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VII.

»Bist Du immer noch böse?«

Parsenow beugte sich halb lächelnd über den Tisch, von dessen weißem Damast der Kellner soeben die Brodkrumen hinweggefegt hatte, und sah Hilda erwartungsvoll bittend an.

Er hatte den Zeitpunkt richtig gewählt. Die schöne Frau war versöhnlich gestimmt. Sie blickte zwar unverwandt vor sich nieder in das Kaffeetäßchen und rührte mechanisch mit dem Löffel in der dampfenden Flut, aber ein flüchtiges Lächeln umspielte ihren Mund und sie erwiderte noch halb zagend den Druck seiner Hand.

Das war also erledigt. Frau Hilda musterte ihren Bräutigam mit einem Blicke zärtlicher Resignation als wollte sie sagen: »Gott, was werde ich noch an Dir zu erziehen haben!« ... aber gleichzeitig kam ihr der tröstliche Gedanke, daß er ja in Hinterpommern unter ihrer steten Obhut sein werde! Und nach Berlin ließ sie ihn nicht allein fahren ... das Gelübde hatte sie sich schon lange abgelegt!

Nachdem so die Versöhnung glücklich zu Stande gekommen, wurde sie sehr vergnügt; es war, als wolle sie sich für den Aerger der letzten Stunden schadlos halten. Der Totalisatorgewinnst fiel ihr ein. Sie hatte ihn Parsenow zum aufheben gegeben und bestand jetzt darauf, daß man Cocktails Sieg in angemessener Weise feiern müsse. Sie selbst wollte dabei die Wirtin spielen. Es machte ihr Spaß, die drei Herren, Parsenow, ihren Vater und ihren Bruder, an dem heutigen Abend frei zu halten.

Aber wohin gehen?

»Im ›Theater an der Spree‹ ist heute eine große Novität,« sagte Parsenow, den Vergnügungs-Anzeiger studierend. »Hast Du schon 'mal eine Berliner Premiere mitgemacht?«

Sie verneinte. Der Gedanke gefiel ihr. Und nach wenigen Minuten war ein Piccolo des Hotels auf dem Wege nach dem Theater, mit dem strengen Befehl des Portiers, unter allen Umständen die befohlenen Plätze herbeizuschaffen.

Vor dem, natürlich bereits völlig ausverkauften Hause angelangt, sah sich der Piccolo zunächst einen Augenblick vorsichtig um. Dann schritt er ohne weiteres auf einen dunklen Klumpen höchst fragwürdiger Gestalten zu, die auf der Straße vor dem Einfahrtsgitter Posten gefaßt hatten.

Seine Absicht, eine ganze Loge zu erstehen, rief in den Kreisen der Billethändler Sensation hervor. Es gab ein aufgeregtes Hin- und Hergeflüster, bis endlich mehrere der Händler, mit dem Knirps in der Mitte, sich in Bewegung setzten und an einem argwöhnisch dreinschauenden Polizisten vorbei auf den Barbierladen an der Ecke zuschritten.

In diesem Raum kam der Handel zu Stande. Die drei Verkäufer stellten aus ihrem Billetvorrat eine Loge zusammen und forderten dafür hundert Mark! Allein der Piccolo war ihnen gewachsen. Er erklärte einfach, bis zum Beginn des Theaters hier warten zu wollen – seine Herrschaften seien feine Leute, die doch erst später kämen – dann würden die Preise von selbst sinken und sie, die Händler, froh sein, wenn man ihnen die Plätze zu dem schoflen Stück zum Kassenpreis abnähme.

Schließlich einigte man sich auf fünfundachtzig Mark. Mit ruhiger Siegesmiene legte der Knirps die Billete vor Frau von Braneck nieder, mit der Meldung, daß dieselben leider unter hundert Mark nicht zu bekommen gewesen seien. Diese Summe habe inzwischen der Portier ausgelegt.

Hilda gab ihm fünf Mark Trinkgeld. Ebensoviel bekam er von dem Pförtner, der den Rest des ersparten Geldes für sich behielt, und während er stolz die Silberstücke in die Tasche seines blauen Jäckchens schob, sah er sich in kühnem Zukunftstraume als den Besitzer eines Monstre-Hotels in Berlin, in dem die Gäste noch ganz anders übers Ohr gehauen werden sollten, ohne daß er mit dem Portier zu teilen brauchte ...


