Rudolf Stürzer
Die Lamplgasse
Rudolf Stürzer

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Die Hochzeit.

Durch die ganze Lamplgasse ging es: »Die Hammerer heirat ihrn Krowotn!«

Der Laden wurde nicht leer, alles drängte hinein, jedes wollte die zwei Brautleute noch im »ledigen« Zustand sehen.

Bis in die Kohlenhandlung des Ignaz Janitschek – der Herr Franz hatte der Firma den alten Namen gelassen – ebbte die Aufregung aus.

»Der Juri setzt si da ins warme Nest – – daß die Blade aa no d'r Habern sticht, hätt i net glaubt, die hat ja schon bald ihrn Vierzga am Buckl – aber blöd is er net, der Janko, 's is was da zum Anhaltn . . .«, so nahm der Franz die Kunde auf.

Schier die ganze Lamplgasse war in Festesstimmung.

Eines Tages zog ein Junge im blauen Kittel, mit einem breitrandigen Hute auf dem vollgelockten Haupte, einen Handwagen vor den Greislerladen, beladen mit einer Leiter und einem langen Brette, ihm folgte gemessenen Schrittes ein Mann mit einem Papiersacke auf dem Kopfe und angetan mit einem langen, ehemals weißen Leinenkittel, der jetzt 88 in der Pracht unzähliger Farbenflecke prunkte. Umständlich ward die Leiter an die Mauer gelehnt, dann stieg der Mann im Kittel hinauf und hob nach vielem Rücken und Rütteln das alte Schild aus den Haken. Darauf stand auf stark verblaßtem hellgrünen Hintergrunde in dauerhaft schwarzen Buchstaben: Gemischtwarenhandlung von Josef Hammerers Wtwe.«

Nun wurden neue Haken in die alte dicke Mauer geschlagen und kunstvoll vergipst.

Herr Janko und Frau Hammerer standen auf den Stufen vor dem Laden und sahen in stillem Behagen der Schilderhöhung zu, umgeben von einem dichten Kreise Neugieriger aller Lebensalter. Ganz feierlich war es, als der Junge mit dem breitrandigen Hute dem Meister auf der Leiter das lange Brett hinaufreichte, der es dann mit geschickten Händen in den eisernen Stützen verankerte. Da war nun auf sanftem Lilagrunde in dicken Buchstaben zu lesen: Viktualien- und Consum-Halle des J. Simonics – und die großen Anfangsbuchstaben waren in flirrendem Hellrot gemalt.

Ein staunendes »Ah!« ging durch die Runde.

»Sehr schön, ganz modern, beinah wia-r-a Sezession . . .«


Der große Tag brach an.

Das Brautpaar stand im Laden und bediente die heute ganz besonders zahlreich vorsprechenden Kunden, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag.

»Nau, wie is Ihna denn, Frau Hammerer, gar net a bisserl aufgregt?«

»Jessas, i kunnt an an solchn Tag ka Wurst aufschneidn oder Semmlbrösl auswägn . . .«

89 »Aber Frau Böhm, wir habn ja noch Zeit, die Trauung is ja erst um viere, 's Zimmer habn ma ja no gestern auf d' Nacht ausgramt, i hab alles fix und firti, i brauch nur einiz'schliafn – – Was kriegst denn, Fannerl? an Waschl? Geh, Janko, gib an Waschl owa! – – Zehn Deka Schmalz für die Fräuln Rosa, no, wo is denn da jetzt wieda das Zehndekagwicht? Janko, hast es Du dort? . . .«

Herr Simonics schaltete würdig und eifrig als künftiger Greisler, fing mit halbem Auge die lüsternen Blicke der jüngeren Dienstmädchen auf und war ganz Zucht und Ehrbarkeit.

