Rudolf Stürzer
Die Lamplgasse
Rudolf Stürzer

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Die Leich.

»Der Janitschek is g'sturbn!«

Kraft jenes geheimnisvollen Waltens eines unergründlichen Mitteilungsgesetzes erfuhren sämtliche Bewohner der Lamplgasse die Nachricht von dem Tode des Inhabers der Holz- und Kohlenhandlung fast zu gleicher Zeit. Nur die stocktaube Trafikantin »hörte« sie um etwa zehn Minuten später.

»Gott tröst ihn! I hab 'n schon seit fünf Jahr net gsehgn. War a recht a guata Mann – – hat früher immer Portorikerln graucht und am Sunntag zwa Kuba – – ja, ja, aber z'letzt hat schon ka Mensch mehr gwußt, daß 'r no lebt – – Gott hab 'n selig!« Das war der Nachruf der Trafikantin für den leidvollen Dulder.

Frau Wotruba sagte: »No, jetzt hat er 's überstandn – hat lang gnua umzahrt, hat si ausgstanden gnua – hat 'n unser Herrgott also do d'rlöst – – es war eh scho lang ka Leich in der Lamplgassn – i muaß ma glei mei schwarz Klad herrichtn . . .«

»Arme Kedl!« seufzte Herr Wotruba, aber dabei glitt ein Freudenschimmer über seine breiten Züge, denn wie ein Blitzstrahl stand vor seinem geistigen Auge der solchermaßen in Aussicht stehende freie Nachmittag.

62 Die Blumenmacherische triumphierte: »I hab a Nasn ghabt! Grad gestern hab i mir no a Partie Rosn eingschafft – – no, das kann a ganz a schöne Leich werdn.«

Frau Hammerer philosophierte: »Ja, ja, was is d'r Mensch? A Garnix! I waß, was Sterbn haßt – i hab was mitgmacht mit mein Selign! Ja, ja, so is das Lebn: den an trifft 's früher, den andern später, aber gehn muaß a jeder, kana bleibt übri!«

Herr Janko muckte auf: »No, wann anar is fünf Johr kronk, konn er schon amol sterbn – was hat er varlurn auf Welt?«

»Das is wohl wahr«, seufzte das Fräulein Tini mit feuchten Augen, die Frau Direktorin aber bog den Oberkörper, markierte Trauerweide, sah mit ihren großen blaßblauen Augen von unten schief nach oben und flüsterte schaurig-tonlos: »Nun zog er in ein Land, von wo in den Bezirk kein Wandrer wiederkehrt . . .«

Im Herzen des Syrmiers bohrte ein Wurm. Die Pepi vom Achterhaus, gestern noch recht zutunlich und einen würzigen Spaß verstehend, war heute ganz Zurückhaltung und Abweisung; es kam bei ihr schier unverhohlen das Bewußtsein einer persönlichen Wertsteigerung zum Ausdruck. Frau Wotruba fuhr in Herrn Jankos Gedankengang mit der Schicksalsfrage: »Ob er ihm das Gschäft vermacht hat? I bin wirkli neugiri – – no, dann wird 's ihm a paar Viertln mehr tragn und da Heurige wird 's gnöti habn

»I hab schon allaweil so was ghört, als wann d'r Herr Franz das Gschäfterl kriegn tät nach 'm Tod vom Herrn Janitschek«, bestätigte Frau Hammerer. »No, wär in gute Händ, is a recht a arbeitsamer Mensch, d'r Herr Franz 63 – – no und wegn dem Biberln is net so arg, a bisserl a Vagnügn muaß d'r Mensch habn – – er braucht jetzt nur no a brave Frau . . .«

Da ging der Frau Wotruba ein Licht auf: »I waß ane, dö schon allaweil gern Kohlnhandlerin gwesn war, nur hat 's ihr schon a bisserl z' lang dauert.«

»I waß, wem Sie mana, Frau Wotruba,« – Frau Hammerer lächelte schelmisch verschmitzt – »i kenn s' aa die Fräuln, i bin ja aa net blind, i hab mir mein Teil schon lang denkt – die schlampertn Augn von ihr san ma glei aufgfalln . . .«

»Der Kuchltrampl will aa a Gschäftsfrau werdn – i lachat, wenn er s' sitzn liaßat.«

»Na, das glaub i net, jetzt wird 's bald ernst mit 'n Herrn Franz und der Fräuln Pepi . . .«

Verdächtig rasch fiel Herr Janko ein: »Tragt eh schon Nasn am Höh«, und Frau Hammerers Züge verrieten eine gewisse Genugtuung.

