Hermann Sudermann
Die Ehre
Hermann Sudermann

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehnte Szene

Die Vorigen. Wilhelm.

Wilhelm. Der junge Herr Heinecke aus dem Hinterhause ist wieder da. (Curt erschrickt.)

Mühlingk. Haben Sie nicht bestellt, was ich ihm sagen ließ?

Wilhelm. Ja wohl, Herr Kommerzienrat, aber er ist mir vom Comptoir hierher gefolgt.

Mühlingk. Das ist ja eine unerhörte Dreistigkeit... Wenn er nicht auf der Stelle –

Curt. Verzeih, Papa. – Vielleicht will er sich nur bedanken... Ich glaub, er hat alle Ursache dazu.

Mühlingk. Solches Volk bedankt sich nie.

Curt. Er hat ja wohl auch Geldbeträge abzuliefern.

Mühlingk. Natürlich.

Curt. Am Ende hapert hinterher was – und dann ist er über alle Berge.

Mühlingk. Meinetwegen also – er soll kommen.

(Wilhelm ab.)

Frau Mühlingk. Wir ziehen uns zurück, Lenore!

Lenore (rasch gedämpft). Curt!

Curt. Beliebt?

Lenore. Nimm dich in acht!

Curt (der seine Ängstlichkeit zu verstecken sucht). Pah!

(Frau Mühlingk und Lenore ab.)

Mühlingk. Setze dich. – Das macht sich besser.

Elfte Szene

Curt. Mühlingk. Robert. (Robert scheinbar ganz ruhig, in gemessen dienstlicher Haltung, die Mappe unter dem Arm.)

Mühlingk. Sie waren etwas dringlich, lieber Herr... Nun, ich tadle Pflichteifer nie, am allerwenigsten, wenn er noch in der letzten Minute eines Dienstverhältnisses vorhält... Setzen Sie sich nur.

Robert. Wenn Sie gestatten, so bleib ich stehen!...

Mühlingk. Ganz wie Sie wollen... Von meinem Neffen ist mir schon gestern berichtet worden. – Es geht ihm gut... er amüsiert sich... ein wenig zu sehr, wie Graf Trast mir sagte... Nun, das Kavaliertum liegt den Herren aus guter Familie im Blute... Sie haben die Jahresabschlüsse hoffentlich schon mitgebracht?

Robert. Ja wohl. –

Mühlingk. Und?

Robert (sucht in der Mappe und reicht ihm ein Blatt über den Tisch). Ich bitte.

Curt (der den Unbefangenen spielt). Darf ich mit hineinsehen, Papa?

Mühlingk. Ja, ja. – Oder vielleicht haben Sie eine Kopie bei sich.

Robert. Ja wohl.

Mühlingk. Bitte, geben Sie sie meinem Sohne. (Curt geht ihm entgegen. Die beiden stehen sich einen Augenblick gegenüber und messen sich mit den Augen.)

Mühlingk. Soviel ich auf den ersten Blick sehe, macht sich das ganz nett. Der Reingewinn beträgt –

Robert (in die Mappe sehend). 116 227 Gulden.

Mühlingk. Der holländische Gulden zu 1 Mark 70 macht... Curt, rechne mit.

Robert. 197 585 Mark.

Mühlingk. 8 – 1 – 3 – 5 – 8. Ganz recht... 197 585 Mark und 90 Pfennig. Curt, du rechnest ja nicht mit?

Curt. Und 90 Pfennige. Ja wohl Papa.

Mühlingk. Hm... Und beim Kaffee ein so winziger Ertrag. Was bedeutet das?

Robert (ihm ein Blatt überreichend). Hier das Spezialconto. Ich war in der Lage, die Kaffeekrisis, die durch die brasilianische Konkurrenz hervorgerufen worden ist, vorhersehen zu können und habe infolgedessen 5/6 des Areals mit Tee bebaut.

Mühlingk. Sie?

Robert. Ja, Herr Kommerzienrat, ich!

Curt. Merkwürdig.

Mühlingk. Und wie steht die Chinarinde?

Robert. Hier das Konto (reicht ihm wiederum ein Blatt).

Mühlingk. Auch nicht hervorragend. Wo liegt also die Unterlage der günstigen Bilanz?

Robert. Als gewinnbringend haben sich erwiesen die Versuche mit Sumatratabak (reicht ein Blatt hinüber) und vor allem der Übergang zur Teekultur.

Mühlingk. Sie haben dieses Wagestück nach eigenem Gutdünken unternommen?

Robert. Nicht so ganz. Ich folgte einem Winke, den mir mein Freund, Graf Trast, gegeben hatte.

Mühlingk. Und mein Neffe hat diese Operation gebilligt?