Auch die Frau Direktor kam auf einen »Sprung«. Sie girrte: »Gott, ich bin schon so neugierig auf Ihr Brautkleid, Frau Simonics, wo haben Sie es denn machn lassn? bei der Grünzweig? Ja, die arbeitet recht schön, hab ich gehört – gar nichts wolln Sie verratn, wie 's ausschaut, Frau Simonics?«

»Nein, gar nix wird verratn, net a Bröserl, aber schön is, wunderschön . . .« und die Braut lächelte im Entzücken vorgefühlter Wonnen.

Kurz vor ein Uhr kam die Blumenmacherin atemlos mit dem Brautstrauß angeeilt: »Beinah hätt i kane Teerosn kriagt, Herr Janko! Was i umgrennt bin – aber i glaub, das Bukeh is prachtvoll, net wahr?«

»No jo, is ganz schön, no bißl größer hätt 's sein können – no, macht nix, murgn is eh hin . . .«

Dann kam ein weibliches Wesen mit schiefstehender Spitznase und blusterndem Kunstkraushaar, das war die Haarkünstlerin. Ihr folgte bald scheu und wuselig eine andere, die sich fortwährend die Hände rieb und die Mundwinkeln 90 in einem erstarrten, ewig-freundlichen Lächeln in den Wangen stecken hatte, das war die erste Schneiderin vom »Maison Grünzweig«.

Rasselnd senkte sich der geräuschlose Rollbalken vor die ehemals Hammerersche Greislerei.


Zuerst kam ein offener Unnumerierter scharf vorgefahren und ihm entstieg ein Herr mit sehr rotem Gesichte, hochaufgedrehtem langen Schnurrbart, auf dem stark pomadisierten Haupte einen schier übernatürlich funkelnden Zylinder, angetan mit kurzschössigem Reitfrack, eine fast turmuhrgroße Chrysantheme im Knopfloche, weißer Weste und drapfarbener, prallsitzender, langer Reithose. Mißmutig stand er vor dem verschlossenen Laden, dann sprach er etwas zum Kutscher, der sich nun seitwärts vom Bocke neigte und mit dem Peitschenstiele ein paarmal kurz über die Rillen des Rollbalkens strich. Bald darauf wurde dieser vorsichtig halbhoch geschoben und unten hervor lugte ein blendendes Hemd, dann ein schwarzer Schnurrbart und gleich ertönte ein freudiger Gruß: »Isten áldjon meg, Jószi, bist Du? Kumm eini!« Der Begrüßte holte aus dem Wagen einen mächtigen, in Rosaseidenpapier gehüllten Blumenstrauß, schlüpfte in den Greislerladen und der Rollbalken senkte sich wieder.

91 Eine halbe Stunde später klapperte ein Einspänner von der andern Seite her durch die Lamplgasse vor die nunmehrige »Konsumhalle« des J. Simonics. Ein Herr stieg aus, im langen, hie und da in der Sonne grünlich schimmernden Gehrocke, mit steifem Graubart und goldenen Brillen, einen stumpfhaarigen Zylinder auf der blanken Glatze, schier anzusehen wie ein stiller deutscher Sanskritforscher, in Wirklichkeit aber der Herr Schuldiener Matthias Scheibenpflug, der Onkel der Frau Hammerer und ihr Beistand. Er stand ratlos vor dem Rollbalken, der Einspänner war weggefahren und der Unnumerierte kühlte die Pferde aus, neben denen der Baumerl in freudiger Erregung dahinschritt. Endlich wurde der Rollbalken hinaufgeschoben, es kam zuerst die Haarkünstlerin, dann die erste Schneiderin vom »Maison Grünzweig« heraus, der Schuldiener steckte den Kopf in den Laden und ein freudiges: »Jessas, Herr Onkel, i hab schon glaubt, Sie habn vagessn!« empfing den späten Gast.

Jetzt wurde es lebendig vor dem Greislerladen. Kinder und Erwachsene harrten in folternder Spannung auf den Austritt des Brautpaares samt Gefolge. Drei Fiaker kamen 92 noch angefahren und der Baumerl wußte nicht ein und aus vor diensteifriger Geschäftigkeit.

