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Johann Kusterer auf Abwegen.

Oft kommt es so, daß einer, der sich an der spröden Erde so recht müde und krumm gearbeitet hat, auf seine alten Tage den Himmel betrachten lernt.

Wir meinen zunächst nicht die ewige Stadt, in der kein Leid mehr ist und kein Geschrei, in der die goldenen Gassen flimmern und die Ströme des Lebens rauschen, wir meinen nur die erste Etappe dahin, den äußerlichen Himmel, an dem am Morgen die Sonne und am Abend der Mond aufgeht, an dem die lichten Federwölkchen schweben und graugelbe Hagelwolken sich wälzen, an dem die Röte steht, die auf gut Wetter hinweist und die Herde unruhiger Wolkenlämmer, die auf Sturm deutet.

Für diesen Himmel, der auch über den höchstgelegenen Bergäckern des Johann Kusterer immer noch in beträchtlicher Höhe stand, hatte der Bauer bis dato nicht viel Zeit und auch nicht viel Sinn gehabt.

Wenn man hinter dem Pflug geht, gilt's auf die Furchen zu achten, beim Mähen muß man der Sense, beim Schneiden der Sichel folgen, beim Misttragen hat man der Steine am Bergweg acht und beim Holzfällen sieht man auf Axt und Säge.

Jetzt aber, seitdem der Johann Kusterer zitterige Knie und schwache Arme hat und Jüngere arbeiten lassen muß, jetzt schaut er dann und wann, ja immer öfter hinauf zu den Wolken und zu den Sternen.

Im Anfang hat er nur immer die starken Fäden gesehen, die von seinen und seiner Dorfgenossen Äcker hinaufgehen und von droben wieder herunter.

Wenn die Röte am Abend hell und leuchtend hinterm Oberweilemer Wald stand, dann wußte der Johann, daß Michel, sein Sohn, morgen mähen oder schneiden konnte. Schob sich's unruhig hinter den Burgholzer Tannen hervor, dann mochte die Anne-M'rei, die Söhnerin, ihre Rüben setzen. Allmählich aber wurden diese Fäden, die den Himmel an die Erde ketteten, immer schwächer und dünner. Zuletzt achtete der Johann ihrer gar nicht mehr.

Wolken und Sterne wurden ihm ein Ding an sich und für sich. Der Alte, der nicht mehr die ganze Nacht schlief, saß gern an seinem Kammerfenster oder auch untertags draußen am Galgenwasen, wo man die Alb sehen soll, und überdachte Dinge, über die er früher einfach weggepflügt, weggemäht, weggedroschen hatte, Dinge, die für Faulenzer sind. Wie ist es ihm zuerst schwer gewesen, Faulenzer zu sein! Wenn der Eßlinger Frieder, der gleichalterig war, rüstig mit Sense und Rechen auf der Schulter am Johann vorüberschritt, gab's diesem einen ganzen Stich. »Im Kopf hätt' i 's no,« murmelte er dann unglücklich; »aber meine Füß und meine Ärm.«

Dann aber hatte er es auch bald nicht mehr im Kopf. Langsam, Schritt für Schritt wich alles zurück, tauchte ganz allmählich in Abendschatten und machte Platz für anderes. Und das war gut so. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn es einem geht, wie dem Schreiner Roller von Altweiler: Wenn man bei dem eine Wiege bestellt, dann verfertigt er einen Backtrog und umgekehrt auch. Macht man ihm Vorhalt, so heißt's: »Im Kopf han i 's recht g'hät; aber so ist's halt worde.«

Bei dem Schreiner ist einfach keine Einigkeit zwischen Kopf und Gliedern. Wohl aber beim Johann Kusterer.

Der tut nichts mehr, als allenfalls eine Sense dengeln oder Linsen und Erbsen verlesen und dazu denkt er Faulenzergedanken.

Faulenzergedanken sind aber alle die, die sich mit Dingen befassen, die den lieben Herrgott ganz allein angehen.

Ob man Rüben nach der Gerste oder Roggen nach Kartoffeln pflanzen könne und müsse, das mag einen Bauern kümmern, das kann und soll er erörtern; aber in Sachen, die der Herrgott ganz allein besorgt, und besorgt hat, so lang man denken kann, wie z. B. alles, was die Sterne angeht, oder auch die Auferstehung und so ähnliches – in all das braucht sich ein Bauer nicht zu mischen.

Wenn der Johann seine Faulenzergedanken zuweilen ausspricht oder nur andeutet, dann sagt die Anne-M'rei, seine Söhnerin, spöttisch: »I glaub, d'r Ähne wurd fromm auf seine alte Täg; er liest au äls in der Bibel.«

»Halt dei Maul,« braust dann der Alte auf, »was wurr i denn fromm werde.«

Und er flucht dann bisweilen einen recht ausgiebigen Bauernfluch, einen von den saftigen, bei denen man den Mund vollnehmen und hinterher ausspucken muß.

Aber er flucht ohne rechtes Temperament. Lahm und matt, wie abgetriebene Gäule, kommen die greulichen Worte daher. Es steckt kein Feuer, kein Leben mehr in ihnen. Kaum, daß sie noch ihren letzten und einzigen Zweck erfüllen: der Anne-M'rei zu beweisen, daß der Ähne nicht fromm geworden ist.