Frau von Braneck war auf ihr Zimmer gegangen, um sich umzukleiden, ihr Bruder ließ sich beim Friseur nebenan noch rasch den Scheitel durchziehen, der Major und Parsenow saßen sich rauchend an dem Tisch gegenüber.

Der Graf hätte gern über die Enthüllungen des Nachmittags zu sprechen angefangen, aber er fand die Worte nicht.

Plötzlich riß ihn der Alte selbst aus der Verlegenheit. »Wissen Sie, was mir eben passiert ist?« meint er, an seiner Havannah ziehend, »auf dem Corridor begegne ich Böseritz, altem Regimentskameraden, der jetzt in Berlin mit dem Gelde seiner Frau Terrainspekulationen macht ... höllisch schlauer Kunde, das ... also der hält mich fest und sagt ... Döbeln, haben Sie etwa Geld bei van Look und Compagnie? ... Ja ... sag' ich ... und er: abheben alter Freund, abheben so rasch als möglich ... ich rat's Ihnen im guten ... es steht oberfaul dort.«

»Dasselbe hörte auch ich!« Parsenow giebt sich Mühe, seine Erregung zu verbergen.

»Dies verdammte Berlin« ... der alte Herr steht zornig auf ... »ausgeraubt und totgeschlagen wird man hier! ... Sie müssen mir schon den Gefallen thun, Graf, und sehen, wie's mit Hildas Depositen steht. Ich verstehe von den Geschichten nichts und dann möcht' ichs doch auch diesem van Look nicht so gerade ins Gesicht sagen ...«

»Ich gehe morgen so früh wie möglich hin!« erwidert Parsenow. »Hoffentlich ist es nur leeres Gerede.«

»Nun, seid Ihr fertig« ... Hilda tritt, die Handschuhe zuknöpfend, in den Speiseraum ... »ah ... da kommt ja auch Kurt ... nun macht aber, damit wir nicht zu spät kommen ...«

Bald darauf nähert sich ihr Wagen dem ›Theater an der Spree‹. Eine endlose Droschkenreihe, an der die Schutzleute fluchend auf- und niederreiten, schiebt sich im Schritt vorwärts nach dem hellerleuchteten Portal. Dort springen die Portiers eilfertig hin und her ... die Wagenthüren krachen zu, die alten Frauen auf der Straße rufen mit heiserer Stimme den Theaterzettel aus, ein Strom von Fußgängern flutet an ihnen vorbei und ergießt sich in das Vestibül. Alle Gänge, alle Garderoben wimmeln von erregten Menschen. Die schwüle Spannung der Première zittert über dem dichtgefüllten Haus, bis endlich das Klingelzeichen tönt und der Vorhang lautlos in die Höhe rollt.


Auf den Fußspitzen, die Schleppe hochgehoben, um nicht mit der knisternden kostbaren Seide irgendwo hängen zu bleiben, tritt Käthe Krauß an das Gestell von Holz und Leinwand heran, das die linke Seitenwand eines Zimmers auf der Bühne markiert. Das Ohr an die Pappthüre geneigt, durch die sie einzutreten hat, lauscht sie, den Inspicienten neben sich, auf ihr Stichwort. Dumpf klingen die Stimmen der Schauspieler, der krächzende Baß des Komikers und das wohlklingende Organ des jugendlichen Liebhabers durch die Kulisse zu ihr.

Näher und näher rückt der Augenblick. Eine furchtbare Angst preßt ihr die Brust zusammen. Bisher ist es gut gegangen, in den ersten zwei Akten, in denen sie nur im Ensemble mitzuspielen und ab und zu ein paar Worte zu sprechen hatte. Jetzt aber im dritten Aufzug, kommt ihre große Szene, kommt die Entscheidung.

»Das kannst Du ihr alles selbst sagen ...« klingt der Baß von der Bühne. Das ist ihr Stichwort. Der Inspicient reißt die Thüre auf ... sie tritt hinaus auf die lichtüberfluteten Bretter, auf deren Mitte ihr Partner, der Liebhaber, steht, während der Komiker nach rechts verschwindet.

