Hermann Sudermann
Die Ehre
Hermann Sudermann

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Fünfte Szene

Curt. Lothar. Hugo. Trast.

Curt (befremdet). Herr Graf?

Lothar (leise). Wie gut, daß wir mitkamen!

Trast. Ich bitte um eine Unterredung, Herr Mühlingk.

Curt. Meine Zeit ist leider kurz gemessen, Herr Graf, mein Vater erwartet mich.

Trast (beiseite). Oho! (Laut.) Es handelt sich um eine Bitte!

Curt. Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Freunden, Herr Graf! (Setzen sich.)

Trast. Jemand, der mir befreundet ist, ist von Ihnen an seiner Ehre schwer gekränkt worden. – Auf meinen Rat und mir zuliebe verzichtet er darauf, eine Genugtuung von Ihnen zu fordern.

Curt. Sie irren, Herr Graf, Herr Heinecke hat seine Genugtuung erhalten.

Lothar. Eine andere wären wir nicht in der Lage gewesen, ihm zukommen zu lassen.

Trast (sieht ihn von oben bis unten an). Lassen wir diese Frage fallen, Herr Mühlingk. Mein Freund befindet sich in diesem Augenblicke, wie ich vermute, bei Ihrem Herrn Vater, weil er darauf bestand, seine Abrechnung mit Ihrem Hause persönlich ins reine zu bringen.

Curt. Wenn ihm das Vergnügen macht!

Trast. Er suchte bei dieser Gelegenheit auch eine Unterredung mit Ihnen!

Curt. Die kann er haben, Herr Graf!

Trast. In einer Stunde wird mein Freund dieses Etablissement verlassen haben... In Anbetracht der begreiflichen Erregung, in der er sich befindet, wäre es zweckmäßig für beide Teile, wenn während dieser Zeit ein Begegnen zwischen Ihnen vermieden würde.

Lothar. Herr Graf, ein Appell an die Feigheit hat in deutschen Herzen noch nie einen Widerhall gefunden.

Trast (ruhig). Herr Lieutenant, ich habe mir nicht erlaubt, das Wort an Sie zu richten. – Herr Mühlingk, überlegen wir genau. Sie sprechen zu jemandem, dem in diesem Augenblicke Ihr Wohl – nicht aus Sympathie, wie ich freimütig bekenne – von hohem Werte ist... Ich darf darum wie ein Freund zu Ihnen sprechen. Lassen Sie sich von diesen Herren nicht einschüchtern –

Hugo. Nein, laß dich von uns nicht einschüchtern!

Trast. Und geben Sie dem Gefühle Raum, das Ihnen sagt: Ich darf auf das Unrecht nicht trotzen, das ich jenem Manne angetan habe. Sie schweigen. Nicht wahr – Sie erfüllen meine Bitte?

Lothar (hinter ihm, leise). Nun aber korrekt!

Curt. Ich schweige, Herr Graf, weil ich nach Worten suche, um Ihnen mein Erstaunen über Ihr seltsames Auftreten gebührend zu kennzeichnen.

(Alle stehen auf.)

Lothar (hinter ihm, leise). Ganz gut! Ganz gut!

Curt. Und ich frage hiermit, was berechtigt Sie, in meinem Hause eine solche Forderung an mich zu stellen?

Trast. Eine Forderung, die Sie ablehnen?

Curt. Zweifeln Sie daran, Herr Graf?

Lothar (leise). Etwas schneidiger – schneidiger.

Trast (beiseite). Also ein Gewaltsmittel! (Laut.) Ja, ich zweifelte daran, denn ich hegte noch eine leise Hoffnung, es mit einem Ehrenmanne zu tun zu haben... Pardon – ich täuschte mich.

Curt. Herr – das ist – –

Trast. Eine Beschimpfung – ja wohl!

Curt. Für die Sie mir Rechenschaft geben werden!

Trast. Ich verlange nichts Besseres!

Curt. Sie werden morgen von mir hören!

Trast. Morgen? Schläft man bei Ihnen mit – dergleichen? Ich bin gewohnt, einen Schimpf auf der Stelle zu sühnen.

Curt (würgend). Auch das!

Trast (beiseite). Gott sei Dank! (Laut.) Gehn wir also!