Fromm! – Er schüttelt sich. Fromm ist der Gottlieb, der alt Schulzen Sohn, Johanns Nachbar, dessen Küchen- und Kammerfenster auf des Kusterers Hof gehen.

Der ist fromm! Mitten in der Ernte läuft der eine Stunde weit über Feld nach Bergheim »in d' Stond«, und wenn ganz Oberweiler schwitzt im Brand der heißen Augustsonne, dann sitzt der mit andern Tagdieben und alten Weibern in der kühlen Stube, ist mit dem lieben Herrgott, der ja auch keine Garben zu laden hat, auf Du und Du und hat das himmlische Jerusalem in Erbpacht.

Beim Blitz, das Jerusalem muß eine nette Stadt sein, wenn des Gottliebs Sorte drin im Stadtrat sitzt. Der Bauer wird ganz wild, wenn er nur drandenkt.

Und in des Gottlieb Haushalt geht derweil alles drunter und drüber. Das Weib wird mehr und mehr eine Schlampe, weil sie vor lauter Kinderkriegen und drängender Arbeit kein Fertigwerden, keinen Sonntag mehr sieht.

Fromm ist die nicht! Fromm nicht; aber zäh, fast zu zäh. Ihres Mannes Brüder und Schwestern im Herrn, wie der Gottlieb die Tagediebe und die alten Weiber heißt, alle diese Gotteskinder, wie sie sich selber heißen, die sieht des Gottliebs Weib nur einmal im Jahr, oft auch schon nach zehn Monaten. Das ist immer bei der Taufe, wenn sie kommen, um des Bruders Täufling zu segnen und Kaffee zu trinken.

Bei der letzten Taufe sah der Johann des Gottliebs Weib vom Hof aus an ihrem Küchenfenster stehen.

Hohläugig sah sie aus und dürr wie Brennholz; aber sonst aufrecht und bei der Hand.

»Johann,« rief sie den Nachbar an, »host net e Päckle Rattegift bei der Hand, daß i 's statt 'm Zichore nemme könnt'?«

»Bärbele,« gab er zurück, »laß 's bleibe, 's kommt doch bloß 'raus, und die Sort' ist zäh.«

Dann lachten sie beide ein ingrimmiges Lachen, und das Bärbele kochte den Taufkaffee ohne Rattengift.

Nein! fromm will der Johann nicht werden, um keinen Preis. Als ein Bauersmann, der des Tages Last und Hitze getragen, sein Irdisches wohl verwaltet und keine Arbeit gescheut hat, so will er aufs Ende warten und in der Zwischenzeit sinnieren über die fremden und wundersamen Dinge, die ihm überall auftauchen, seit er im Altenteil ist.

Leicht ist es dem Johann nicht, alles schweigend in sich zu verarbeiten.

Oft möchte er fragen, wie er früher in schwierigen Fällen den erfahrenen Nachbarn oder den Schulzen gefragt hat: »Ei Frieder,« oder »ei Schulze, wie hältst jetzt du 's mit dem und dem?«

Aber das waren eben ganz andere Sachen damals.

An den Pfarrer hätte er sich vielleicht wenden können. Ja, ihr lieben Leute, das ist schnell gesagt. Aber in ganz Oberweiler hätte es geheißen: »Der Kusterer wird fromm auf seine alte Täg, der lauft em Pfarrer 's Haus schier weg.«

Und die Klugen und Rechten, die, die sich auskennen unter den Leuten, die hätten hinzugesetzt: »Der Kusterer muß 's nett 'triebe han in seine rüstige Johr, daß er jetzt des G'läuf nötig hot.«

Und dann noch ein Bedenken: Der Pfarrer ist so ein Stiller. Wenn er hinter des Johann Hof vorüber über die Wiese geht, die so sumpfig ist, und die früher ein Hochmoor war, wenn er sich dann wieder und wieder nach Gräsern und Kräutern bückt und halbstundenweis den Fröschen zusieht, dann sieht dieser einsame Mann im schwarzen Rock wohl aus wie einer, der in allerlei verborgenen Dingen Bescheid weiß; aber zugleich auch wie einer, der gern für sich behält, was er weiß.

Und noch ein drittes Bedenken: Der Johann geht und ging, solange er denken kann, nur alle andern Sonntag in die Kirche. Das ist sein Brauch so, er weiß selbst nicht warum; und er möchte diesen Brauch um keinen Preis ändern.

Da wäre es denn leicht möglich, daß der Herr Pfarrer, wenn der Kusterer mit einer Frage käme, in seiner vornehmen Sprache antworten würde: »Ja, mein lieber Freund, das habe ich erst letzten Sonntag erklärt.«

Der Johann müßte dann bekennen: »Herr Pfarrer, letzte Sonntich ischt 's net an mir g'wä.«

Würde da nicht der Pfarrer große Augen machen und sagen: »Ein guter Christ usw.«

Nein, lieber nicht.

Dann ist weiter der Schulmeister. Der muß ja von Gottes und Rechts wegen auch mehr wissen als andere Leute.

