Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Das »Edentheater« war gerichtlich geschlossen, ein Steckbrief lief hinter dem flüchtigen Direktor her. In dem dunklen Parkett huschten die Mäuse, eine dicke Staubschicht legte sich über die Bretter des Podiums, die Spinne wob ihr Netz über den Flurschalter, an dem sonst der Kassierer gelauert.

Nach Weihnachten sollte dort eine süddeutsche Künstlergesellschaft einziehen und das Publikum in einem vierwöchigen Gastspiel mit Jodeln, Zitherklang und Schuhplatteln erfreuen. Bis dahin blieb das Haus geschlossen. Totenstill lagen die finstern Corridore, die Foyers und Bühnenräume, nur des Sonnabends hallte unheimlich in ihnen der schwere Tritt einiger Scheuerfrauen, die ein paar Stunden hindurch einen aussichtslosen Kampf gegen Schmutz und Moder führten.

Das Personal war in alle Winden zerstoben. Ein Bruchteil der Truppe zog in den kleinen Städten der Mark umher und veranstaltete in den Hotelsälen Gastspielvorstellungen vor den meist ziemlich stumpfsinnig dasitzenden Honoratioren des Ortes, Andere hatten in Berlin oder der Provinz ein bescheidenes Unterkommen gefunden oder privatisierten, wenn sie es konnten, bei Angehörigen. Mancher aber trieb sich noch jetzt stellungslos in den Straßen der Weltstadt umher und blockierte die Thüren der Agenten und Direktoren.

Dem weiblichen Chor und namentlich dem Ballett ging es besser. Sie fanden rasch Plätze bei den Operettenbühnen und den Feeerien, die von den Circus- und Tingeltangel-Inhabern in wilden Wettstreit veranstaltet wurden.

Und nach kurzem war das Eden-Theater und seine Insassen vergessen. Es ereignet sich ja so viel in Berlin und ein Theaterkrach gehört wahrhaftig nicht zu den merkwürdigen Vorkommnissen ...


Erna Ernesti ging trostlos in ihrem schmucken Salon und dem anstoßenden Boudoir auf und nieder. Von Zeit zu Zeit bückte sie sich, kippte mit Anstrengung einen der schweren Sammetfauteuils oder ein geschnitztes Tischchen um und sah mit wehmütigem Kopfschütteln auf die kleinen häßlichen Siegel, die eben ein unangenehm bestimmt auftretender Herr an den verborgenen Stellen des Mobiliars angebracht.

Ehe der Gerichtsvollzieher ging, hatte er sie noch gewarnt, ja nicht die Siegel wegzunehmen oder die Möbel aus der Wohnung zu entfernen. Sonst käme sie vor Gericht.

Davor hatte sie eine furchtbare Angst. Sie kam sich wie eine Mitschuldige van Looks vor, wenn sie Tag für Tag in den Zeitungen von dem Unglück las, das der Konkurs in zahlreiche Familie getragen Auch ihr Name war darin häufig angedeutet. War sie doch nach der Versicherung der giftigen Winkelblätter als Letzte dem Bankier behülflich gewesen, das Geld seiner Klienten durchzubringen.

Zudem war auch ein Schreiben des »Berliner Argus« bei ihr eingetroffen. Der Ritter von Crocevich schickte ihr den Bürstenabzug eines Artikels, in dem er sie beschuldigte, um das Treiben van Looks gewußt und seine Unterschleife durch ihre Verschwendung begünstigt zu haben. Den Schluß bildete eine dunkle Andeutung, als ob der Staatsanwalt ihrer Person bereits näher getreten sei. Ein Prospekt zum Abonnement auf den »Berliner Argus« lag bei.

Das Revolverblatt verfehlte indeß seinen Zweck. Von ihrem bösen Gewissen getrieben faßte Erna einen ganz anderen Entschluß. Sie packte alles, was sie noch an Geld und Schmucksachen von dem Bankier besaß, zusammen und schickte es mit der Bitte um Quittung an den Verwalter der Konkursmasse.

Die Empfangsbestätigung traf denn auch bald ein und in dem Kreisen der großen wie der halben Welt erzählte man sich staunend von der heroischen That der Ernesti.

Aber für Erna war nun guter Rat teuer. Die Gläubiger drängten sie. Ihr Schneider ließ nicht mehr mit sich reden. Er hatte sich richtig einen Pfändungsbefehl erwirkt und nun den Exekutor geschickt.

Darüber tobte der Hauswirt, der für die rückständige Miete sein Retentionsrecht an den Möbeln hatte geltend machen wollen. Man hörte seinen erregten Wortwechsel mit dem Gerichtsvollzieher auf dem Flur.

