Rudolf Stürzer
Lustige Geschichten aus dem Wiener Leben
Rudolf Stürzer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Notleine.

Ein junger Mann, dem Aussehen nach vielleicht der zweite Stürmer eines drittklassigen Fußballklubs aus dem äußersten Südwest Wiens, springt mit der Behendigkeit eines indischen Eichhorns auf eine schnellfahrende Straßenbahn, aber nicht dort, wo der Einsprung allgemein üblich, sondern auf der andern Seite, wo die Plattform durch ein Gitter abgeschlossen ist. Da klebt er nun in lässiger Sicherheit und sieht recht selbstbewußt drein. Der Schaffner ist auf der vorderen Plattform des bummvollen Beiwagens, und so hat der junge Mann die beste Aussicht, über ein erkleckliches Stück Weges seine Sohlen zu schonen und dennoch verhältnismäßig rasch vorwärts zu kommen.

Die regelmäßig eingestiegenen Fahrgäste bewahren dem außenseits Mitfahrenden gegenüber eine kühle Zurückhaltung, nur eine ängstliche Frau äußert Bedenken über die Zweckmäßigkeit einer derartigen Benützung eines städtischen Verkehrsmittels und über die damit verbundenen Möglichkeiten verschiedenen Geschehens. »Jessas na, dös is a Verwogenheit – wann er ausrutscht, is er hin oder wenigstens sein G'wand.« Einer wird zum Dolmetsch der Mehrheitsgefühle: »Is ka Schad um eahm, höchstens um's Pflaster, dös er dreckig macht.«

Der junge Mann tut, als führe er ganz allein, und zeigt eine Art stolzer Freude. Innenseits steht neben ihm ein älterer Herr, der schon von Anfang an in Unruhe geraten war und diese jetzt nicht mehr meistern kann.

»I bitt' Ihna, steig'n S' bei der nächst'n Haltstell' o, i kann dös net sehg'n!«

»Schau'n S' halt net her. . . .«

»Wo soll i denn hinschau'n, i siech ja nur Ihna, Sö werd'n schon no owifliag'n. . . .«

»I fliag net owi, hab'n S' ka Angst. . . .«

»Dös hab'n schon viele g'sagt, und dann san s' dag'leg'n wia a z'prackte Krot; dös is ja ka Fahrerei!«

Der junge Mann schweigt überlegen und späht nach dem Schaffner und nach einem Wachmann aus, dann kräuselt ein spöttisches Lächeln seinen Mund.

32 »Hör'n S' denn net? So steig'n S' do o, i siech Ihna schon no owisausn', i vertrag' solche Sach'n net, i hab schon a paar unter der Schutzvorrichtung g'sehg'n, und i hör' no allerweil die Bana grammeln, wia die Radl'n drübergangen san.«

»Bei mir werd'n S' nix grammeln hör'n, bei mir grammelt si nix.«

»Aber wann S' schon sehg'n, daß i mi aufreg', i kann da net zuaschau'n – is Ihna denn net lad um Ihnare g'rad'n Glieder?«

»Dena g'schiecht ja nix, i fahr' da ganz guat, i bin net so blöd und zahl' der Kommune no a Geld dafür, daß i mi in d' Elektrischen z'sammdruck'n lass'n muaß.«

»Da herinn' is no kana z'samm'druckt wurd'n, aber owag'fall'n san schon gnua – no sehg'n S', jetzt hat's Ihna g'rat'n bei dera Biegung, der Beiwag'n reißt ja allerweil, wann a ums Eck umigeht; steig'n S' jetzt endli o, i kann dös net mehr langer sehg'n. . . .«

»Aber tuan S' Ihna nix an; von mir aus kann dös Trücherl reiß'n, wia's will – dös geht Ihna gar nix an, wia i fahr' – lass'n S' mi in Ruah!«

»Nein, das werd' ich nicht – i sag's Ihna zum letzt'n Mal, steig'n S' o – sunst läut' i an!«

