Rudolf Stürzer
Die Lamplgasse
Rudolf Stürzer

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Der Herr Janko.

Die ganze Lamplgasse stand im Banne des Ereignisses: »Die Greislerin hat an Zimmerherrn!«

Die dienenden Geister umschwärmten den Greislerladen, das Glöckchen an dessen Türe bimmelte in einemfort. Und als wäre mit einem Schlage eine Hungersnot oder ein Sachmangel ausgebrochen, so gierig war auf einmal alles nach den Schätzen der Frau Hammerer. Zwiebel, Haarnadeln, Wurstzeug, Waschel, Obst, Zwirn, Wichse, saure Gurken, Boxhörndln, Primsenkäse usw. – alles, alles wurde oft und heiß begehrt. Der kleine Laden war bummvoll von weiblichen Käufern, die teils durch schlaues Herumreden, teils durch gerades Losgehen den Eintritt der großen Begebenheit von Frau Hammerer verbürgt und fristgemäß zu erfahren suchten.

»No, Frau Hammerer, jetzt werdn S' bald nimma so allani sein . . .«

39 »Is er schon da? Kummt er heut bestimmt?«

»Ja, wahrscheinli kummt er heut noch – aber wann, das kann i net sagn – – vielleicht kummt er aber aa erscht murg'n, wia gsagt, i waß net . . .«

Im engeren Kreise der Jour-Teilnehmer herrschte nicht mindere, jedoch zum Teil gewaltsam gedämpfte Erregung.

»Kumman S' heut zum Einstand von dem Zimmerherrn?« fragte Frau Wotruba gelegentlich und leichthin den Herrn Franz.

»Jaa vielleicht – i waß no net, wia 's ma halt mit da Zeit ausgeht – i wir ja schließli den Herrn no öfta sehgn, er wird do net murg'n scho wieda ausziahgn.«

»Dös sag i aa – i waß aa net gwiß, ob i hinkumm, mögli, aber i waß no net . . .«

Die Blumenmacherische fing die vorbeigehende »alte Schuastazangen« ab: »Also heut kummt er, Frau Wotruba – i bin scho sehr neugiri, wia-r-a ausschaut – i kumm ganz gwiß – – wann gengan Sö hin?«

»No, i wir heut schon um sechse durt sein – i will 'n aa sehgn, den neuchn Herrn, der jetzt nebm da bladn Greislerin schlafen wird – – da kann no was außawachsn – i bitt Ihna, er muaß ja bei ihrn Bett vurbei . . .«

Die Frau Direktorin sagte zu ihrer Gesellschafterin: »Tini, heut zieh ich das Blaßblaue an, weißt, was ich einmal in Olmütz anghabt hab, wo der fesche Oberleutnant gsagt hat, ich schau aus wie eine Schwertlilie.«

Die Kleine bebte vor innerer Erregung: »Ja, das Blaßblaue – – da wird er schaun! Ich werd mich schwarz anziehn, mit dem weißen Spitzenkragerl – – aber nein, doch lieber das Dunkelbraune mit dem Samt – aber da schau 40 ich vielleicht noch dicker aus, ich werd doch lieber das weiß und blau Gstreifte anziehn, Streifen machen immer schlanker – – so ein Ausländer hat viel gsehn – – ich werd mich mit 'm Abwaschen schon recht tummeln, daß ich gleich mit Dir hingehn kann . . .«

»Schatzerl, das wird nicht gehn, ich muß vorher noch zum Gerngroß um Handschuh, und wer weiß, wann ich da z'rückkomm – geh nur allein hin, ich komm jedenfalls gleich nach . . .«

Sie war aber die erste im Greislerladen, wo Frau Hammerer mit freudig- freundlichem Wink auf die heute geschlossene Glastüre wies, hinter deren weißem Vorhang das große Rätsel war.