Und er weiß auch mehr. Aber was? Daß Kainit und Thomasmehl über Kuhmist gehen, und daß jeder Bauer ein Dummkopf ist, der Brachfeld liegen läßt. Und was solche Sachen mehr sind. Ein Neunmalgescheiter ist der Schulmeister. Schwätzt ins Bauerngeschäft und hat doch bloß auf den Schulmeister gelernt.

Auch alle möglichen neuen Bräuche will er einführen in Oberweiler. Die Kinder sollen keinen Schlotzer und keinen Klepperlestee Tee aus Mohnsamen. mehr bekommen, die Alten keinen Heibeer Heidelbeergeist. mehr trinken.

Finster furcht sich des Johann verwitterte Stirne. Wie ein Revolutionär, wie ein Frechling, der an den Grundpfeilern des Bestehenden rüttelt, so erscheint ihm der Schulmeister.

Ist auf so einen ein Verlaß? Kann es dem nicht einfallen, daß er heute die Frage mit Nein beantwortet, für die er gestern ein Ja hatte? Bei einem Mann, der einmal keinen Brauch mehr achtet, bei dem sind die Knochen von Kautschuk, da ist nichts Festes.

Nein, so einen fragt der Johann nicht. Das hieße nur, den Mann bestärken in seinem Hochmut und Übermut. Der meint ja vorher schon, in Oberweiler habe man nur auf ihn gewartet, daß er seine Weisheit auskrame und den Bauern sage, wo Bartel den Most holt.

Mit sorgenvollem Gesicht sitzt der Kusterer am Galgenwasen auf dem Eichenstumpf. Er würde höchstwahrscheinlich nie erfahren, wie es der liebe Herrgott bei der Auferstehung hält mit denen, die im Meer von den Fischen gefressen, oder am Land von den wilden Tieren zerrissen worden sind. Oder warum der Mond nicht wie die Sonne immer gleich groß und gleich hell ist, oder warum die drei Sterne einmal über des Margretles Scheune und einmal hinter dem Kirchturm stehen und was dergleichen sonderbare Dinge mehr sind.

Ganz drüben über dem Galgenwasen, der wie ein in hohen, grünen Wellen erstarrtes Meer sich nach dem Walde dehnt, zieht auf der Landstraße eine Schafherde dahin.

Der Bauer mit seinen wässerigen, fernsichtigen Augen kann deutlich die einzelnen gelbbraunen, breiten, wolligen Rücken, die unruhig wogend auf- und niedergehen, unterscheiden.

Er sieht auch den Mann, der im alten, doppelten Kragenmantel, den schwarzen, schweren Persianerpelz am Hals, den Schlapphut in der Stirne, die Schippe in der Hand, mit wiegenden, weiten Schritten inmitten der Herde geht.

Ja, sogar den Hund kann er unterscheiden, der eifrig rundum läuft, die Vorhut zurückhält und Nachzügler zur Eile mahnt. In Johann Kusterers Gesicht kommt eine Unruhe, als sei ein Gedanke darüber hingefahren. Solch ein ungerufener und ungebetener Gedanke, den man lieber nicht hätte, und der sich doch auch nicht abweisen läßt.

Wie wär's, Johann, wenn du den Mann bei der Herde dort, den Stasele, einmal fragen würdest über das und das?

Der Bauer schüttelte den Kopf, daß die Quaste der schwarzen Zipfelmütze ihm ans Ohr schlägt.

– – Den Schäfer! – – was ist denn ein Schäfer? Ein Tagdieb, wenn man's recht sagen will. Man bringt ihm die Schafe und versieht sich zu ihm, daß er sie weide und leite, daß die Mutterschafe alle werfen, daß die Hämmel fett werden, und daß die Wolle auf den breiten Rücken dicht und fein und reichlich ausfalle; – – aber sonst besieht man den Schäfer weiter nicht.

Und der Stasele, – der ist nicht nur ein Tagdieb, der gilt für einen Himmelsakkermenter! – Gewiß weiß niemand, ob er wirklich einer ist. Aber er gilt dafür. Und das ist gerade bei diesem Metier die Hauptsache.

Es weiß auch niemand, was ein Himmelsakkermenter eigentlich ist. Aber daß es solche Kerle gibt, das weiß man. Und das ist wieder die Hauptsache.

Und zu allem Überfluß ist der Stasele auch noch katholisch. Ein katholischer Himmelsakkermenter. Das ist ein Superlativ, wie wenn man den Teufel mit Tinte spritzte.

Anastasius Weireter heißt der Schäfer. Das genügt.

Ist da mitten ins gut protestantische Umland hineingesprenkt ein kleines, armes Dorf, an dessen äußersten Markungsflanken die steinernen Kruzifixe stehen wie stille, fremde Grenzwächter. Die evangelischen Bauern, die dort in der Nähe hinterm Pfluge gehen, blicken scheu auf die Bildsäulen.

Keinen Zentimeter zu weit kommt der Pflugsterz hinüber gegen das Land, das der starre, steinerne Mann mit den verzerrten Zügen bewacht.