»Aber von mir aus läut'n S' an, i wir net d'rschreck'n!«

Der Herr langt nach dem Riemen des Läutwerkes und zerrt heftig daran. Alle rüsten sich zum Widerstand gegen den zu erwartenden Ruck des plötzlich gebremsten Wagens, aber der Zug rollt in unverminderter Schnelligkeit dahin. Der junge Mann sieht mitleidig auf den jetzt immer heftiger am Riemen Zerrenden – mit einem Male aber grätscht er sicheren Sprunges ab, denn nun erscheint sein schlimmster Feind, der Schaffner.

In diensteifriger Hast hat sich dieser durch die Menschenmassen im Innern des Wagens durchgewunden; seine Augen rollen wild.

»Wer reißt denn da allerweil an der Leine?«

»I hab' ang'läut, Herr Schaffner . . .«

»Ja, warum denn? Wissen S' denn nicht, daß Sie das nicht tun derf'n? Zum Anläut'n bin i da, sunst niemand!«

»Aber wann a Unglück g'schiecht, kann a jeder anläut'n. . . .«

»Na, dös gibt's net, i hab' Ihna schon g'sagt, zum Anläut'n bin i da, übrigens siech i nix von an Unglück.«

»Aber es hätt' ans g'schehg'n könna, wann i net ang'läut hätt'.«

»Ob ans g'schehg'n hätt könna oder net, dös hab i zu beurteil'n, sunst niemand!«

33 »Wia könnan Sö dös beurteil'n, wann S' vurn san oder im Wag'n drin?«

»Dann muaß ma's mir sag'n, aber anläut'n derf niemand, außer i!«

»I kann mi do net erscht da einidruck'n, daß i's Ihna sag, daweil is 's schon g'schehg'n!«

»Dös is allesans, wann was g'schiecht, bin i ganz allani verantwurtlich, Sö net und a anderer aa net, i lass' net an jed'n anläut'n. . . .«

»Und i läut' do an, wann i siech, daß was g'schehg'n kunnt!«

»Es is aber nix g'schehg'n, sunst müaßt i aa was sehg'n!«

»Jetzt sehg'n S' natürli nix mehr, der Pülcher is ja glei og'sprunga, wia i ang'läut hab', da drauß'n is er pickt – wann der Wag'n an Riß macht, fliagt er owi und kann sie d'rstöß'n. . . .«

»Jessas, wann ma weg'n an jed'n, der si anhängt, glei anläut'n tat, müaßt ma den Zug ja alle Damlang brems'n lass'n! Da kann erscht recht was g'schehg'n, die Fahrgäst saus'n mit die Schäd'ln in die Fenster eini oder treten si d' Füaß o, dann gibt's glei a Gschra und an Wirb'l, und dann, was glaub'n S' denn, was da für a Materialschad'n entsteh'n kann? Glaub'n S', dös tuat dena Rad'ln und Schienen guat, wann a Zug auf der Stell' bremst wird? Sö zahl'n dös aa net, also is dös ganz klar, daß nur der Schaffner anläut'n derf und net a jeder; der wird dann g'straft, weil da a Vurschrift da is – – mir Schaffner san ja net allani zum Einzwick'n da, mir hab'n ja aa a Verantwurtung – und wann a Pülcher oder Schwarzfahrer owisaust, is dös ka so a groß' Unglück net, da muaß ma schon z'erscht wart'n, bis er owifliagt, dann kann ma anläut'n, aber aa nur i und ka Fahrgast!«

»Also, erscht wann was g'schiecht, wird ang'läut? Na, Herr, so lang lass' i mir ka Zeit, dös möcht' i sehg'n, ob i da g'straft werd'n kann!«

»Ja, dös werd'n S' dann schon sehg'n – heut' hab'n S' halt a Glück g'habt, weil die Leine hin is. Sö sehg'n ja, i arbeit mit'n Pfeiferl.« 34

 


 


 << zurück weiter >>