Etwas verwirrt betrat die Frau Direktor die trauliche Stube – und da saß er auch schon da, der Herr Janko Simonics, schwarz von Aug, Haar und Kleid, weiß schimmerte nur sein Augapfel, die Zähne und die Hemdbrust. In den braunen Händen hielt er eine Bierflasche und ein Glas, als die hohe Blaßblaue eintrat. Zweimal bewegte er den Oberkörper hin und her, dann wuchs der hagere Mensch zur Hälfte am Tisch empor und bei einem kurzen Ruck des Kopfes nach vorne gab er einen Laut von sich, der sich anhörte wie »Derree«; die Blaßblaue legte das als den üblichen Gruß »Ich habe die Ehre« aus und trat beherzt an den Schwarzen heran: »Gott zum Gruß im neuen Heim! 41 Willkommen in unserer Mitte, Herr Simonics – also schon eingerückt?«

»Ja, bin schon einzogn«, sagte der Schwarze mit einer halben Kopfwendung zur Kammertür und setzte sich früher als der Besuch, der noch aufgeregt an den Handschuhen zupfte.

»Die Frau Hammerer hat uns schon sehr viel Schönes von Ihnen erzählt, Herr Simonics, nicht wahr, das ist ja der werte Name? (Der Schwarze nickte, denn er trank gerade.) So weit sind Sie schon herumgekommen in der Welt! Wie ist Ihr teures Vaterland? Schier . . ., Schmier . . .?«

»Bin ich aus Syrmien«, erklärte der Gefragte und strich sich den Bierschaum aus dem straffgewichsten Schnurbart, dessen Enden nach abwärts standen.

»Ach Syrmien, da hab ich auch schon davon gehört . . . ich war nämlich schon in Agram, das ist ja nicht weit weg davon . . .«

Herr Simonics machte eine abwehrende Handbewegung: »Is noch ganz weit«, knurrte er und maß die Blaßblaue mit hartblickenden Augen. Die war ordentlich verschüchtert. »Ja, gewiß, es ist natürlich nicht in der Nähe, aber man kann von Agram hinkommen . . .« Jetzt nickte der Syrmier zustimmend: »Ja, fahrt Eisenbahn nach Vukovar.«

Nun tat sich wieder die Türe mit den weißen Vorhängen auf und die Blumenmacherische flatterte herein. »Ah, Sie sind schon da, Frau Direktorin? Das ist gscheit – – Guten Tag, Herr von Simonics, auch schon angekommen? Na, wie gfallt 's Ihnen denn in der neuchn Wohnung? Recht gemütlich haben Sie 's da, oh, es wird Ihnen schon recht gut gfalln bei uns . . .« und sie reichte ihm die Hand über den Tisch, denn Herr Simonics war nicht aufgestanden, sondern 42 zeigte nur freundlich grinsend seine weißen Zähne. Sie wandte sich an die andere: »Sie haben Ihnen jedenfalls schon recht gut unterhaltn mit 'n Herrn Janko, net wahr, Frau Direktorin? Ich hab net früher los können, ich hab noch schnell einen Kranz fertig machn müssn für den Herrn Bimstengl – a Tant von ihm is g'storbn – da erbt er wieder was – – ja, so geht 's im Lebn, Herr Janko, der ane kummt, der andre geht . . .«

»Kann ma nix mochn«, sagte er gleichgültig, die Blumenmacherische lachte, die Frau Direktor seufzte: »Ja die Toten reiten schnell.«

Wieder tat sich die Türe auf und Frau Wotruba erschien im Sonntagsstaate. Ein giftiger Blick streifte die Blumenmacherische und die Blaßblaue; »'n Tag«, murrte sie zum Gruße für die beiden und steuerte sofort um den Tisch herum zu Herrn Simonics, dessen schwarze Augen erschreckt und staunend an dem schiefen Vorderzahn der Schusterin haften blieben.