Fräulein Tinis Augen flimmerten: »Ja, die macht jetzt ihr Glück – – verheirat't sein ist schon was Schönes . . .«

Die Frau Direktorin blieb bis zum Schluß elegisch: »Mir fallt da immer die Maria Stuart ein . . .«


Am nächsten Tage kamen vier »Pompfineberer«, schlugen Tor und Einfahrt des Zehnerhauses mit schwarzem Tuche aus, dann gingen drei, der Vierte blieb, holte aus einer Schachtel einen stattlichen Zweispitz, wickelte aus einer schwarzen Wachsleinwand einen langen Stab mit großem Silberknauf, stülpte den Zweispitz aufs langbärtige Haupt, 64 nahm den Stab in die schwarzbehandschuhte Rechte und stellte sich mitten in den düsteren Torflur des Trauerhauses. Eine stille Wehmut strahlte von ihm aus, sein Blick schweifte mild-ernst gasseauf und -ab und der etwas schüttere lange Bart zitterte zuweilen, als ob sein Träger eine aufsteigende innere Erregung gewaltsam niederkämpfen wolle.

Die Kinder standen im weiten Halbkreis scheu und ehrlich bewundernd vor dem »Todenwachta« und besonders der Ibsen konnte sich an dessen dunkler Pracht und Würde nicht sattsehen. Als die anderen sich schon lange verlaufen hatten, stand der Dolfi noch immer da und wandte kein Auge von dem schwarzen Torwart. Da trat dieser ein paar Schritte in den Torflur zurück, richtete den Blick scharf auf den Ibsen und winkte ihm mit dem Haupte. »Da, Burscherl, da hast a Krone, bring m'r an halbn Lita Altn und stell' na da her.«

Der Ibsen lief, der Ibsen kam, der Trauertorwart neigte die eine Spitze seines Hutes nach dem Torwinkel und als der Junge hochbeglückt ob des ehrenvollen Auftrages den 65 dankbaren Blick zu ihm erhob, sprach der Mann: »Das Sechserl, was D' eingsetzt hast fürs Glasl, ghört Dir, wannst-as wieda zrucktragst.« Und der Ibsen harrte aus, mußte aber den Gang noch dreimal machen, bis ihm endlich der Lohn verblieb. Bis zum vierten halben Liter aber steigerte sich die Wehmut des Wächters um etliche Grade, ein feuchter Schimmer trat in seine Augen und der schüttere Bart zitterte fast unaufhörlich.

Die taube Trafikantin war darob ganz gerührt. »Sogar den Menschen greift 's an und der is do was gwöhnt, ja, d'r guate Janitschek, schad um den Mann – – dös gfreut mi, daß der Pompfineberer aa a Gfühl hat – geh her da, Radlinger, gib eahm dö Kuba.«

Hie und da blieben Leute stehen und fragten: »Wann is denn d' Leich?« da hob der Wächter die schwarze Linke wie ein Verkünder: »Morgn um drei vom Trauerhaus.«

Auch die Blumenmacherische kam: »Ja, ja, schnell hat er 's auf amal gmacht, der Herr Janitschek.« Der Torwart senkte ein wenig das Haupt: »Das Sterbn geht allerweil gschwind.« Darauf sie: »Er hat kan Feind ghabt, er war a recht a guata Mensch.« »Zweite Klass' kriagta«, murmelte der Schwarze. »Zweite Klass'! ja, das hat er verdient! Also an Blumenwagn – – san schon viele Kränz kommen?« Der Schwarze hob die Linke und senkte sie langsam; das drückte sozusagen ein unbestimmtes Zahlwort aus. Die Blumenmacherische tat sehr befriedigt, dann wurde sie vertraulich: »Wissen S', wenn wer zufällig fragn sollte, wo ma da an Kranz kaufn kann in der Näh – dort weiter vorn hab i mei Gschäft – ich werd mich schon erkenntlich zeign . . .«