Erna seufzte. Was nun? Engagementsanträge nach auswärts waren ihr mehrfach zugegangen, sie konnte sich auch auf Gastspielreisen begeben. Aber was brachte das schließlich ein? ... und inzwischen räumte man ihr hier ihre Wohnung, das hübsche, traulich eingerichtete Nest völlig kahl aus. Ein Glück, daß sie wenigstens ihre Toiletten, als zur Ausübung ihres Berufes gehörige Gegenstände, vor diesem ekelhaften Menschen gerettet hatte.

Sie schickte ihre Zofe mit dem schwanenpelzbesetzten, blauseidenen Überwurf in das Leihhaus, um wenigstens etwas bares Geld in die Hand zu bekommen. Aber als das Mädchen gegangen, fühlte sie sich ganz unheimlich in ihrer eigenen Wohnung. Die verräterischen Siegel, die verstohlen an den Möbeln klebten, kamen ihr nicht aus dem Sinn.

Ans Fenster tretend, starrte sie müßig auf die Straße. Es war ein schöner, klarer Herbsttag, verlockend zu einer Promenade im Tiergarten. Sie nahm Schirm und Handschuhe, band den Schleier um das winzige Hütchen und stieg, immer noch in sehr gedrückter Stimmung, die Treppen hinunter, ab und zu sich scheu umsehend, ob sie den Hauswirt nicht begegne.

Als sie langsam auf dem breiten Fußweg der Tiergarten-Straße dahinschritt, auf dessen feuchtem Kies zerstreut das welke Herbstlaub lag, hatte sie eine vollkommene Anwandlung von Schwermut, beinahe von Lebensüberdruß. Plötzlich blieb sie stehen und starrte erschrocken auf ein Gefährt, das ihr rasch über den Asphalt dahinrollend, entgegenkam.

Sie kannte dies Gefährt, diese schwarzen Orlofftraber mit den federnden Vorderbeinen und den wehenden Schweifen. In ängstlicher Neugier sah sie darauf hin, wer wohl jetzt der Besitzer sein möge.

Plötzlich sprang im Wagen ein Herr, sie offenbar erkennend, auf, gab dem Kutscher einen Wink, zu halten und lief, ehe die Pferde noch völlig standen, heraus, um quer über den lockeren Reitweg auf sie los zu eilen.

Erna hatte den Prinzen Stayningen noch nie so lebendig und zugleich so selbstbewußt gesehen. Seit dem Zweikampf mit Parsenow ging der schwäbische Dynast hochaufgerichtet und gemessen einher. Den trottenden Gigerlschritt hatte er sich ebenso abgewöhnt, wie das stiere Lächeln um den halboffenen Mund. Er empfand das Bedürfnis, ernst und würdig auszusehen, wie es sich für einen Mann ziemt, gegen den ein Verfahren wegen Zweikampfs mit tödlichem Ausgang schwebt.

»Nun ... gehen spazieren, Gnädigste?« sagte er, lässig den Hut lüftend.

Erna entzog ihm halb ihre Hand. »Ich habe Angst vor Ihnen, Durchlaucht. Am Ende bringen Sie mich auch um ...«

»Nein, meine Gnädigste ... nur Männer! ... that mir leid um Parsenow ... famoser Kerl sonst ... aber ging nicht anders. Mußte ihn erschießen ... Beleidigung zu schwer ...«

»Sie sind ein schrecklicher Mensch.« Erna sah mit großen, feucht schimmernden Augen in das rote, gutmütige Gesicht des Gigerls.

Der aber wechselte die Unterhaltung. »Und zu Fuß, Gnädigste ... bei feuchtem Herbstwetter ... werden sich Schnupfen holen ...«

»Wenn schon ...« sagte Erna kläglich ... »ich trete ja doch nicht mehr auf. Und was soll man denn thun, wenn man keinen Wagen hat?

»Wie ... kenne doch Ihr kleines Coupé ... würdevoller alter Kutscher oben ...«

»Der Kutscher ist weg!« Erna seufzte, »... und das Coupé ist verkauft und die Pferde sind verkauft ... und mein Schmuck ist weg ... und meine Möbel ... und schließlich wird mir der Gerichtsvollzieher noch alles wegnehmen, was ich habe ... und ich kann doch nichts dafür ...«

Sie war nahe daran, zu weinen.

»Armes Kind ...« sagte der Prinz, wirklich, ergriffen ... »müssen mehr darüber erzählen. Wissen Sie was! fahren mit nach Charlottenburg zum Rennen ... Großer Preis wird heute gelaufen ... Gutes Ding für Floßhilde ... schönes Rennen ...«

Er wollte schon den Wagen heranwinken, aber Erna hielt ihn zurück. »Was denken Sie eigentlich von mir, Durchlaucht?« frug sie halb kühl, halb gekränkt, »daß ich mit Ihnen so mir nichts dir nichts nach Westend fahren soll? Ich besuche überhaupt den Rennplatz nicht ... den ganzen Herbst nicht mehr.. er ist mir verleidet ... und ...«