Zum Glück ist zunächst eine kurze Spielpause vorgeschrieben, in der sie verschüchtert zur Seite zu sehen hat. Sie wendet den Kopf. In feierlichem Dämmerlichte liegt der riesige Zuschauerraum vor ihr. Zahllose weiße Flecken, die Hände und Gesichter, schimmern aus dem Halbdunkel. Nichts regt sich. Nicht einmal ein Hüsteln unterbricht die Totenstille. Wie versteinert sitzen vor ihr die langen dunklen Reihen, aus denen sie viele hundert Augenpaare auf sich ruhen fühlt.

»Ach, Max!« zischelt es zu ihren Füßen, wo die Souffleuse, über das Buch gebeugt, in atemloser Aufmerksamkeit sitzt.

Sie wiederholt die Worte. Ihre Stimme klingt ihr fremd, als käme sie von Gott weiß woher. Ihr Partner fällt ein. Die Szene nimmt ihren Anfang.

In einem vorwiegend ernsten Stücke wie diesem fehlt jener innige Contakt der Bühne mit dem Publikum, der sich in dem Lustspiel ganz von selbst erzeugt. Das Lachen im Zuschauerraum beweist, daß ein Auftritt einschlägt, es ermutigt die Darsteller, es hebt die Stimmung vor und hinter den Kulissen. Anders bei Schauspielen. Es ist schon viel, wenn es unten ganz still ist, wenn nicht Hin- und Herrücken, Hüsteln und Flüstern die Teilnahmlosigkeit des Publikums bezeugen. Aber was dann dieses ernste Schweigen bedeutet, ob Ergriffenheit, ob Kälte, oder Mißbilligung ... wer kann das sagen?

Und doch hat Käthe, während sie spricht und spielt, allmählich die Empfindung, daß sie nicht mißfällt! Warum, weiß sie selbst nicht, aber es kommt Leben in sie, ihre Bewegungen werden freier, ihre Stimme heller ... immer rascher das Tempo, in dem sie und ihr Partner die geschickt aufgebaute und dankbare Szene herunterspielen. Sie verspürt keinerlei Angst mehr ... sie ist ruhig, ganz ruhig. Sie denkt nicht einmal mehr an das Publikum. Sie geht ganz auf in der Darstellung, sie schmiegt ihr Spiel dem des Partners an und läßt sich von dem beliebten, temperamentvollen Schauspieler fortreißen bis zur Selbstvergessenheit.

Und dann die letzten Worte, ein paar schnelle Schritte nach links, wo sich die Thüre vor ihr öffnet ... sie steht mit klopfendem Herzen in der Dämmerung hinter dem Holzgestell der Kulisse und lauscht ...

Alles still! Sie hört ihren eigenen keuchenden Atem, dann da und dort ein mattes Geräusch zusammengeschlagener Handflächen, ein schüchterner Versuch zum Klatschen ... und gleich darauf ... als Antwort ... ein sanftes, zurechtweisendes Zischen, im Parkett, ein geschäftsmäßig klingendes Zischen, das leise durch das Haus geht und in Kurzem wieder verstummt. Dann tritt der dicke Komiker wieder auf... er macht einen Witz ... man lacht ... er macht einen zweiten ... man lacht wieder; das Spiel geht weiter; der kleine Zwischenfall ist schon vergessen ...


Die ab und zugehenden Schauspieler stören Käthe Krauß nicht, die reglos im Conversationszimmer auf dem Sofa sitzt.

Sie kennen diesen Zustand. Wer von ihnen ist nicht einmal durchgefallen? ... hat nicht einmal es an sich erfahren, das man selbst nur empfindet, was man gewollt, die andern, was man gekonnt hat?

Lange Zeit starrt Käthe vor sich hin. Warum auch nicht? Sie hat ja Zeit genug. Im vierten Akte tritt sie nicht mehr auf. Es kommt ihr vor, als ob sie ein böser Traum umfinge, den sie abzuschütteln nicht die Macht hat. Aber jetzt dringt Lärm von der Bühne her, man hört Rufe und Händeklatschen, es entsteht ein Hin- und Hergelaufe, Requisiten werden vorbeigetragen, der Akt ist zu Ende. Sie steht müde auf und geht nach vorn.

Dort steht der Bühnenleiter, im Frack und weißer Binde, eine Miniatur-Ordenskette auf der Brust, neben ihm eine hübsche, sehr blasse Dame, in Abend-Toilette, die offenbar aus dem Zuschauer-Raum hereingekommen ist.