66 Um Herrn Janitschek aber trauerte keine liebende Seele, die ihm ein Blumenopfer hätte bringen wollen. Das wurde denn auch im Greislerladen eingehend besprochen. Da berichtete die Blumenmacherin: »Bis jetzt hat nur der Herr Franz an Kranz bestellt – a anziga is bis jetzt einitragn wurdn und der war vom Veteranenverein – – der Portier aber hat tan, als wann schon a paar hundert kumma warn.«

»I bitt Ihna, der alte Saufbruada, der waß gwiß, was er siecht, der hat ja sein Steckn nur, daß er net umfallt«, urteilte Frau Wotruba und Frau Hammerer entrüstete sich: »Da tuat der bsoffene Lackl, als wann eahm sei Vatter gstorbn wär, hat die Augn volla Wasser und daweil rinnt eahm nur d'r Marker außa und d'r Schnackerl stößt 'n, daß ma glaubt, es reißt eahm d'r Bart o . . .«

Die Blumenmacherin wurde abberufen, kam aber bald darauf wieder in heller Aufregung zurück. »Denken S' Ihna, wer jetzt an Kranz bei mir bstellt hat! Um zehn Guldn an, mit schwarze Schleifn und Golddruck ›Ruhe sanft‹ – – dös daratn S' gar net – – – – die Fräuln Pepi!«

Ein paar Hände wurden zusammengeschlagen, dann brach zuerst Frau Wotruba das staunende Schweigen: »No also, wann er das net kapiert, wann er da net anbeißt, dann is nix mit der Kohlnhandlung – a bisserl aufdringlich is das, dös muaß i schon sagn! Was geht den Trampl der Janitschek an?«

Frau Hammerer war duldsamer: »No, für a Kohlngschäft spendierat manche an schön Kranz – passn S' auf, der Herr Franz war die längste Zeit ledi!« Da jubelte die Blumenmacherische: »Das wär gscheit, da gebats ja bald a 67 schöne Hochzeit!« und die Frau Direktor seufzte: »Neues Leben blüht aus den Ruinen.« Der Herr Janko aber murrte: »Ghört schon ihm, dolketes Mensch.«

Da ward Frau Hammerer von einer weichen Stimmung ergriffen: »Eigentli is a Schand für die ganze Lamplgassn, daß an alter Gschäftsmann stirbt und kriagt nur a paar Kränz – wissn S' was, Frau Klempa, i bestell aa an, i hab no die Bänder von mein Seligen sein Kranz, dö könnan S' dazua verwenden, a fünf Guldn gib i aus für den Kranz . . .«

»Und mei Hausfrau muaß aa an bestelln!« ereiferte sich Frau Wotruba – »Die Hausbesitzer müssn den Kollegn ehrn . . .«

Frau Hammerer spann den Gedanken sofort aus: »Da wär 's gar net schlecht, wann da wer zum Barteten gingat und mit ihm redat . . .«

»No natürli, da soll nur glei wer aussigehn, so lang er z'haus is – – aber wer geht denn?«

Herr Simonics schlug vor: »Das is an Sochn für Frau Drektarin, den kann am bestn redn mit so reichn Monn.«

Allseitige Zustimmung, die Frau Direktorin erschrak und errötete, wollte sich zieren und spreizen, aber da sprang auch schon ihre kleine Freundin an ihr hinan und die Augen brannten ihr förmlich wie zwei Fackeln: »Freilich, Helen, wir zwei gehn hin! Du ziehst das Schwarzseidene an und ich das ausgeschnittene Dunkelblaue!«

