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Preiswert

Anders als sonst, ruhiger, sicherer, siegesstolz kam der Herr Adjunkt Stadelmann am Sonntagabend zu seiner Frau heim, die ihn wachend erwartete. Die las sofort in seinem Gesichte, daß sein diesmaliger Ausflug endlich von Erfolg gekrönt war, fragte aber doch mit scheinbarer Begier:

»Na, hast du heut' endlich was gefunden?«

Herr Stadelmann machte sich's erst umständlich bequem, holte seine Hausschuhe und sagte dann mit großartiger Gelassenheit:

»Ja, ich hab' was gefunden.«

»Wo denn?«

»In Kleinbühel an der Franz Josefs-Bahn.«

»An der Franz Josefs-Bahn?«

»Ja. Das heißt, direkt an der Bahn liegt der Ort nicht. Man fährt noch anderthalb Stunden mit der Post oder geht zu Fuß ein bißchen länger. Ich hab' keine zwei Stunden gebraucht.«

Er machte abermals eine Kunstpause.

»Also erzähl' schon, erzähl' – laß dich nicht bitten!«

Und der Herr Adjunkt Stadelmann erzählte: Wie er wiederum den ganzen Tag von Dorf zu Dorf, von Bauernhaus zu Bauernhaus gewandert und geirrt sei, ohne eine passende, noch nicht vergebene Sommerwohnung auftreiben zu können, und wie er schließlich, schon ganz verzweifelt, durch Zufall auf eine gestoßen sei, die allen Ansprüchen genüge und dabei nicht mehr als zweihundert Kronen für die Saison koste:

»Geräumig, licht, schön eingerichtet, herrlich gelegen, mit einem Worte reizend!«

»Hast du das vielleicht auch dem Hausherrn gesagt?«

»Natürlich – – heißt das, so deutlich und unumwunden hab' ich es nicht gesagt, aber daß ich die Wohnung für preiswert halte, hab' ich ihm nicht verschwiegen. Sie ist auch sehr, sehr preiswert.«

Frau Stadelmann lächelte sarkastisch:

»Zu handeln hast du also nicht versucht?«

»Handeln! Das wär' doch Wahnsinn gewesen. Der Mann hätt' sich gewiß nichts abhandeln lassen, nicht einen Kreuzer.«

»Lächerlich! Jeder läßt mit sich handeln. Zweihundert Kronen sind ein horrendes Geld für unsere Verhältnisse. Anzahlung hast du doch hoffentlich noch nicht gegeben? Na also! Da schreibst du ihm morgen, daß wir die Wohnung nehmen, wenn er – sagen wir – vierzig Kronen vom Preise nachläßt.«

»Aber was fällt dir ein? Denk' doch –«

»Ich denk' zehnmal mehr als wie du, und das ist unser größtes Glück. Also tu' nur, wie ich dir ernstlich rate, probier's, und du wirst sehen, er geht darauf ein.«

Vergebens waren Stadelmanns Einwände und Proteste. Es kam zu einer ziemlich erregten Auseinandersetzung, aber seine Gattin blieb unerschütterlich. Verstimmt, gar nicht mehr selbstbewußt ging er zu Bette.

Am Montagmorgen legte er die Sache seinem Amtskollegen, dem Herrn Oberrevidenten Sauberer, vor, der auch schon wochenlang fieberhaft auf Sommerwohnungsuche war, aber noch immer nichts Geeignetes gefunden hatte.

»Entschuldigen Sie, lieber Kollege,« sagte Sauberer nach einigem Besinnen, »aber ich muß Ihnen unrecht und Ihrer Frau Gemahlin vollkommen recht geben. Diese biederen Landbewohner glauben, uns Städter können sie nach Belieben schröpfen. Zeigen Sie dem Manne, daß Sie auch so gescheit sind wie er, und Sie werden sehen, er gibt nach. Das Frühjahr ist ja schon vorgeschritten, er wird's nicht riskieren, daß ihm seine Hütten leer stehen bleibt.«

Herr Adjunkt Stadelmann wurde nachdenklich und wankend. Nach dem Mittagessen entwarf er im Geiste ein Dutzend Konzepte. Vor dem Abendmahle war er so weit, daß er sich hinsetzte und Herrn Andre Wutzel, Landwirt in Kleinbühel an der Franz Josefs-Bahn, höflich, aber entschieden mitteilte, er könne die gestern besichtigte Sommerwohnung nur unter der Bedingung mieten, daß ihr Preis mit einhundertsechzig anstatt mit zweihundert Kronen bemessen werde.

