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Aus des Sommers Gluten

I. Die Sommergeister.

Gustav Pfizer.

Sommers laufen in Mittagsglut,
Ohne die Sohlen zu ritzen,
Luftige Geister ohne Blut
Über der Ähren Spitzen.

Wenn die Erde recht dürr und heiß,
Werden sie erst lebendig,
Wenn der Himmel vor Hitze weiß,
Spielen sie fort beständig. –

Jedes Wölkchen die Kinder verscheucht,
Daß sie sich eilig verschlupfen,
Wenn ihnen würden die Füßchen feucht,
Stürben sie hin am Schnupfen.

Leicht gekleidet in güldenem Hemd,
Glänzen die weißen Gliedchen,
In silberner Sprache, seltsam und fremd,
Singen sie köstliche Liedchen. –

Doch wenn die Sichel mit drohendem Schall
Schwingen gebräunte Hände,
Dann hat der glänzende Kinderball,
Das Spiel des Sommers ein Ende. –

Fröstelnd in Höhlen kauern sie
Sich jetzt im Herbst zusammen;
Sehnend und weinend betrauern sie
Des Sommers liebliche Flammen.

II. Der Johannistag (24. Juni).

1. Am Johannistag.

Tanzt die Sonn' im Purpurschein
Mitten in die Welt hinein;
Über Meer und Länder
Flattern goldne Bänder,
Und Gott selber rufet laut:
»An mein Herz, Du schöne Braut!«

sang unser Julius Mosen noch in seinen Leidenstagen, froh des ihm noch einmal gewährten Genusses der herrlichen Frühlingswonne, die mit Johanni in die stechende Glut des Sommers und seiner drückenden Schwüle übergeht. – Sommersonnenwende ist heute, wo nach dem Glauben unsrer Ahnen in der Johannisnacht die Zeit auf eine Weile stillstand wie die im Bogen geworfene Rakete inne zu halten scheint, ehe sie, die bisher noch stieg, sich nun allmählich zu sinken anschickt. Es war gleichsam eine Spalte in der sonst unaufhaltsam dahineilenden Zeit, durch die man in den Saal der Götter, Walhalla, einen staunenden Blick werfen konnte. Und wie in seinem Gegenpol, der Wintersonnenwende, wenn das neue Jahr geboren wird, der Wunder viel geschehen, so wurde jetzt das Wasser zu Wein, die Tiere konnten reden und weissagen, die Toten wachten auf, versunkene Städte tauchten empor, die Steine regten sich und noch viel Geheimnisvolles mehr war zu erschauen.

Grimm, deutsche Mythologie 583, sagt: »In unsrer alten Sprache wird die festlichste Jahreszeit, wo die Sonne ihren Gipfel erlangt hat und nun wieder herabsteigen muß, Sunnenwende ( Solstitium) genannt.« Daß die Kirche die altgermanischen Volkssitten hinüberlenkte in das Revier Johannes des Täufers, hat dennoch nicht verhindern können, daß sich nicht manche Reste urdeutschen Schlages erhielten. Am herrschendsten blieb in entlegenen Gegenden die Sitte, daß am Vorabende im Freien Feuer angezündet werden, um die das Volk tanzt und jauchzt (wie auch Scheffel im Ekkehard, Kap. 21 wohl aus eigener Anschauung erzählte). Noch voriges Jahr trutzten die freien Tiroler durch das Wiederauflebenlassen der Sonnenwendfeuer auf allen Bergen um Innsbruck dem Feuerverbote des Klerus.

Der Ursprung der Feuer, Oster-, Johannis-, Martinsfeuer, reicht wohl weit über Germaniens Gauen und Stämme in graue Urzeit zurück. Grimm leitet sie alle auf heidnische Opfer zurück, womit stimmt, daß Blumenkränze, neunerlei Kräuter, ja Pferdeköpfe in die Flammen geworfen wurden. Von allen erwartete man wohltätige Wirkungen; das Korn gedieh, so weit man sie leuchten sah; die auf die Felder ausgestreute Asche vertilgte das Ungeziefer; der aufsteigende Rauch galt für heilbringend – und dem Heer-, Haar-, eigentlich Moorrauch werden von den dadurch belästigten Rhein- und Elbländern alle schädlichen Einflüsse auf Wein und Obst und Teint und Timbre zugewiesen! – Obstbäume wurden davon fruchtbar, durchräucherte Fisch- und Vogelnetze fängig; man sprang einzeln und paarweise – Audifax und Hadumoth! – durch die Flammen und so hoch der Sprung, so hoch geriet der Flachs. Auch glaubte man sich selbst dadurch zu reinigen und trieb das Vieh hindurch, weil das vor Krankheit und namentlich vor Behexung schützte, wie die Asche Viehkrankheiten heilte, die angebrannten Holzscheite vor Blitzschlag sicherten und noch vieles mehr an Heil sich daranknüpfte.

