Rudolf Stürzer
Lustige Geschichten aus dem Wiener Leben
Rudolf Stürzer

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Achtung – Lawine!

Der Herr Wacheoberbeamte Georg Fischer römisch VII sah zuerst links, dann rechts die Gasse entlang, hob dann den Blick bis zu den ersten Stockwerken, und da ihn keine der üblichen Begleiterscheinungen häuslicher Reinigungsvorgänge störte, dachte er sich: aha, heut' is z' kalt zum Ausbeut'ln – und wollte schon umkehren, als sein Auge nach einer Generalumschau auf dem Dache des Sechserhauses haften blieb. Dort hing eine ansehnliche Schneelast zum Teile schon über die Dachrinne herab. Der Wacheoberbeamte straffte sich zu dienstlicher Haltung auf und schritt feierlich zur Amtshandlung.

»Frau Hausbesorgerin, auf Ihrem Dach hängt eine Lawine, wenn die herunterfallt, kann das höchste Unglück gescheh'n! Da müssen Sie was vorkehren!«

»Jessas na, was soll i denn net no alles mach'n? I hab do eh schon wegkihrt, i kann do den Schnee net aa no vom Dach owakihrn! Mei Mann is net z' Haus, der hat ja sei Arbeit, die Leut' soll'n halt aufschau'n, wenn s' eh schon owahängt, sehg'n sie 's ja eh!«

»Das geht nicht, die Leute können nicht auf die Dächer hinaufschau'n, die müssen schau'n, wo sie geh'n, sonst fall'n s' nieder, also da haben Sie die Pflicht, die Leut' zu warnen. . . .«

»Aber gehngan S', i kann mi do net aussistell'n und zu an jed'n sag'n: geb'n S' acht, sunst fallt Ihna was am Schäd'l – was die Polizei heutzutag alles von an Hausmasta verlangt!«

»I verlang' gar nicht, daß Sie Ihnen hinausstell'n, aber Sie müssen halt eine Warnung anbringen, so wie die Ziegeldecker – stell'n Sie halt eine Stange hinaus mit einer Tafel, und schreiben Sie drauf: Achtung! Lawine!«

»No ja, in Gottes Namen, daß a Ruah is, i wir schon was hinstell'n! Jetzt hab' i daweil 'n Kelch am Feuer, den kann i net anbrenna lass'n, glei wird s' ja net owafall'n, sie hängt ja eh schon seit vurgestern owa, hat sie si so lang g'halt'n, wird sie jetzt aa no halt'n, bis i den Kelch einbrennt hab. . . .«

Gegen diese Logik war nicht aufzukommen, ebensowenig gegen den beizenden Geruch des einzubrennenden Kohls, und so trat Fischer römisch VII im Bewußtsein erfüllter Pflicht nach einem warnenden »Ich hab' 's Ihnen g'sagt!« den Rückzug an.

40 »A so a Sekkatur! In was si die Polizei alles einimischt, wer stellt denn in die Berg a Taf'l auf: Achtung, Lawine!? Is dös aa schon was, wann an a Patzl Schnee am Schäd'l fallt? Früher san d' Leut' net so wehleidig g'wes'n und die Polizei aa net so sekkant! Freili, i wir vom Herd wegrenna und a Stanga suach'n und a Taf'l mal'n, dös kann d'r Mann mach'n, wann er hamkummt. . . .!« Frau Krennmasser rührte erregt in der Kohlmasse, plötzlich aber hielt sie inne. Sie hatte sich soeben die Heimkehr des Gatten ausgemalt, als ihr mit einem Male der Gedanke dazwischen schoß: Jessas, vielleicht fallt s' gar mein Mann auffi!

