Hermann Sudermann
Die Ehre
Hermann Sudermann

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Fünfte Szene

Lothar. Lenore.

Lenore (sieht nach der Uhr, ungeduldig). Mit welcher Auskunft kann ich dienen, Herr Brandt?

Lothar. Mein gnädiges Fräulein, ich sehe mit Bedauern, wie sehr Sie mich verkennen, denn wenn mein Wert auch bescheiden ist...

Lenore. Und um mir das zu versichern, versäumen Sie...

Lothar. Noch einen Augenblick... bitte...

Lenore (beiseite). Ein Antrag.

Lothar. Meine Fehler mögen unzählige sein, aber, mein gnädiges Fräulein, ich bin ein Mann von Ehre.

Lenore. Das scheint mir für einen Sohn aus guter Familie selbstverständlich, Herr Brandt. – Und so wenig verdienstvoll, wie daß er einen guten Rock auf dem Leibe trägt.

Lothar. So gering schätzen Sie – –

Lenore. Verzeihung. – Ich schätze selbst die Schlechtgekleideten nicht gering, nur in den Salon läßt man sie nicht hinein. Doch, Herr Brandt, ich habe Sie unterbrochen. Vielleicht verkenn ich Sie wirklich. Lassen Sie weiter hören.

Lothar. Ich muß bekennen, mein gnädiges Fräulein, Sie haben mich eingeschüchtert. Und das will etwas sagen! Denn was wäre man, wenn man nicht den Mut besäße?

Lenore. Ah, das ist schon mehr. – Vor dem Mute hab ich Achtung. Aber worin hat sich Ihr Mut bereits betätigt?

Lothar. Fragen Sie meine Freunde. Er steht über jeden Zweifel erhaben.

Lenore. Sie wollen mir sagen: Sie haben sich geschlagen.

Lothar. Man spricht vor Damen nicht davon.

Lenore. Und wir erfahren's doch. Wir sind ja dazu da, dem Sieger den Lorbeer zu reichen. Aber, sind Sie vielleicht einmal in der Lage gewesen, für eine übel berüchtigte Ansicht, die Sie aber im Innersten als die Ihrige erkennen mußten, eine Lanze zu brechen?

Lothar (entrüstet). Wie können Sie glauben?... Derartige Ansichten habe ich nicht! –

Lenore. Oder haben Sie vielleicht je eine unwürdige Verdächtigung schweigend ertragen?

Lothar. Ich? Schweigend?... Im Gegenteil.

Lenore. Nie?

Lothar. Nie, mein Fräulein.

Lenore. Nun, dann weiß man auch über Ihren Mut nichts Gewisses, Herr – darf ich Lieutenant sagen? – Erst erproben Sie ihn, und dann vielleicht mehr davon. (Erhebt sich.)

Lothar (will sie zurückhalten). Mein Fräulein –

Sechste Szene

Trast. Robert. Wilhelm. Die Vorigen.

Wilhelm (noch vor der Tür). Wollen die Herren solange hier eintreten.

Lenore. Ah! Endlich! (Eilt Robert mit ausgestreckten Händen entgegen.)

Trast (beiseite). So stehen die Sachen! (Zum Diener, der durch die hintere Tür rechts hinaus will.) Sie, kommen Sie mal her. (Nimmt ihm eine der Karten aus der Hand und steckt sie in die Tasche.)

Lothar (Robert und Lenore beobachtend). Was bedeutet das?

Trast. Meine Karte genügt! Allons! (Diener ab.)

Robert. Lenore, hier bring ich Ihnen den Grafen Trast, meinen Gönner und liebsten Freund.

Lenore (sich besinnend). Gestatten die Herren, daß ich Ihnen Herrn Lothar Brandt vorstelle. – Herr Graf von Trast. Herr Robert Heinecke, mein Jugendfreund. (Verbeugungen.)

Lothar (für sich). Sie stellt mich dem Bruder der Alma – – – das ist günstig! (Laut.) Die Herrschaften verzeihen, aber meine – Freunde – (Schnarrt und stottert.)

Trast. Erwarten Sie – nicht wahr?