Noch ein kurzes Harren – dann wurde der Rollbalken mit einem kräftigen Ruck emporgezogen. In die lautlose Stille trat zuerst Herr Simonics mit dem Onkel. Der Syrmier starrte förmlich in Schwarz und nur das blendende Hemd im Frackausschnitt und die dunkle Rose im Knopfloch milderten einigermaßen das Düstere des Bildes. Dann kam der Herr mit der Chrysantheme und ihm auf dem Fuße folgte eine Erscheinung, bei deren Anblick alles, was da herumstand, in lähmendem Erstaunen glotzte.

Es kam – ein silbergraues Seidenkleid, modisch weit, die Taille des Busens Überfülle in feste, hochstrebende Formen pressend, an der Zäsur ein duftig wallendes Jabot, der kurze Hals von einer reich garnierten Spitzenrüsche eng umschlossen, daran ein handtellergroßes Goldmedaillon mit haselnußgroßem 93 Blaustein in der Mitte, halblange Ärmel mit hängenden, gereihten Spitzen, lange weiße Zwirnhandschuhe, in der Linken den mächtigen Strauß, in der Rechten das tränensaugende Battisttüchlein, das Haar in weichen Wellen aufgesteckt und darüber ein breiter, seitwärts aufgebogener gelber Florentiner mit weißer Straußfeder – – – die Braut!

Vornehm, aber doch nicht stolz, sah die umfangreiche Lichtgestalt von den Ladenstufen herab auf die verblüfften Massen, dann hub aber ein Zischeln und Raunen an, das immer lauter wurde und an der Beglückten Ohr drangen schmeichlerische Worte:

»Sehr schön, sehr schön, net zum kenna – a fesche Frau – das schöne Kleid . . .«

Zwischen hinein aber erklang nun Herrn Jankos Anruf: »Braut fahrt am letzten Wagn, i fahr am erstn – bitt schön, einsteign in Wagn, was da san!« Dann zog er den Rollbalken wieder herunter, sperrte ihn sorgfältig ab und bestieg mit dem Onkel den ersten Wagen.

Die anderen fuhren der Reihe nach vor und mit der herben Ritterlichkeit eines echten Pußtasohnes half der Reitersmann der bereits schwer atmenden Braut in den Unnumerierten.


Zurück kamen zuerst im Unnumerierten Herr und Frau Simonics, ihnen folgten im Zweisitzer der Reiter und der Schuldiener.

Während Herr Simonics den Rollbalken wieder in die Höhe zog, empfing die Gattin auf den Stufen die Glückwünsche des Gefolges. Sie dankte jedem mit leutseliger 94 Würde und prunkte so noch eine Weile in ihrem schimmernden Silbergrauen. Dann mahnte sie noch vor dem Rückzug in den Laden: »Also bitt schön, um halb siebn, nicht vergessn, a kleine Erfrischung und a bisserl tanzn werdn ma auch – na ja, alle Tag is ja net Hochzeit – also bitt schön, um halb siebn.« – – –

Pünktlich zur Minute trafen die Gäste ein. Die Neuvermählten hatten es sich »kommod« gemacht, nur der Reitersmann und der Schuldiener waren noch im Staat.

Das Wohnzimmer war, so gut es ging, ausgeräumt, das Bett war verschwunden, dafür andere Möbel an die Wand verteilt und in der Mitte stand der Tisch mit rotweiß gewürfelter Decke, darauf der eine Blumenstrauß in einer blauen, der andere in einer regenbogenfarbenen Vase, zwischen beiden ein großer Teller mit dem Aufschnitte sämtlicher im Kleinhandel gangbaren Würste, abseits ein großes Stück Schweizerkäse, einige Brotlaibe, unterschiedliche Gedecke und auf jedem Teller eine Kaisersemmel. In einer Ecke steckten in einem Wasserschaffe zwischen kleinen Eisstücken zahllose Bierflaschen und vom Bord eines Hängekastens gleißte der Zuckerrand einer Riesentorte.