Der Direktor erblickt Käthe: »Nun ... da sind Sie ja ...« sagt er ziemlich unfreundlich, und wendet sich dann zu der blassen Dame: »... bis wann, liebe Lowinska, denken Sie denn wieder so weit zu sein, daß Sie Fräulein Krauß ablösen können?«

»Ich bin noch recht angegriffen ... « erwidert Fräulein Lowinska mit einem flüchtigen Blick auf Käthe ... »aber ich will mich gleich dahinter machen ...«

»Ich bitte Sie darum.« Der Direktor sieht Käthe mißbilligend an ... »schön war das eben wirklich nicht ...«

»Ich habe mir solche Mühe gegeben!« sagt die kleine Krauß mit tonloser Stimme.

»Ja, Mühe! ... Kunst kommt von können liebes Kind, darum heißt sie Kunst ... Es geht wirklich noch nicht mit Ihnen!«

»Vielleicht geht es morgen besser!« flüstert Käthe in einem letzten verzweifelten Hoffnungsschimmer.

»Nein ... nein!« Der Direktor muß beinahe lächeln, ... »das würde nichts helfen! Morgen früh steht das Unglück doch schon in allen Kritiken ... aber Sie werden morgen noch spielen, und auch übermorgen noch, bis Fräulein Lowinska...«

»Und dann kann ich gehen?«

Der Bühnenleiter zuckt die Achseln. »Thut mir leid, liebes Fräulein! ... Ich habe Ihnen nie mehr in Aussicht gestellt, als ein paarmaliges Auftreten.

»Und was soll ich dann thun?«

»Gehen Sie in die Provinz, Kind!« sagt der Direktor im Fortgehen ... »spielen Sie ein paar Jahre auf kleinen Theatern alles, was Ihnen vorkommt ... die größten Rollen ... und wenn Sie eben ganz auf der Bühne zu Hause sind, dann versuchen Sie 'mal wieder hier in Berlin anzukommen ... oder sonst an einer guten Bühne ...«

Damit geht er. Die beiden Damen bleiben zurück und sehen sich befangen und feindselig an.

»Sie haben da ein reizendes Kostüm,« sagt endlich die Lowinska, das Schweigen brechend ... »wirklich sehr chic ...«

»Ja,« sagt Käthe vor sich hin ... »das ist sehr chic

»Haben Sie es eigens für die Rolle machen lassen?«

»Ja ... das ... und ein Reitkleid ... und ein Spitzen-Negligée.«

»Oh« ... macht die Lowinska etwas verlegen ... »das ist viel ... nun, Sie können die Sachen ja immer wieder brauchen ... besonders die Robe ... wieviel kostet sie denn?«

»Die kostet mich sehr viel,« erwidert Käthe gleichgültig »... mehr als ich sage. Finden Sie nicht, daß es eigentlich furchtbar lächerlich ist, sich solch kostbare Kleider zu bestellen, wenn man nachher doch durchfällt?«

»Mein Gott ... das kann jedem 'mal passieren.«

»Und die Kleider kann man doch immer wieder gebrauchen.« Käthe lacht hell auf ... »und sich neue machen lassen, wenn man Lust hat. Das ist doch alles eigentlich sehr einfach ... was?«

»Ich verstehe Sie nicht!« Die Lowinska sieht sie befremdet an und da in diesem Augenblick das Klingelzeichen zum vierten Akt tönt, setzt sie rasch hinzu: »nun ... ich muß jetzt wieder in meine Loge ... adieu!«

Käthe blickt ihr gleichgültig nach. Sie ist völlig ruhig. Es ist, wie wenn ein einziges Wort sie gebannt hält, sich immer und immer wieder in ihrem Kopfe umwälzt: Umsonst! umsonst! ...

Umsonst hat sie ihrem Ehrgeiz das letzte Opfer gebracht. Es war vergeblich.

Was nun? Der Bühne entsagen, von der kärglichen Pension der Mutter wieder in dem Ackerstädtchen leben, in dem sie ihre Jugend verbracht ... nein ... unmöglich! Früher vielleicht, wo ihr noch die letzte Hoffnung, die Heirat, übrig blieb ... aber jetzt ...

