Rudolf Stürzer
Die Lamplgasse
Rudolf Stürzer

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Der Baumerl.

Schon am nächsten Tage nach dem Einzuge des Barteten erschien in der Lamplgasse ein neuer Gast. Im langschößigen Rocke, am runden Hütel ein frisches Blümchen langstielig wippend, im glatten, unbeweglichen Gesichte die Pfeife aus einem Mundwinkel baumelnd, in der einen Hand eine große grüne Gießkanne, in der andern einen Rutenbesen, so kam er in die Lamplgasse und nahm von ihr der Länge und Breite nach Besitz.

Gruß- und wortlos trat er da sein anscheinend frei gewähltes Amt als Straßenkehrer an, zum größten Staunen aller, denn das war etwas ganz Neues für die Leute in der Lamplgasse.

Sonst waren nur ab und zu ein paar alte Männer mit tränenden Augen und feuchten Schnurrbärten gekommen, die mit ihren langen Besen Mist und Staub im eifervollen Drange derart durcheinanderwirbelten, daß es nur so stob und wolkte – zum höchsten Verdruß der Frau Wotruba.

»San s' schon wieda da, dö altn Branntweina? – Wo nur dö d'r Teufl immer daherreit'? – A Schand und a 57 Spott, was dö für an Dreck machn! – Werd's net glei aufhörn vor meine Fensta!!! Kihrt's den Dreck wo anderscht z'samm, aber net da vor mein Haus! I wer' net dastickn wegn Euch, ös Branntweina, Euch macht dös freili nix, ös habt's gnua Brennabi in Euchare Gurgln, stinkn tuat's jo eh schon von da Weitn, daß ma umfalln könnt! Ofohrn sag i, oda i d'rwisch Eng und renn Eng dö Besnstiel eini, bsoffane Mettn überananda!!!«

Die Männer blinzelten verständnislos aus ihren tränenden Augen auf die Rednerin, prusteten einige Male durch den dichten Staub, schüttelten die Köpfe, mieden die Stelle vor dem Zwölferhaus und murmelten etwas in einer fremden Sprache. Sie kamen immer seltener und zumeist war es der liebe Wiener Wind oder ein tüchtiger Platzregen, der für die Reinlichkeit der Lamplgasse sorgte.

Nun war ein neuer Geist in diese eingezogen und wohlgefällig sah man seinem Wirken zu. Im breitspurigen Langschritt, die grüne Gießkanne taktmäßig vor sich schwenkend so den Staub mit seinem Sprühregen bannend, schritt er dahin, kehrte hernach zuerst die eine, dann die andere Längshälfte der Gasse, machte aber 58 auch mitunter längere Pausen, in denen er entweder starr vor sich hinsann oder umständlich seine Pfeife stopfte.

»Er red't nix und deut nix und kihrt recht sauba, macht kan Staub und is aa nia bsoffn«, stellte Frau Wotruba wohlwollend fest. Einige andere aber sagten: »A stilla Narr« und bezogen dies auf des Mannes sonderbares Gehaben zu mancher Frist. So kam immer zur Ausfahrzeit des Barteten über den Straßenkehrer eine merkliche Unruhe; er pürschte sich sozusagen mit dem Besen an das ockergelbe Haus heran und seine Augen blickten unsicher und scheu in der Runde herum. Öffnete sich dann das knallrote Tor und fuhr der Gummiradler heraus, da duckte sich der Mann förmlich wie zum Sprunge und seine Augen schossen böse Blitze auf den mühvoll Einsteigenden, aber das alles geschah ganz verstohlen und wie in verhaltener innerer Wut, die Pfeife wanderte von einem Mundwinkel in den andern und schließlich löste er die Spannung mit ein paar hastigen Besenstrichen. Rollte das Gespann davon, dann starrte er ihm feindselig nach und murmelte abgebrochene Sätze vor sich hin wie »Schwara Gsell dös – Haderlump millionäriga – Kerl, wann i . . .«, spuckte aus und tat sein Werk im alten Gleichmut weiter. Kam der Wagen zurück, da lauerte der Mann ein paar Häuser weit, bis der Bartete ausgestiegen und im Hausflur verschwunden war, lief dann an die Pferde heran und hielt sie an den Zügeln, bis der Kutscher den zweiten Flügel des Haustors geöffnet hatte. Ihm und den Pferden schien der sonderbare Kauz schon länger bekannt, er nickte ihm zu und die Pferde beschnupperten ihn ganz zutraulich. Der Mann aber sah ganz weich und liebevoll auf die feinen Juckerköpfe mit den weißschäumenden Mäulern, tätschelte das eine oder 59 das andere an den Ganaschen oder kraute ihnen die Stirn und hielt mitunter ganze Ansprachen an sie.