Alles, was zum nächsten Kreise gehörte, und auch ein paar Fernerstehende waren da, selbst der Herr Franz war noch gekommen, sagte sein Glückwunschsprüchlein, ward herzlich aufgenommen und nicht mehr weggelassen.

Auf dem zugeklappten Waschkasten saß mit hängenden Beinen der Ibsen und präludierte leise auf seiner Ziehharmonika. Noch war seine Stunde nicht gekommen.

Der Reitersmann saß vorerst noch ziemlich steif und unbehaglich da – ihn hatte Herr Simonics als seinen besten 95 Freund Józsi Kovacs, Stallmeister beim Schwarzenberg, vorgestellt, und von nun an war die Frau Direktor nicht mehr von seiner Seite gewichen. Der Onkel war noch schweigsamer und vertilgte ganze Ladungen Wurstzeug.

Trinksprüche wurden nicht gehalten, dafür aber deklamierte die Frau Direktor urplötzlich mit hochroten Wangen und tremolierender Stimme: »Denn wo das Strenge mit dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten, da gibt es einen guten Klang« – und das ganze Stück aus der »Glocke« bis zum »ruhet nimmer«.

Der Schuldiener aß ruhig weiter, der Stallmeister sah ins Leere, die Neuvermählten hielten sich bei den Händen, die junge Gattin sah gerührt vor sich hin, der Gatte aber hing an dem Munde der Sprecherin, unverhohlene Bewunderung im dunklen Blick. Frau Wotruba meisterte nur schlecht ein unangenehmes Staunen, die Blumenmacherin wagte kaum zu atmen und auch der andere Kreis stand ganz im Banne der wunderschönen Worte, die, falsch betont, den Zusammenhang verloren und unverstanden an ungeübten Ohren vorüberklangen. Nur die Trafikantin war ganz Seligkeit und nickte der Sprecherin von Zeit zu Zeit lebhaft aufmunternd zu. Gewaltiger Beifall lohnte den Vortrag. Frau Simonics beteuerte, daß sie hocherfreut sei und ewig dankbar, denn »das war das Schönste vom ganzen Tag«, erklärte sie.

»So, jetzt kummt Turtn!« sagte Herr Simonics und langte sie vom Kasten herab. »Für Damen is sießer Wein da, für Herrn grebelte Pfaffstättn

Immer ungebundener wurde die Stimmung, der Ibsen spielte einen Walzer und der Tisch wurde zur Seite geschoben.

96 Die Neuvermählten eröffneten den Reigen, aber der Greislerin ging allzubald die Luft aus. Dann schwebte Herr Kovacs mit der Frau Direktor durch den kargen Raum, Herr Simonics nahm zunächst Frau Klempa vor, dann das kleine Fräulein Tini, zu welchem Zwecke er fast in die tiefe Kniebeuge gehen mußte. Der Onkel drehte sich mit Frau Wotruba einige Male auf einem Fleck herum und machte sich dann gleich wieder über den Schweizerkäse her. Schließlich tanzte auch noch der Herr Franz mit der Frau Direktor nach links und als der letzte Tropfen des gerebelten Pfaffstättners ausgesogen war, schlug die Abschiedsstunde.

»Wunderschön war's!«

»Großartig!«

»Wir habn uns köstlich unterhalten!«

»Wain wor ausgezaichnet!«

»So a schöne Hochzeit war schon lang net da!«

97 »Also, schlafn S' jetzt recht guat, Frau Hammerer – Jessas, dös derf ma ja jetzt nimmer sagn – also Frau Simonics!«

»Alles Gute und Schöne zum Ehrntag!«

»Guate Nacht! – Gute Nacht!«

»Kumman S' guat z'haus, Herr Onkel, und schönen Dank!«

Der Schuldiener kaute noch immer und winkte nur mit der Hand.

»Barátom, kommen bitte in Kaveház!« warb der Ungar und in die Abschiedsgrüße hinein rasselte der Rollbalken der neuen Firma J. Simonics.

 


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