Und sie gingen wirklich hin, mit hochklopfenden Herzen, wurden empfangen, mit Staunen angehört, und als Herr Kretschmann endlich aus dem Gestammel der Langen klug geworden, wollte er schon unwillig ablehnen, aber da fiel 68 sein umschattetes Auge auf die üppige Kleine und koste ihre runden Formen. Dann sprach er wie ein großer Herr: »Das ist ja sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie auch an mich gedacht haben, selbstverständlich bin ich gern dabei, ich bitte Sie also, bestellen Sie auf meine Kosten einen schönen großen Palmenkranz mit roten Rosen und gelben Schleifen – das sind nämlich meine Farben – und darauf lassen Sie drucken: ›Als letzter Abschied‹ und meinen Namen Franz von Sales Kretschmann – nicht wahr? und die Rechnung wird das Fräulein so liebenswürdig sein und mir heraufbringen, gnädige Frau sollen sich nicht mehr bemühen – – meine Hochachtung meine Damen . . .« und beim Händedruck ging es dem Fräulein Tini wie ein elektrischer Schlag durch den molligen Körper.

Die Frau Radlinger ließ auch einen Kranz machen, ebenso auch einige Geschäftsleute, die sich sagten: »Von der Greislerin lassn m'r uns net owidrahn, was dö kann, könna mir aa.« Frau Klempa mußte eine Gehilfin aufnehmen und arbeitete die ganze Nacht an den Bestellungen.


Heller Sonnenschein leuchtete in der Lamplgasse; der Baumerl hatte sie noch nie so schön wie heute gekehrt.

Mitten in dem Sonnenglast war das Zehnerhaus ein düsterer Fleck. Der schwarze Torwart war noch ernster, sein Bart zitterte ohne Unterbrechung, es gab jetzt keine Stärkung mehr, denn die Blumenmacherische und die Gehilfin kamen ab und zu in rascher Folge mit den duftenden letzten Grüßen der Lamplgasse. Vor dem Haustore stand ein dichter Kinderschwarm und der Torwart hatte seine liebe Mühe, den Vielen, 69 die den Herrn Janitschek noch zum letzten Male sehen wollten, den Weg zu bahnen. Mit der Aufbahrung war die Frau Wotruba sehr zufrieden: »Sehr schön is 's hergricht, die vielen Kirzn und der schöne Sarg und drinn liegt er, als wann er schlafn tät – – also, Frau Hammerer, bet ma für sei arme Seel a paar Vaterunser . . .«

Dann fuhr der vierspännige Leichenwagen mit der Ritterzier in die Lamplgasse, hintendrein der Blumenwagen und der Baumerl war sofort bei den Pferden mit den nickenden schwarzen Federbüschen. Der Reiter vom Blumenwagen saß ab und fragte: »Sö, Herr Nachbar, was is 's, glaubn S', is das Bier schon frisch da vurn in dem Beisl am Eck?« Der Baumerl nickte bloß und hielt auch schon das Handpferd am Zügel.

Dann zogen die »Totenvögel« auf, die Leute von der Leichenbestattungsunternehmung, die einst den schaurigen Titel »Entreprise des pompes funèbres« führte und damit im biederen Volke ganz unheimliche Vorstellungen erweckte, bis dieses selbstherrlich sich den Begriff »Pompfineberer« schuf und der traurigen Sache damit eine anheimelnde Lokalfarbe gab.

Der Torwart packte Zweispitz und Stab ein, setzte eine schwarze Kappe auf und begab sich eilig ins Wirtshaus.

Die ganze Lamplgasse war ausgefüllt mit Zuschauern, Kindern und Teilnehmern, diese im Sonntags- und Trauerstaat.

Auf einmal gröhlte der Menzel: »D' Veterana kumma!«

Gedämpfter Trommelklang, wehende Federbüsche, Goldschnüre, zuerst die Musik, hinter ihr Herr Bimstengel, der Kommandant, umfangreich, ganz Würde, den Blick starr 70 voraus ins Wesenlose. Ihm folgte sein Fähnlein dicht zuhauf; durch das Biegen um die Ecke war es förmlich zum Knäuel geballt. Trotz Trommelklang ohne Schritt, wälzte es sich daher und fruchtlos war das Bemühen einiger Ehrgeiziger, die von Zeit zu Zeit in verschiedenem Rhythmus halblaut vor sich hinzischten: »Eins – zwei, eins – zwei.«

Auf dem Gehweg der anderen Seite schwenkte die Musik vor dem Zehnerhause auf, die alten Krieger schoben und zwängten sich in eine lange Doppelreihe, in der Gassenmitte stand Herr Bimstengel, mit strengem Feldherrnblick und stillem Mißvergnügen die Entwicklung seiner Heerschar musternd.