Die evangelischen Kinder, die am Waldsaum Haselnüsse holen, deuten mit ausgestreckten Fingern und bangen Gesichtern auf den hängenden Heiland, dem das Blut unter der Dornenkrone hervorsickert und die Marter im grauen, steinernen Gesicht zu lesen steht.

»Siehst des katholisch Herrgottle?«

Ja sie sehen's, und sie fürchten sich. Um keinen Preis der Welt würde eines von ihnen allein bei Nacht da vorübergehen. Unheimlich ist der katholische Herrgott! Sie sind froh, daß sie einen andern, einen eigenen haben.

Und durchs Dörflein Unterweiler, in dem von mancher Hausecke ein buntes Marienbild grüßt, schreiten die Leute von Oberweiler nur, wenn es sein muß. Und dann rascher, als sonst ihr Brauch ist, und ohne nachbarlichen Zuruf nach den kleinen Fenstern hinauf.

Händel und Streit gibt's nicht auf der Höhe. Wegen dem Glauben schon gar nicht! Behüt mich Gott! Aber wenn einem Bauern von Unterweiler die magere Kuh das schwere Güllenfaß nicht ziehen will, so schreit er zur Aufmunterung: »Hü – oh, du lutherischer Siech!« Und wenn einem von Oberweiler etwas krumm geht, dann fährt er auf: »'s Donnerwetter soll 'neischlage, des ischt g'rad zum Katholischwerde.«

Hell und rasch mit seltsam schetterndem Klang ruft die Glocke von Unterweiler über die Höhe. Sie läutet katholisch.

Die Hunde bellen, die Kühe brüllen, die Hähne krähen in Unterweiler katholisch.

Bloß sterben müssen die Unterweilemer wie die Oberweilemer. Darin sind sie gleich. Und in der Armut auch. Und sonst noch vielleicht in ein paar Sachen, die einer vom andern nicht so genau wissen kann.

Und die zwei Pfarrer die sind ja auch fast gleich. – Ein klein wenig länger ist dem katholischen sein Rock. Aber gerade so schwarz.

Und die Herren können einander auch leiden, soviel man sieht. Sie stehen oft beieinander auf dem einstigen Hochmoor, zeigen sich Gras und Kräuter und sehen den Fröschen zu.

Der Gemeindepfleger von Oberweiler, der Schwager von dem Schreiner, der immer den Backtrog statt der Wiege und umgekehrt macht, der wärmt dann einen alten Witz auf, den er aus seiner Soldatenzeit herübergerettet hat.

»Ihr müesset wisse, Leut,« sagt er, »unter de Frösch gibt's katholische, die schreiet ›Popst, Popst‹ und evangelische, die schreiet ›Luther, Luther‹.« Dann lachen die von Oberweiler und sagen zum Gemeindepfleger: »Schorsch, du bist e Hauptspitzbue.« Aber im stillen sind sie nicht so recht sicher, ob nicht die beiden geistlichen Herren auch diesen Unterschied machen zwischen den Fröschen dort draußen.

Das alles und noch viel mehr dazu geht dem Johann Kusterer durch den Kopf, als er den Stasele mit seiner Herde am Wald drüben ziehen sieht.

Müd' vom vielen Denken, wie nur je früher vom Kartoffelgraben, geht er heim, ißt, was die Söhnerin ihm hinstellt, legt sich in seine Kammer und will schlafen.

Aber es geht nicht so schnell.

»Johann,« murmelt er vor sich hin, »wenn du z'viel sinniert host, ist 's g'rad, wie wenn du z'viel Grumbire Grundbirnen, Kartoffeln. gesse hättest. – 's treibt de 'rum!«

Ja, es trieb ihn herum. Besonders der lockende Gedanke mit dem Stasele. Der wollte nicht wanken und nicht weichen.

*

Hinter des Gemeindepflegers Hanfacker, wo die Steinriegel kreuz und quer über kümmerliches Land gehen und der wilde Thymian besser wächst als der Klee, der angesät ist, weidet der Stasele seine Herde an einem späten Apriltag.

Die Mutterschafe haben erst geworfen. Das tiefe, zitternde »Mäh« der Alten unterbricht dann und wann die unaufhörlichen, gellenden Laute der Jungen.

Hart drängen sich die schneeigen Lämmer an die Mütter, die noch den dichten, schmutzigen Winterpelz tragen. Sie beugen die dünnen Vorderbeine, suchen die vollen Euter und wackeln in freudiger Gier mit den Schwänzchen, sobald sie die kostbare Quelle gefunden. Dann stehen die Alten. Das kauende Maul voll Gras und Kräuter schauen sie wunschlos, blöd mit den runden, dummen, glasigen Augen um sich.

Das hat fast etwas Aufreizendes an sich. Das Aufreizende, das alle Schafsgeduld hat.

Der Stasele steht an eine einsame, windschiefe Kiefer gelehnt, die Schippe zwischen den Knien, die Pfeife im Mund, den alten, vom Wetter hart mitgenommenen Kragenmantel mit dem messingenen Verschlußkettchen um sich geworfen.