Robert. Nachträglich – gewiß.

Mühlingk. Du hast recht, lieber Curt – das ist sehr merkwürdig.

Robert. Haben die Herren noch andere Fragen an mich zu richten?

Mühlingk. Nach der Art und Weise, wie Sie sich hier benehmen, scheint es, oder soll es scheinen, als ob Sie auf Java die Geschäfte meines Hauses selbständig geführt haben. Wie verhält sich das?

Robert. Da ich Prokura hatte, Herr Kommerzienrat –

Mühlingk. Und wo war mein Neffe unterdessen?

Robert. Auf diese Frage in ihrer Allgemeinheit weiß ich nichts zu antworten, Herr Kommerzienrat.

Mühlingk. Kam mein Neffe denn nicht täglich aufs Comptoir?

Robert. Nein, Herr Kommerzienrat.

Mühlingk (immer erregter). Wann kam er also?

Robert. Wenn die Hamburger Post fällig war und wenn er Geld erhob.

Curt. Wollen Sie damit sagen, daß mein Vetter seine Pflichten vernachlässigte?

Robert. Ich will nichts damit sagen, als ich gesagt habe.

Mühlingk. So erklären Sie mir gefälligst –

Robert. Über das Privatleben meines bisherigen Vorgesetzten Auskunft zu erteilen, fühl ich mich nicht berufen.

Curt. Aber, ihn anzuschwärzen, dazu fühlen Sie sich berufen?

Robert (will gegen ihn auffahren, bezwingt sich aber). Wünschen die Herren noch weitere Fragen an mich zu richten?

Mühlingk. Was haben Sie an Geldern mitgebracht?

Robert. Ich habe Wechsel auf verschiedene Banken im Betrage von 95 000 Gulden. Hier sind sie.

Mühlingk. Curt – prüfe das...

(Die beiden stehen sich wiederum gegenüber. – Stummes Spiel. – Curt nimmt die Wechsel aus Roberts Hand und sieht sie durch.)

Robert. Sind Sie nun fertig, Herr Kommerzienrat?

Mühlingk. Warten Sie ein wenig. (Pause.)

Curt. Es stimmt.

Mühlingk. Also, mein lieber Herr – Heinecke, ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihren ferneren Lebensweg... Bleiben Sie ein tüchtiger Mensch und vergessen Sie nicht, was Sie meinem Hause schuldig sind.

Robert. Nein, Herr Kommerzienrat, das vergesse ich nicht. Hier sind 40 000 Mark, die Sie die Güte hatten, meinem Vater zu übergeben.

Mühlingk. Diese 40 000 Mark waren ein Geschenk und kein Darlehn...

Robert. Trotzdem fühl ich mich für die Rückerstattung verantwortlich.

Mühlingk. Sind Sie von ihrem Vater beauftragt, mir das Geld zurückzugeben?

Robert. Nein, das bin ich nicht.

Mühlingk. Das Geld ist also Ihr eigenes?

Robert. Jawohl.

Mühlingk. So, so.

Curt. Findest du es nicht interessant, Papa, daß unser Herr Heinecke Ersparnisse in dieser Höhe hat machen können?

Robert (besinnt sich eine Weile, faßt die Bedeutung des Wortes, schreit auf und stürzt, die Pistole hervorreißend, auf Curt los, ihn an der Kehle packend.) Schurke – widerrufe – widerrufe!

Mühlingk. Zu Hülfe! Zu Hülfe! –

Zwölfte Szene

Die Vorigen. Lenore. Dann Frau Mühlingk.

Lenore (vorstürzend). Robert, haben Sie Erbarmen!

Robert (läßt bei ihrem Anblick die Pistole fallen und taumelt, das Gesicht in den Händen, zurück. Curt sinkt, nach Luft ringend, auf das Sofa).

Frau Mühlingk (durch die Mitteltür). Was gibt es? Curt! (Eilt zu ihm.) Hülfe, Mörder, Mörder! – So klingle doch, Theodor!

Mühlingk. Stille, stille. Es ist keine Gefahr mehr. – Was wollen Sie noch! Gehn Sie!

Robert. Als Dieb, nicht wahr? (Bewegung Lenorens.) Ja, Lenore, damit Sie's wissen: Ersparnisse hab ich gemacht! Ein Dieb bin ich!

Lenore. Vater! Um Gotteswillen – was habt Ihr getan?