Also auf der Bühne bleiben? werden wie die andern auch? ... nur ohne deren Talent und Leichtsinn ... Käthe seufzt auf. Sie empfindet einen Ekel, der in ihr aufsteigt, ein Gefühl der Uebelkeit, den Drang, dieser Welt von Leinwand und Stricken, von Staub und Schminke, von Moder- und Gasgeruch zu entfliehen, für immer zu entfliehen ... gleichviel, wohin.

»Nanu, Freilein!« sagt die Garderobière zu ihr, als sie die kleine Krauß plötzlich in Hut und Mantel auf den Ausgang zukommen sieht ... »haben Sie sich denn schon abjeschminkt? Herrjeses ... und umjezogen haben Sie sich ooch noch nicht?«

»Lassen Sie mich!« Käthe schiebt sie rauh zur Seite und tritt auf die Straße hinaus, in die kalte Herbstluft. Die Sterne glitzern über ihr und der Nachtwind streicht kühlend um ihr erhitztes geschminktes Gesicht.

Am Ufer bleibt sie stehen.

Vor ihr fließt die Spree langsam durch ihr gemauertes Bett. In der tintenschwarzen Flut, die gurgelnd um die vermorschten Pfähle spielt, glänzt in zitternden Lichtstreifen der Schein der Gaslaternen.

Große plumpe Kähne liegen reglos auf dem Wasser.

Auf dem einen beginnt der Spitz, der sich auf dem Deck herumtreibt, plötzlich heftig zu kläffen. Unten in der niedrigen, stickigen Kajüte richtet sich die Frau des Besitzers aus dem Bette auf.

»Haste nichts jehört, Vater?«

Der Schiffer schnarcht weiter.

»Es hat so'n Plumpser gegeben! ich meene als...«

»Na, wenn schon ...« brummt der Mann im Schlaf und wendet sich schwer auf die andere Seite. Sein Weib späht noch einen Augenblick durch das winzige Fensterchen nach dem Ufer, ehe sie sich wieder zur Ruhe legt. Wagen rasseln dort in Menge vorbei, schwarze Menschengruppen, aus denen die roten Pünktchen der Cigarren glühen, schreiten plaudernd und lachend über das Trottoir. Die Vorstellung ist zu Ende.

»Interessant ... so eine Première!« sagt Hilda von Braneck, sich behaglich in den Kissen zurücklehnend, zu ihrem gegenübersitzenden Bräutigam ... »wirklich eine schöne Vorstellung.«

»... blos die eine taugte nichts ... diese kleine Dingsda ...« meint ihr Bruder, »die verzapfte eine böse Komödie ...«

»Ja« ... erwiderte Hilda ... »sie haben ja auch ordentlich gezischt ... Armes Ding ...« setzt sie nach einer Weile mitleidig hinzu.


Der graue Herbstmorgen dämmert über dem Tiergarten. Mit gellendem Quaken ziehen die wilden Enten schweren Flügelschlags über die buntbelaubten Wipfel dahin, sie senken sich herunter und schlagen endlich schräge, weite Kreise im Wasser ziehend, schwer auf die spiegelglatte Oberfläche der Spree nieder.

Am Ufer hinter dem Schlosse Bellevue, wo im leichten Morgenwind die Binsen schauern, hantieren zwei Fischer in ihrem Boot. Der eine bugsiert mit einer Stange einen Gegenstand durch die kalte Flut, der andere macht herausspringend das Boot an der Kette fest. Dann kniet er am Wasserrande nieder und zieht den Gegenstand heraus.

Schweigend stehen die beiden da. Der eine hat unwillkürlich die Mütze abgenommen. Die Brise streift durch seine Haare und schüttelt lachend die lockeren Binsen. Ein Fisch springt schwerfällig schnalzend aus den Wellen und verschwindet.

»Det scheene Kleid« ... murmelt schließlich der andere »... schad' drum! sowat hab' ick noch nich' jesehen ...«

Sein Genosse antwortet nichts. Er sieht sich um und die Straße entlang, an deren Ende eine blaue behelmte Gestalt auftaucht.

»Na ... da kommt ja glücklich 'n Schutzmann!« brummt er verdrossen.

Der Schutzmann stellt sich neben die beiden und betrachtet kopfschüttelnd die zarte, ausgestreckte Gestalt, um die sich triefend naß das enge Seidenkleid schließt, und die spitzen, bleichen Züge, an denen da und dort, noch ein Restchen Schminke klebt.