»Pardon ... Pardon ...« der Prinz schien etwas verwirrt ... »aber wissen Sie was ...« fuhr er freudig fort ... »werde, wenn erlauben, nach dem Rennen Augenblick bei Ihnen vorsprechen ...«

»... und mir erzählen, wie es draußen war!« Erna streckte ihm herzlich lächelnd die schmale Hand hin ... »thun Sie das, Durchlaucht ... es soll mich freuen ... auf Wiedersehen.«

Lange blickte Stayingen der schlanken, sich anmutig in den Hüften wiegenden Gestalt nach, die rasch und graziös über den Kiesweg dahinschritt. Dann stieg er ein und ein fettes Lächeln ging über sein Gesicht, während der Wagen durch den Hofjäger auf die Charlottenburger Chaussee zuschoß.


Dort ist heute, am Tage des Großen Preises von zusammen 35 000 Mark und bei dem prachtvollen Herbstwetter das Getümmel noch weit gewaltiger wie sonst. Eine schwarze Woge von rasselnden Gefährten wälzt sich die Straße entlang nach den Höhen von Westend, die hochgetürmten Pferdebahnwagen klingeln, dazwischen knarren und schaukeln die Kremser, von den Viererzügen tönt das Hornsignal, grell schimmern die hellen Damenkleider und die bunten Uniformen, die Händler schreien die »Sportwelt« aus, die Schutzleute fluchen in die endlosen, von einem Walde wehender Peitschen überragten Wagenkolonnen und von dem blaßblauen Herbsthimmel lacht die Sonne über Gerechte und Ungerechte.


Quer durch das Getümmel bahnt sich am großen Stern eine bescheidene Gepäckdroschke ihren Weg, zum Zorn der Sportsmen, die kaum mehr ihre rasch trabenden Pferde zu parieren vermögen. Namentlich der elegante, offene Wagen, in dem an der Seite eines schönen großen Mädchens Herr Krakauer, mit dem Ausdruck eines mißvergnügten Fuchses auf dem quittengelben Gesicht, trohnt, prallt beinahe mit der Droschke zusammen und zu dem vollbärtigen, mit dem eisernen Kreuz geschmückten Kutscher klingt ein heftiges Schimpfwort des gereizten Geldmannes empor.

Dann humpelt die Gepäckdroschke einsam am Spreeufer weiter, dem Lehrter Bahnhof zu. Niemand sieht ihr nach. Auffällig sind ja die Insassen weiter nicht, der alte, grimmig aussehende Herr mit dem schlohweißen Schnurrbart, der blutjunge Leutnant ihm gegenüber und die blasse, in schwarze Schleier gehüllte Dame, die teilnahmslos dasitzt. Erst, als sie sich schon im Coupé befindet und sich der Zug in Bewegung setzt, hebt sie das Haupt und winkt ihrem auf dem Bahnsteig stehenden Bruder mit der Hand einen müden Abschiedsgruß.

Dann sinkt sie wieder zusammen und starrt thränenlos vor sich hin. Gramvoll sitzt der alte Herr daneben. Sie schweigen beide, die langen Stunden, bis der Zug an der kleinen Station anhält, die dem Gute des Majors zunächst liegt.

Dort erwartet sie der Inspektor und Jochen, der ewig grinsende, flachshaarige Kutscher. Dann war noch ein dritter da, Herr von Kranow, ein Gutsbesitzer aus der Umgegend. Mäßig begütert lebte er seit Jahren als Witwer mit einem kleinen Töchterchen auf seiner Scholle.

Hilda kannte ihn wohl und hatte oft darüber gelacht, wenn sie auf Bällen und Gesellschaften unverwandt die Augen des stillen Mannes auf sich ruhen fühlte, der so gar nichts aus sich zu machen verstand und mit seiner schlichten, blondbärtigen Erscheinung so seltsam von dem lärmenden Kreise der Cavaliere abstach.

Der erwartete sie jetzt. Seit einer Woche stand er jeden Tag um diese Zeit auf dem Perron. Er geleitete sie stumm zum Wagen und half ihr hinein. Dann zog er seine Mütze und trat mit einer ernsten Verbeugung zurück, auf sein Pferd zu, das ein Bauernjunge in der Nähe hielt.

Vorher aber hatte Hilda seine Hand ergriffen und sie dankend gedrückt. Er sah, daß seine Teilnahme ihr wohl that.

Und als der einsame Junker bald darauf über die dämmernden Felder, durch die reine Abendluft seinem Hause zutritt, da stieg es wie ein Gefühl frohen Bangens in seinem Innern empor. Sich im Sattel aufrichtend schaute er zu dem klaren Himmel auf, an dem eben die ersten Sterne scheu blinkend hervortraten. Fern läuteten die Abendglocken, die Nacht sank schweigend hernieder und ihr Friede legte sich über die müde Welt.

Ende.


 << zurück