Lothar (in Positur, ihn messend). Ganz recht! (Im Abgehen.) Was für 'ne Sorte von Graf ist das? (Dreht sich in der Tür noch einmal um, grüßt, die Hacken zusammenschlagend, ab.)

Siebente Szene

Lenore. Robert. Trast.

Lenore (Platz anbietend). Sie waren lange nicht daheim, Herr Graf?

Trast. Ich hause seit einem Vierteljahrhundert in den Tropen.

Lenore. Zu Ihrem Vergnügen?

Trast. Soviel als möglich jedenfalls. Daneben bin ich Spekulant in Kaffee, Gewürznelken und Elfenbein, – Elefantenjäger und bei Bedarf auch Elefant.

Lenore (lachend). In welcher Ihrer Eigenschaften heiß ich Sie willkommen, Sie vielseitiger Mann?

Trast. Sie haben die Wahl, mein gnädiges Fräulein.

Wilhelm (zurückkehrend). Der Herr Kommerzienrat lassen bitten. (Man steht auf)

Robert. Ich muß nun –

Trast. Bleiben mußt du. Ich habe deinen Chef vorerst allein zu sprechen. (Leise.) Keinen Widerspruch. Die hast du mir verschweigen können? (Laut.) Er hat mir zehn Jahre lang in allen Tonarten Ihr Lob gesungen. Ist es nicht billig, daß ich Sie verurteile, zehn Minuten lang auch einiges Gute über mich zu hören?

Lenore (ihm mit dem Finger drohend). Sie sind ein Schelm.

Trast. In Ihren Diensten selbst ein Schelm! (Ab.)

Achte Szene

Lenore. Robert.

Lenore (seine Hände ergreifend). Endlich hab ich Sie wieder hier, Robert!

Robert. Ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für jedes gute Wort, Lenore.

Lenore. Hu, was sind Sie feierlich. – Meine guten Worte sind keine Almosen. Kommen Sie her! (Führt ihn zum Kamin.) Setzen Sie sich – hier ins Warme... Mir gegenüber. Müssen Sie frieren in dem kalten Deutschland! – Warten Sie, ich fache das Feuer an. (Bläst mit dem Blasebalg hinein.) Man hat nämlich Kamine jetzt... Sehr unpraktisch, aber plaudern läßt sich davor... In Indien braucht man keine Kamine, nicht wahr? (Für sich.) Bin ich glücklich! (Laut.) Ach, bin ich froh, Robert! Und nun, da Sie das wissen, heraus mit dem »Aber«, das Sie im Hinterhalte liegen haben – ich pariere.

Robert. Lenore, machen Sie mir das Herz nicht schwer.

Lenore. Da sei Gott vor.

Robert. Sie tun's, wenn Sie in dieser Weise fortfahren, mir den Schatten eines Glückes vors Auge zu zaubern, das für immer begraben ist.

Lenore. O wenn Sie mir nur der Alte geblieben sind.

Robert. Das bin ich, weiß Gott... Aber, was hilft's – es liegen ja Abgründe zwischen uns.

Lenore (entmutigt). Ja – dann!

Robert. Mein Gott, verstehn Sie mich doch recht. Ich darf ja nicht reden, wie's mir ums Herz ist... Wissen Sie noch, was Sie mir beim Abschiede ins Ohr sagten?

Lenore. Nun?

Robert. Bleibe mir gut, sagten Sie.

Lenore. So sagte ich? Genau so?

Robert. Ein solches Wort vergißt man nicht, Lenore.

Lenore. Genau so? Man hatte uns doch verboten, uns du zu nennen?

Robert. Aber da taten Sie's.

Lenore. Und warum tun wir's heute nicht mehr?

Robert. Lenore, Sie spielen mit mir.

Lenore. Sie haben recht, mein Freund. Das schickt sich nicht. Es sieht aus wie Koketterie – und ist doch nur die Freude, Sie wieder zu haben. – Aber Sie zeigen mir deutlich genug, daß unser Kindertraum zu Ende ist.