»... 'n propperes Mächen,« sagt er schließlich traurig und nickt mit dem Kopf ... »det kommt, von die verfluchte Liebe ...«


Die Lowinska war nicht wenig erstaunt, als sie gegen Mittag die dringende Bitte der Direktion erhielt, wenn irgend möglich an Stelle des plötzlich verschwundenen Fräulein Krauß am Abend zu spielen. Da man deren Rollenheft noch nicht hatte erlangen können, lag das Regiebuch zum Lernen bei.

Da war keine Zeit zum Ueberlegen. Die Lowinska ließ sich starken, schwarzen Kaffee kochen, rückte ihren Stehspiegel zurecht und begann zu lernen, Stunde auf Stunde. Gegen fünf Uhr fuhr sie ins Theater, probte dort in aller Eile mit dem jugendlichen Liebhaber und dem Oberregisseur ihre Szene im dritten Akt und erklärte sich bereit.

Es war Sonntag. Das beifallsfrohe, schon im Voraus vergnügte Publikum eines Festtags füllte das ausverkaufte Haus und lauschte mit großer Spannung der Mitteilung des Regisseurs, daß Fräulein Lowinska die an Stelle des plötzlich erkrankten Fräulein Krauß eingetreten sei, sich der gütigen Nachsicht des Publikums empfehle.

Für die zwei ersten Akte, die man nicht hatte proben können, war denn auch diese Nachsicht durchaus nötig. Um die Ensembleszenen nicht ganz zu verderben, pflanzte sich die Lowinska dicht am Souffleurkasten auf und »schwamm«, so gut es gehen mochte, im Strome mit.

Anders im dritten Akt. Den hatte sie gelernt und geprobt. Ihr heißes Bühnenblut regte sich, sie improvisierte, wo ihr die Worte fehlten, sie spielte, noch angegriffen durch die Krankheit und aufgeregt durch das Gefährliche der Situation mit einem nervösen Feuer – und als sie, wie gestern ihre Rivalin, nach ihrer großen Szene mit hämmernden Pulsen hinter der Kulisse nach Atem rang, da scholl ihr wie Musik der stürmische Beifall des leichtgewonnenen Sonntags-Publikums in die Ohren.

Sie lächelte triumphierend vor sich hin und begab sich langsam in die Garderobe.

Als sie nach einiger Zeit »in Civil« wieder herauskam, sah sie im Conversationszimmer den Komiker sitzen. Er hatte ein Zeitungsblatt in der Hand und sah ernster aus als gewöhnlich.

»Hast's schon gelesen?« frug der sonst so lustige Schauspieler.

»Was denn?«

»Na ... da mit der Krauß!« ... wollt's Dir vorhin nicht zeigen ... vor Deinem ersten Auftreten ...«

Die Lowinska nahm die vom Montag Morgen datierte Zeitung, die er ihr bot, und las in dem lokalen Teil daß unweit des Schlosses Bellevue die Leiche einer etwa zweiundzwanzigjährigen mit einem Ballanzug bekleideten Frauensperson aus der Spree gezogen worden sei, in der man die unverehelichte Katharina Krauß, Arminiusstraße 17 wohnhaft, ermittelt habe.

»Großer Gott!« die Lowinska ließ das Papier sinken.

Der Komiker antwortete nichts, sondern pfiff nur leise vor sich hin.

Die Wanduhr tickte eintönig. Ganz aus der Ferne hörte man einen Lachsturm im Publikum.

»Schließlich« ... sagte die Lowinska halb vor sich ... »ich kann wahrhaftig nichts dafür. Im Gegenteil ...«

»Nee ... Du kannst nichts dafür!«

Die blasse Schauspielerin zog ihr Taschentuch heraus und begann nervös zu weinen ... aber gewiß ... sie traf keine Schuld ... sie war ganz freundlich gegen die Collegin gewesen und wer konnte denn wissen ...

Schließlich beruhigte sie sich.

Für sie war das doch heute ein Glücksabend ...

Sie stand nach wie vor fest in der Gunst des Publikums, sie hatte Talent – das wußte sie –, die Kritik wollte ihr wohl, der Direktor war ihr Gönner!

Und Toiletten hatte sie mehr als genug ...


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