Schwieriger ist die Frage nach dem Sinn dieser über ganz Europa reichenden Gebräuche. Auf eigentlichen Feuerkultus – der immerhin weit, doch nicht überall verbreitet war – könnten die Notfeuer deuten, die an keine Zeit gebunden gegen ausbrechende Seuchen durch Reibung entzündet wurden. Beim Johannisfeuer sind die Spuren am deutlichsten, daß auch sie ursprünglich Notfeuer waren, d. h. auf feierliche Weise neu gezündet wurden, um das Jahr über an ihrer heiligen Flamme die Herdfeuer erhalten zu können. Zur Hervorbringung des Notfeuers bediente man sich eines Rades mit neun Speichen, das von Osten nach Westen gerollt ein Bild der Sonne war. Nach Kuhn bestand die älteste Weise der Feuerbereitung in dem Reiben zweier Hölzer, von denen das eine längliche und härtere in dem Loche des breiteren und weicheren so lange herumgequirlt ward, bis es Funken gab, die in Blättern oder anderen trockenen Weichstoffen zur Flamme angefacht wurden. Von Donar nahm man an, daß er in gleicher Weise den Blitz erzeuge, überträgt ja der Mensch überall sein Selbst auf die Götter, die mithin menschliches Gepräge tragen. In Deutschland ward das Feuer gewöhnlich durch Umschwingung einer Achse in der Nabe eines Rades hervorgebracht. Die Drehung selbst ward dadurch bewerkstelligt, daß man um die Achse ein Seil legte, das aufs schnellste hin und her gedreht ward (Kemble, Sachsen in England 294). Radform mit Speichen, ein Bild der Sonne, hatte auch die Wepelroot, die in Friesland übliche Radscheibe, die wohl ihren Namen davon trug, daß man sie in die – horribile dictu! – Jauchgrube laufen ließ. Richthofen freilich meint, Wepel oder Wapel sei stehendes Wasser, Sumpf, er kennt aber nur das verbuchte Friesisch, nicht das lebende, das noch heute den Gubel nennt. Wenn aber das brennende Rad in den Gubel gestürzt ward, so hatte das auf die Fruchtbarkeit desselben Bezug. Wir würden heute nüchterner sagen: Feuchtigkeit und Wärme im Bunde bringen Früchte hervor. Im übrigen war das Bild der Wepelroot auf vielen der älteren Waffeleisen, die teils Wafel-, und Wapel-, teils Neujahrs(koken-) Ihsder genannt wurden, eingraviert. Auch in den alten hölzernen Formen, worin die Bäcker zu Sünner-Klaas (St. Nikolaus) das Klaasgood, Kleingebäck aus süßem Teig, prägten, kam die Radform zur Verwendung. Weil der Dorfbäcker höchstens ein halbes Dutzend verschiedener Teigformen besaß, ist dies um so beachtenswerter. Mehr noch, wenn man erfährt, daß diese Formen auch noch zu Sünt Jans (St. Johannistag) in Gebrauch genommen wurden, so daß wir Dorfkinder dann unsre Sonntagspfennige in »Adam und Eva in't Paradies« (zwei menschliche Gestalten unter einem geriffelten (belaubten) Bogen) oder im »Bullerrad«, »Kärl up't Pärd« und noch ein paar Figuren anlegen konnten, ein Ereignis!