Er zeigte den Brief seiner Frau, die befriedigt dazu nickte, und schloß ihn. Ehe er die Marke aufklebte, kam das Dienstmädchen herein:

»Die Post, bitt' schön!«

Es war ein Kartenbrief mit dem Stempel »Kleinbühel«. Herr Stadelmann riß ihn auf, erbleichte und lachte gellend auf:

»Bravo! Niederträchtig! Da hast du's!«

In dem Kartenbriefe stand nämlich, daß sich Herr Andre Wutzel gestern leider im Mietpreise seiner Sommerwohnung geirrt habe, dieselbe koste nicht zweihundert, sondern dreihundert Kronen, und dabei sei sie noch sehr preiswert als die schönste im ganzen Orte. Herr Andre Wutzel hoffe bestimmt – – und so weiter.

»Also was jetzt?« fragte Adjunkt Stadelmann vernichtet.

»Bei Gericht klagen den Kerl!« entschied Frau Aloisia Stadelmann sonder Besinnen.

Nicht ohne Mühe machte ihr der Gemahl klar, daß eine solche Klage ganz verdammt wenig Aussicht aus Erfolg habe. Mit noch viel, viel mehr Mühe am anderen Tage, daß er die schon so lang währende Unsicherheit, in welcher Sommerfrische er mit Weib und Kindern die heurigen Ferien genießen werde, ebenso gründlich satt habe, wie die allsonntäglichen Expeditionen zur Lösung dieser schwierigen Frage, die ja ebenfalls einiges Geld kosteten; daß es daher wohl am besten wäre, Herrn Andre Wutzel seine erhöhte Forderung zu bewilligen, die Wohnung sei zwar nun nicht mehr billig, aber noch immer preiswert.

»Mir scheint, du bist nicht bei Trost!« sagte Frau Stadelmann zuerst. »Dein Leichtsinn bringt uns noch alle miteinander an den Bettelstab!« sagte sie dann. »Tu' meinetwegen, was du willst!« sagte sie schließlich.

Bevor er's tat, beriet sich Herr Adjunkt Stadelmann noch mit seinem Amtskollegen, dem Herrn Oberrevidenten Sauberer, der das Vorgehen Andre Wutzels als unerhört, unverschämt und niederträchtig bezeichnete:

»Wo ist die Wohnung übrigens?«

»In Kleinbühel, Numero siebenundvierzig.«

»So ... Und wirklich so schön? ... Na, wie Sie glauben.«

Also schrieb Herr Stadelmann an Herrn Wutzel, daß ihn dessen nachträgliche Mehrforderung außerordentlich überrascht, daß er sich aber nach reiflicher Überlegung doch entschlossen habe, sie zu bewilligen: daß er also die Sommerwohnung in Kleinbühel Numero siebenundvierzig, bestehend aus Zimmer, Küche, Kammer und Veranda samt Gartenbenützung, um den Preis von dreihundert Kronen für die Saison, also beiläufig von Anfang Juni bis Anfang September, miete: daß er aber dafür auch hoffe – und so weiter.

Als er zwei Tage danach aus dem Amte heimkam, legte ihm seine Gattin einen offenen Kartenbrief hin (denn alle Briefe, die ins Haus kamen, sofort zu öffnen, dieses mit den Staatsgesetzen einigermaßen in Widerspruch stehende Privilegium übte sie ganz unbefangen aus). Der Brief lautete folgendermaßen:

»In angenemen Besize Ires Werten so sind Sie aber in Irtum das die Seisson bei uns von Juni biß September dauert, sondern nur von 15 Juli biß September solten Sie aber schon früher heraußkomen müssen so bin ich bereit und beanspruche ich dafier nur eine kleine Auffzalung von 50 Kr. waß gewis recht und bilig ißt mit Hochachdung

Andre Wutzel.«

Frau Aloisia Stadelmann hätte eigentlich nicht nötig gehabt, Öl ins Feuer zu gießen. Herrn Theodor Stadelmanns Entrüstung loderte ohnedies zu heller Flamme auf.

»Na, dem werd' ich aber meine Meinung schreiben!« erklärte er am nächsten Morgen, noch immer geschüttelt von Arger, seinem Amtskollegen, dem Herrn Oberrevidenten Sauberer. »Der wird sich meinen Brief nicht vor den Spiegel stecken! Mit dem bin ich fertig, und wann seine Wohnung noch so preiswert wäre!«

»Sie nehmen sie also nicht?« fragte Sauberer.

