Feldzuges liegt von nun an in Ihrer Hand.« Damit und dadurch, daß der Marsch gegen Paris ihm allein zufiel, war der alte Marschall Vorwärts auch formell die Seele der ganzen gegen Napoleon gerichteten Kriegstätigkeit der Verbündeten geworden. In Wahrheit war er es ja schon längst gewesen.

Nach dem Abmarsche der schlesischen Armee wich der österreichische Oberbefehlshaber in den nächsten Tagen bis hinter die Aube in der Richtung auf Chaumont.

Napoleon, der immer noch keine Ahnung von der für ihn so gefährlichen Änderung der Dinge bei der schlesischen Armee hatte und dieselbe für kampfunfähig hielt, zog hinter der Hauptarmee der Verbündeten her, aber nicht mit der sonst an ihm gewohnten Schnelligkeit. Er wollte, ehe er sich zu einem großen Angriffe auf Schwarzenberg entschloß, noch die Ankunft der in Aussicht gestellten Verstärkungen abwarten. Da plötzlich, in der Nacht vom 26. zum 27. Februar, erfuhr Napoleon den Marsch Blüchers gegen die Marne. Jetzt war ihm mit einem Male alles klar. Schwarzenberg sollte ihn gegen Osten locken, damit Blücher sich hinter seinem Rücken der Hauptstadt bemächtigen könnte! Dazu kam noch, daß der unermüdliche alte Marschall einen dreitägigen Vorsprung hatte! Sofort traf der Kaiser seine Maßregeln. Die Korps von Oudinot, Gérard und Macdonald sowie die Reiterkorps von Kellermann, St. Germain und Milhaud ließ er unter Befehl Macdonalds gegen die Schwarzenbergsche Armee stehen, er selbst mit der Garde, den Korps von Ney und Victor, sowie den Reiterkorps von Grouchy, Nansouty, Bordesoulle und neugebildeten Truppen brach am 27. früh nach Sezanne auf, um in Gewaltmärschen Blücher an der Marne noch einzuholen.

Kaum hatte der Kaiser diese Gegend verlassen, so ereilte das Mißgeschick einen seiner Unterfeldherrn.

siehe Bildunterschrift

3. Übersichtskarte des Kriegsschauplatzes des Jahres 1814

Am 26. Februar war das Korps Gérard nördlich Bar über die Aube gegangen. Daraufhin hatte sich Wrede mit seinen Bayern hinter Bar zurückgezogen, worauf Oudinot, Vallmy (welcher jetzt die Reiter Kellermanns befehligte) und St. Germain die Stadt selbst besetzten. In und bei derselben standen nunmehr an 30 000 Franzosen mit 60 Geschützen.

Im Hauptquartier Schwarzenbergs befand sich an diesem Tage noch der König von Preußen, während der Kaiser von Rußland schon nach seinem neuen Quartier Chaumont vorausgeritten war.

Friedrich Wilhelm war sehr verstimmt. Das fortwährende Zurückgehen hatte ihn auf das schmerzlichste bewegt. Heute mußte er sich aussprechen, und er tat es in so beredter und überzeugender Weise, daß es ihm wirklich gelang, den schwankenden Fürsten Schwarzenberg zum Halten zu bestimmen. Wrede erhielt Befehl, stehen zu bleiben und den Feind nicht weiter vordringen zu lassen. Dieser beim Oberbefehlshaber erreichte Schritt veranlaßte den König Friedrich Wilhelm nun aus eigener Machtvollkommenheit noch weiterzugehen und den Korps von Wrede, Wittgenstein und Kronprinz von Württemberg den Auftrag zu erteilen, am nächsten Tage, am 27. Februar, zum Angriff überzugehen.

Man hätte den Truppen keine größere Freude machen können, als es durch diesen Befehl des Königs von Preußen geschah. Überall ertönten die Musiken, die Trommeln wirbelten, Trompeten schmetterten und brausende Hurras erfüllten die Luft. Also am 27. Februar ging es vorwärts.

Die Franzosen dachten keine Sekunde daran, daß diese Ausreißer auch einmal zum Angriff schreiten könnten. Oudinot hatte seine Kavallerie vorwärts zum Futterholen ausgeschickt und es gar nicht der Mühe wert erachtet, Erkundungspatrouillen zu entsenden.

Früh sieben Uhr erschien Schwarzenberg bei Wrede und nahm eine Besichtigung der feindlichen Stellungen vor.