Wir können an dieser Stelle die mythologischen Seiten jenes Feuers, das schließlich doch wohl dem Sonnengott als dem Spender der Fruchtbarkeit galt, nicht weiter ausdeuten und müssen uns darauf beschränken, dasjenige, was von alten Tagen her aus der Sünt-Jans-Zeit noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in den alten Geestdörfern zwischen Aurich, Leer und Oldenburg, und Aurich, Norden und Esens stillverborgen fortlebte, vorzuführen. Es war ja weniger geworden mit dem Biglowe (Aberglauben), seitdem erst die Schulen die ratio mehr pflegten, die Straßen mit »Omnibüssen « auch andre Leute als Marktschreier und superkluge Hausierer (Fälenks, Westfälinger) in den Weltverkehr brachten, Dampfer die Welt erweiterten und unzählige Auswanderer von jenseit des Ozeans aus geschichtsereignis- und kulturlosen Gebieten der nüchternen Weltanschauung in die Köpfe der Zurückgebliebenen mit neuen Gedanken hineinleuchteten und last, not least als die freie Presse wirklich freie Gedanken, wie sie heute tausend Sonderinteressen halber keine Prägung mehr in der Lokalpresse finden, in die Welt setzte. Aber wie das Heidentum noch immer in gewissem Maße, wenn auch in modernem Gewande, in Büchern weiterlebt, so lebte es auch in den stillen Geest- und Heidedörfern in hunderten von Anschauungen fort, und wer oft abergläubischer war, der Bauer oder sein Pastor, wage ich nicht zu entscheiden. Denn als z. Ex. bei der Dachreparatur das dem Donar geweihte Dönnerlook Auch jetzt noch sieht man, mit oder ohne Absicht und Glauben angepflanzt, in Stadt und Land das Donnerlauch auf den Dächern wachsen und blühen. (Hauslauch, Sempervivum tectorum), das nach dem Volksglauben das Haus vor Blitzschlag schützt, einem der Letztgenannten abhanden gekommen war, ruhte er nicht eher und fühlte sich nicht sicher, bis ein neuer umfangreicher Lauchrasen aufs Dach gesetzt war als St. Johannissegen! denn der ältere Name für dieses Fettblatt war Sünt Janskruut, kürzer Janskruut, so daß ich als Kind nachgrübelte, welcher Jan denn hier Gevatter gestanden habe?! – Aber noch ein viel geheimnisvolleres Janskruut hatten wir in dem perforierten (durchlöcherten) Hartholt ( Hypericum pervocatum), der auch noch heute auf hochdeutsch Johanniskraut genannten hübschen Goldblüte. Wie erstaunten wir, als ältere Kameraden uns die Laubblätter ganz nahe unter die Augen führten, so daß dem Lichte zugekehrt die darin vorhandenen zahlreichen Öldrüsen durchschienen. »Dat helpt för Hexen un Spöök« hieß es daneben und ein Büschel Janskruut schützte das ganze Haus, besser noch verteilte man es auf alle Räume bis in die Spies'- und Melkenkamer, Backhuus und Rööpse, damit weder den Speisen noch der Milch, dem Brote noch dem Vieh quaad, d. i. böses, dämonisches, angetan werden könne. Mit der Gotteshand und Düfelsklaue aber, der dies- und vorjährigen handförmig geteilten Wurzel vom Knabenkraut ( Orchis maculata und latifolia), das z. B. in den nassen Wiesen in und um Hesel, Bagband, Ulbargen u. a. m. volles Bürgerrecht besaß, war eine ganz geheimnisvolle Sache. Denn nicht nur, daß die Düfelsklaue in der Mittagsstunde zwischen 12 und 1 Uhr gegraben werden mußte, wo alles in der brennenden Sonne glitzert und blinkert, wo die heiße Luft in Wellenlinien erzittert und gaukelt, wo die Mittagsgeister also auf und ab reigen und schaukeln, die Roggmöhm durchs Korn streicht, daß es wellt und wallt, nein, wer mit dem Helm (der Glückshaut) geboren war, konnte in dieser Mittags-Geisterstunde sie aus der Erde empor wachsen sehen und mühelos gewinnen. Wer sie aber hatte, konnte damit erstaunliche Dinge vollführen, zaubern und was noch alles. Wer aber die Gotteshand, die neue Wurzel, grub, konnte alles Quade damit beschwören und abwehren, insbesonders Flechten und Flüsse vertreiben, Hexenschuß und Jicht beseitigen.

Der Sünt Jans-Dagg bot aber noch mehr des Tiefgeheimen, es betraf die Wünschelrute, den Alrun, den Draken und die Freimaurer.

2. Die früher selbst im kleinsten Dorfe Ostfrieslands in der Pfingstwoche üblichen uralten Vogelschießen, heute Schützenfeste genannt, wurden mit der stärksten Betonung der Sabbatheiligung teils unterdrückt, teils verlegt. Harkenroth erwähnt die Unterdrückung aus dem Greetmer Amte, wo 1589 der Cötus zu Visquard beim Amte Greetsiel darauf drängte, »het Papagaayschieten (Papageischießen) afteschaffen, 't welk hier te Lande seer gemeen was« und zwar darum, weil es aus dem Heidentum stamme und zur Verachtung des heiligen Geistes diene. In Norden und Brookmerland wurde das Schützenfest 1632 von Pfingsten auf Johanni verlegt, es scheint durch den Einfluß des Norder Cötus (O. Monatsblatt XI. 139 ff.) geschehen zu sein. Dasselbe wird vom Leerer Vogelscheten 1632 mitgeteilt (O. Mon. II. 268 ff.), wo auf eine Klage Graf Ulrich II. kurz jegliches Schützenfest zu Pfingsten verbot, da sie »ihren Ursprung aus dem Heidentum genhomen«, dagegen wie zu Norden » auff Johannestagh« verlegte, und auch das Vogelschießen zu Weener (Ostfr. Monatsbl. III. 346). Ob dies generelle Übung für alle Orte wurde, ist mir unbekannt, aber bei den in der Mitte des 19. Jahrhunderts vielfach im kleinen Dorfkreise abgehaltenen Schießen nach der Flatterscheibe spielte die Zeit dicht um Johanni eine bevorzugte Rolle.