Lothar (dazwischentretend). Immer korrekt, lieber Curt! Du als Kontrahierender hast mit dem Herrn nichts mehr zu verhandeln! (Scharf.) Erstens, Herr Graf, verlangt der Ehrenkodex, daß der Forderer sowohl wie der Geforderte vierundzwanzig Stunden Frist erhält, um seine Angelegenheiten zu ordnen. – Wir – mein Mandant und ich – würden von diesem Rechte Gebrauch machen, wenn wir nicht – und nun komme ich zum zweiten Punkte – auf das Vergnügen verzichten müßten, so etwas wie eine Genugtuung zu verlangen, denn Sie, geehrter Herr, haben uns nicht beleidigt...

Trast. Ah!

Lothar. Sie gehören nicht zu denjenigen, die uns beleidigen können.

Trast (belustigt). So, so!

Lothar. Erinnern Sie sich gefälligst, daß der Graf von Trast-Saarberg am 25. Juni 1864 – wie ich nunmehr aus den Registern ersehen habe – wegen nicht bezahlter Spielschulden mit schlichtem Abschied entlassen wurde. – Und hiermit – (verneigt sich nachlässig) Herr Graf! –

Trast (bricht in ein helles Gelächter aus). Meine Herren, ich danke Ihnen herzlich für die empfangene Lektion... Ich habe sie vollauf verdient... denn das größte Verbrechen auf Erden ist die Inkonsequenz... Und vor allem lern ich eins. Man mag sich über die moderne Ehre noch so erhaben wissen, man muß ihr Sklave bleiben, und sei's allein, um einem armen Teufel von Freund aus der Patsche zu helfen. – Meine Herren, ich habe die Ehre!... Pardon, ich habe sie nicht!... Sie sprechen sie mir ab... So bleibt mir also nur das ganz gemeine Vergnügen, mich Ihnen zu empfehlen – doch das ist um so größer. (Verbeugt sich lachend – ab.)

Sechste Szene

Curt. Lothar. Hugo.

Hugo. Nun sitzen wir da mit unserer Ehre und sind wieder die Blamierten.

Lothar. Wir benahmen uns ganz korrekt.

Hugo. Aber, Lothar, der Kaffee, der Kaffee!

Lothar. Man muß sich seine Ehre etwas kosten lassen, mein Lieber. Es freut mich, daß ich dir diesen Dienst habe leisten können, lieber Curt... Was hättest du ohne mich wohl angefangen? – Auf heute abend also!

Curt. Wollt Ihr schon nach der Stadt zurück?

Lothar. Ja wohl.

Curt. Ich begleite Euch.

Lothar. Oh! Das sähe ja aus, als wolltest du dem saubern Herrn Bruder aus dem Wege gehen!

Curt. Was fällt dir ein?

Lothar. Soll sich der Graf ins Fäustchen lachen? – Jetzt ist es sogar deine Pflicht, eine Begegnung herbeizuführen.

Curt. Das nun wohl nicht.

Lothar. Deine Pflicht, sage ich, falls du nicht das Odium eines Feiglings auf dich nehmen willst.

Siebente Szene

Mühlingk mit Pelz und Hut von hinten. Hinter ihm Wilhelm.

Mühlingk. (Wilhelm den Pelz zuwerfend). Was fällt dem Menschen ein, mich in meinem Comptoir zu belagern? – Guten Tag, meine Herren... Lassen Sie ihm die Bücher abfordern und sagen Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren!... (Wilhelm ab.) Curt, warum weichst du mir aus?... Wir haben ein Hühnchen zu pflücken, das weißt du doch!

Curt (leise zu den Freunden). Jetzt krieg ich meine Pauke... Rettet Euch!

Hugo. Herr Kommerzienrat – unsere Zeit ist leider –

Mühlingk. Adieu, meine Herren, bedaure unendlich – adieu!

Lothar (leise). Du wirst uns von der Begegnung erzählen.

(Lothar und Hugo ab.)

Achte Szene

Mühlingk. Curt.

Mühlingk. Ich habe diesmal die Angelegenheit noch glücklich ins reine gebracht. – Mit welchen Opfern, weiß der Himmel! Ich werde damit dein Konto belasten. – Nun zu der moralischen Seite der Sache!

Neunte Szene

Die Vorigen. Frau Mühlingk von hinten. – Später Lenore von links.

Curt (für sich). Da kommt auch noch die Alte... Das kann schön werden.

Frau Mühlingk. O Curt, Curt!

Curt. Ja, Mama!

Frau Mühlingk (setzt sich). Du hast deinen Eltern viel Kummer bereitet, mein Sohn. Daß dein alter Vater gezwungen war, mit solchem Gesindel zu unterhandeln, (Lenore von links) wie ist das schmutzig, wie ist das erniedrigend für uns! (Zu Lenoren.) Was willst du hier?

Lenore. Ich muß mit Euch sprechen.