Neben ihm sitzt Phylax, der Schafhund, der ein Wolfshund ist, hat das eine Ohr nach vorne, das andere nach hinten gelegt, so wie nur diese Hunde es können, denen die Pflicht in Blut und Muskeln liegt, und hängt die Zunge ein klein wenig aus der spitzen Schnauze.

Dann richtet er sich plötzlich auf, legt beide Ohren nach vorne und zieht die Zunge ein. »Wer da?« heißt das.

Der Schäfer schaut auf.

»Phylax, do rrrrei!« schreit er ganz gewohnheitsmäßig, wie aus einem kleinen Halbschlaf heraus, mit heiserer Kehlstimme.

Der Hund blickt helläugig, vielleicht etwas belustigt, etwas spöttisch an seinem Herrn empor. »Du hast geträumt, Alter,« heißt dieser Hundeblick.

Der alte Kusterer kommt vom Wald herüber. Langsam, fast etwas gemacht langsam, schreitet er daher, den Stock in der Rechten, das runde, grünlich gewordene Hütlein über die Zipfelmütze gestülpt, so daß die Quaste unten hervorbaumelt.

Der Stasele rührt sich nicht. Nur die Pfeife nimmt er aus dem Mund und spuckt aus. Der Bauer, der da kommt, hat schon lange keine Schafe mehr bei der Herde.

»Grüeß Gott, Stasele, so do husse bist du?« fragt der Johann. »Jo,« gibt der Schäfer gleichgültig zurück, »d'r G'meindepfleger hot de Pferch kauft.«

»Mäh«, rufen im Baß die Schafe und »mäh« im Diskant die Lämmer. Der warme, föhnige Wind kommt über den Wald daher, fährt dem Phylax in die zottigen Haare, dem Stasele in den weiten Mantel und dem Johann in die Quaste der Zipfelmütze.

Die Rechte auf den derben Stock gestützt, die Linke auf den gekrümmten Rücken gelegt, als schmerze es dort, so steht der Bauer jetzt neben dem Schäfer und atmet schwer und hörbar.

Der Stasele schaut mit erwachtem Blick dem Wind entgegen. Plötzlich deutet er mit der Rechten die die Pfeife hält, über die Höhe hin in die Ferne wo weißlicher Dunst liegt und sagt: »Des Lüftle kommt weit her, Kusterer. Des hot's Meer g'sehe und heiße Länder.«

Johann entgegnet nicht sogleich. Langsam dreht er sich rundum und sucht sich ein Plätzchen zum Niedersitzen.

Zwischen Brombeergeranke liegt ein großer, glatter Feldstein. Darauf läßt er sich nieder; ächzend und mit steifen Knien; den Stock nimmt er zwischen die Füße und schaut die Herde an.

»Se hänt bald Jung' g'macht heuer,« sagt er und winkt mit dem Kinn voll grauer Stoppeln nach den Tieren.

Der Schäfer gibt keine Antwort. In den Thymianblüten summen die kleinen, dunklen Waldbienen, ein graugrünes Eidechslein schiebt sich zwischen den graugrünen Steinen durch, und der Phylax scharrt mit den Hinterläufen bald rechts bald links in seinem zottigen Fett.

»Stasele,« sagt der Bauer jetzt und schaut dabei angelegentlich auf den Hund, »woher weißt du so Sache?«

»Was für Sache?«

»Ha des mit 'm Wend?«

Der Schäfer lacht auf, ganz knapp, nur so viel, als zwischen den Lippen neben dem Mundstück der Pfeife hervorkann.

»I kenn mi halt aus,« sagt er.

Johann schüttelt den Kopf. Langsam, mißbilligend murmelt er: »Der Wind bläset, wo er will und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fähret, Evangelium Johannis im dritten.«

Stasele klopft die leergerauchte Pfeife aus, steckt sie unter den Mantel und sagt kein Wort.

Mit dummen, glotzenden Augen sehen die Schafe zu den beiden Männern herüber.

Der Schäfer nimmt mit der Schippe ein kleines Steinchen auf und schleudert es gleichgültig und ohne Schwung hinüber.

Dann tut er ein paar große Schritte zu Johann hin und setzt sich in die Brombeeren. Seinem Mantel kann das stachelige Geranke nichts anhaben.

»Hot mer bei euch d' Grumbire scho nei do?« fragt jetzt mit veränderter Stimme der Bauer.

»Ka 's net sage; um d' Grumbire kümmer i mi nix,« gibt der Stasele zurück.

»Sell wär,« sagt Johann und schaut rasch, erstaunt auf den Schäfer. Dann bohrt er mit seinem Stock Löcher in die sandige Erde.

»Du host's guet g'hät dei Lebtag, Schäfer, wenn du di net e mol um d' Grumbire host kümmere müesse.«

Der Stasele zuckt die Achseln. »D'r ei' kümmert sich um des, d'r ander um sell – d' Grumbira send no lang net 's Ärgst,« sagt er abweisend und schaut über seine Herde hin.

Johann sinkt still in sich zusammen. Die Schafe schreien. Der Hund läuft am Saum von des Gemeindepflegers Hanfacker hinunter. »Do rrrrrei!« schreit rollend der Schäfer.