Vertiefen wir uns nun wieder in die Volksgeheimnisse, so stoßen wir um Johanni zuerst auf die Wunschrute, Wünschelrute, bei uns Twiltstock genannt, bei alten eingeweihten Leuten aber de gollen Roo. Soviel ich erfahren konnte – die Eingeweihten: Schäfer, Wellsökers, kloke Wifen, Vörutkikers usw. sind sehr verschlossen – muß die Rute vom Hasselbusk (Hasel) und wo dieser mangelt, von dem Quäkboom (Eberesche, Vogelbeerbaum) genommen werden, alle andern Hölzer eignen sich nicht dazu, nur einmal hieß es, daß auch der Hägedoorn (Weißdorn) brauchbar sei (Schäfer zu Egels), was indessen von andern bestritten wurde. Der Twilt nun ist nur dann wirksam, wenn er in Sünt Jansnacht in der Geisterstunde geschnitten wurde. Die dabei zu beachtenden Bräuche weichen in den verschiedenen Gauen voneinander ab, im Uplengener Land (Kirchspiel Remels) sowie im Kirchspiel Hesel (mit 3 Klostersiedelungen!) mußte rückwärts zum Busch getreten werden, ein neues bekreuztes Messer in der Rechten, die linke mit einem Tuch umwundene Hand zog die Rute zwischen den Beinen hindurch nach vorn, wo sie unter einem Segensspruch abgeschnitten wurde. Der Twilt durfte bei Tage wohl ausersehen, aber nicht gemerkt werden. Am wirksamsten galt der ein Jahr alte Trieb, er schlägt am kräftigsten. Zu Egels, Brooksetel, Meerhusen und Terheide galt ein minder komplizierter Brauch beim Schneiden, überall aber war ein tödliches Stillschweigen dabei zu bewahren. Die Rute nun war als Zauberstab derart zu verwenden, daß man die Gabelenden in die beiden Hände nahm und dem Stockende freie Bewegung ließ. Unter Namensnennung konnte man damit einen Abwesenden so schlagen, daß er die Schläge fühlte. Durch Senkung nach unten zeigte sie den Ort an, wo Schätze verborgen sind oder Wellen (Quellen) sprudeln. Noch gegenwärtig will ein hochgeborner Herr Quellwasser mit der Gabelrute entdecken können, er dürfte damit in Südwestafrika große Erfolge erzielen.

Bei der Erlangung (Ausgrabung) entdeckter Schätze, die nun gleichfalls nur in der Geisterstunde der Johannisnacht erworben werden können, ist es sehr günstig, daß sie durch den Zauber dieser Nacht bereits an die Oberfläche steigen. Freilich werden sie vom Hellhunde (Höllenhunde), wovon in meinen » Sagen« (Verlag von Dunkmann 1869) S. 15 einiges vorkommt, bewacht und können nur unter gewissen Bedingungen, vor allem unter absolutem Schweigen gehoben werden. Fehlt aber der Cerberus, so erscheint den Schatzgräbern der in den wunderbarsten Aufzügen sich zeigende Gottseibeiuns. Die Volksphantasie ist in der Ausschmückung dieser zum Reden verlockenden Späße schier an die Grenze des Ersinnbaren gelangt. Ein Beispiel möge genügen: In Strakholt wurde vor mehr als 100 Jahren in der Stinsenburg ein Schatz gespürt. Bei der Hebung ward ein großer kupferner Kessel (Broketel) gefüllt mit Gold gesichtet und bereits bis an den Rand des Loches gehoben. Plötzlich kam ein Sechsspänner mit Halli und Hallo vorbeigesaust, dem etwas später ein gehäufter Kreitwagen voll Busch (Struken) folgte, gezogen von einer lahmen Ente. Der »olle Jung«, der ihn gemächlich kutschierte, fragte die erstaunten Schatzgräber: »Kann ick de Flügup noch woll wär inhalen?« worauf einer übersprudelte: »To'n ewigen Dag nich!« Hellauf lachte da der Schwarze und mit Geprassel sank der Kessel in den Abgrund.