Der Kohl wurde vom Feuer gerückt, der Blick lief suchend herum, dann ein befriedigtes: »Mir hab'n 's schon!« Frau Krennmasser langte nach dem Besen, suchte lange in einer Tischlade nach einem Papier, fand endlich eines in der Größe einer Tarockkarte, stach mit der Haarnadel den Stöpsel aus dem Tintenfläschchen, prüfte eine von Tintensatz starrende Feder, zog mit Hilfe des Daumennagels und des Traumbuchrückens eine Gerade in der Mitte des Papierblättchens und schrieb darauf in steiler Kurrentschrift: Achtung Lawiene – ohne Punkt und Rufzeichen. Dann wurde mit der Scherenspitze ein Loch ins Papier gebohrt, aus der obersten Lade der Kommode ein Wollfaden beschafft, und bald baumelte in der Besenmitte die eindringliche Warnung: Achtung Lawiene.

Da stand sie nun und sperrte den schmalen Gehsteig. »Dös wird do a jeder sehg'n, und wann ana net ausweicht, und der Patz'n fallt eahm auffi, dann kann i eahm net helf'n – wann's finster wird, nimm i 'n wieder eina.« Frau Krennmasser rückte den Kohl wieder ans Feuer.

Draußen aber kam Herr Binagl des Weges, sinnend und in sich gekehrt; er stieß achtlos an den Besen.

»Was is denn dös jetzt wieder für a Blödsinn, an Bes'n da anlahna, d' Füaß kann ma si brech'n! Aber da siecht ma ka Polizei, a na, da siecht ma kane!« Da erblickt er das Täfelchen mit der Inschrift. Er bückt sich und buchstabiert: Achtung Lawiene. A so is dös! A Lawine! Ja, wo denn – meiner Seel', da hängt s' owa, ja, da muaß ma ja den Bes'n wieder aufstell'n!« Dann begibt sich Herr Binagl in die Gassenmitte und schaut hinauf. Herr Weinlechner bleibt auch stehen und dann Frau Kriwanek, aus ihren Geschäften kommen der Tischler Hruschka, der Friseur Selenkovics, der Greisler Stallmoser und noch etliche. Es entwickelt sich von selbst eine Enquete.

»Serwas, wann dö owasaust, druckt s' an z'samm wia a Krot!«

»Schäd'l is hin, wann aufifallt!«

41 »Da sollt' man halt aus 'n Dachfenster aussa mit ana Stangen aussastier'n!«

»So lange Stangen gibt's gar net, wo is Bod'nfenster und wo is Dachrinna!«

»No ja, drob'n is jetzt warmer bei die Rauchfäng', da rutscht d'r Schnee owa und hängt dann am G'sims.«

»Dös san guat fünf Zentner, dö da owahängan!«

»Was Ihna net einfallt, fünf Zentner – dös san kane drei!«

»A freili, a nasser Schnee, mei Liaber, der is schwar!«

»I möcht' net Schäd'l hinhalt'n, wann obefallt!«

»Es is eh no schön von dera Hausmasterin, daß s' aufmerksam macht!«

»Dös schon, aber net mit an Bes'n und mit an Fetzerl Papier, wer kann denn dös von der Weit'n les'n? Und Tint'n hat s' aa ka urndliche, dö is ja schon ganz blaß und riacht nach Essig, i hab's zuvor g'les'n, i hab' Gott sei Dank no guate Aug'n, aber a jeder kann ja dö Lausschrift net les'n!«

»Also, wann glauben S', daß s' owafall'n wird?«

»Heut' nimmer, d' Sunn is bald weg, da ziagt 's wieder an, dö kann no a paar Täg so hänga.«

»Na, Schnee rutscht alle Tag' weiter vur, schau ich schon allerweil auffi, is heut' schon ganzes Stück weiter.«

»No, dös waß i, i geh' da net so bald mehr vorbei, d'r Teuf'l schlaft net. und auf amal is herunt', wann ma 's am wenigsten ahnt. I hab' was anders z' tuan, als mi von ana Lawine d'rschlag'n z' lass'n.«