Den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt kehrt der Erschreckte zurück und duckt sich neben seinem Herrn auf den Boden. Zögernd, scheu beginnt der Bauer jetzt: »Stasele, wenn du so de ganze Tag bei deine Schof bist, und vo de Grumbire und dem Sach nix wisse wit, mueßt du no an älleweil d'ra' romdenke, – –« er stockte und sieht vor sich hin.

»An was romdenke?« fällt nach einer Weile der Schäfer ein. »Ha wie jetzt am Wend, oder am Mo' Mond., oder au am Sterbe?« Rascher hat gegen den Schluß der Johann gesprochen, so wie man spricht, wenn man sich etwas mit jähem Entschluß von der Seele redet.

Der Schäfer zieht die weißgrauen, buschigen Augenbrauen zusammen. Der struppige Bart am Kinn bewegt sich einmal auf und ab, dann läßt sich ein Murmeln hören: »I sag gar nix, i sag no so viel – – wenn d' Leut oft wisse tätet – –«

Die alte Kiefer seitwärts von den Männern ächzt jetzt leise im Wind, die Herde blökt unruhiger und von Unterweiler herüber kommt dünn und schetternd der Klang des katholischen Glöckleins.

Dem Kusterer fällt ein, daß der Mann an seiner Seite ein Himmelsakkermenter ist. Der ganze Hauch voll fremder Unheimlichkeit, wie er von den steinernen Kruzifixen an der Markung von Unterweiler ausgeht, umwittert plötzlich den Mann mit der Schippe.

Aber es ist kein eigentliches Unbehagen, was bei dem Bauern über solche Nachbarschaft aufkommt. Es ist eher ein Gefühl der Befriedigung, endlich vor die rechte Schmiede geraten zu sein.

»Gelt Stasele,« sagt er leise, »'s treibt ein halt rom, bis mer ein, mit de Füeß voraus, außeträcht.«

Der Schäfer sieht in die Ferne. Etwas Herbes, ja Verächtliches liegt auf seinem wetterharten Gesicht.

»Was wisset denn ihr Baura,« murmelte er geringschätzig. Der Kusterer reckt sich auf. Wenn er auch jetzt ausgeschirrt ist wie ein abgetriebenes Pferd, – das Solidaritätsgefühl mit denen, die noch in den Sielen gehen, regt sich mächtig in ihm. Er meint, er müsse sie alle, die hinter Pflug und Egge schreiten, verteidigen gegen die verächtlichen Worte dieses Mannes, der doch nur ein Schäfer ist, ein Tagdieb.

Aber dann sinkt er rasch wieder zusammen.

»Was weißt denn du, Stasele?« fragt er fast lauernd und doch mit einer erzwungenen Gleichgültigkeit, als dürfe der andere nicht merken, wie viel einem Bauern am Wissen eines Schäfers liege.

»Was wurr i wisse? Nix für euch!«

Dem Johann merkt man kein Gekränktsein an. Kein Begehrender darf empfindlich sein. Den Stock zwischen den Knien schaut er mit wässerigen Augen ins Weite.

»Stasele, daß mer au sterbe mueß! Und später wurd mer wieder lebendig und kriegt wieder sein eigene Leib. Worum ka mer 'n do net glei b'halte? – – –«

In des Schäfers bärtigem Gesicht, in seinen scharfen Augen arbeitet etwas. Es ist kein Spott. Noch weniger eine Schelmerei. Es ist eine innere Unruhe, die nicht heraus soll, die man nicht merken soll. Ruhig, fertig will der Schäfer sein in solchen Dingen. Darin ist er den Bauern voraus.

»Älle sterbet net« – sagt er fast scheu, aber doch bestimmt. »Sell wär'!« ruft leise der Johann, und er schaut betroffen empor.

Aber da ist's, als habe den Stasele schon gereut, was er sagte. »Phylax,« ruft er heiser, »Lumpetier, guck nach dem Böckle.« Der Phylax läuft nach dem Böckchen, das aus der Herde gebrochen ist, der Schäfer scharrt mit der Schippe im Geröll, und der Kusterer schüttelt wieder und wieder den Kopf.

»Woher wi't du des wisse, Stasele?«

»I weiß halt. I weiß ällerlei, was ihr z' Oberweiler net wisset.«

Der Bauer fährt mit der runzeligen Hand über das spitze Knie, das in der Lederhose steckt. Etwas Hilfloses liegt in dieser Bewegung, etwas Nervöses, würde man sagen, wenn die Bauern von dort oben Nerven hätten.

Dann schaut er plötzlich den Schäfer an, so scharf es die wässerigen Augen vermögen und sagt ruhig: »Das Wissen bläset auf, aber die Liebe bessert; ersten Korinther im achten.« Eine lange, stille Pause entsteht.

Dann zittert des Schäfers struppiger Bart. Ein kicherndes, kurzes Lachen kommt aus dem Mund mit den tabakbraunen Lippen: »Wirst fromm, Johann, auf deine alte Täg?«

»Halt dei Maul,« fährt zornig der Bauer auf, »was wurr i denn fromm werde!«

»Ha weil d' so mit de Bibelsprüch umananderschmeißt!«

»Doderwege Deshalb. braucht mer net fromm z' sei,« murrt der Alte.