Noch vor wenigen Jahren erzählte man mir bei Aurich in der Neuzeit passierte Schatzgräbereiversuche, die somit der berühmten spanischen Schatzgeschichte, die auch in Ostfriesland spukt, ebenbürtig sind.

Ein andrer Johanniszauber ist das Alruuntje. Der Glaube daran ist noch heute in weiten Kreisen verbreitet. Ich habe immer nur die Verkleinerungsform gehört, nie etwa Alruun. Dementsprechend ist es ein sehr kleiner Geist, der in der Tasche, ja in der hohlen Hand verborgen gehalten werden kann. Er ist dem Besitzer sehr zugetan und bringt ihm Glück, namentlich weiß er Geld herbeizuschaffen. 1869 versicherte mir ein Mitbewohner des »Upstalsbooms« (Ecke der großen Straße zur alten Kaserne in Emden), seines Zeichens ein Malergesell, seine mit ihm lebende Mutter besitze ein Alruuntje, denn bei aller ihrer Armut habe sie stets Geld, wenns nötig sei. Vergeblich habe er versucht, in seinen Besitz zu kommen, wenns glücke, wolle er überhaupt nicht mehr arbeiten. – Nicht so offen, aber doch verständlich, hört man noch heute von dem Besitz des Alruuntje reden und Superintendent Schatteburg in Nesse erzählte mir 1871, ihm seien allein im Norderlande über 20 Fälle bekannt geworden. Daß ein Alraun nur durch ein Geheimbündnis mit dem Teufel zu erlangen sei, wurde mehrfach behauptet, es spricht aber dagegen, daß, wer einen solchen Geist besitzt, durchaus nicht gemieden oder gefürchtet, sondern vielmehr beneidet wird. Daß der Alraun in der Johannisnacht gegraben werden muß, wußte der Schäfer von Hasselt, dem der von Langholt beipflichtete; aber auch viele andre Leute durch ganz Ostfriesland konnten davon sagen. In Meerhusen und Brunn bei Logabirum, wo mein Vater (1851 ff.) wie für Heseler Vorwerk, Hasselt und Holtland die Meentelande vermaß, hörten wir erzählen: Wer das Alruuntje haben will, muß am Sünt Janstage mittags zwischen 12 und 1 in den Busch gehen, da sitzt ein schwarzer Vogel mit einer Blässe vor der Stirn auf einem Miegamelbült (Ameisenhaufen). Spricht man nun die Zauberformel, so pickt er in den Haufen und zieht die von den großen (roten) Waldameisen behütete Alraunwurzel heraus, die er fallen läßt, sobald man ein feuerrotes Tuch darunter ausbreitet. Hierin eingewickelt bekommt der Geist Leben.

In Nortmoor hörten Kuhn und Schwartz eine Frau erzählen, der Alraun sei ein kleiner kaum fußhoher Kerl (das wäre ja schon ein Riese gewesen!), den man in ein Spind einsperre und mit Milch und Zwieback füttere, davon werde er so stark, daß er ein ganzes Fuder Roggen im Maule fort- und seinem Wirte zutragen könne.

Die Erwerbung des Alrauns durch den Vogel erinnert unmittelbar an jene der Springwurzel, Springwuttel, die gleichfalls am Janstage zu erhalten ist. Hier kommt es darauf an, daß man das Nest eines Hellvogels entdeckt. Nach der Beschreibung könnte es der Specht (Boombikker) sein, dem die Ehre zuteil wird, an diesem Tage in einen Zaubervogel verwandelt zu sein. Der Springwurzel bedienten sich aber die Netteboven (Netzbuben, vermummte Einbrecher), vor denen kein Schloß sicher war. Sie trugen dieselbe aber im Daumen verborgen, in den man einen Schnitt gemacht und die Wurzel da hineingeschoben hatte. Hielten sie nun den Daumen an das Schloß, so sprang es auf. Um die Wurzel zu erlangen, war es aber erforderlich, das Nest des Hellvogels auszukundschaften, das sehr schwer zu finden ist. In das gefundene wurde am Janstage, wenn der Vogel ausgeflogen war, ein fester Keil geschlagen, kam er nun zurück, so war ihm der Eingang verwehrt und er flog davon, die Springwurzel zu holen, um mit derselben das Loch wieder zu öffnen. Da sie aber nur in der Mittagsstunde zu haben ist, so wird unter den Baum ein feuerrotes Tuch ausgebreitet. Der Hellvogel kehrt nun mit der Zauberwurzel heim, läßt aber auch die Wurzel fallen, da er das rote Tuch für ein Feuer ansieht, in dem sie verbrennt.


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