Auf einmal aber schrie er mit einer unglaublich hohen Fistelstimme: »Hab eich!« Ein Zittern und Rappeln ging durch die lange Doppelreihe vor ihm. Gleich darauf schrillte Herr Bimstengel: »Reeechts rick eich!« und mit Trippeln und Trappeln strebte die Kohorte aus Mäandern und Spitzwinkeln heraus in eine annähernd gerade Linie. Als die erste Reihe nur noch eine sanfte Wellenlinie zeigte, gellte der Kommandant wieder »Hab eich!« und gleich darauf ein messerscharfes »Rutt!«, worauf die Wellenlinie sofort starke Aus- und Einbuchtungen erlitt.

Dann traten einige würdige Graubärte aus der Reihe, unter ihnen einer mit schwarz-gelber Schärpe – sie wendeten sich nach links und marschierten in das »Beisl vurn am Eck«.

»Jetzt holn s' 'n Fahn«, erklärte der Papp-Schani seiner halbwüchsigen Umgebung. In dem Gasthause war die Zahlstelle des Veteranenvereins und dort stand auch seine Fahne in Verwahrung. Diese trug nun der Veteran mit der schwarz-gelben Schärpe inmitten seiner Begleiter. Herr Bimstengl schmetterte wieder ein »Hab eich!« und dann »Zuung rex 71 schan!«, die Doppelreihe rappelte sich zusammen und die Mehrzahl der Köpfe mit den schillernden Hahnenfedern wandte sich der Fahne zu, der Tambour schlug auf der schwarzverhängten Trommel ein paar Takte und dann klang Haydns unvergleichlich schöner Hymnus durch die Lamplgasse, aber nur bis »unser Land« – das war der Fahnengruß.

Nun wurde der Sarg herabgebracht, auf die Bahre im Torflur gestellt, das Bahrtuch darübergebreitet, Kreuz und Evangelium aufgeschnallt und in die Mitte ein Veteranenhut und zwei weiße Handschuhe gelegt. Von fernher Glockengeläute und bald darauf bogen um die Ecke ein barhäuptiger Knabe im weißen Chorhemd mit einem Stangenkreuz, drei Priester im Ornat und der Meßner mit Weihrauchfaß, Weihwedel und Aschenkästchen. Herr Bimstengl schrie wieder »Hab eich!« – und was nicht Veteran war, entblößte das Haupt; die Frauen neigten sich demutsvoll und durch die Stille scholl dreistimmig das Latein der Einsegnung.

72 Dann traten sechs Veteranen an den Sarg heran, bückten sich, der eine rechts vorn zählte »eins – zwei«, der Sarg hob sich pendelnd und auf ihren Schultern trugen die sechs den stillen Kameraden aus dem Hause. Der letzte hinten links konnte lange nicht in Schritt kommen, wechselte hin und her und das Evangelium kam bedenklich ins Wanken.

Herr Bimstengl gellte: »Hab eich! Dowlrei inksom! Maschiren! Zug – harsch!«

Bum, bum, bumbumbum machte die große schwarzverhängte Trommel, dann begann das Englischhorn, einen halben Takt später das Helikon, gleich darauf zwei Klarinetten und dann mehrere Trompeten, beim achten Takt jedoch waren alle Instrumente beisammen und der Papp-Schani sang halblaut mit: »O Gott, o Gott, o Gott – schon wieda ana tot, tot, tot – was wird denn das no werdn, wenn alle Leute sterbn, sterbn, sterbn.« Auch Schurl heulte in langgezogenen Tönen sein Trauerlied, bis ihm ein Veteranenfußtritt die Stimme verschlug und er mit einem schrillen Mißklang unfreiwillig schließen mußte.