Der Wind geht über die Höhe. Über des Gemeindepflegers Hanfacker her streicht ein einzelner Rabe dem Wald zu.

»Der sächt mer äls so Sache,« murmelt der Schäfer und deutet mit der braunen Hand nach dem Vogel, dessen blauschwarzes Gefieder in der Sonne schimmert.

Johann wundert sich nicht, gibt keine Antwort. Ein wenig dumpf, ein wenig betäubt ist ihm im Kopf. Immer macht ihm ein Übermaß von Sinnieren unbehaglich, wie ein Übermaß von »Grumbire«.

»Stasele,« sagt er nach langer Zeit und aus irgendeinem innerlichen Zusammenhang heraus, »was glaubet denn die Katholische?«

Der Schäfer bleibt erst ganz ruhig. Dann streckt er die Beine weit von sich, klopft mit der Schippe an die ungewichsten Stiefelröhren und antwortet: »Daß zwei Pfund Rindfleisch e guete Brüh gebet.«

Johann schüttelt missbilligend den Kopf. »Treibst Schindluder mit mer,« sagt er fast traurig.

Der Schäfer greift jetzt unter den Mantel und holt die kaum erkaltete Pfeife wieder hervor. Aus einem ledernen Ziehbeutel beginnt er sie zu stopfen. Dazu schlägt er den Mantelkragen so ungestüm zurück, daß die grauen Zipfel dem Johann übers Gesicht streifen und ihm das Hütlein zur Seite rücken.

»No stet,« murmelt der Bauer und schiebt es wieder gerade.

»Was brauchst denn du des z'wisset,« sagt der Schäfer jetzt fast leidenschaftlich, und er stopft und stopft, als müsse der Pfeifenkopf zerspringen. »Glaub du dei' Sach' und laß die andere ihr Sach' glaube, 's ist jo, Gott Lob, net nötig, daß mer de Glaube mit'nander hot, wie d' Bube d' Vogelnester. Hot jeder sein Kopf für sich, no kann er au sein Glaube für sich han! Wenn's der Herrgott anderst wö't, no hätt' er solle ein Kopf mache für älle.«

Das von Luft und Wetter gebräunte und zernagte Schäfersgesicht mit der großen, schmalen Nase, den buschigen, halbergrauten Brauen, dem verwilderten Bart, und der hohen, unter dem im Eifer zurückgeschobenen Hut, in zwei Buchten auf den Schädel hinauf verlaufenden Stirne, trägt den Ausdruck hoher, seltsamer Erregung, die grell absticht gegen des Bauern gelassenen, etwas schläferigen Wissensdrang.

»Di derf mer scheint's net noch em Glaube froge,« sagt nach langer Zeit der Johann, der sich des Schäfers rasche und scharfe Rede erst im Kopf zurechtlegen muß.

Mit kurzen, passenden Zügen setzt der Stasele seine Pfeife in Brand. Der süßliche, starke Geruch des billigen Tabaks umschwebt wie eine Wolke die zwei Alten.

Wie weggeblasen ist des Schäfers Erregung. Mit den gelben Zähnen hält er das Mundstück der Pfeife fest und sagt unter zerdrücktem Lachen: »So send halt d' Baure: wege 'm Glaube froget se mi, und wege de Schof de Pfarrer. No emmer überzwerch! Sag i aber no ebbes über de Glaube, no ist mei Sach nix, no brenget se Bibelsprüch daher und wisset älles besser. Sächt der Pfarrer ebbes über d' Schof, no ist dem sei Sach au nix – no wisset se au älles besser. I sag no, daß so a g'scheiter Bauer so an hirnwüetige Schäfer wie mi no froge mag!«

Der Gescholtene sitzt ganz zusammengesunken, ganz kleinlaut auf seinem Stein. Er tut keine Widerrede, erhebt keinen Einspruch. Es ist, als sähe er selbst ein, daß viel Wahres in den Worten des Schäfers liegt.

Immerzu fährt die runzelige Hand über das spitze Knie in der Lederhose, und die wässerigen Augen sehen verlorenen, unbewußten Blicks über die Herde hin.

»Mäh,« schreien die Mutterschafe im Baß, und »Mäh« die Lämmer im Diskant.

Auf einmal geht über des Kusterers Gesicht wieder die Unruhe, wie von einem ungerufenen, arbeitenden Gedanken.

»Stasele,« sagt er ganz sanft, ganz schüchtern, »vielleicht ist's bei de Leut mit 'm Glaube, wie bei de Schof mit 'm Schreie! Solang nur jung ist, glaubt nur so, und wenn nur alt wurd, glaubt nur so. I mei, i ka 's scho so, wie der alt Hammel selt dromme Dort drüben. bei dem Steiriegel.«

Ein schattenhaftes Lächeln geht über das faltige Gesicht, das sich, Zustimmung suchend, dem Schäfer zuwendet.

Der Stasele zieht und zieht an seiner Pfeife. Er muß sie allzufest gestopft haben.

