Rudolf Stürzer
Lustige Geschichten aus dem Wiener Leben
Rudolf Stürzer

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Alles für die Katz!

»Die Katz is hin, da kann ma nix mehr mach'n – schad um's Schmalz!« sagte der Greisler Lehar, der lange auf dem Bauche vor einem Motorwagen der Straßenbahn gelegen und solcherart in den lichtarmen Raum der Schutzvorrichtung gelugt hatte.

Aber es gab Zweifler in der Menge. »Dös muaß i selber sehgn, bevur i's glaub', sagte ein Magerer, kniete sich bedachtsam auf die durch den Einfluß des warmen Greislerbauches schneefrei gewordene Pflasterstelle und vollbrachte ein anatomisches Wunder, indem er den Kopf senkrecht abwärts stellte und mit dem Gesichte zur Schutzvorrichtung drehte.

Ueber die Vorderwand des Wagens hing ein Mantel mir breitem Pelzkragen und eine schwarze Pelzmütze herab – das war der Wagenführer, der auf diese ganz unzureichende Art ebenfalls einen Einblick in die Sachlage gewinnen wollte.

Immer mehr Leute strömten herbei. Eine ganze lange Reihe von Straßenbahnwagen war auf beiden Geleisen aufgefahren und konnte nicht weiter. In den hintersten Reihen der Zuschauer, wo man nichts sehen konnte, lief die bange Frage um: »Was is denn gschehg'n?«

»A Kind is unterm Wag'n« – »Na, mir scheint a Dienstmadl is in der Schutzvorrichtung« – »Jessas, den Mann dort hab'ns 'n Kopf og'führt!« – »Aber na, der schaut ja nur hintri« – »Ja, was is denn eigentlich g'scheg'n?« Da sprach zunächst der Greisler Lehar: »Aber machts kane G'schicht'n, weg'n ana Katz – fahrts weita – schad ums Schmalz!«

»Um Gotteswillen ein Katzerl!« kreischt da eine helle Frauenstimme und eine Matrone mit Umhängetuch und Bindbandlhut wirft sich in die dichtgekeilte Menge und bohrt sich wie ein Torpedo durch.

Der Knieende hat sich erhoben und versucht zunächst durch zweckmäßige Wendungen seinen Kopf wieder in eine regelrechte Stellung zu seinem Rumpfe zu bringen. Dann spricht er ernst: »Sie wackelt no mit'n Schwaf!«

Eine Erleichterung geht durch die Massen. Der Wagenführer richtet sich auf und der Greisler gibt sich als feiner 19 Diplomat zu erkennen: »No also – wann's eh no mit'n Schwaf wack'ln kann, dann halts sie's a no aus bis zur Remis'n, durt fangt ma's leichta füri wia da.« Und der Wagenführer ergänzt: »Weg'n so an Krepirl den ganz'n Vakehr aufhalt'n, dös zahlt si aus.«

Aber da steht auch schon die Matrone mit dem Bindbandhute vor ihm.

»Sie roher Mensch Sie! – Hab'n denn Sie kein Herz nicht? – Gleich werd'n S' das Katzerl hervorgeb'n!«

»Dös tuan S' nur schön selber,« sagt der Wagenführer, und der Greisler setzt fort: »G'hört das Viecherl vielleicht gar Ihna? Dann hätt'n S' halt bessa acht geb'n soll'n auf ihna Dachhaserl.« – Aber die Matrone nimmt den Wagenführer aufs Korn: »Weil ihr aber auch allerweil so narrisch fahr'n müßt – gar net acht geb'n, auf kein Mensch'n und kein Viecherl – ihr müßt ja auch schau'n, wo 's hinfahrts!«

»Ja glaub'n S' denn, i bin dera Katz nachg'fahr'n? I hab eh g'läut wia net g'scheid, i hab eh glei bremst, daß die Passaschehr mit die Schäd'ln z'sammg'stöß'n san. . . .«

»Das ist alles eins, Sie werd'n jetzt das arme Katzerl hervorgeb'n – oder wenn Sie 's nicht tun, wird's der Herr Kondukteur tun.« – Der lügt unverschämt; »I hab a steif's Kreuz, i kann mi net buck'n.«

»Schad' um's Schmalz, mei liabe Frau, dös Katzerl macht kan Maunketzer mehr, dös is g'sund zamatschkert – der Herr da hat zwar no'n Schwaf wackl'n g'sehg'n, aba a Katz'nschwaf wacklt a no als a hiniga, dös waß a jeda.«

Mittlerweile haben sich mit unerhörter Anstrengung zwei Wächter der Sicherheit bis zum Schauplatze durchgekämpft und nun wird der Tatbestand nach gesetzlicher Norm und Vorschrift aufgenommen.

»Wer liegt da unter dem Wagen?« fragt der dienstältere Wachmann.