»Keine Spur! Was Ihnen einfällt! Ich bin doch nicht der Wurstel von diesem – diesem Herrn Wutzel!«

Am Nachmittag endlich wurde der Herr Adjunkt etwas ruhiger. So ruhig, daß er sich die Angelegenheit nochmals überlegte. Im Juni wollte seine Frau mit den beiden Kindern, die noch nicht schulpflichtig waren, bereits in die Sommerfrische. Dafür eine Sondervergütung von fünfzig Kronen zu begehren, war ohne Zweifel eine Infamie. Aber andrerseits – die Wohnung gefiel Herrn Stadelmann. Preiswert konnte man sie beinah' noch immer nennen. Und wenn er bedachte, daß er nun von neuem auf die Suche gehen mußte, so schauderte ihn. Er hatte ja das Beispiel seines Kollegen Sauberer vor Augen, der trotz aller Bemühung noch immer nichts halbwegs Passendes gefunden hatte. Sich aufzuregen, grob zu werden, nützte eben nichts.

Kurz und gut – er schrieb vom Amt aus an Herrn Andre Wutzel, daß er auch die Mehrzahlung von fünfzig Kronen leisten wolle, daß ihm aber dieser sein endgültiges Einverständnis nicht in seine Wohnung, sondern unter seiner Bureauadresse gefälligst mitteilen möge.

Die Antwort aus Kleinbühel, die etliche Tage auf sich warten ließ, lautete:

Herr Wutzel müsse bedauern, er habe seine Sommerwohnung bereits anderweitig vergeben ...

Als sie Herr Stadelmann las, meinte er, der Schlag müsse ihn treffen. Dann lief er zu seinem Kollegen, dem Herrn Oberrevidenten Sauberer, hinüber, und warf ihm das Schreiben auf den Tisch:

»Da schauen Sie einmal her! So was ist mir in meinem Leben noch nicht untergekommen!«

Der Herr Oberrevident zog die Brauen hoch, zupfte an seinem Barte und sagte schließlich kopfschüttelnd:

»Warum denn? Sie haben mir doch versichert, Sie nehmen die Wohnung überhaupt nicht mehr!«

»Ja – aber ich hab' mir's eben wieder anders überlegt!«

»Verzeihen Sie, das hab' ich nicht wissen können.«

»Aber jetzt wissen Sie's doch, in Kuckucksnamen!«

»Ja, lieber Kollege, jetzt ist's zu spät ...«

»Wieso zu spät?« brauste da Herr Stadelmann auf. »Das ist doch offenbar nur ein neues Manöver von dem Schwindler, dem Halsabschneider, um noch einen höheren Zins von mir herauszupressen. Oder meinen Sie im Ernst, daß er bereits einen neuen Mieter hat?«

»Ja,« sagte der Herr Oberrevident und machte sich unter seinen amtlichen Papieren zu schaffen, »er hat einen.«

Herr Stadelmann stutzte. Eine fürchterliche Ahnung stieg in ihm auf. Und plötzlich verdichtete sich diese Ahnung zu niederschmetternder Gewißheit.

»Am Ende –,« stieß er hervor, »am Ende haben Sie selbst –?«

»Regen Sie sich doch nur nicht so unsinnig auf, lieber Kollege,« sagte Herr Sauberer, indem er sich erhob, »Sie haben mir doch selbst in den stärksten Ausdrücken versichert, daß Sie auf die Sommerwohnung in Kleinbühel Numero siebenundvierzig nicht mehr reflektieren. Na, da hab' ich sie nur halt angeschaut und hab' sie für mich genommen.«

»So ... Und was zahlen Sie dafür?«

»Vierhundert Kronen,« entgegnete Herr Oberrevident Sauberer achselzuckend. »Mein Gott, was will man machen? Daß sie absolut nicht preiswert wäre, kann man ja noch immer nicht behaupten.«

»Ja, wenn Sie sie um vierhundert Kronen kriegen!« hohnlachte Herr Adjunkt Stadelmann. »Aber dieser geriebenste von allen Gaunern wird Sie schon hineinlegen, wird Sie schon noch schnüren!«

Der andere erwiderte seelenruhig:

»Deswegen seien Sie ganz unbesorgt. Ich war selbstverständlich nach dem, was ich von Ihnen gehört hatte, nicht so unvorsichtig, unter vier Augen mit dem Herrn Andre Wutzel zu verhandeln. Ich habe mir als Zeugen einen Freund mitgenommen, einen Schulkollegen, der zufälligerweise Hof- und Gerichtsadvokat und Verteidiger in Strafsachen ist.«

Das schlug dem Faß den Boden aus. Das ging dem guten Herrn Stadelmann über die Hutschnur. Das erbitterte ihn mehr als alles Bisherige.

Er lief in sein Zimmer hinüber und sprach kein Wort mehr mit seinem Amtskollegen Sauberer. Weder an diesem, noch am nächsten, noch an den folgenden Tagen. Er haßte und verachtete ihn, er war sein Todfeind geworden.

Eine so preiswerte Sommerwohnung aber hat er nicht mehr gefunden. Seine Gattin hält ihm dies mit Recht des öfteren vor.


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