Robert. Gut. Dies ist der Tag der Abrechnung. Machen wir also das Konto klar... Das Konto zwischen den Vorder- und den Hinterhäusern. Wir arbeiten für Euch... wir geben unsern Schweiß und unser Herzblut für Euch hin... Derweilen verführt Ihr unsere Schwestern und unsere Töchter und bezahlt uns ihre Schande mit dem Gelde, das wir Euch verdient haben... Das nennt Ihr Wohltaten erweisen! – Ich habe mit Nägeln und Zähnen um Euern Gewinnst gerungen und nach keinem Lohne gefragt. – Ich habe zu Euch emporgeschaut, wie man zu Heiligen emporschaut... Ihr wart mein Glaube und meine Religion... Und was tatet Ihr? – Ihr stahlt mir die Ehre meines Hauses, denn ehrlich war es, wenn's auch Euer Hinterhaus war. – Ihr stahlt mir die Herzen der Meinigen, denn ob sie auch schmutzige Bettler sind, lieb hatt' ich sie doch – Ihr stahlt mir das Kissen, auf dem ich mein Haupt niederlegen wollte, um auszuruhn von der Arbeit für Euch – Ihr stahlt mir den Heimatsboden – Ihr stahlt mir die Liebe zu den Menschen und das Vertrauen zu Gott – Ihr stahlt mir Frieden, Schamgefühl und gutes Gewissen – die Sonne vom Himmel habt Ihr mir herabgestohlen – Ihr seid die Diebe – Ihr!

Mühlingk (nach einem Schweigen). Soll ich Sie durch die Dienerschaft vor die Türe werfen lassen?

Lenore (tritt dazwischen). Das wird nicht geschehen, Vater!

Mühlingk. Was? Du?

Lenore. Er wird freiwillig und ungekränkt von dannen gehn. Oder, Vater, du läßt mich auch vor die Türe werfen.

Robert. Lenore, was wollen Sie tun?

Lenore. Vater, hast du nicht ein Wort der Abbitte für ihn? Nicht ein einziges Wort?

Mühlingk. Du bist wahnsinnig!

Robert. Lassen Sie, Lenore!... Ich werde mit – Dankbarkeit an Sie denken, solange ich lebe... Ich laß in Ihnen das zurück, was man Heimat nennt... Seien Sie gesegnet für alles... Und nun leben Sie wohl!... (Geht zur Tür.)

Lenore (mit leidenschaftlichem Aufschrei ihm nachstürzend und ihn umklammernd). Geh nicht!... Geh nicht!... Und wenn du gehst, so nimm mich mit!

Robert. Lenore!

Mühlingk. Was be –?

Lenore. Laß mich nicht allein! Mich friert zwischen diesen Wänden!... Du bist meine Heimat auch!... Du bist sie immer gewesen!... Sich, ich hab mich dir an den Hals geworfen! Du kannst mich nicht mehr von dir stoßen!

Mühlingk. Ach – was für ein Skandal!

Lenore. Lieber Vater, wir wollen nicht auf einander wüten. Ich liebe diesen Mann. Für das, was Ihr ihm nahmt, biet ich ihm zum Ersatz das an, was ich habe. (Halb zu Robert.) Ich habe zwar nichts mehr, als mich selbst. – Will er das – – –

Robert. Lenore!

Dreizehnte Szene

Die Vorigen. Trast.

Trast. Was ist hier vorgegangen?

Lenore (eilt ihm entgegen). Ich danke Ihnen, mein verehrter Freund, Sie haben mir den rechten Weg gewiesen. Robert, schaffen wir uns eine neue Heimat, eine neue Pflicht!

Robert (mit einem Blick auf Curt, der wie betäubt dasitzt, in nachklingender Erbitterung). Und eine neue Ehre! (Er umfängt sie.)

Frau Mühlingk. Das ist also unser Dank, Theodor.

Lenore. Vater, Mutter, ich bitt Euch nicht um Verzeihung, denn was ich tue, muß ich tun. Ich fühl's, das kann kein Unrecht sein. Aber ich fleh Euch an: Denkt in Frieden an mich.

Mühlingk. So? Und du meinst, du wirst dieses Haus verlassen, ohne daß man dir sagt, wer du bist?... du – (Erhebt wie zum Fluche die Arme.)

Trast (tritt neben ihn). Nicht doch, Herr Kommerzienrat. – Warum wollen Sie sich mit Fluchen strapazieren? (Leiser.) Und übrigens im Vertrauen: Ihre Tochter macht keine so schlechte Partie. Der junge Mann da wird mein Sozius und da ich keine Anverwandten habe, auch mein Erbe!

Mühlingk. Aber – Herr Graf, – warum haben Sie das nicht – – –

Trast (rasch drei Schritte zurücktretend, die Hände abwehrend erhoben). Ihren geehrten Segen erbitte schriftlich! (Folgt den beiden zur Tür.)

Der Vorhang fällt.


 << zurück