»Ja, da hab'n S' recht, i geh' aa net mehr da her, 's Sprichwort sagt ja, wann a Ziag'lstan vom Dach fallt, fallt er auf a arme Witwe, wiss'n S', i bin schon seit 'n achtzehner Jahr Witwe, mein Mann war bei Siemens, da is er in an Strom einikumma, i bin nur froh, daß meine Kinder versorgt san. . . .«

»Lawine is net Zieg'lstein, da kennen S ganz ruhig spazieren geh'n in unsere Gass'n.«

»I hab' da nix z' suach'n, i wohn' ja eh net da, i geh' nur zu aner Freundin. . . .«

»So a Winter war aa schon lang' net da! I kann mi gar net erinnern, daß amal so g'schneibt hätt'!«

»Na hör'n S', wiss'n S' denn net, wia alle Jahr' im Winter die Mili is teurer wurd'n, weil d' Leut' vom Land net einakönna hab'n? Amal hat 's sogar im März no so g'schneibt, daß ka Eisenbahn g'fahr'n is.«

»Ja, aber früher war halt dös do ganz anders, aber jetzt is die ganze Welt aus d'r Schanier!«

Nach zwei Stunden zeigt sich etwas wie Ermüdung in den Reihen der Lawinenforscher, endlich bröckelt die Schar 42 allmählich ab, Wandler weichen mechanisch dem Besen aus, und um die Mittagstunde ist das Interesse für die Schneelast auf dem Dache des Sechserhauses erlahmt.

Herr Krennmasser kommt nach Hause, schnuppert schon im Hausflur mißmutig nach dem Kohlgeruch und öffnet die Tür grußlos mit der Frage: »Hast wenigstens a paar Debrecziner zu dem Diabskelch dazua g'sott'n?«

»Jessas na, was denn net no alles? Ma waß ja schon rein nimmer, was ma koch'n soll! I hab' a Stückl Schöpsernes kauft, dös wird do aa guat gnua sein!«

Brummend setzt sich der Mann zum Tisch.

»No, was sagst denn zu dem Bes'n draußt? I hab'n aussistell'n müass'n, d'r Wachter war da. . . .«

»Was für an Bes'n? I hab' kan Bes'n g'sehg'n!«

»No, bei der Mauer, weg'n dera Lawine am Dach, bist denn net vorbeiganga?«

»Dös schon, aber i hab' kan Bes'n g'sehg'n, i hab' nur g'sehg'n, daß auf d'r Mauer a Papierl pickt, aber i hab' net hing'schaut, da hat si wieder so a Lausbua an G'spaß g'macht, wahrscheinli ana von dö graupert'n Hruschkabuam. . . .«

»Jessas na, d'r Bes'n is net mehr da? Ah da muaß i aussi schau'n!«

Frau Krennmasser steht vor dem Haustor und ringt die Hände. Laut schallt ihr Jammerruf die Gasse entlang.

»Marrandjosef! Jetzt hab'n s' ma den Bes'n g'stohl'n! Fast neuch war er no! Was so a Bes'n jetzt kost! Von die paar Kranln Reinigungsgeld kann i ma kan mehr kauf'n! Sunst hab'n s' allerweil eahnare Glurr'n heraußt'n und nix kummt eahna aus, aber dös hat kana g'sehg'n, wia d'r Bes'n g'stohln'n is wurd'n! A ganz a neucher Bes'n! Aber d'r Wachmann soll ma jetzt nur kumma! Dem d'rzähl i was!«

Der Herr Wacheoberbeamte Georg Fischer römisch VII hat jetzt einen andern Rayon.

An der Mauer des Sechserhauses klebt in halber Manneshöhe die blasse Warnung: Achtung Lawine, ohne Punkt und Rufzeichen.

Die Lawine hängt heute nach der Berechnung des Friseurs Selenkovics schon um zehn Zentimeter tiefer herab. 43

 


 


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