Hinter dem Sarge schritt der Herr Franz, der Zylinder glastete im Spiegelglanz, würdig schwang der schwarze Gehrock mit im Trauerschritt. Kurz war die Reihe der männlichen Begleiter, lang dagegen die Frauenreihe. Dort schritt im ersten Paare die Pepi in tiefer Trauer, mit wallendem Schleier, den vollen Busen hob ein leichtes Schluchzen. Dann kamen die Damen Wotruba, Hammerer, die Frau Direktor Weghofer, das Fräulein Tini, Frau Klempa, die dicke Wetti und viele andere; unter diesen ragte gar seltsam eine kerzensteife Hagere heraus, mit langem Eierkopf und energischem Tritt.

73 »Ui Jessas, die Bimstengl!« hatte Frau Wotruba ausgerufen, als sie der Stolzen ansichtig geworden war. »Dö Heugeign laßt ka Leich aus, wo ihr Mann dabei is, dö is schon mit dem halbertn Varein ganga . . .«

Nach der kirchlichen Einsegnung wurde der Sarg in den Leichenwagen geschoben und die Diener legten einige Kränze hinein, die Schleifen sorgfältig ausbreitend, damit man den Aufdruck nur ja recht deutlich lesen konnte. Da stand auf dem einen: »Dem väterlichen Freunde – Dein treuer Franz«, auf anderen das doppelte »Ruhe sanft!« der Pepi, man sah die gelben Schleifen des Kretschmannschen Palmenkranzes und dann las die scharf kontrollierende Frau Wotruba: »Ruhe in Frieden! – Die tieftrauernde Witwe.«

Der schiefe Zahn jappte ein paarmal auf und nieder, dann keuchte sie zu Frau Hammerer: »Ja, da hört si ja alles auf! Ja, wo is sie denn?« und der Falkenblick musterte die versammelte Frauenschar.

»Wer denn? Wem suachn S' denn, Frau Wotruba?«

»No, wem denn, wem wir i denn suachn – sei Frau suach i, die Witwe!«

»Marrandanna, dö is übergschnappt!« fuhr es der Frau Hammerer durch den Sinn, aber die 74 andere wies mit großer Gebärde auf die verräterischen Kranzschleifen. Frau Hammerers Pulsschlag stockte: »Jessas na, dös san ja meine Schleifn, von mein Selign sein Kranz!« Das dachte sie sich nur, Frau Wotrubas Aufregung aber wuchs mit jeder Sekunde. »Wo s' nur is? Wer s' nur sein kann? Da wird s' ja sein, die welchene is 's denn nur? Ka Wurt hat ma gwußt, daß er vaheirat war, dö muaß i sehgn!«

Die Wagen fuhren vor; wenige Kutschen, dafür mehrere Stellwagen.

»Fahrn S' mit, Herr Böhm? I steig am Rennweg aus, i hab durt a Kundschaft.«

»Ja, i fahr aa mit, vielleicht triff i in Simmering beim Kauderer mein altn Freund Matzneder.«

»Beim Kauderer gibts an damisch guatn Heurign.«

»I war aa schon a schöne paar Jahr net draußt am Zenträul, i muaß ma do amal 'n Lueger sei Gruft anschaun.«

»I hab ghört, in St. Marx kriagt ma im Bräuhaus an sehr an guatn Rum, i nimm ma an mit.«

Die Männer stiegen in den einen Stellwagen, die Frauen in die anderen.