Mehrere zugleich: »A Katz!« – die Matrone: »A Katzerl, Herr Wachmann, ein kleines Katzerl.«

»Wie is 's denn da hineinkommen? – »Einig'rennt is« sagt der Wagenführer; aber die Matrone widerspricht: »Ist nicht wahr, Herr Wachmann, z'sammg'führt hat er's, mit Fleiß z'sammg'führt.« »Reden S' net so g'schwoll'n, i wir mit Fleiß a Katz z'sammführ'n! – Net gnua, daß ma auf d' Leut' aufpassen muaß, jetzt wer'n dö Viecher a schon blöd und gengan grad so tramhappert wia d' Leut' auf die Glas'n spazier'n oda rennan direkt in Wag'n eini. Gengan S' Herr Wachmann, mach'ns ma an Platz, daß i weita fahr'n kann – dös zahlt si aus!« Da protestiert die Menge: »A freilich – davonfahr'n! Dös gibt's net – zerscht muaß die Katz füra!«

20 »Ich bitt' Sie, Herr Wachmann, das Katzerl lebt noch, der Herr da hat's g'sehg'n, es ist vielleicht nur bewußtlos – ich bitt' Sie, heb'ns den Wag'n auf.« »Sind Sie ruhig und mischen Sie sich in keine Amtshandlung nicht,« sagt der Wachmann würdevoll und ordnet an: es werde die Feuerwehr avisiert und bis zu deren Eintreffen bleibe der Verkehr sistiert. Der Dienstjüngere windet sich wieder durch die Menge zurück und der Dienstältere notiert sich Nummer, Name, Konfession und Wohnort des Wagenführers und des Schaffners.

Der Greisler ergeht sich inzwischen in allgemein gehaltenen Darstellungen über den Fall: »Katz'n g'hörn in Keller oda auf'n Bod'n – auf d'r Straß'n hab'ns nix z'suach'n – da sangans kane Mäus – a urndliche Katz'nmuatta schaut auf ihre Viecha auf – da is glei g'scheida ma führt den Handwagerlbetrieb bei da Tramway ein und d'r Kondukteur geht voraus und jaugt die Hund und Katz'n weg, sunst daleb'n ma's no, daß in Wean ka Elektrische fahrt, weil auf'm Schott'nring oda auf d'r Bellaria a Katz oda a Hund grad vor d'r Tramway äußerln geht. . . .«

»Sind Sie ruhig und verlassen Sie den Platz,« sagt der Wachmann würdevoll und Herr Lehar verabschiedet sich sofort: »Habe die Ehre, empfehl' mich – Küß d' Hand, Frau von Katz'nnab'l.«

Man lacht, man schimpft, aber man harrt aus mit echt wienerischer, sieghafter Ausdauer.

Endlich ein langgezogener Hornruf: Die Feuerwehr kommt. Die Mannschaft preßt sich durch die Massen gewaltsam durch bis zum Motorwagen, flugs werden die Winden angesetzt und der Wagen hebt sich knarrend und ächzend. Ein Feuerwehrmann kriecht unter das Vorderteil, und nach längerem Verweilen bringt er etwas zum Vorschein, das sich nur durch den Schweif als zum Katzengeschlecht gehörend erweist. »Da hab'n ma dö Paschtet'n« sagt der Mann kalten Tones und hält mit beiden Händen dem Wachmann den Kadaver hin. Die alte Dame bricht in Wehklagen aus und verlangt die Arretierung des Motorführers. »Sind Sie ruhig und mischen Sie sich in keine Amtshandlung nicht,« sagt der Wachmann und blickt sinnend auf das Dargebotene. »Alsdann, was mach'n ma mit dem Katzengollasch,« fragt der Feuerwehrmann und der Wachmann disponiert: »Tragen Sie den Leichnam in den Hof von dem Haus dort, es wird gleich der Wasenmeister verständigt« – dann zum Publikum: »Ich bitt' Sie, meine Herrschaften, geh'ns jetzt auseinander, damit die Tramway fahr'n kann.«

Die Wirkung dieses Ausrufes äußert sich erst nach einer Viertelstunde als den Verkehr befreiend.

21 Der Feuerwehrmann hat die Katzenreste in einem Hofe niedergelegt und reibt sich mit Schnee die Hände ab, die er dann an seinen Hosen trocknet. Dabei hält er ein Selbstgespräch: »Vurgestern hab'n ma an Hund aus an Brunn' aussazog'n – gestern hab'n ma an Spatz'n aus die Telegraph'ndräht aussaklebelt – heut hab'n ma a tote Katz unta d'r Elektrisch'n fürag'fangt – sauba san ma g'stellt bei dera Feuerwehr!« »Ich bitt' Sie, wann kommt denn der Wasenmeister?« fragt ihn die alte Dame, und der Mann orakelt: »Wann a kummt, kummt a g'schwind.« Dann ging er.

Mittlerweile aber standen bei den Haltestellen die Leute scharenweise im eiskalt daherfegenden Winde und schimpften mächtig über den miserablen Verkehr.

In dem Hofe auf dem Hungelbrunner Grunde aber hielt die Matrone mit dem Umhängetuch und dem Bindbandlhute bei der toten Katze die Ehrenwache, bis der Wasenmeister – nach sieben Stunden kam. 22

 


 


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