»Grüß Ihnen Gott, Herr Janko! Also sind S' doch kommen – na, die arme Frau Hammerer hat ma schon recht d'erbarmt, so ganz allan in da Welt – ihr erster Mann war a recht a braver Mensch, aber so lang krank, es war a Erlösung für ihm und sie wia-r-a gsturbn war, ja, Gott tröst 'n – – aber jetzt wird sa-si bald recht erholn, wo s' jetzt wieda a Ansprach hat – bleibn Sö den ganzn Tag daham?«

»Ganzn net, nur am Nacht«, brummte Herr Janko.

»So, so – also nur bei da Nacht san S' z'haus? No, is aa guat, wenigstens braucht si die arme Hammerer net z' fürchtn – – wann kumman S' denn z'haus?«

»Sechse oder siebme.«

43 Jetzt atmeten die anderen auf:

»Ah da können wir ja dann noch immer plaudern«, jubelte die Frau Direktor und die Blumenmacherische frohlockte: »Da werdn S' uns dann recht viel d'erzähln, net wahr, Herr Janko?«

Dieser zuckte mit der einen Schulter und leerte sein Glas. Es bestand bereits jetzt eine Art seelischer Verbindung zwischen ihm und Frau Hammerer, denn kaum war das Glas geleert, erschien sie schon mit einigen Bierflaschen in der Runde und schob eine ihrem Zimmerherrn mit einem freundlichen »So, da habn S'« zu. »No, wie gfallt Ihnen mein neucher Zimmerherr?« (Dann gleich zu Herrn Simonics sich wendend:) »Unterhaltn S' Ihna schon recht guat Herr Janko? Na, wartn S' nur, bis der Herr Franz kummt, der wird Ihna schon was aufz'lösen gebn – was nehmen denn die Herrschaftn alles?«

Es wurde umständlich bestellt und zugleich mit dem Mundvorrat erschien auch der Herr Franz. »G'n Abnd«, sagte er würdevoll und maß sofort den Syrmier, der ihn grinsend anstarrte. »Habe die Ehre, Herr Simonek«, begrüßte ihn Herr Franz und bot ihm die Hand. »Also Sö bleibn jetzt bei uns?«

»Heiß ich Simonics – aber bleib ich da«, sagte der Schwarze. Die Frauen lachten, Herr Franz ebenfalls: »No, Simonics oder Simonek, da is net um so viel g'fehlt, i hab an Freund, der haßt Simonek, aber der is jetzt in Mödling – – d' Hauptsach is, daß S' dableibn – d'r Aussprach nach san S' ka Hiesiga, was?«

»Bin ich von Grenz.«

»So, so – – san S' schon lang in Wean?«

44 »Ja, sechs Jahr, war ich früher in Esseg, dann paar Jahr in Parndorf, dann auf Aschnmarkt . . .«

»Ach, am Naschmarkt! als Beamter, nicht war?« fragte angeregt die Frau Direktor und Herr Simonics knurrte: »Ja, ja.«

»Er is do a Krowot«, dachte der Herr Franz bei sich und beschloß, ihm sofort auf den Zahn zu fühlen. »Da, wo Sö z'haus san, da san ja aa dö Rotmantler her, dö Sereschaner, dö mit 'n Jellaschitsch in Wean warn im Achtavierzgajahr . . .«

»Waß i net«, sagte der andere.

»Ja, Sö werdn Ihna natürli net mehr erinnern – aber mei Großvater hat ma allerweil d'rzählt, wia dö Krowotn in Wean warn und plündert habn – dö habn die klan Kinda auf d'Lanzn aufgspießt und in die brennatn Häuser gschmissn . . .«

»Is net wahr«, widersprach seelenruhig Herr Simonics, »hat mir Großvater gar nix gsagt.«

»Der wird halt net dabei gwesn sein«, lenkte Herr Franz ein und die Damen retteten vollends die Lage.

»Ich glaub das nicht, so wilde Völker gibt 's ja bei uns gar nicht, es wird da viel übertrieben«, sagte die Frau Direktorin.

»Und wann 's glei wahr wär, so is dös schon so lang her – da kann der Herr Janko nix dafür, was im Achtavierzgajahr gschehgn is«, maulte die Blumenmacherische.