»Ich bin ganz überrascht. Der Gegner ist ja viel zahlreicher, als ich ahnte, und steht in einer außerordentlich starken Stellung. Da scheint mir der Angriff doch sehr bedenklich.«

Bei Wrede und den anderen anwesenden Generalen der Bayern fand er aber gar kein Verständnis für diese Ansicht.

Nun ritt er weiter zu den Russen, die sich glücklicherweise schon im Marsch befanden. Auch hier äußerte er seine Bedenken. Obwohl die russischen Generale dieselben ebensowenig teilten, wie die bayerischen, wagten sie doch nicht, dem Generalissimus etwas zu entgegnen. Zum größten Glücke traf der König von Preußen mit dem Kronprinzen und seinem zweiten Sohne, dem Prinzen Wilhelm (dereinstigem Kaiser Wilhelm), ein und ließ sich erklären, um was es sich handle.

Er begann in so ernstem und entschiedenem Tone, wie man gar nicht gewohnt war, ihn sprechen zu hören: »Ich bin durchaus nicht Ihrer Ansicht, Durchlaucht. Im Gegenteil! Unsere Waffenehre erfordert endlich einmal eine ernste Tat. Will man jetzt nicht angreifen, wo man bei der großen Überzahl alle Aussicht zum Siege hat, so wird der Feind vordringen und wir werden zu einem ferneren Rückzuge gezwungen. Ich mache darauf aufmerksam, welche Folgen dies für die schlesische Armee haben müßte und muß ausdrücklich bemerken, daß hierdurch offenbar ein Aufgeben des gemeinschaftlichen Planes ausgesprochen wäre.« Diese königlichen Worte, insbesondere die im Schlußsatze enthaltene schwere Anklage, waren entscheidend.

Die Russen setzten ihren Umgehungsmarsch während dieser Zeit ununterbrochen fort. Allein sie wurden von der Futter holenden Kavallerie Oudinots entdeckt. Letzterer erkannte bald, daß es sich um einen allgemeinen Angriff gegen ihn handle. Im Tale der Aube konnte er demselben nicht begegnen. Also hinauf auf die Hochebene vorwärts Bar! Nördlich der Stadt beim Übergangspunkt von Dolancourt ließ er die Division Pacthod, mit seinen andern Divisionen Leval und Rottembourg sowie mit einem Teile der Division Hamelinaye des Korps von Gérard erstieg er die Hochebene, und die Verteidigung von Bar selbst wurde der anderen Division Gérards und der Division Duhesme anvertraut. Bei dieser Besetzung war ein sehr maßgebender Höhenrand in der rechten Flanke übersehen worden. Dies sollte sich rächen.

Russische Jäger erreichten den erwähnten Höhenrand und konnten von hier aus vortrefflich gegen den rechten französischen Flügel wirken. Schleunigst warf Oudinot eine starke Brigade diesem Feinde entgegen.

Deren energisches Feuer trieb die russischen Jäger zurück. Der König von Preußen war den letztern ganz nahe gefolgt. Nun wandte er ruhig sein Pferd um und meinte: »Die Kugeln kamen warm aus dem Laufe.« Als die Jäger weiter zurückgedrängt wurden, wollte Schwarzenberg, besorgt um des Königs Leben, letzteren veranlassen, schneller zurückzureiten. Mit den Worten: »Wo Ihr Platz ist, mein lieber Feldmarschall, da ist auch der meinige« lehnte er jede Sicherung seiner Person ab und blieb mit seinen beiden Söhnen mitten im Kampfe.

Jetzt attackierten russische Kürassiere. Sie wurden abgewiesen. Endlich brachten vier Geschütze den tapferen Gegner zum Stehen. Nun griffen ihn zwei russische Regimenter mit Entschiedenheit an. Besonders eines derselben erwies sich als sehr tapfer, erlitt aber starke Verluste.

Plötzlich wandte sich der König von Preußen zu seinem zweiten Sohne: »Reite einmal dorthin und erkundige dich, was das für ein Regiment im Feuer ist.«

Prinz Wilhelm sprengte davon, ritt mitten im französischen Kugelregen wie im Manöver auf den führenden Stabsoffizier zu und richtete die Frage seines königlichen Vaters an ihn.