»Hoh, Füchsaln, hoh, schön – ja, brave Pferderln, brav – schwara Gsell dös – ja, ja, i war viel leichter, gelt's ja? Hoh, Burscherl, was is denn? hast mi gern? ja? – Hoh, no was is denn – brav sein – hoh, schön . . .«

Kam das Gefährte einmal leer zurück, war der Straßenkehrer aller Wonne voll. Da durfte er die Pferde abkühlen führen, während sich der Kutscher im Stall zu schaffen machte. In stolzer Ruhe schritt dann der Mann neben dem Sattelpferde, das er lose am Zügel hielt, sogar die Pfeife nahm er aus dem Munde und hielt sie wie ein Szepter in der Linken. Sein Selbstgespräch war dabei voll seltsamer Wendungen.

»Acht gebn, Burscherl, 's Haxerl hebn – Gretl, wo schaust denn wieder hin? Geh schön, 's gschiecht d'r nix – ja, ja, hutschn im Gummiradler, ah ja, das is schön – warst a Tepp – – hoh, schön, hoh, brav, brav – –«

Vor ihm her tanzte der Schurl und überschlug sich kläffend in tollen Sprüngen. Auch ihm war der Mann ein Freund, er schreckte ihn nie und störte ihn auch nicht, wenn die Hundenatur ihr Recht forderte.

An jedem Tag, so oft er in der Lamplgasse erschien, hatte er ein frisches Blümchen mit langem Stiel auf seinem Hütel und auf einmal hieß er »der Baumerl«; niemand wußte, wer ihm den Namen gegeben, einer hatte ihn ausgesprochen und sofort war er Gemeingut der Gasse geworden.

Selbst stand der Mann keinem Rede, nur mit Herrn Kretschmanns Pferden sprach er und hie und da auch mit Kindern, mit diesen aber zumeist in Versen.

60 Da hielt er dann im Kehren inne, stützte sich auf seinen Besen, sah mild und gütig auf die Kleinen, die zumeist im Rinnsal spielten, und hub mitunter halb singend zu reden an:

»Kinder, seid's brav, tuat's nur schön spieln,
Kummt's dann ins Himmelreich nach 'n Gottvata sein Willn.«

Je nach der Tageszeit gab es auch Sprüche und Mahnungen in gebundener Rede:

»Zwölfe hat 's gläut, Buama seid's gscheit,
's Essen wird kalt, Hunger macht alt.«

Standen die Kleinen abends um seinen Karren, klopfte er die Pfeife aus und sprach:

»Bei d'r Nacht haßt 's schlafn gehn,
In d'r Fruah haßt 's aufstehn,
Gsegn 's uns Gott zu jeder Zeit,
Globt sei 's Christ in Ewigkeit.«

Zogen Wolken auf und begann es zu tröpfeln, hub der Baumerl zu singen an:

»Regna, regna Tropfn, Buama muaß ma klopfn,
D' Madln liegn im Federbett, d' Buama liegn im Himmlbett.«

Der Herr Franz hatte es einmal versucht, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln:

»Haß is heut – was?«

»D' Kältn hat si schon brochn.«

»'s wird a Wetta kumma . . .«

»Wann 's net schön bleibt, regnt 's.«

»Dann brauchn S' net z'spritzn . . .«

»Sparn ma 's Wassa.«

»Daß Sö Ihna grad d' Lamplgassn ausgsuacht habn?«

»Am Schneeberg is ka Staub.«

61 »Alter Trottl«, murmelte der Herr Franz und der andere kehrte seelenruhig weiter. Er war der einzige, von dem beim Jour der Greislerin nicht gesprochen wurde.

 


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