»Wo is denn die Direktarin?« fragte die Blumenmacherische und das lenkte Frau Wotruba auf einen Augenblick ab: »Dö is mit ihra Klan und mit d'r Pepi in an Galawagn eingstiegn, der Herr Franz hat s' ja a so eingladn . . .« und sie ahmte die zum Einsteigen auffordernde Handbewegung nach. Frau Hammerer schweifte ab: »Ich besuch mein Selign sein Grab« und die Blumenmacherische fiel ein: »Ja, i geh aa zu mein Annerl, dö wär jetzt schon so groß wia-r Ihna Mitzerl, sie warn ja im gleichn Alter, net wahr, Frau Wotruba?«

75 Die war aber gar nicht bei der Sache. »Aufpaßt hab i wia-r-a Haftlmacher, aber i hab s' net d'rsehgn kenna, dö wird gar net mitganga sein, na ja, hat ma s' ganze Lebn net gsehgn, is s' beim Sterbn aa net da, aber zu was hat s' dann an Kranz gschickt?«

»Ja wer denn?« regte sich die Blumenmacherische mit einem Male auf, aber Frau Hammerer trat ihr im Sechzehnteltakt auf alle zwei Füße.

»Die Witwe«, schrie Frau Wotruba, die immer fassungsloser wurde, »die Witwe – habn S' denn net die Kranzschleifn gsehgn: die tieftrauernde Witwe? Vaheirat war er, der Janitschek, und ka Mensch hat was gwußt, ghaßn hat 's, er is a Junggsell, a schöna Junggsell das, a Gschiedena war er, jetzt kummt 's außa!«

Frau Hammerer bekam einen Hustenanfall, beugte sich stark vornüber und stieß nun mit dem Knie die plötzlich verstehende Nachbarin, die nur mühselig einen Lachkrampf unterdrückte.

»Na, na, mei Liabi, dös is nix zum Lachn, das Gschäft ghört d'r Witwe, der hopatatschige Herr Franz wird oziagn könna wia 's Dirndl vom Tanz, da wird a schöne Soß außakumma, i sag 's ja, nachn Tod kummt alles auf . . .«

»Was sagn S' zum Herrn Kretschmann, das war doch sehr nobl von ihm, an so an schönen Kranz! Ka Geld sparn, hat er zu die zwei gsagt, i hab mi aber aa plagt und was hergstellt, das kriagt ma um das Geld net auf der Mariahilferstraßn . . .«


Zuerst kamen die Veteranen zurück; sie waren nur bis zur ehemaligen St. Marxerlinie mitmarschiert. Mit dem 76 »Doppeladler«-Marsch zogen sie in die Lamplgasse ein, vor dem Wirtshause an der Ecke wurde Aufstellung genommen, Herrn Bimstengels Fistel schmetterte, die Fahne wurde eingebracht und wieder erklangen die ersten Takte der Volkshymne. Hernach wurlten die »gedienten« Krieger durcheinander, einige gingen heim, die Mehrzahl aber folgte treu der Fahne und bald darauf scholl aus dem kleinen, vollgedrängten Wirtshause schmetternde Musik.

Schon senkten sich die Abendschatten auf die Lamplgasse, da kehrten die Frauen heim und Frau Wotrubas Redestrom ward kraftvoll von dem Brautmarsch aus »Lohengrin« verschlungen. Mit schmerzvoll zur Seite geneigtem Haupte schritt die Pepi ihrer Behausung zu; Frau Radlinger pipste aus einem Fenster des ersten Stockes sehnsuchtsvoll: »Dolfi, Dolfi!«, denn der Ibsen klebte am Wirtshausfenster; Frau Hammerer sah die Blumenmacherische vor dem Abschied noch bedeutungsvoll an und schlug dabei mit dem Zeigefinger auf die gespitzten Lippen; Frau Wotruba schmetterte ein »Schani, Raubasbua – hamgehst!« und drang damit sogar durch Richard Wagners Brautmarsch durch.

Bald lag die Lamplgasse im stillen Abendfrieden und aus dem »Beisl vurn am Eck« klang nun störungslos und in voller Stärke die Aïda-Phantasie. Das war das letzte Stück.

Um Mitternacht wankten noch einige Federhüte aus dem Wirtshause, gerührt und weichmütig schlangen ihrer Vier die Arme um die Schultern der Nebenmänner, Stimmbegabte huben zu singen an und dann verklang in nachtdunkler Ferne, zwar in falschen Tönen, aber doch gar machtvoll überzeugend das herzerhebende Bekenntnis: 77

»Weana san ma, Weana bleibn ma
Und als Weana wolln ma sterbn!«

 


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