»Ka'st recht han, Johann,« sagt er dann und holt sein Messer hervor, den Tabak zu lockern. Umständlich besorgt er das Geschäft. Dann läßt er plötzlich die Pfeife aufs Knie sinken. »Und worom ist des Schreie und des Glaube?« – fragt er, die scharfen Augen dem warmen Wind entgegen gerichtet, – »die eine friert's, die andere hänt's Grimme Leibweh., die eine fendet nix z'fresset, die andere möchtet heim. – – – So ist's!«

Der Bauer nickt mit dem Kopf, langsam, schwerfällig, ohne Freudigkeit. »So ist's!«

Mit einem Ächzen steht der Schäfer auf von seinem dornigen Sitz. Alle Glieder schmerzen ihn. Er reckt die Arme, die Beine und rückt sich den Mantel zurecht.

»I treib jetzt weiter, Kusterer, gohst mit? – Phylax – nnaus!«

Und der Kusterer geht mit. Langsam, auf seinen Stock gestützt, schreitet er neben dem Schäfer her, die ausgefahrenen Wege entlang. Wie hellgrünes Schleiergewoge liegt's über des Schulzen Roggenäckern zur Rechten.

In die dummen Augen der breitrückigen Schafe und Hämmel kommt Leben und Bewußtsein. Das ist die Gier nach den zarten Halmen, die dieses Wunder wirkt.

Aber der Phylax hat keine Würdigung für solche Wunder. Er kennt seine Pflicht und damit fertig.

Wiegend, würdevoll, ein Herr unter den Seinen, geht der Schäfer, die Schippe unterm Arm, mit weiten Schritten vor der stillgewordenen Herde.

Der Geruch seines Tabaks liegt hinter ihm auf dem Weg, bis der Wind, derselbe, der das Meer und die heißen Länder gesehen hat, ihn mitnimmt.

Hart vor einem Kruzifixe auf Unterweilemer Markung geht der Weg vorüber.

Der Schäfer steht, nimmt stumm den alten Hut vom Kopfe und macht das Zeichen des Kreuzes.

Hinter ihm und um ihn drängen die Schafe und schauen glotzenden Blickes hinauf zum Bilde des Gemarterten.

Die glasigen, dummen Augen leben nicht auf, wie vorhin bei den grünen Halmen. Und doch war der, der da hängt, ein guter Hirte und kein Mietling.

Der Phylax steht, solange sein Herr steht. Er kennt seine Pflicht und damit fertig.

Johann Kusterer sieht mit den wässerigen Augen am katholischen Herrgottle hinauf. Ein wenig scheu, ein wenig fremd, ein wenig mißtrauisch.

Auch er nimmt sein grünliches Hütlein ab. Schaden wird's nichts. Der Schäfer murmelt etwas. Jesus Christus kommt drin vor. Da wirft der Johann hin: »Stasele, wirst fromm auf deine alte Täg?« Er will dem Schäfer nicht gern etwas schuldig bleiben.

»Halt doch dei Maul,« sagt ärgerlich im Weiterschreiten der Schäfer, »was wurr i denn fromm werde.«

Am Galgenwasen vorüber geht's der Öde zu, wo des Staseles Karren steht.

Der Abend sinkt, als der Johann heimwärts geht.

Der Wind ist still geworden, und die kleinen, dunklen Bienen summen nicht mehr im Thymian.

Nur ein einsamer Rabe streicht vom Wald herüber dem Schäferkarren zu.

*

»Wo send 'r denn de ganze Nochmittag g'steckt, Ähne?« fragt die Anne-M'rei, als sie dem Alten die Abendmilch hinstellt. »Halt a wen'g außeg'laufe,« sagt er so obenhin.

Aber gegen den Herbst hin kommt es doch heraus, daß der Ähne den ganzen Sommer über fast jeden schönen Tag beim Schäfer steckte.

Beim Stasele, bei dem katholischen Himmelsakkermenter.

»Er hot halt kei' Ärbet, no kommt 'r uf so Dengs,« sagt Michel Kusterer, der Sohn.

»Wer mit den Weisen umgehet, der wird weise; wer aber der Narren Geselle ist, der wird Unglück haben. Sprüche Salomonis im dreizehnten,« sagt Gottlieb, des alt Schulzen Sohn, der mit dem lieben Gott so gut steht, und: »Sirach im dreiunddreißigsten: Müßiggang lehrt viel Böses.«

Der Johann lacht dazu und denkt: »Wenn d' Leut wisse tätet – – –« Er ist jetzt über vieles im reinen.

Und Sachen sind darunter, die der Pfarrer auch nicht besser wissen kann. Und gar erst der Schulmeister. –

Dem ist der Johann überhaupt hinter die Schliche gekommen. Der hält Reden über Thomasmehl und Kainit, und mittlerweile schickt er seine vier Buben hinaus, daß sie mit einem Blecheimer hinterhergehen, wenn der Stasele austreibt.

Lassen etwa die Schafe Kainit und Thomasmehl fallen? Aber so sind die Herren! Die Weisheit haben sie mit Löffeln gefressen, und das Beste holen sie dann doch beim Stasele.

 

Druck: Christliches Verlagshaus in Stuttgart.


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