Robert. Es muß wohl sein. Ihr Vater hat mich in einer großmütigen Wallung aus der Niedrigkeit emporgehoben... Was ich denke und fühle, verdank ich ihm. Damit hab ich das Recht der Selbstbestimmung verloren. Ich bin ein Höriger dieses Hauses... Ich habe kein Recht, seiner jungen Herrin nahezustehen... Die Form sei, wie sie wolle...

Lenore. Ihr eigener Stolz straft Sie Lügen.

Robert. Vielleicht ist es gerade mein Stolz, der mich in dieses Joch zwingt.

Lenore. Und von dem Sie mir kein Titelchen zu opfern bereit sind?

Robert. Quälen Sie mich nicht. Es ist ja nicht das allein. Denken Sie, wie's mir ergeht. Erst in diesem Augenblick, da ich Ihnen gegenübersitze, find ich so etwas wie Heimat wieder. Aber ich wäre ein elender Egoist, wenn ich diesem Gefühle Raum geben wollte, denn dort hinten auf dem Hofe haust meine Familie Vater – Mutter – Schwester... Und diese Familie... Ach, Lenore, es geht dort im Hinterhause ein gut Stück anders zu, als Ihre Güte sich vorstellen mag.

Lenore. Mein lieber Freund, man braucht nicht erst nach Indien zu gehen, um den Seinen fremd zu werden.

Robert. Lenore, Sie auch?

Lenore. Wir schwiegen besser darüber. Ich stehe tief beschämt vor Ihnen da. Ich bin ein gut Teil unbändiger als Sie. All mein Pflichtgefühl hat mich im Stich gelassen. Mit einer Art von dumpfem Groll, der fast Hochmut geworden ist, steh ich den Meinen und allem, was hier drum und dran hängt, gegenüber, und ich bin sonst wirklich nicht hochmütig! Sagen Sie mir, was ist das, was in mir –

Robert. Stille!

(Mühlingk und Trast hinten rechts.)

Neunte Szene

Mühlingk. Trast. Die Vorigen.

Mühlingk (von Trast Abschied nehmend). Also auf morgen mittag, Herr Graf! – Da ist ja der junge Mann. – Willkommen, willkommen! (Reicht ihm die Hand.) Wollen Sie schon Abrechnung halten?

Robert. Ich kam nur, mich Ihnen vorzustellen, Herr Kommerzienrat, die Papiere waren noch nicht ausgepackt.

Mühlingk. Nun, nun, es eilt nicht! Was führt dich her, Lenore?

Lenore. Sehr einfach, ich wollte Robert guten Tag sagen.

Mühlingk. Hm. – Aber du weißt doch, daß Mama nach dir gefragt hat. Kommen Sie, junger Mann, ich habe Pläne mit Ihnen, Pläne! Herr Graf, Sie wissen, daß wir vor Ihnen keine Geheimnisse haben.

Trast. Sie werden ihn besser kennenlernen, wenn er mit Ihnen allein ist. – Ich erwarte dich hier.

Lenore. Auf Wiedersehn, Robert. (Schüttelt ihm die Hand.)

Mühlingk (strafend). Hm!

(Mühlingk, Robert ab.)

Zehnte Szene

Lenore. Trast.

Lenore. Herr Graf – Sie hörten – ich habe mich zu empfehlen!

Trast. Mein gnädiges Fräulein! (Lenore geht zur Tür, er sieht ihr nach, als sie sich noch einmal umdreht, droht er ihr lächelnd mit dem Finger.)

Lenore (befremdet). Was heißt das, Herr Graf?

Trast. Hm. Eigentlich heißt das – (Klatscht in die Hände.)

Lenore. Und was heißt das?

Trast. Das heißt: (durch die hohle Hand) Bravo!

Lenore (strenge). Ich verstehe Sie nicht, Herr – ah. (Lacht auf, geht resolut zurück und streckt die Hand aus.) Doch – ich versteh Sie!

Trast (mit seinen beiden Händen die ihre ergreifend). So war's recht!

Lenore (wieder förmlicher). Herr Graf!

Trast. Mein Fräulein! (Lenore ab.)

Trast. Das ist ja ein prächtiger Mensch, dieses Mädchen. Die gönn ich ihm. Die soll er haben.


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