Mühlingk. Wir haben jetzt keine Zeit. – Geh auf dein Zimmer.

Lenore. Nein, Papa. Ich kann die Rolle der schweigenden Haustochter in diesem Falle nicht spielen. – Bin ich ein Mitglied der Familie, so will ich auch zu Rate gezogen werden.

Mühlingk. Was bedeutet diese Feierlichkeit?

Lenore. In unserem Hause hat sich heut ein unglückseliger Vorfall abgespielt.

Mühlingk. Daß ich nicht wüßte! –

Lenore. Ihr braucht mir nichts zu verheimlichen. Es schickte sich wohl nach den Gesetzen der Heuchelei, die man uns sogenannten jungen Mädchen auferlegt, daß ich die Augen niederschlage und die Nichts-Verstehende spiele. Aber das geht in diesem Falle nicht an. Ich habe alles erfahren.

Frau Mühlingk. Und du schämst dich nicht...?

Lenore (bitter). Ja, ich schäme mich.

Mühlingk. Weißt du, mit wem du sprichst? Du bist von Sinnen.

Lenore. Hab ich mich im Ton vergriffen, so vergebt mir. Ich will Euch ja weich stimmen und nicht erzürnen... Vielleicht bin ich wirklich eine schlechte Tochter gewesen... Vielleicht habe ich wirklich nicht das Recht, einen eigenen Gedanken zu fassen, so lang ich nicht das eigene Brot esse... Wenn es so ist, versucht mir zu vergeben... Ich will tausendfach wiedergutmachen. – Aber habt Einsicht, gebt ihm seine Ehre wieder. –

Mühlingk. Ich will dich gar nicht einmal fragen: was geht dich der Mensch eigentlich an? aber sag mal – was verstehst du darunter: die Ehre wiedergeben?

Lenore. Mein Gott, wenigstens den guten Willen müßt Ihr haben, wiedergutzumachen, dann werden wir Mittel und Wege schon finden.

Mühlingk. Meinst du? Setze dich mal nieder, mein Kind. – Ich will meiner Gewohnheit gemäß auch diesmal Milde walten lassen und dich mit Gründen zur Vernunft zu bringen suchen, wiewohl ein strenger Verweis vielleicht mehr am Platze wäre... Sieh dir einmal diesen grauen Kopf an. Darauf hat sich viel Ehre zusammengehäuft, und doch habe ich mich mit dem sogenannten Ehrgefühl niemals abgegeben... Ach, was muß man alles im Leben einstecken und darf nicht »Hum« sagen, wenn man in die Höhe kommen will. Da ist nun ein junger Mensch, dem ich, wie du sagst, die Ehre genommen habe. Nehmen wir an, du hättest recht... Ich beklage tief den Leichtsinn deines Bruders... Aber, wer heißt dem jungen Menschen eine Ehre haben? Wo hat er sie her? Etwa aus seiner Familie? Oder aus meinem Geschäft?... Meine Commis sind keine Malteserritter... Gut, du sagst, er hatte sie... und ich soll sie ihm wiedergeben... Wodurch? Etwa dadurch, daß ich das Mädchen zu meiner Schwiegertochter mache?

Frau Mühlingk. Ich muß dich bitten, Theodor, auch im Scherze solche Dinge nicht in den Mund zu nehmen...

Mühlingk. Dadurch würde ich mich und mein Haus ins Unglück stürzen. Der junge Mann hat's dagegen in seiner Hand, sich über die Geschichte hinwegzusetzen. Tut er's nicht und tritt die Frage an mich heran: Wer soll unglücklich werden, wir oder er? So antwort ich: Er soll unglücklich werden, ich spüre keine Lust dazu. – So habe ich's mein Lebtag gehalten, und ein jeder kennt mich als Ehrenmann.

Lenore (aufstehend). Vater, ist das dein letztes Wort?

Mühlingk. Mein letztes Wort. Jetzt komm, gib mir einen Kuß und bitte deine Mutter um Verzeihung.

Lenore (weicht schaudernd zurück). Laß mich. Ich kann dich nicht belügen!

Mühlingk. Was heißt das?

Lenore. Vater, ich fühle, daß ich in allem Unrecht habe, ich fühle, daß ich Unmögliches von Euch verlange. Ich müßte die Welt ganz anders kennen, um dir gewachsen zu sein – aber – (Hält plötzlich inne und lauscht hinaus – Stimmen auf dem Korridor.)

Mühlingk. Aber? –

Lenore (für sich). Da ist er! – Aber – – – o ich kann nicht mehr.


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