»Also, Sö stengan zeitli auf und gengan glei furt? Sö san ja do schon in Pension, da kunntn S' Ihna ja ausrastn, a bisserl der Frau Hammerer Gsellschaft leistn, dö hat si 45 ja schon so gfreut auf Ihna . . .«, lenkte Frau Wotruba zur Gänze ab.

»Wann 's regnt, bleib ich z'haus, sunst hilf ich eh.«

Da kam das kleine Fräulein Tini, weiß und blau gestreift, zur Tür hereingetrippelt, ganz Verlegenheit und den Fremden scheu von unten herauf anblickend.

Als Dame von Welt stellte die Frau Direktor vor: »Meine Freundin – Herr Simonics.«

»Derree«, murrte dieser wieder und griff daneben, als er der Kleinen die Hand geben wollte.

»Ist schon viel erzählt worden?« lispelte diese der Langen zu, die lebhaft nickte, aber nicht sprach, denn Herr Simonics klopfte an seine leere Flasche, weil diesmal die geistige Verbindung mit Frau Hammerer nicht klappte.

Es tat sich wohl die Türe auf, aber herein kam die schwerhörige Trafikantin; diese hatte sich gar nicht herausgeputzt, begrüßte rasch die Bekannten und setzte sich gleich dicht zu Herrn Simonics, ihm vertraulich die Hand schüttelnd: »Dös gfreut mi, daß i Ihna kenna lern, i setz mi glei zu Ihna her da, wissn S', i hör nämli a wengerl net ganz guat, i müaßt sunst imma fragn, was S' gsagt habn – Sö brauchn aber net z' schrein, auf dera Seitn hör i bessa – – und da hab i Ihna was mitbracht, i waß, Sö werdn net na sagn – zwa Trabukerln, guat oglegn . . .« Da ging ein Freudenschein über das braune Gesicht des Syrmiers, er salutierte mit der Rechten und schnarrte: »Dank schen.« Die Trafikantin lachte glückselig: »I hab 's ja gwußt!«

Da waren die anderen sichtlich verstimmt; ein eifersüchtiges Gefühl stieg in allen auf, denn nun sprach der dankbare 46 Grenzer fast nur mehr zur Trafikantin und gleich so laut, daß sie nicht ein einziges Mal fragen mußte.

Die Frau Direktor ermannte sich zuerst und ließ dem Fremden die Überlegenheit der Runde und deren weiten Gesichtskreis fühlen.

»Sagen Sie, Herr Franz, haben Sie nichts Näheres gehört, wer das Fünferhaus gekauft hat?«

47 Dieser schnappte sofort ein: »Ja freili, a Fabrikant is, Kretschmann haßt er, Blechdosn macht er, die Fabrik hat er in Inzersdorf – a reicha Kampl, er hat Roß und Wagn und das Haus laßt er mit Ölfarb streichn . . .«

Und nun floß Rede und Gegenrede im raschen Fluß dahin, Herr Simonics war in den Hintergrund gedrängt, rauchte die zwei Trabuccos und leerte die fünfte Flasche, als die anderen aufbrachen.

Auf dem Heimweg sagte der Herr Franz: »No, was i gsagt hab, a Krowot is – wann der Beamter war, laß i mi aufhänga – wissn tuat er gar nix . . .«

»Aber a intressantes Gschau hat er«, schmachtete die Blumenmacherische, Frau Wotruba aber schloß: »Wann er eh nix z' tuan hat, zu was geht er dann furt? Jetzt muaß sie eahm ja alles herrichten, bevur er schlafen geht.«

»Helen, der Herr Janko ist ein reizender Mensch – schad, daß er nicht mehr erzählt hat«, klagte Fräulein Tini, aber die Lange sprach von etwas anderem: »Neugierig bin ich auf den Fabrikanten Kretschmann, ich bitt dich: eine Equipage in der Lamplgasse . . .«

 


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