»Kaiserlich russisches Kalugaregiment, Königliche Hoheit.«

Ruhig kehrte der Prinz um, überzählte noch die Verwundeten und ritt dann zu seinem Vater zurück, um ihm unbefangen dienstlich zu melden, was er erfahren und gesehen. Stillschweigend hörte der König zu. Seine Miene verriet jedoch, wie angsterfüllt während des ganzen Vorgangs das Herz des Vaters geschlagen.

Nun hatte Prinz Wilhelm die Feuertaufe im wahrsten Sinne des Wortes erhalten und sich dabei musterhaft bewährt.

Zum höchsten Rang stieg dieser Prinz empor, zum Deutschen Kaiser. Alle möglichen Orden und Auszeichnungen bedeckten seine Brust. Wohl keine hat ihm später solche Freude gemacht, als der russische St. Georgenorden IV. Klasse und das eiserne Kreuz II. Klasse, welche beide er für sein Verhalten bei Bar-sur-Aube erhielt. Später wurde er auch der Chef dieses Kalugaregimentes.

Unterdessen hatte Fürst Gortschakow, welcher einen Teil der russischen Truppen befehligte, sein Korps zum Aufmarsch gebracht. Die Umgehung gegen Dolancourt wurde eingestellt.

Gegen dasselbe gingen nun die Franzosen mit aller Tapferkeit vor. Sie hätten die Russen wahrscheinlich geworfen, wären diese nicht imstande gewesen, eine Batterie von 24 Geschützen ins Feuer zu bringen, denen die Angreifer nur 8 Kanonen entgegenstellen konnten. Der feindliche Angriff kam zum Stehen. Bald aber setzte Oudinot zu einem zweiten an. Unterdessen hatte Wittgenstein, obwohl selbst leicht verwundet, das russische Korps des Prinzen Eugen von Württemberg herangezogen. Durch dieses, und zwar auch hier besonders durch die Artillerie, konnte der zweite französische Stoß ebenfalls abgewiesen werden.

Nunmehr führte Schwarzenberg auch die zum Korps Wredes gehörige österreichische Division Spleny heran und schickte an Wrede selbst den Befehl, jetzt energisch auf Bar vorzugehen.

Während oben auf der Hochebene etwa um vier Uhr die Verbündeten mit Übermacht auf die Franzosen eindrangen und sie allmählich zum Weichen brachten, stürmten nun auch im Tale die Bayern Wredes energisch auf die Stadt Bar los. Trotzdem sich General Duhesme mit größter Umsicht und hartnäckigster Tapferkeit wehrte, erstürmten die Bayern, wenn auch unter großen Verlusten, das Stadttor und drangen in den Straßen vor. Bar gehörte den Bayern.

Unterdessen hatte auch Oudinot seinen Rückzug teils über Bar, teils über Dolancourt vollzogen, und jubelnd trafen sich die Verbündeten in der eroberten Stadt.

Nun hatte doch auch die Hauptarmee, freilich eigentlich gegen den Willen ihres Oberfeldherrn und nur auf Grund des entschiedenen Eingreifens des Königs von Preußen, gesiegt.

Bei den Truppen hat man stets eine Art von richtigem Instinkt. Man hört ja wenig von dem, was in den hohen Stäben ausgemacht wird, aber man ahnt doch viel und man urteilt nach dem, was man sieht. Auch bei den Russen Wittgensteins und den Bayern Wredes verbreitete sich bald das Gerücht, daß man den Sieg vom 27. Februar eigentlich dem Könige von Preußen verdanke. Jubelnd begrüßten ihn deshalb die Truppen, wo er sich zeigte, und begeisterte Zurufe galten auch dem jugendlichen Prinzen Wilhelm, dessen tapferes Verhalten überall rasch bekannt geworden war.

Die Schlacht hatte den Franzosen 2600 Tote und Verwundete, 460 Gefangene und 2 Geschütze, den Verbündeten 1200 Russen und 300 Bayern an Toten und Verwundeten gekostet.

Die österreichische Politik brachte es wieder zuwege, daß der Sieg von Bar-sur-Aube gar nicht verfolgt wurde, sondern Schwarzenberg seiner Armee eine achttägige Erholungsruhe gönnte! Mit 93 000 Mann wartete er ruhig ab, was der Erfolg der Unternehmung Blüchers sein werde und tat keinen Schritt, letzterem diese auch nur im geringsten zu erleichtern. Einzig und allein die diplomatischen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen Österreich und Rußland in Bezug auf die künftige Ordnung der französischen Verhältnisse bestanden, liefern den Schlüssel für dieses rätselhafte Verhalten Schwarzenbergs.


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